Screenforce Days 2022: Das „next big thing“ ist nicht in Sicht

Mit Retrofieber, Show-Events und Programmumbau auf Zuschauerfang

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 24.06.2022, 08:00 Uhr

Screenforce Days 2022: Das "next big thing" ist nicht in Sicht – Mit Retrofieber, Show-Events und Programmumbau auf Zuschauerfang – Bild: Screenforce Days

In dieser Woche stellten die großen Fernsehsender Deutschlands den Werbekunden ihre TV-Highlights für die kommenden Monate vor. Nach den wegen Corona ausgefallenen Screenforce Days 2020 fanden die Präsentationen in diesem Jahr zum zweiten Mal ausschließlich digital per Video-Stream statt, die mal mit mehr und mal mit weniger Aufwand produziert wurden. Insbesondere die „großen“ Präsentationen von Seven.One und RTL Deutschland waren gespickt mit sympathischer Selbstironie. Als allgemeines Fazit lässt sich dennoch ziehen, dass die ganz großen Überraschungen ausblieben, ein „next big thing“ im Fernsehen nicht zu erkennen war.

Seven.One präsentierte seine Neuigkeiten im Rahmen einer „TV total“-Sonderausgabe – und die Senderverantwortlichen mussten sich im Gespräch den einen oder anderen Seitenhieb von Sebastian Pufpaff gefallen lassen. Die News selbst hielten sich dagegen in Grenzen. ProSieben etwa beschränkte sich bei seinen Neuankündigungen weitgehend auf den Sonntagabend, der in der kommenden Saison umgebaut wird. So stellte Senderchef Daniel Rosemann vier Promi-Reise-Challenge-Formate vor, von denen sich drei konzeptionell arg ähneln. Diese sollen künftig anstelle von Spielfilmen für erfreuliche Quoten am Sonntag sorgen. Ansonsten wenig Neues bei der roten Sieben: Auch in Zukunft wird das Primetime-Programm vor allem aus Joko & Klaas, „Schlag den Star“, „TV total“ und Ableger, „The Masked Singer“ und „Germany’s Next Topmodel“ bestehen.

ProSieben/​Sat1.-Senderchef Daniel Rosemann (l.) mit Elton (M.) und Sebastian Pufpaff (r.) Seven.One/​Willi Weber

Etwas mehr Bewegung gibt es bei Sat.1: Dem ausgerufenen Ziel, den gebeutelten Bällchensender in alter Stärke erstrahlen zu lassen, will Daniel Rosemann vor allem mit einem radikalen Umbau des Nachmittagsprogramms näherkommen. Scripted-Reality-Formate werden nicht weiterproduziert, stattdessen soll es künftig von 16 bis 19 Uhr eine dreistündige Livestrecke namens „Volles Haus! Sat.1 Live“ geben, in der man den Zuschauern ein buntes Potpourri aus Talk, News, Doku-Soaps und Magazinbeiträgen präsentieren will. Für die neue Nachmittagsshow wird gar ein ganzes Haus gebaut samt Keller, Garage, Küche und Wohnzimmer – jeder Raum soll für eigene Inhalte stehen. Wie dieses noch etwas nebulös klingende Konzept am Ende umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Ansonsten sollen Jörg Pilawa mit einem Grundschulquiz, Ralf Schmitz mit einer neuen Datingshow, die neue Vorabend-Kochshow „Doppelt kocht besser“ und „The Voice of Germany“, das zurück auf den Freitag wechselt, für einen Quotenaufschwung sorgen.

Sat.1

Kabel Eins und sixx investieren mehr in Eigenproduktionen – mit Schrebergärtnern, Poolbauern, Köchen, Stylistinnen, plastischen Chirurginnen und einem Pferdetrainer. Und während sich ProSieben sonntags von Spielfilmen trennt, ersetzt Kabel Eins am Samstagabend US-Serien durch Doku-Eigenproduktionen. Rein gar nichts im Gepäck hatte die Seven.One-Gruppe hingegen für Serienfans. Weder Lizenzeinkäufe aus dem Ausland noch neue fiktionale Serien-Eigenproduktionen wurden angekündigt. Nach den Pleiten mit „Nachricht von Mama“ und „Die Läusemutter“ hat man vorerst offenbar die Lust daran verloren, für Nachschub zu sorgen. Selbst für den Streamingdienst Joyn produziert Seven.One mittlerweile vorrangig Kuppelshows und Trash-Formate mit Influencern. Bemerkenswert: Erwähnung fand Joyn, ein Joint-Venture der ProSiebenSat.1 Media SE und Warner Bros. Discovery, in keiner Präsentation der beiden Partner … was auch eine gewisse Aussagekraft hat. Viel wichtiger war es für Warner Bros. Discovery nachvollziehbarerweise, den Starttermin des eigenen Streamingdienstes discovery+ (schon nächste Woche) zu verkünden.

