Das deutsche Fernsehjahr 2021 im Rückblick: Retrofieber, Seriositätsoffensive und Wahl-TV XXL

Das waren die Trends und Ereignisse des TV-Jahres

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2021, 09:00 Uhr

„Die letzte Instanz“ löst Shitstorm und Rassismus-Debatte aus

Ende Januar sorgte die Ausstrahlung einer Folge der Unterhaltungs-Talkshow „Die letzte Instanz“ für einen enormen Shitstorm und eine anschließende Debatte über strukturellen Rassismus in Deutschland. Besonders bemerkenswert ist in diesem Fall, dass es sich um eine Sendung handelte, deren Erstausstrahlung bereits am 30. November 2020 stattgefunden hatte und die seitdem auch in der ARD Mediathek abrufbar war. Doch erst nachdem zwei Monate später eine Wiederholung im WDR gelaufen war, nahm der Shitstorm seinen Lauf. Das Konzept der Sendung besteht darin, dass prominente Gäste über streitbare Themen diskutieren und sich dabei nicht mit ihrer Meinung zurückhalten. In besagter Ausgabe ging es unter anderem um das empfindliche Thema politisch korrekte Sprache und „was man heute noch sagen darf“. Eine Aufregung war da fast schon vorprogrammiert.

WDR/​Max Kohr

Es diskutierten Entertainerlegende Thomas Gottschalk, Schauspielerin Janine Kunze, Partysänger Jürgen Milski sowie Comedy-Autor und Moderator Micky Beisenherz unter anderem darüber, ob man heute noch Begriffe wie „Zigeunersauce“ verwenden sollte oder eben nicht. Die Teilnehmer waren sich letztendlich einig darüber, dass die Aufregung darüber überzogen sei. Noch pikanter: Bestandteil der Sendung ist, dass die Diskutanten und die Studiozuschauer nach jedem Thema per roter und grüner Karten darüber abstimmen, ob sie einer provokant formulierten These zustimmen oder nicht. Auf die entsprechende Frage „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ hoben fast alle Teilnehmer und Zuschauer die rote Karte – lediglich ein Zuschauer zeigte die grüne Karte. Ein ähnliches Ergebnis ergab auch eine zugehörige Online-Abstimmung auf der WDR-Seite zur Sendung – ganz im Gegensatz zur Reaktion in den sozialen Medien, nachdem ein entsprechender Ausschnitt bei Twitter verbreitet wurde.

Für große Empörung im Internet sorgte bei der betroffenen Ausgabe vor allem die Tatsache, dass ausschließlich weiße Deutsche an einer Diskussion über die Verwendung rassistischer Begriffe teilnahmen – also Nicht-Betroffene, die allesamt keine persönliche Erfahrung mit rassistischer Diskriminierung haben. In Folge der hitzigen Debatte haben der WDR sowie Moderator Steffen Hallaschka und Diskussionsteilnehmer Fehler eingestanden. WDR-Unterhaltungschefin Karin Kuhn stellte klar: Diese Folge von ‚Die letzte Instanz‘ ist misslungen. Das hätten wir anders und besser machen können und müssen. Sie entschuldigte sich dafür, dass wir diese ernsten Themen in einer so unpassenden Gästezusammenstellung produziert und ausgestrahlt haben. Das größte Versäumnis sei gewesen, dass Zusammensetzung der Gäste und die diskutierten Themen nicht zusammenpassten. Auch die Tatsache, dass man erst durch die zurecht große Empörung auf die fehlende Sensibilität aufmerksam wurde, die offenbar zuvor auch zwei Monate nach der Erstausstrahlung niemandem aufgefallen ist, bezeichnete Kuhn als Fehler.

