Serienjahr 2025: Die Serienempfehlungen der Redaktion
Unsere regelmäßigen Reviewer stellen ihre Favoriten des Jahres vor
Christopher Diekhaus, R.L. Bonin, Stefan Genrich und Gian-Philip Andreas – 28.12.2025, 11:00 Uhr
Die Top-5 von Gian-Philip Andreas:
Platz 5: „The Lowdown“ (Disney+)
Die Krimikomödie des Jahres ist bei uns ganz frisch erschienen: Die FX-on-Hulu-Produktion „The Lowdown“, in den USA bereits im September veröffentlicht, ist seit dem zweiten Weihnachtstag bei Disney+ im Programm und zählt dort jetzt zu den unbestrittenen Highlights. Erzählt als waschechte pulp fiction, geht es in den acht Episoden um einen herrlich abgerockten Buchhändler und Alternativjournalisten, der einem Komplott rund um eine mächtige Familie in Tulsa, Oklahoma, auf die Spur kommt. In der Hauptrolle glänzt – mal wieder – Ethan Hawke in einer Art Westentaschencowboy-Variante von Rollen, die früher mal Humphrey Bogart gespielt hätte. Kyle MacLachlan und Jeanne Tripplehorn mischen schön zwielichtig mit, in einer wunderbaren Nebenrolle taucht später noch Peter Dinklage auf, dazu Hollywoods „Lieblingsindianer“ Graham Greene in seiner letzten Serienrolle; er starb nach dem Dreh. „The Lowdown“ erweist sich sehr schnell als beste Unterhaltung der abgehangenen Sorte – mit ein paar effektiven Überraschungen, jeder Menge guter Gags und als Zugabe Gastauftritten von Willie Jack und Elora aus „Reservation Dogs“. Die grandiose Native-American-Jugendserie (auch bei Disney+ zu finden) stammt ebenfalls von Hauptautor Sterlin Harjo und spielt, so wurde es inzwischen bestätigt, im selben Erzähluniversum wie dieses neue Neowestern-Kleinod. Nicht verpassen!
Auch toll: Wer noch mehr lachen möchte und etwas wagemutig ist, sollte „The Chair Company“ bei Sky Atlantic bzw. Wow austesten. Comedian Tim Robinson testet darin mal wieder die Grenzen der Cringe Comedy aus – als biederer Bürostoffel, der sich nach einem peinlichen Vorfall auf obsessive Abwege begibt. Nix für alle – aber genial!
Platz 4: „The Last of Us“, 2. Staffel (Wow)
Don’t believe the haters! An der zweiten Staffel der bisher besten aller Videogame-Verfilmungen scheiden sich die Geister – womit sich die Wirkungsgeschichte des zweiten Videospielteils kurios wiederholt. Schon als 2020 die Fortsetzung des 2013 erschienenen Games „The Last of Us“ veröffentlicht wurde, hob nämlich ein gigantisches Geheule und Krakeelen unter (vorwiegend männlichen) Spielern an, weil die (männliche!) Hauptfigur des ersten Spiels ruckzuck das Zeitliche segnete und die recht geradlinige Roadmovie-in-der-Zombieapokalypse-Struktur durch ein hochkomplexes, moralisch herausforderndes und obendrein noch queer grundiertes Schuld-und-Sühne-Drama aus zwei konträren Perspektiven ersetzt wurde. Die brutal kurze Screentime von Joel-Darsteller Pedro Pascal bewog denn auch viele Fans der ersten Staffel der Serienversion zum empörten Ausstieg – wenn man ihnen das glauben will. Denn natürlich nötigte Craig Mazins Adaption der ersten Hälfte des zweiten Spiels, mit ihren klug gesetzten Ergänzungen, Vertiefungen, Abweichungen und Verknappungen, auch diesmal wieder allerhöchsten Respekt ab. Cast-Zugänge wie Isabela Merced (als Dina), Kaitlyn Dever (als Abby) oder Catherine O’Hara (als Gail) sorgten für schauspielerische Höhepunkte, dazu gab es mehr Horror-Sequenzen. Die zermürbende Wirkung, für die im Game die player agency sorgte, also etwa die Aufgabe, als Spieler*innen Figuren steuern zu müssen, deren Absichten man nicht versteht, und mit ihnen Dinge zu tun, die man verabscheut, wird keine filmische Umsetzung jemals 1:1 abbilden können – die großartige zweite Staffel von „The Last of Us“ kam dem teilweise trotzdem bemerkenswert nahe.