Was Streaming angeht, zeigte sich RTL Deutschland im Gegensatz zu Seven.One deutlich motivierter und will mit fiktionalen Stoffen vor allem auch jene Zuschauer zum Dienst RTL+ locken, die kein Interesse an Reality-Formaten haben. Ob mit High-End-Serien wie „Sisi“, „Ferdinand von Schirach: Strafe“ und „Das Haus der Träume“ oder US-Importen wie „Peacemaker“, „Dan Brown’s The Lost Symbol“ und der True-Crime-Satire „The Thing About Pam“. Zudem verfolgt RTL+ die Strategie „One App, All Media“ und will durch die Integration von Musik, Podcasts, Radio, Hörbüchern und Magazinen RTL+ zur umfassenden Entertainment-App ausbauen.

„And Just Like That …“ RTL /​ ©2021 WarnerMedia Direct, LLC. All Rights Reserved. HBO Max™ is used under license.

Nischigere Serien finden linear mittlerweile ihren Weg vor allem zu VOXup, doch mit der „Sex and the City“-Fortsetzung „And Just Like That …“ traut sich auch VOX wieder an die lineare Ausstrahlung einer neuen US-Serie heran. Ansonsten setzt der Sender mit der roten Kugel auf anspruchsvolle Doku-Projekte wie „Nach der Flut – Ein Jahr zwischen Zerstörung und Zuversicht“ und „Das spanische Dorf“, aber auch Tim-Mälzer- und Kochshow-Fans kommen weiterhin auf ihre Kosten.

Der Hauptsender RTL surft mit einer Neuauflage von „Die 100.000 Mark Show“ und einer großen Gala zu „RTL Samstag Nacht“ weiter auf der Retro-Welle. Entsprechend passend war auch die Form des Screenings von RTL Deutschland gewählt: Daniel Hartwich, Laura Wontorra und Guido Cantz spielten die Hauptrollen in einer ganz eigenen Variante von „Zurück in die Zukunft“.

RTL/​Screenshot

Abgesehen von nostalgischen Inhalten plant RTL auch mit weiteren Show-Events wie etwa „Die deutsche Luftballonmeisterschaft“ und „Die RTL Wasserspiele“, außerdem werden „40 Jahre Supernasen“ und „35 Jahre Dirty Dancing“ gefeiert. Offenbar will der Kölner Sender mit derlei Events den Wegfall der „Supertalent“-Staffel im Herbst kompensieren. Ansonsten wird der Serienklassiker „Alarm für Cobra 11“ in Form von Eventfilmen fortgesetzt, während Hape Kerkelings Kultfilm „Club Las Piranjas“ eine Serien-Fortsetzung erhält. Und nicht zuletzt verstärkt RTL zunehmend auch sein Journalisten-Team im Bereich Information.

Apropos Retro: Für die wohl größten Überraschungen sorgte ausgerechnet RTL Zwei, das die beiden Show-Klassiker „Genial daneben“ und „Das Glücksrad“ zurückholt und fortsetzt. Mit Hugo Egon Balder und Thomas Hermanns sind also demnächst zwei ergraute Männer zu sehen, die alterstechnisch weit über der ganz jungen Zielgruppe liegen, auf die sich der Sender in den vergangenen Jahren mit Formaten wie „Love Island“ fokussiert hat. Junge Menschen sehen jedoch immer weniger linear fern – und offenbar wagt sich RTL Zwei nun aus diesem Grund vorsichtig wieder an Formate heran, die auch ältere Zuschauer ansprechen. Dafür spricht auch, dass man nicht nur „X-Factor: Das Unfassbare“ fortsetzt, sondern auch den 1980er-Trend Rollschuhfahren mit einem eigenen Promi-Skate-Wettbewerb namens „Skate Fever – Stars auf Rollschuhen“ wieder aufleben lassen möchte.

Lola Weippert moderiert „Skate Fever“ RTL Zwei/​Screenshot

Bei den Screenforce Days präsentierten sich die Sender mit Energie und Angriffslust. Und man würde sich wünschen, dass sie dieses Selbstbewusstsein mit einem gesunden Maß an Selbstironie nicht nur beim alljährlichen Branchentreff, sondern auch on air mehr an den Tag legen.

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    "Scripted-Reality-Formate werden nicht weiterproduziert, stattdessen soll es künftig von 16 bis 19 Uhr (...) ein buntes Potpourri aus Talk, News, Doku-Soaps......."
    -------------------------

    Ich dachte, Scripted-Reality und Doku-Soaps wäre effektiv dasselbe....! :-))

    Naja, who cares? Schaut diesen Sender echt jemand an?

    weitere Meldungen