Das deutsche Fernsehjahr 2021 im Rückblick: Retrofieber, Seriositätsoffensive und Wahl-TV XXL

Das waren die Trends und Ereignisse des TV-Jahres

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2021, 09:00 Uhr

Bundestagswahl-TV XXL

Nicht nur ein großes politisches, sondern auch ein medial enorm aufbereitetes Ereignis war die Bundestagswahl 2021. Mit einer noch nie dagewesenen Anzahl an Formaten auf den unterschiedlichsten Sendern warben die drei Kanzlerkandidaten im Vorfeld der Wahl um die Gunst der Wähler. Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel stand während ihrer Amtszeit lediglich für ein TV-Duell pro Wahl zur Verfügung. Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock erklärten sich dagegen bereit, an gleich drei TV-Triellen teilzunehmen – bei RTL, ARD/​ZDF sowie ProSieben/​Sat.1/​Kabel Eins. Die drei Aufeinandertreffen der Kandidaten boten inhaltlich zwar kaum Varianz, waren allerdings allesamt quotenstark.

Drei Mal stellten sich Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet einem TV-Triell. seven.one/​Willi Weber

Doch damit nicht genug: Im September verging gefühlt kein Tag, an dem nicht einer der drei Kanzleramtsanwärter sich in irgendeiner TV-Show geduldig den Fragen von Moderatoren und Zuschauern stellte. Die ARD veranstaltete merhfach die „Wahlarena“, im ZDF wurde „Klartext, …!“ gesprochen und RTL setzte sich mit den Kandidaten „An einen Tisch“. Auch ProSieben mischte ordentlich mit und überraschte gar mit dem ersten Interview mit Annalena Baerbock nach der Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur – Gespräche mit Armin Laschet und Olaf Scholz folgten kurz darauf. Ungewohnte Bilder auf dem Sender, auf dem zu dieser Zeit für gewöhnlich die US-Sitcom „The Big Bang Theory“ gezeigt wurde.

Louis Klamroth lud außerdem drei Mal zur „Bundestagswahl-Show“, in der sich die Kanzlerkandidaten Baerbock und Scholz (aber nicht Laschet) vor allem den Anliegen von Erstwählern widmeten. Auf die ganz jungen Bürger, nämlich Schüler, trafen die Anwärter in der Sat.1-Sendung „Kannste Kanzleramt? Baerbock, Laschet und Scholz zurück in der Schule“, einer Adaption einer französischen Formatidee. Weitere Sendungen in den Dritten, auf WELT und BILD, in denen auch die Spitzenkandidaten der anderen Parteien zu Wort kamen, ergänzten das umfangreiche Bundestagswahl-TV-Angebot.

Louis Klamroth präsentierte „Die ProSieben Bundestagswahlshow“ ProSieben/​Hahn + Hartung Fotografen

Gepunktet haben vor allem die Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen, die allesamt überdurchschnittliche Einschaltquoten einfahren konnten, was eine große Nachfrage nach derlei Formaten bestätigte. ProSieben erregte mit seinen „Bundestagswahl-Shows“ hingegen nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit und blieb unter einer Reichweite von einer Million. Auf ähnlicher Flughöhe war ProSieben zuvor auch mit seinen Kanzlerkandidaten-Interviews unterwegs. Am Tag der Bundestagswahl selbst zeigte sich ebenfalls, dass die Bürger ihre Informationen weiterhin vor allem bei ARD und ZDF suchen. Während beide Sender zusammen mehr als acht Millionen Menschen während der ersten Hochrechnungen versammelten, waren es bei RTL gerade mal 1,22 Millionen.

BILD startet TV-Sender

Am 22. August ging der neue Fernsehsender von BILD an den Start. Unter dem Motto „Der erste Sender, der live Schlagzeilen macht“ werden täglich sechs Stunden Live-Programm geboten. Ankersendung ist unter der Woche das News-Format „BILD Live“, das von Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr mit der journalistischen Mission „Ongoing News und Opinion, 24/​7 live-haftig“ gesendet wird. Pro Stunde verfolgen die Moderatoren im Studio sowie BILD-Reporter ein aktuell laufendes Top-Thema, das mit Experten und Zuschauern in Interviews und Talks meinungsstark debattiert wird. Abends um 20:15 Uhr findet mehrmals pro Woche der einstündige Live-Talk „Viertel nach acht“ statt, in dem Moderatorin Nena Schink jeweils mit vier Gästen über fünf aktuelle Themen diskutiert. Am Sonntagabend um 21:45 Uhr stellen BILD-Reporter Kai Weise, Programmchef Claus Strunz und der stellvertretende Chefredakteur Paul Ronzheimer „Top-Gästen aus Politik und Wirtschaft“ sowie Experten und Betroffenen live „Die richtigen Fragen“.