Auch toll: Das Jahr 2025 hatte so einige starke (und auch ein paar enttäuschende) Folgestaffeln zu bieten. Am besten gefielen mir die zweiten Staffeln von „Severance“, „The Rehearsal“ und „Star Wars: Andor“.
Platz 3: „The Pitt“ (HBO Max)
Die stressigste Serie des Jahres? Womöglich. Die beste Krankenhausserie seit Äonen? Fraglos! „The Pitt“ hat im September bereits fünf Emmys abgeräumt, darunter als beste Drama-Serie des Jahres und für den Hauptdarsteller Noah Wyle, der hier als Dr. „Robby“ Robinavitch so etwas wie ein spätes Update seines legendären Dr. John Carter aus „Emergency Room“ vorlegt. Nicht nur Wyle entstammt der Kultserie aus den Neunzigerjahren, auch Hauptautor R. Scott Gemmill und Produzent John Wells waren einstmals dafür tätig. In „The Pitt“ heben sie nun Stress, Erschöpfung, Druck und Drama einer so unterbesetzten wie überfüllten Notaufnahme auf ein ganz neues Level für post-pandemische Zeiten. Die 15 Episoden entsprechen den 15 Stunden einer langen und chaotischen Schicht, in der vom Suchtkranken bis zu den Opfern eines Amokschützen die ganze Patientenpalette durchgespielt wird, während Wyle als Dr. Robby mit posttraumatischer Belastungsstörung so eindringlich spielt wie nie zuvor. Real existierende Ärzte und echtes Pflegepersonal loben die Serie für ihren Realismus – ein höchst beunruhigender Befund! Während „The Pitt“ in den USA schon das ganze Jahr über für Furore sorgte, kommt das deutsche Publikum übrigens erst jetzt dazu, die Serie so richtig würdigen zu können: Beim Launch von HBO Max in Deutschland wird sie am 13. Januar rechtzeitig zum Start der zweiten Staffel veröffentlicht. Unbedingt vormerken!
Auch toll: Die beste deutsche Serie des Jahres – „KRANK Berlin“ (Apple TV) über die Notaufnahme in einer Neuköllner Klinik – ist „The Pitt“ in Struktur, Thema und Stressfaktor gar nicht mal so unähnlich.
Platz 2: „Adolescence“ (Netflix)
Die aus vier Perspektiven um die Verhaftung eines mordverdächtigen 13-Jährigen kreisende Miniserie war möglicherweise die am schwersten auszuhaltende Produktion des Serienjahres – und das nicht nur für Eltern und Lehrpersonal. Der Sumpf der „Manosphere“, die in den Untiefen von Social Media schon kleinen Jungs den Hass auf Mädchen und Frauen einimpft, die Hilflosigkeit der Erziehungsberechtigten und die Ahnungslosigkeit im schulischen Umfeld: Jack Thorne und Stephen Graham, der selbst auch den Part des in seinen Grundfesten erschütterten Vaters spielt, gehen dorthin, wo’s wehtut, in vier ebenso unterschiedlichen wie ebenbürtig intensiven Episoden – aus denen allerdings die dritte Folge, die Therapiesitzung des kindlichen Mörders mit einer bestellten Psychologin, noch hervorragt. Der beim Dreh von „Adolescence“ erst 14-jährige und völlig kameraunerfahrene Owen Cooper lehrt einen mit seinem Spiel das Fürchten – inzwischen ist er der jüngste Emmy-Preisträger ever. Die formale Besonderheit, dass jede Folge als One-Shot-Episode inszeniert wurde, also trotz multipler Ortswechsel in einer einzigen Kameraeinstellung, erweist sich rasch als mehr als ein bloßer technischer Gimmick zum Bestaunen. Im Gegenteil, sie steigert in ihrer reportagehaften Unmittelbarkeit die Unausweichlichkeit des tragischen Geschehens.
