„Rebel“: Erin Brockovich sieht jetzt aus wie Peggy Bundy – Review

Das Justizdrama mit Katey Sagal und Andy Garcia hätte gern rebellischer ausfallen dürfen

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 19.04.2021, 19:50 Uhr

Immer im Konfro-Modus: Annie Flynn-Ray-Bello alias Rebel (Katey Sagal, r.). – Bild: ABC
Immer im Konfro-Modus: Annie Flynn-Ray-Bello alias Rebel (Katey Sagal, r.).

Das Interessanteste an „Rebel“ ist wirkungsgeschichtlicher Art: Die ABC-Serie basiert lose auf dem Leben der Verbraucherschützerin Erin Brockovich, deren Leben als Anwaltsgehilfin und Aktivistin im Kampf gegen einen wasserverseuchenden Energiekonzern Steven Soderberghs Film „Erin Brockovich – Eine wahre Geschichte“ inspirierte. Julia Roberts bekam für die Titelrolle dieser Ex-Schönheitskönigin mit unstetem Privatleben 2001 den Oscar. Die echte Brockovich avancierte danach selbst zum Promi, sogar mit eigenen Fernsehshows. „Rebel“ stützt sich nun nicht mehr auf Brockovichs Anfänge, sondern auf ihr späteres Leben als Aktivistin mit Celebrity-Status. Die stark besetzte Serie ist also kein Remake des Films, sondern eine Mischung aus Familien- und Justizdrama mit Beimischungen von Detektiv-Procedurals, die sich aus Elementen der echten Brockovich ihre eigene, fiktive Figur schnitzt.

Gespielt wird diese Annie Flynn-Ray-Bello, die von allen nur „Rebel“ genannt werden will, von Katey Sagal. Der ehemalige Sitcom-Star („Eine schrecklich nette Familie“, „Meine wilden Töchter“) hat sich mit ihren Golden-Globe-gekrönten Auftritten als intrigante Biker-Mutti in „Sons of Anarchy“ längst in andere darstellerische Gefilde vorgespielt. Fraglos hat sie die nötige Energie für diesen Part, der eine ständige Rastlosigkeit erfordert, im Privaten und Beruflichen. So muss die inzwischen 67-jährige Sagal in engen Lederhosen und The Who-T-Shirts durch Los Angeles stöckeln – vermutlich, weil sich das Rebellische ihres Spitznamens auch in ihrer äußeren Erscheinung widerspiegeln soll.

Ihre drei Nachnamen trägt Frau Flynn-Ray-Bello übrigens nicht ohne Grund: Sie ist bereits zum dritten Mal verheiratet. Nach dem Polizisten Tommy Flynn und dem Anwalt Benji Ray ist sie seit knapp zehn Jahren mit dem netten, aber leicht halbseidenen Hallodri Grady Bello zusammen. John Corbett („My Big Fat Greek Wedding“, „Ausgerechnet Alaska“) legt ihn an wie einen Vorstadt–Richard-Gere mit stets etwas zu fettigem Haar. Zu den Ex-Männern unterhält sie weiterhin freundschaftlichen Kontakt: Tommy hilft ihr immer dann, wenn sie bei ihren unkonventionellen Ermittlungen die Hilfe eines Cops benötigt, und von Benji (James Lesure aus „Las Vegas“ und „Men at Work“) trennte sie sich eigentlich nur, weil er lieber Konzernanwalt werden und damit „das Böse“ vertreten wollte. Dass mit ihrem derzeitigen Gatten auch nicht alles zum Besten steht, enthüllt bereits die Pilotfolge – da fliegt auf, dass Grady sich von Rebel scheiden lassen will, weil er sich von ihr vernachlässigt fühlt. Er zieht allerdings zunächst rüber ins Gartenhaus – aus der Serie ist Grady/​Corbett also so schnell nicht raus. Und es wäre doch gelacht, wenn die beiden sich am Ende nicht wieder zusammenraufen würden.

Sie streiten viel – und schätzen sich doch: Rebel und Anwalt Cruz (Andy Garcia). ABC

Mit jedem ihrer Gatten hat Rebel überdies ein Kind: Aus der Ehe zu Tommy stammt Sohn Nate (Kevin Zegers, „Transamerica“, „Dirty John“), der zwar ein erfolgreicher Gynäkologe ist, aber ein Problem mit Nähe hat – was die Riege an Kolleginnen bezeugt, die er nach ersten Dates konsequent „ghostet“. Eine von ihnen spielt, und das sehr toll, Abigail Spencer aus „Rectify“. Tochter von Rebel und Benji ist Cassidy (Lex Scott Davis, „Superfly“, „The First Purge“), die als Junganwältin in der Kanzlei von Rebels Boss arbeitet und in Mutters Auftrag Pro-Bono-Fälle übernimmt. Mit Grady zusammen adoptierte Rebel schließlich noch Ziggy (Ariela Barer aus „Marvel’s Runaways“). Die hat sich gerade aus ihrer Opioidsucht gelöst, und wenn sie nicht gerade in ihrer Suchttherapiegruppe sitzt, schwirrt sie als Praktikantin ebenfalls durch die Kanzlei von Rebels Boss. Abschließend wäre da noch Lana (Tamala Jones aus „Castle“), die nicht nur Benjis Schwester ist, sondern auch noch Ex-Polizistin, Privatdetektivin und Rebels dickste Freundin.

