„How to Sell Drugs Online (Fast)“: Breaking Bad zwischen Mathe und Bio in rasanter Teenagerkomödie – Review

Dritte deutsche Netflix-Serie liefert schauspielerischen Kabinettstückchen und inszenatorische Ideen

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 30.05.2019, 18:21 Uhr

Moritz (Maximilian Mundt): Ein Außenseiter mit gebrochenem Herzen – Bild: Netflix
Moritz (Maximilian Mundt): Ein Außenseiter mit gebrochenem Herzen

Der Fall sorgte 2015 für Schlagzeilen: Zwei Jahre lang hatte ein Leipziger Schüler aus seinem Jugendzimmer heraus einen Online-Drogenhandel im Darknet betrieben. Insgesamt eine ganze Tonne illegaler Substanzen hatte er unter dem Decknamen „Shiny Flakes“ im Internet verkauft und dann per Post verschickt, im Wert von vier Millionen Euro. Erst durch einen dummen Fehler flog Maximilian S. schließlich auf.

Nicht wenige mussten damals an die Lehrer-wird-Druglord-Serie „Breaking Bad“ denken, und man darf annehmen, dass dies auch Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann so ging. Die Gründer der Kölner Produktionsfirma btf (bildundtonfabrik), bislang vor allem für Böhmermann-Shows wie „NEO Magazin Royale“ verantwortlich, nahmen den Fall jedenfalls als Grundlage für die erste von ihnen entwickelte fiktionale Serie – zugleich ist es die dritte deutsche Netflix-Serie. „How to Sell Drugs Online (Fast)“ übersetzt die reale Geschichte sehr frei in ein 30-Minuten- Format, das alle Walter-White-Anklänge in bekannte Teeniekomödien- und Coming-of-Age-Strukturen einbettet: Maximilian S. heißt darin Moritz Z., und als Auslöser dafür, dass der uncoole Klassen-Nerd fast zufällig ins Drogenbusiness hineinstolpert, dient hier die Tatsache, dass seine Freundin ihn verlässt – und er sie mit Geld und Erfolg zurückgewinnen will.

Überwiegend funktioniert das ziemlich gut, was vor allem an den rasanten Dialogen liegt, die mit einer im deutschen Fernsehen immer noch höchst raren Unverblümtheit und freshness zugleich auf Pointen zielen und sich – unterstützt durch gekonntes Unterspielen der Schauspieler – eine feine Schnoddrigkeit bewahren. Käßbohrer und seine Mit-Autoren Sebastian Colley („Kroymann“) und Stefan Titze geben ein zügiges Tempo vor, nutzen dabei gezielt die Kommunikationswege und Medienwelten heutiger Teenager: In nahezu jeder Szene geht es um Text- und Video-Chats, Sprachnachrichten, Videogaming, Instagram und andere Standards aus digitaler Welt und Sozialen Medien. Irgendjemand starrt immer auf einen Screen, ob nun Smartphone oder Laptop. Der Kniff, Chat-Verläufe direkt ins Bild einzublenden, ist gewiss nicht neu, wird hier aber meist sinnvoll eingesetzt – wenn Moritz sich etwa ins Handy seiner Ex-Freundin Lisa hackt, um dort die Balznachrichten eines Nebenbuhlers zu löschen.

Lebenslang beste Freunde: Moritz (Maximilian Mundt) und Lenny (Danilo Kamperidis)

Dass der spirrelige Computerfreak Moritz allerdings längere Zeit mit der begehrten Blondine Lisa zusammengewesen sein soll, verlangt dem Publikum eine Menge suspension of disbelief ab (ebenso wie der Umstand, dass die Kids im fiktiven Provinzstädtchen Rinseln noch via Facebook kommunizieren), und auch die in deutschen Produktionen gängige Praxis, Twentysomethings in Teenagerrollen zu besetzen, irritiert mal wieder. Ist beides aber erst einmal akzeptiert, kann man sich auf die Vorzüge konzentrieren: Maximilian Mundt legt den 17-jährigen Antihelden angemessen verhuscht als ideale Fremdschamvorlage an – vieles erinnert an Thomas Middleditchs Richard aus „Silicon Valley“ – auch der ein IT-Nerd mit Pech bei Frauen. Lena Klenke als Lisa, die nach einem Auslandsschuljahr wie ausgewechselt nach Rinseln zurückkehrt und sich plötzlich für Ecstasy-Pillen und gut gebaute Sportler interessiert, kommt anfangs noch als bloße Projektionsfläche ’rüber, offenbart dann aber glücklicherweise bald mehr Charaktertiefe.