Auch toll: Das Jahr war generell reich an sehenswerten Miniserien. Ganz besonders empfehle ich „Dying for Sex“, die auf einem Podcast basierende Story einer Frau mittleren Alters (Michelle Williams), die nach einer Krebsdiagnose ihr Sexleben resettet.
Platz 1: „Pluribus“ (Apple TV)
Es gibt ja Leute, die finden „Pluribus“ langweilig. Womöglich gehören sie zu jenen, für die Fernsehredaktionen inzwischen Drehbücher schreiben lassen, die auch „Second-Screen“-geeignet sein müssen. Da entstehen dann Filme und Serien, in denen pausenlos was passieren muss und ständig alles im Dialog erklärt wird, damit auch jene bei der Stange bleiben, die beim Ansehen die ganze Zeit auf ihrem Handy herumscrollen. Für so ein Publikum ist „Pluribus“ tatsächlich nicht gemacht. Für so ein Publikum hat Vince Gilligan, der Erfinder dieser durch und durch meisterhaften Serie, übrigens noch nie geschrieben – auch in seinen Hits „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ nicht. Hier wird für Serienfans erzählt, die noch wirklich zusehen wollen – mit beeindruckender Kameraarbeit und nuancierter Figurenzeichnung ohne Gefallsucht. Die durchaus politisch lesbare Mystery-Geschichte um eine Frau, die ein Individuum bleibt, als der Rest der Menschheit durch ein Alien-Virus entweder umgebracht oder Teil eines immer glücklichen, allwissenden „Hive Minds“ wird, erzählen Gilligan und seine Regisseure in aufreizender Langsamkeit – aber ohne eine einzige unnötige Einstellung. Es gibt lange Sequenzen ohne Dialog, ein genaues Nachvollziehen von Prozessen und Vorgängen, dazu „Better Call Saul“-Star Rhea Seehorn in der alleinigen Hauptrolle zwischen bitterem Witz, tiefer Trauer und rasender Wut. Als Bonus zeigen Karolina Wydra und Carlos Manuel Vesga in den beiden einzigen weiteren Hauptrollen kaum weniger brillante Schauspielleistungen. Gerade eben ging die erste Staffel mit einem buchstäblich bombigen Cliffhanger zu Ende; in weiser Voraussicht und zum großen, nein: sehr großen Glück hat Apple TV eine zweite Staffel gleich mitgeordert. Vorfreude also: ab jetzt!
Auch toll: Wo wir gerade bei Apple TV sind – die herrlich bekloppte Branchen-Satire „The Studio“ mit Seth Rogen sollten natürlich auch alle gesehen haben.
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Über die Autoren
Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.
Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance
Originalität – das macht für R.L. Bonin eine Serie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon als Kind entdeckte die Autorin ihre Leidenschaft für das Fernsehen. Über die Jahre eroberten unzählige Serien unterschiedlichster Genres Folge für Folge, Staffel für Staffel ihr Herz. Sie würde keine Sekunde zögern, mit Dr. Dr. Sheldon Cooper über den besten Superhelden im MCU zu diskutieren, an der Seite von Barry Allen um die Welt zu rennen oder in Hawkins Monster zu bekämpfen. Das inspirierte sie wohl auch, beruflich den Weg in Richtung Drehbuch und Text einzuschlagen. Seit 2023 unterstützt sie die Redaktion mit der Erstellung von Serienkritiken. Besonders Wert legt sie auf ausgeklügelte Dialoge, zeitgemäße Diversity und unvorhersehbare Charaktere.
Lieblingsserien: Lost in Space, Supergirl, Moon Knight
Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.
Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine
Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) - gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).
Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation