Streaming vs. lineares Fernsehen: Reality-TV als Gamechanger
Die Teilnehmer der diesjährigen „Sommerhaus der Stars“-Staffel RTL/Stefan Gregorowius
Vor allem die Privatsender haben Jahr für Jahr mit sinkenden Reichweiten im linearen Fernsehen zu kämpfen. Längst sind die beiden großen Sendergruppen – RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 – zu der Erkenntnis gelangt, dass sie zweigleisig fahren müssen und parallel zu ihren linearen Sendern auch ihre Streamingangebote pflegen und attraktiver machen müssen. Dabei lässt sich ein Trend erkennen: Insbesondere Realityshows funktionieren – abgesehen von den Schlachtschiffen „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ und „Promi Big Brother“ – linear immer schlechter.
„Das Sommerhaus der Stars“ war vor ein paar Jahren noch ein Garant für starke RTL-Quoten. Die diesjährige Staffel lief jedoch unterdurchschnittlich und scheiterte in der jungen Zielgruppe mehrfach an der Zweistelligkeit. Im Streamingangebot RTL+ feierte das Format jedoch große Erfolge und immer neue Rekorde. Nachdem erstmals die Millionen-Marke geknackt wurde, erreichte das Finale der diesjährigen Staffel eine Online-Nettoreichweite von 1,25 Millionen. Senderübergreifend wurde „Das Sommerhaus der Stars“ sogar zur nettoreichweitenstärkste Programmmarke im Streaming. Zum Vergleich: Die lineare Einschaltquote des Staffelfinals lag bei durchschnittlich 1,27 Millionen Zuschauern. Somit wurden also fast genau so viele Menschen online und linear erreicht.
„Love Island VIP“ RTL Zwei/ITV Studios Germany
Noch deutlicher war die Entwicklung bei „Love Island VIP“. Die abgewandelte Version der Datingshow lief wöchentlich mit überschaubaren linearen Einschaltquoten bei RTL Zwei, während sich das Format online immer weiter steigern konnte. Die Streaming-Nettoreichweite lag bei 810.000 Abrufen, während das Format linear in der gleichen Woche nur 290.000 Zuschauer erreichte. Manche Realityshows werden inzwischen sogar gar nicht mehr im linearen Programm verwertet, sondern exklusiv im Streaming gezeigt, wie „Ex on the Beach“ oder „Are You The One?“. Die zweite Staffel von „Die Verräter – Vertraue Niemandem!“ war bis auf die Auftakfolge ebenfalls ausschließlich auf RTL+ abrufbar. Auch „Die Bachelorette“ wurde in diesem Jahr zu einem reinen Online-Format. Aufgrund dieser Entwicklung ist es auch immer schwieriger zu bewerten, ob eine Sendung als Erfolg zu werten ist oder nicht, da lineare Durschnitts-Einschaltquoten und Streaming-Nettoreichweiten zwei verschiedene Paar Schuhe sind und sich nur schwer miteinander vergleichen lassen.
Streaming only oder auch im linearen TV? RTL und Joyn mit unterschiedlichen Ansätzen
RTL+ und Joyn verfolgen dennoch unterschiedliche Strategien: Während RTL+ vor allem auf sein kostenpflichtiges Angebot (SVoD) setzt und kontinuierlich immer mehr Abonennten gewinnen möchte, geht es Joyn vor allem um Reichweite. Es wird der Eindruck erweckt, als spiele der kostenpflichtige Bereich Joyn Plus+ nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen steht für Joyn der werbefinanzierte, kostenfreie Bereich (AVoD) an erster Stelle. RTL+ bietet inzwischen eine Vielzahl an Formaten an, die ausschließlich hinter der Bezahlschranke konsumierbar sind, darunter etwa auch die neue Stefan-Raab-Show „Du gewinnst hier nicht die Million“. Wenn hingegen die ProSiebenSat.1-Gruppe neue „Joyn Originals“ ankündigt, kann man sich eigentlich sicher sein, dass diese früher oder später nicht nur kostenfrei zu sehen sind, sondern auch innerhalb weniger Wochen linear auf ProSieben oder in Sat.1 verwertet werden.
Der Anfangscast von „Big Brother“ 2024 Seven.One/Willi Weber
Eine zweigleisige Strategie wurde im Frühjahr mit „Big Brother“ versucht. Die Realityshow kehrte nach einer vierjährigen Pause mit einer 14. Staffel zurück, die zwischen März und Juni produziert wurde. Zu sehen war sie erstmals jedoch nicht in erster Linie im Fernsehen, sondern beim Streamingdienst Joyn. Dort wurden für alle User kostenfrei die Tageszusammenfassungen veröffentlicht, darüber hinaus gab es im kostenpflichtigen Joyn-Plus+-Bereich den beliebten 24-Stunden-Livestream. Die parallel in Sat.1 ausgestrahlten, wöchentlichen Liveshows entwickelten sich jedoch zum Flop und wurden während der Staffel linear abgesetzt. Trotzdem wurde mehrfach betont, dass „Big Brother“ über den Erwartungen laufe und ein großer Wachstumstreiber für Joyn sei. Konkrete Zahlen wurden wie üblich nicht genannt, doch angesichts der Tatsache, dass im Frühjahr 2025 die nächste Normalo-Staffel ansteht, war das Comeback offenbar ausreichend erfolgreich. Die 15. Staffel wird dann allerdings nur noch 50 statt 100 Tage dauern.
Immer beliebter: Streamingabos mit Werbung
Allgemein zieht der im internationalen Streaminggeschäft zu beobachtende Trend auch in Deutschland allmählich seine Kreise: Die Premium-Abopakete werden immer teurer, weshalb immer mehr Menschen hinterfragen, ob ihnen der jeweilige Streamingdienst diesen Preis wert ist. Parallel führen die Anbieter dafür kostengünstigere Abo-Optionen ein, die mit Werbeunterbrechungen gespickt sind. Netflix und Disney+ haben solche „Mit Werbung“-Abo-Modelle schon länger, in diesem Jahr führte auch Prime Video diese Möglichkeit ein. Viele Nutzer entscheiden sich inzwischen lieber dafür, mehrere Streaming-Abos zu einem vergünstigen Preis abzuschließen und dafür Werbung in Kauf zu nehmen, anstatt sich auf ein oder zwei werbefreie, aber teure Premium-Abos beschränken zu müssen. Laut einer aktuellen Studie von Simon-Kucher nutzt in Deutschland bereits jeder Fünfte mindestens ein werbefinanziertes Streaming-Abo.