Als Moritz abserviert wird, führt ihn eifersüchtiges Konkurrenzdenken auf illegale Wege: Lisa lässt sich nämlich vom blonden Aufschneider Dan (mal als Antagonist: Damian Hardung aus „Club der roten Bänder“ und „Der Name der Rose“) bezirzen, obgleich dies möglicherweise nur daran liegt, dass er die Schule mit bunten Pillen beliefert. Da Moritz fremder Leute Social-Media-Profile verlässlicher interpretieren kann als Cambridge Analytica, findet er schnell heraus, wo der in Capoeira geschulte Dealer-Boy seinen Stoff herbekommt: in der versifften Pizzeria des Kleinganoven Buba, den „Tatortreiniger“ Bjarne Ingmar Mädel mit blondiertem Haarschopf und fiesem Schnurrbart herrlich dämlich spielt. Buba lässt Moritz knallhart abblitzen, doch als Moritz erste Pillen im Darknet verhökert, nerd today – boss tomorrow, kommt er ins Grübeln.

Bjarne Ingmar Mädel als Buba zwischen Drogen, Pizza, Pferden und Capri Sonne

Wohin sich der Plot entwickelt, ist bald klar, doch viel interessanter ist das Wie – und da gibt es Erfreuliches zu vermelden. Zunächst mal geht die Rechnung bestens auf, neben dem „Star“ Bjarne Mädel vor allem auf unverbrauchte Darsteller zu setzen. Mundts Moritz etwa wird ein passender Sidekick an die Seite gestellt: Lenny (Danilo Kamperidis) sitzt im Rollstuhl, hat „nur noch drei Jahre zu leben“ (was ihm aber auch schon vor sechs Jahren prophezeit wurde), und ist Moritz’ einziger Freund. Gemeinsam hatten sie schon lange einen Online-Shop geplant, ein „eBay für Online-Gamer“, doch nachdem dieses Vorhaben beim „Innovationswettbewerb“ ihrer Schule krachend scheiterte, funktioniert Moritz den Shop zum Drogenladen um – was zu pointierten Auseinandersetzungen mit dem Kumpel führt. Doch „alle Genies waren mal Arschlöcher“, und „Angestellte sind Losertypen, die versuchen, ihre Träume in ihrer Freizeit zu verwirklichen“, was für beide nicht infrage kommt. Also lautet die Ansage: „Wir seeden den Link in ein paar Darknet-Foren und machen richtig Kohle.“ Spätestens als ihnen bestellter Pillennachschub vom anonymen Zulieferer aus einem Flugzeug direkt vor die Füße geworfen wird, hängen beide gemeinsam drin in der Chose: von der Schulbank zum Crimelord, breaking bad noch vor den Bio-Hausaufgaben.

Neben Mundt, Kamperidis und Klenke überzeugen auch Leonie Wesselow und Luna Schaller als Lisas Freundinnen Fritzi und Gerda sowie – Extralob! – die kleine Amely Trinks, die als Moritz’ Schwesterchen Marie eine herrlich ätzende Nörgel-Trine abgibt. Erfrischend unbekümmert und moralinfrei werden dabei immer wieder Schlaglichter auf die Lebenswelt der Generation Z geworfen – etwa wenn den Mädels beim Chat mit fremden Jungs ungefragt „Dick Pics“ zugeschickt werden. Den Jungdarstellern stehen in den Nebenrollen prominente Erwachsene gegenüber: „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts bringt als Lennys Mutter Schnittchen in die vermiefte Computerhöhle ihres Sohnes und sprüht fröhlich mit Duftspray nach, Nagmeh Alaei aus „Phoenixsee“ spielt die Deutschlehrerin, auch Nicholas Bodeux („Die Camper“), Stefanie Reinsperger („Braunschlag“) oder Martina Eitner-Acheampong („Stromberg“) schauen in prägnanten Kurzauftritten vorbei.

