Das deutsche Fernsehjahr 2021 im Rückblick: Retrofieber, Seriositätsoffensive und Wahl-TV XXL

Das waren die Trends und Ereignisse des TV-Jahres

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2021, 09:00 Uhr

Das Fernsehjahr 2021 im Rückblick – Bild: RTL/Screenshot/seven.one/Willi Weber/ZDF/Sascha Baumann/WDR/Michael Schwettmann
Das Fernsehjahr 2021 im Rückblick

2021 ist fast Geschichte – und auch in diesem Jahr wollen wir an unseren Traditionen festhalten. So gibt es wie gewohnt einen mehrteiligen Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse und Themen in der TV-Welt des vergangenen Jahres. Auch 2021 war von den Auswirkungen von der Corona-Pandemie geprägt, doch im Gegensatz zum Vorjahr verzichteten die Sender auf Quarantäneshows und Videokonferenzen im Fernsehen, sondern wollten vor allem mit Unterhaltung und Nostalgie für Ablenkung sorgen. Welche Trends haben die deutsche Fernsehlandschaft geprägt und was hat für Diskussionsstoff gesorgt? Ein Blick zurück auf das Fernsehjahr 2021:

Wendler geblurrt, Bohlen fliegt – RTL auf dem Weg in ein neues Zeitalter

Der geblurrte Michael Wendler in der „DSDS“-Jury RTL/​Screenshot

Anfang des Jahres wehte bei RTL noch ein anderer Wind. Im Januar begann die neue Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ – mit Dieter Bohlen und Michael Wendler, zwei Juroren, die im weiteren Verlauf der Staffel von der Bildfläche verschwinden sollten. Es rächte sich die Tatsache, dass „DSDS“ stets viele Monate im Voraus produziert wird, bevor es zur Ausstrahlung kommt. Nachdem sich Wendler im Oktober 2020 als Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner outete, distanzierte sich RTL und beendete umgehend jegliche weitere Zusammenarbeit. Dennoch wurde er in der ersten „DSDS“-Folge noch gezeigt und mit hämischen Kommentaren veralbert. Doch als der „Sänger“ einen indiskutablen KZ-Vergleich zog, hörte für den Sender endgültig der Spaß auf. In den weiteren Castingfolgen wurde er nur noch verpixelt gezeigt und seine Äußerungen wurden vollständig aus der Sendung geschnitten.

Die nächste Bombe ließ RTL Anfang März platzen: Nur wenige Tage nach Dienstantritt des neuen Senderchefs Henning Tewes wurde verkündet, dass Jury-Urgestein Dieter Bohlen künftig nicht mehr Teil von „Deutschland sucht den Superstar“ und „Das Supertalent“ sein wird. Was tatsächlich niemand für möglich gehalten hätte, ist passiert: 19 Jahre nach der ersten „DSDS“-Staffel wurde der Poptitan vom Sender gekündigt – unfreiwillig, wie sich relativ schnell herausstellte. Und so schwänzte Bohlen als Reaktion die letzten beiden „DSDS“-Live-Shows, für die er noch engagiert war. Angeblich aus Krankheitsgründen, doch während der Live-Sendung meldete er sich ziemlich fidel bei Instagram zu Wort. RTL wolle neue Wege gehen und familienfreundlicher werden. Da hat so ein Revoluzzer, der immer ein bisschen auf die Kacke haut, wie ich, eben nichts mehr zu suchen, so Bohlen.

Dieter Bohlen – inzwischen kein RTL-Sendergesicht mehr TVNOW/​Stefan Gregorowius

Mit einer komplett neuen Jury und Moderation wollte RTL in der 15. Staffel von „Das Supertalent“ ein neues Kapitel der Castingshow aufschlagen. Die Zeiten, in denen Dieter Bohlen den Kandidaten Sprüche unter der Gürtellinie an den Kopf warf, sollten endgültig vorbei sein. Als neuen Star-Juror hatte man ursprünglich den Fußball-Weltmeister Lukas Podolski verpflichtet. Doch nach dem ersten Aufzeichnungstag wurde Podolski positiv auf das Coronavirus getestet und musste sich umgehend in eine zweiwöchige Quarantäne begeben. RTL sah sich gezwungen, schnellstmöglich eine alternative Lösung zu finden, da die Produktion zeitnah weitergehen musste. Dadurch kam es zu einem bunten Reigen an Ersatzjuroren: Die Ehrlich Brothers fungierten nach Podolskis Ausfall als dauerhafte Jury-Mitglieder, gemeinsam mit der niederländischen Moderatorin und Musicaldarstellerin Chantal Janzen und dem Modedesigner Michael Michalsky. Darüber hinaus waren zusätzlich pro Folge wechselnde Gastjuroren dabei.

Fußballstar Lukas Podolski (r.) sollte „Das Supertalent“ retten – doch es kam anders. TVNOW/​Stefan Gregorowius

Geholfen hat dieses Chaos den Quoten nicht: Gegen die Konkurrenz mit „The Masked Singer“ wurde die 15. „Supertalent“-Staffel mit tief einstelligen Marktanteilen zur schwächsten in der Geschichte der Castingshow. Ungeachtet der miesen Quoten sagt Senderchef Tewes: Das ‚Supertalent‘ hat eine neue Tonalität, die uns gut gefällt. Uns geht es um große und staunende Augen und Gänsehaut, um Überraschung – aber auch um Respekt. Auch diese Farbe noch stärker zu etablieren braucht seine Zeit. Man darf gespannt sein, wie viel Zeit RTL dem Format noch geben wird – und ob es dem ebenfalls runderneuerten „DSDS“, unter anderem mit Schlagerstar Florian Silbereisen in der Jury, Anfang 2022 besser ergehen wird. Wir erneuern RTL und entwickeln uns als Programm und Marke immer weiter, lautet das klare Statement von Senderchef Henning Tewes. Wir machen Programm aus einem positiven Menschenbild heraus, denn wir mögen die Menschen, so wie sie sind.