Kai Weise und Patricia Platiel moderieren bei BILD Michael Hübner/​nurfotos.de

Während BILD vor allem vormittags und mittags auf eigenproduzierte Sendeinhalte setzt, wird das Programm am Abend und in der Nacht überwiegend mit Wiederholungen, Dokumentationen und Reportagen bestückt. Allerdings wird das laufende Programm bei aktuellen Themenlagen auch hin und wieder für eine Live-Berichterstattung unterbrochen. Mit „Achtung Fahndung!“ hat man außerdem eine Sendung im Programm, in der ein „BILD CSI-Team“ jeweils zwei aktuelle Kriminalfälle und einen Cold Case vorstellt und mit aktiver Unterstützung der Zuschauer nach den Tätern fahnden möchte.

Direkt am ersten Sendetag machte BILD mit einer eigenen „Kanzlernacht“ auf sich aufmerksam. Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (Union) und Olaf Scholz (SPD) stellten sich den Fragen der Moderatoren. Von Anfang an wurde sichergestellt, dass der Sender von rund 85 Prozent der deutschen TV-Haushalte gesehen werden kann – er ist unverschlüsselt über Kabel, Satellit, IPTV sowie OTT zu empfangen. Umso ernüchternder fallen bislang die tatsächlichen Quoten aus. Nach einem noch überraschend starken Start in den ersten Sendetagen, als der Sender aus dem Stand bis zu zwei Prozent Marktanteil erreichen konnte, büßte er rasch an Reichweite ein und stagniert mittlerweile bei durchschnittlich 0,1 Prozent.

Die ARD unfreiwillig bei BILD BILD/​Screenshot

Gesprächsthema wurde der Sender dennoch, wenn auch in sicherlich nicht gewünschter Form. Am Abend der Bundestagswahl bediente sich BILD bei Live-Bildern von öffentlich-rechtlichen Sendern – und das nicht zu knapp. Während der ersten Prognosen und Hochrechnungen wurde das TV-Signal von ARD und ZDF mehrfach einfach übernommen und per Splitscreen eingeblendet. Als die Öffentlich-Rechtlichen ab 20:15 Uhr die traditionelle „Berliner Runde“ mit allen Spitzenkandidaten übertrugen, kaperte BILD auch dieses Signal, und zwar 13 Minuten lang – mit der Begründung, dass es sich hierbei um ein „nachrichtliches Ereignis von überragender Bedeutung“ gehandelt habe. Die Sendung werde von ARD und ZDF zwar als gebührenfinanzierter Rundfunk zentral veranstaltet, sei aber auch für Menschen relevant, „die sich am Wahlabend auf anderem Wege informieren möchten“. Die Übernahme des Signals geschah jedoch ohne jegliche Absprache, weshalb ARD und ZDF rechtlich dagegen vorgingen. Das ZDF hat bezüglich der „Berliner Runde“ eine einstweilige Verfügung erwirkt.

Ein Gerichtsurteil des Landgerichts gab Anfang Dezember auch der ARD in manchen Punkten recht, aber nicht in allen. So war die Übernahme eines Live-TV-Ausschnitts der ARD, der die Prognose und die erste Hochrechnung der Wahl enthielt, eine Verletzung der Leistungsschutzrechte und daher unzulässig. Die Übernahme der Prognosen und Hochrechnungen sei zur Information der Zuschauer von BILD nicht erforderlich und angemessen gewesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Axel-Springer-Konzern, zu dem die BILD gehört, ist von der Begründung des Gerichts nicht überzeugt und kündigt an, die Einlegung eines Rechtsmittels zu prüfen. Als rechtlich unproblematisch erachtete das Gericht hingegen die parallele Ausstrahlung eines Interviews mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, das ebenfalls ohne Absprache mit der ARD vom BILD-TV-Sender übernommen wurde.

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