Figur Lisa (Lena Klenke) beginnt eher eindimensional, gewinnt aber später Charaktertiefe

Am meisten überzeugen allerdings jene Szenen, in denen Bjarne Mädels Buba, schmerbäuchig und im löchrigen Unterhemd, auf die Nachwuchsdealer trifft. Wie sich da das Kräfteverhältnis zwischen vermeintlicher Dämlichkeit und gegenseitigem Über-den-Tisch-Ziehen sekündlich verschiebt, ist ebenso präzise inszeniert wie pointiert gespielt. Urkomisch zum Beispiel, wie Buba, mit der Knarre in der Hand, den „Computerspastis“ (Zitat) angesichts der von ihnen getrunkenen Zuckerplörre en passant väterliche Gesundheitstipps mit auf den Weg gibt: „Zucker ist Gift!“

Neben solchen schauspielerischen Kabinettstückchen erfreuen viele inszenatorische Ideen. Drogenräusche werden als psychedelische Farbexplosionen unter Wasser visualisiert oder als atemberaubende Schnittgewitter im Zeitraffer, ein aus dem Ruder laufender Trip Lennys erinnert gar an „Trainspotting“. Nach Belieben zieht Regisseur Lars Montag („Einsamkeit und Sex und Mitleid“) das Tempo an, bereitet punktgenau die Bühne für die nächste Pointe, und wenn einmal unvermittelt „Star Trek“-Legende Jonathan Frakes ins Bild latscht, um wie in einer seiner berühmten „X-Factor“-Moderationen die Funktionsweise des Darknet zu erklären, ist das so skurril, das man grundsätzlich ziemlich viel für möglich hält, was da noch kommen könnte.

Inmitten dieser wunderbar absurden Gimmicks geht fast unter, das die Serie andernorts durchaus auch mal weniger originelle Wege geht. Manche Figuren etwa kommen kaum übers Klischee hinaus: Lisas Eltern etwa (Isabel Schosnig und Moritz Führmann), die einen Ehestreit wie aus einem schlechten Fernsehspiel aufführen, oder Moritz’ naiver Vater (Roland Riebeling, „Mensch Markus“), der als Polizist in ausgerechnet jener Drogensache ermittelt, in die sein Sohn verwickelt ist. Zudem muss Moritz auch noch als Erzähler fungieren, der die vierte Wand aufbricht und immer wieder Blickkontakt mit dem Publikum sucht – ein mittlerweile gängiges Stilmittel, das mal mehr, mal weniger gut funktioniert. In diesem Fall wirkt es etwas aufgesetzt, zumal mehrfach selbstreferenziell herumgewitzelt wird. Einmal sagt er zum Beispiel: „Wenn man Drogen verkauft, darf man es niemandem erzählen – es sei denn, Netflix ruft an und will eine Serie daraus machen!“ Später wird gezeigt, wie Moritz als Kind (Luis Pfeffer) via YouTube Leute zusammenbringen wollte, um Netflix-Accounts zu teilen. Zwinkersmiley! Das bringt schnelle Lacher, ist aber auch etwas selbstgefällig. Eines solchen Tanzes über die Meta-Ebene hätte es gar nicht bedurft, denn „How to Sell Drugs Online (Fast)“ macht auch so schon genug richtig. Die halbstündigen Folgen sind jedenfalls so kurzweilig, dass am Ende der kurzen Staffel sicher Bedarf nach „mehr Stoff“ bestehen dürfte.

Dieser Text beruht auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „How to Sell Drugs Online (Fast)“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix


Beim Streamingdienst Netflix wird die Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“ am Freitag, den 31. Mai 2019 veröffentlicht.

Trailer zu „How to Sell Drugs Online (Fast)“

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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