Eine weitere überraschende Ankündigung folgte Ende März: Hape Kerkeling kehrt nach achtjähriger Abstinenz auf den Fernsehbildschirm zurück – RTL hat sich den beliebten Entertainer, Moderator und Schauspieler für gleich mehrere Projekte ins Boot geholt. Bereits 2021 liefen bei VOX die Dokureihe „Hape und die 7 Zwergstaaten“ und „Ein Abend mit Hape Kerkeling“. Darüber hinaus ist für 2022 eine Serien-Fortsetzung zu Kerkelings Kultfilm „Club Las Piranjas“ geplant.

Hape Kerkeling beendete 2021 seine TV-Pause. RTL/​Boris Breuer

All diese Schritte passen zu dem eingeschlagenen Kurs der Sendergruppe, die Marke RTL neu positionieren und aufwerten zu wollen. Dahinter steht das groß angelegte Projekt „RTL United“, unter dem die Mediengruppe RTL ihre Markenarchitektur vereinheitlichen will und dafür neue, positive Leitlinien eingeführt hat. Weg vom Trash-Image, hin zu mehr Seriosität, Empathie, Positivität, Relevanz und Haltung. Selten hat ein Sender derart offensiv einen Kurswechsel angekündigt, der bei vielen Branchenbeobachtern zunächst einmal für Erstaunen und bei vielen Zuschauern für Häme gesorgt hat: RTL und seriös? Guter Witz! Kein Wunder, schließlich hat der Kölner Sender vor allem unter der langjährigen Führung von Anke Schäferkordt einiges dafür getan, zum Trash-Sender Nummer 1 zu werden. Wer jahrelang auf größtenteils kostengünstiges und inhaltlich oft banales Programm gesetzt hat, hat viele Zuschauer vergrault. Die Jüngeren sind vermehrt zu Streamingdiensten abgewandert, während man die Älteren an die Öffentlich-Rechtlichen verloren hat – und die kommen nicht von heute auf morgen zurück, nur weil man plötzlich ausruft: Hallo liebe Leute, wir sind jetzt seriös!

Vom Dschungelcamp und „Der Bachelor“ über „Bauer sucht Frau“ bis hin zu „Das Sommerhaus der Stars“, „Schwiegertochter gesucht“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Das Supertalent“ – all das sind Formate, für die RTL jahrelang in erster Linie stand und sich damit nicht gerade den besten Ruf erarbeitet hat. Und wir wollen nicht vergessen: Noch im letzten Jahr wollte RTL live die Hochzeit von Michael Wendler und Laura Müller übertragen, bevor aus bekannten Gründen die Zusammenarbeit beendet wurde. Nun soll also eine neue Zeitrechnung beginnen. Doch wie weit traut sich RTL zu gehen und wie konsequent wird der Kurswechsel tatsächlich umgesetzt? Bislang sind die Bemühungen im Programm nur ansatzweise sichtbar, während nach wie vor genügend Trash-TV produziert wird.

Viel logischer erscheint eher, dass hinter der groß angekündigten Neuausrichtung in Wirklichkeit eine gezielte Aufteilung der Zuschauerschaft steckt – und damit in gewisser Weise Augenwischerei. Junge Menschen, die immer weniger linear fernsehen, finden ihre Kuppel- und Trashshows wie „#CoupleChallenge“ oder „Are You The One?“ inzwischen vorrangig online beim Streamingdienst RTL+ (vormals TVNOW). Darüber hinaus bietet RTL+ aber auch einige prestigeträchtige Qualitätsserien wie „Ferdinand von Schirach: Glauben“ oder „Faking Hitler“, die für eine lineare Ausstrahlung zu wenig massentauglich sind. Zum ersten Halbjahr 2022 soll aus RTL+ ein allumfassendes Medien-Abo werden, das neben Filmen, Serien, Shows, Dokumentationen und Sport künftig auch ein umfangreiches Musikangebot, Podcasts, Hörbücher und Zeitschriften umfassen soll.

RTL

Im linearen Hauptprogramm schielt RTL hingegen künftig nicht mehr so sehr auf die Zielgruppe, sondern will der ARD und dem ZDF ein paar ältere Zuschauer abluchsen. Denn während Unter-30-Jährige immer schwieriger zu erreichen sind, steigen bei den Ü50-Jährigen die Reichweiten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint der Kurswechsel gar nicht mehr so unlogisch. Ob das anvisierte Publikum diesen Weg mitgehen wird, bleibt allerdings abzuwarten – schließlich wird es von ARD und ZDF bereits ausreichend bedient. Man darf gespannt sein, in welche Richtung der Unterhaltungsdampfer RTL in den kommenden Jahren schippern wird – mit Günther Jauch, Thomas Gottschalk und Hape Kerkeling sind die richtigen Sendergesichter jedenfalls bereits an Bord.

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