30 Jahre RTL Zwei: Von „Vampy“ über „Big Brother“ und „Popstars“ bis „Kampf der Realitystars“

Die Geschichte des „Enfant Terrible“ unter den deutschen Vollprogrammen im Rückblick

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 04.03.2023, 17:00 Uhr

RTL II ab 2010: Der Siegeszug der Scripted Realitys und Doku-Soaps

Was sich in den Vorjahren bereits abgezeichnet hatte, fand ab 2010 seinen Höhepunkt. RTL II verschrieb sich zunehmend dem Genre der Scripted-Reality- und Doku-Soap-Formate. So ging im Sommer 2010 die Laien-Soap „X-Diaries – love, sun & fun“ an den Start, in der überwiegend junge Party-Touristen bei ihren Eskapaden und Exzessen auf Mallorca, Lloret de Mar, Rimini und Ibiza gefilmt wurden. Am 12. September 2011 fiel dann der Startschuss für „Berlin – Tag & Nacht“. In mittlerweile mehr als 2800 Folgen wird zielgruppengerecht der „ganz normale Alltag“ einer Berliner WG begleitet – vorwiegend geht es um Liebschaften, Eifersuchtsszenen und aggressives Fehlverhalten. Am 7. Januar 2013 gesellte sich mit „Köln 50667“ das rheinländische Pendant hinzu. Der Erfolg dieser geskripteten Pseudo-Reality-Soaps bedeutete gleichzeitig auch das Aus von „Big Brother“ bei RTL II. Die Verantwortlichen freuten sich über die Tatsache, dass sie nun nicht mehr warten mussten, bis sich echte Konflikte entwickelten – bei geskripteten Reality-Formaten erfolgt das gewünschte Verhalten schließlich auf Drehbuch-Anweisung.

Der aktuelle Cast von „Berlin – Tag & Nacht“ RTL Zwei/​Richard Hübne

Ein weiterer Trend, den RTL II ab 2011 startete waren die sogenannten Familien-Doku-Soaps. Als erstes erhielt die Millionärsfamilie Geiss ihre eigene Sendung, nachdem sie zuvor durch das VOX-Format „Goodbye Deutschland!“ Bekanntheit erlangte. In „Die Geissens – Eine schrecklich glamouröse Familie!“ werden seit Januar 2011 die Erlebnisse von Carmen und Robert Geiss und ihren Kindern begleitet. Nur wenige Wochen später starteten dann die Doku-Soaps „Die Wollnys – Eine schrecklich große Familie!“ und „Die Wollersheims – Eine schrecklich schräge Familie“. 2013 gesellte sich „Die Reimanns – Ein außergewöhnliches Leben“ und 2015 „Daniela Katzenberger: Mit Lucas im Babyglück“ hinzu – beide ebenfalls zuvor lange Jahre bei VOX in Auswanderer-Formaten zu sehen gewesen.

Ausgezeichnet: RTL II ganz seriös

Immer wieder überrascht RTL II zwischen all seinen Trash-Formaten mit relevanten und journalistisch hochwertigen Produktionen, zu denen beispielsweise die „Echtzeit“-Reportagen aus dem Jahr 2015 zählten. 2005 und 2006 strahlte der Grünwalder Sender außerdem vier Dokumentationen der Reportage-Reihe „Das Experiment – 30 Tage“ aus, in der sich Menschen einen Monat lang einem außergewöhnlichen Selbstexperiment unterzogen. Sie lebten obdachlos oder im Rollstuhl. Für die Folge „30 Tage Moslem“ erhielt RTL II den CIVIS-Medienpreis für Integration. Auch die von Sandra Kuhn moderierte Reportagreihe „Zeit für Helden – Und was machst du?“ über Diskriminierung und Zivilcourage sowie die Sozialdokumentationen „Armes Deutschland – Stempeln oder abrackern?“ und „Hartz und herzlich“ brachten dem Sender Lob ein.

2018 wurde RTL II mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Information“ für das ungewöhnliche Politformat „Endlich Klartext!“ mit Comedian Abdelkarim ausgezeichnet. Auch der temporäre Ausflug von RTL II in fiktionale Pfade ist lobenswert: Mit „Wir sind jetzt“ und „F4LKENB3RG – Mord im Internat?“ versuchte es der Sender mit zwei Young-Adult-Serien, die linear nicht punkten konnten, allerdings zumindest on Demand Achtungserfolge gewesen sind.

Von Love Island über Naked Attraction bis Kampf der Realitystars

Milka Loff Fernandes moderierte „Naked Attraction“ RTL II/​Claudius Pflug

Immer wieder hatte RTL II mit dem Ruf als „Tittensender“ zu kämpfen. Es gab Phasen, in denen man einen anderen Kurs einschlug und sich vom früheren Schmuddelimage durch Sendungen wie „peep!“ oder „Exklusiv – Die Reportage“ distanzieren wollte. Doch immer wieder fällt RTL II scheinbar in alte Laster zurück. Denn trotz löblicher Konzepte wie der Plus-Size-Castingshow „Curvy Supermodel“ setzt der Grünwalder Sender seit 2017 mit Formaten wie der Reality-Datingshow „Love Island“ oder den Kuppelshows „Naked Attraction“ und „UNdressed – Das Date im Bett“ wieder plakativ und unverblümt auf nackte Haut – und das sogar mit verblüffendem Erfolg. Wohl kein anderer Sender bietet ein kompromissloseres Unterhaltungsprogramm mit deutlichem Hang zum Trash-TV – doch im Gegensatz zu manch anderem Sender ist sich RTL II dessen vollkommen bewusst und zelebriert genüsslich sein Image. Immerhin weiß man, was man bekommt, wenn man RTL II einschaltet.

2020 ist dem Sender das Kunststück geglückt, im umkämpften Markt der Reality-TV-Shows eine eigene Duftmarke zu setzen: „Kampf der Realitystars“. So mancher Trash-TV-Fan ist der Meinung, dass das Format mittlerweile dem Dschungelcamp dem Rang abgelaufen hat – unter anderem aufgrund der zelebrierten Selbstironie, die „KdR“ beinahe zu einer Parodie auf Realityshows macht. Auch beim Cast wird stets ein erstaunlich glückliches Händchen bewiesen – mit überraschenen, längst vergessenen Teilnehmern aus dem Reality-TV-Kosmos, die der Sender nach Jahren wieder zurück aus der Versenkung holt und in Thailand zum ultimativen Wettkampf antreten lässt. Zur Krönung gab es im vergangenen Jahr eine Auszeichnung beim Deutschen Fernsehpreis als beste Realityshow.

„Kampf der Realitystars“ RTL Zwei/​Paris Tsitsos

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