Steffen Hallaschka moderierte „Die letzte Instanz“ WDR/​Max Kohr

Es ist völlig unstrittig, dass die Sendung misslungen war und uns in der Öffentlichkeit auch geschadet hat. Aber bei allem Ärger darüber sehe ich das auch als Chance, sagte die WDR-Integrationsbeauftragte Iva Krtalic. Im März strahlte WDR einen Schwerpunkt zum Thema Rassismus aus, zudem wurden im Herbst die zwei neuen Formate „Wie redest du?“ und „Team Abdel“ gestartet, in der Menschen mit Migrationshintergrund über ihr Leben und ihre Erfahrungen mit Rassismus berichten – ironischerweise auf dem ehemaligen Sendeplatz von „Die letzte Instanz“.

Der Fall Nemi El-Hassan

Mitte September geriet der WDR erneut in die Schlagzeilen, diesmal im Zusammenhang mit der Journalistin Nemi El-Hassan. Eigentlich sollte sie ab November im Wechsel mit Ralph Caspers und Florence Randrianarisoa das WDR-Wissensmagazin „Quarks“ präsentieren. Doch nach Bekanntwerden von El-Hassans Teilnahme am islamistisch instrumentalisierten al-Quds-Marsch im Jahr 2014 setzte der Sender die Zusammenarbeit mit ihr vorerst aus. Von der Demonstration hatte sich El-Hassan zwischenzeitlich klar distanziert, allerdings fiel sie durch fragwürdige Likes auf, die sie in jüngerer Vergangenheit auf Instagram-Seiten getätigt hat, die von Antisemitismus geprägt seien. Federführend machte dies die BILD publik. Das wiederum betrachtete El-Hassan als gezielte Kampagne der Boulevardzeitung gegen ihre Person.

Nemi El-Hassan WDR/​Tilman Schenk

Es gibt eine Grenze zwischen kritischer journalistischer Arbeit und einer gezielten Kampagne zur Demontage einer Person. Diese Grenze wurde in meinem Fall überschritten, schrieb die Journalistin in einem Gastbeitrag in der BZ. Die BILD habe laut El-Hassan ein von rechtsextremen Internetaktivisten initiiertes Narrativ in weite Teile der Öffentlichkeit getragen. In diesem Zusammenhang kritisierte sie den Umgang des WDR mit ihr, der die weitere Zusammenarbeit mit ihr auf den Prüfstand gestellt hat und nach Ansicht von El-Hassan durch den öffentlichen Druck eingeknickt sei.

Ende September traf der WDR zunächst die Entscheidung, dass El-Hassan nicht als Moderatorin bei „Quarks“ zu sehen sein wird – erwog allerdings, dass sie stattdessen als Autorin hinter der Kamera tätig sein könnte. Damit wollte man eine unangebrachte Politisierung der Sendung vermeiden. Diese Lösung wirkte jedoch wie ein seltsamer Kompromiss, der senderintern nicht allerorts auf Zustimmung stieß. Auch El-Hassan konnte dies nicht nachvollziehen: Bin ich in den Augen des Senders nun eine handfeste oder nur eine verkappte Antisemitin? Dann dürfte man mir – nachvollziehbarerweise – auch nicht das Angebot machen, hinter der Kamera als Autorin tätig zu sein, wie man mir seitens des WDR vage in Aussicht gestellt hat. Bin ich es nicht? Warum wurde ich dann gefeuert?

Wie auch immer: Nach Nemi El-Hassans geäußerten Vorwürfen sah der WDR endgültig keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit. Der Vorwurf, dass der WDR die Moderatorinnen-Auswahl von einer ‚BILD‘-Kampagne abhängig mache, ist unsinnig. Unabhängig von der medialen Berichterstattung und dem öffentlichen Druck im Fall Nemi El-Hassan hat der WDR sorgfältig und umfangreich beraten, weil die Verantwortlichen den beruflichen Weg der jungen Journalistin nicht leichtfertig behindern, sondern ihr eine Chance geben wollten, teilte der WDR mit. Ausschlaggebend sei El-Hassans Verhalten in den sozialen Netzwerken und der Umgang damit gegenüber dem WDR. Relevante Informationen – wie zum Beispiel das Löschen von Likes – erfuhr der WDR erst aus den Medien, obwohl er mit Nemi El-Hassan im intensiven Austausch war. Dies hatte von Beginn an das Vertrauensverhältnis belastet.

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