Damit wäre das Familiengeflecht der Flynn-Ray-Bellos zumindest grob umrissen – mit dem beruflichen Umfeld Rebels ist es eng verflochten. Wie Erin Brockovich im Film und in der Realität ist Rebel keine zugelassene Anwältin, sondern eine paralegal, was man sperrig mit „Rechtsanwaltsfachangestellte“ ins Deutsche übersetzen könnte. Und ebenfalls wie die echte Brockovich heutzutage ist Rebel kein unbekannter Hotshot mehr: Auch sie hat sich Medienbekanntheit erworben und wird hier und da auf der Straße erkannt. Als eine Art Star-Gehilfin im Einsatz für die Erniedrigten und Beleidigten arbeitet sie in der Kanzlei von Julian Cruz. Andy Garcia („Der Pate III“) spielt den honorigen Anwalt und trauernden Witwer mit einer Gravitas, die so sonst fast nur Al Pacino hinbekommt.

Garcia ist in den ersten Folgen, neben Sagal, eindeutig für die schauspielerischen Glanzlichter zuständig – zumal sich Cruz’ Privattragödie schnell mit einem zentralen Fall verbindet, der die ganze erste Staffel von „Rebel“ in Beschlag nehmen dürfte: Die künstlichen Herzklappen des Pharmakonzerns Stonemore Medical erweisen sich als brandgefährlich, immer mehr Patienten finden sich, die nach der OP schwere Entzündungen und Migräne entwickelten und denen vor lauter Schmerzen das Leben aus den Fingern glitt. Als eine der Leidtragenden („Battlestar Galactica“-Star Mary McDonnell) via Facebook Tausende Mitstreiter findet, ist Rebel fest entschlossen, den Fall mit einer Sammelklage vor Gericht zu bringen. Allerdings muss sie Cruz, dessen Frau nach Einsatz einer Stonemore-Herzklappe starb, erst noch davon überzeugen, den für ihn schmerzhaften Fall zu übernehmen. Als aber ein „Patient X“ gefunden ist, der beglaubigen kann, dass seine Beschwerden nach Entfernung der Klappe sofort wieder verschwanden, soll es dem Pharmariesen an den Kragen gehen.

Privat gibt’s mal wieder Stress. Freundin Lana (Tamala Jones, r.) steht Rebel zur Seite. ABC

Autorin Krista Vernoff (als Produzentin von „Grey’s Anatomy“ und „Shameless“ seit einiger Zeit ein bekannter Name) gelingt es in den ersten beiden Episoden recht geschickt, das Dickicht an privaten und beruflichen Beziehungen für die Zuschauer zu entwirren und den Haupt-Plot aufs Gleis zu schieben; fast beiläufig flicht sie, als Ergänzung zur episodenübergreifenden Arbeit am Stonemore-Fall, im Stil eines Procedurals pro Episode kleine Ermittlungen in die Handlung ein. Dabei fungiert Rebel zusammen mit Lana und Tommy als eine Art inoffizielle Task Force mit Methoden, die von honorigen Anwaltskammern sicher pikiert betrachtet würden. Mal helfen sie einer jungen Frau handgreiflich gegen ihren brutalen Ex-Freund, mal befreien sie den Patienten X, einen nervösen Collegeprofessor (köstlich: Dan Bucatinsky aus „The Baker and the Beauty“), gleichsam nebenher aus einer gravierenden beruflichen Klemme.

Vernoff setzt auf ein forciertes Erzähltempo, und doch räumt sie Sagal viel Platz dabei ein, die Abgebrühtheit und Zähigkeit ihrer Figur auszustellen. Ihr Chef feuert sie? Kein Problem – schon sitzt sie whiskeytrinkend in der nächstbesten Rockerkneipe. Ihr Ehemann reicht die Scheidung ein? Kein Problem – schon holt sie die Flinte heraus und ballert im Garten herum. Zweifel daran, dass bei dieser Frau jemals die Energie versiegen könnte, will die Serie gar nicht erst aufkommen lassen. Erin Brockovich, die „Rebel“ mitproduziert, lässt durchaus ein paar selbstironische Spitzen zu. So behauptet einmal eine Frau, Rebel sei keine Anwältin, nur laut. Und der Collegeprofessor darf giften: Ich habe ihr Buch gelesen, tolle Message, aber mäßige Prosa. Damit wären die zwei gängigsten Kritikpunkte an der Medien-Person Brockovich vorauseilend weggewitzelt. Am grundsätzlichen Heldinnenstatus der Protagonistin, die sich mit aller Kraft in ihre David-gegen-Goliath-Kämpfe stürzt, will und wird „Rebel“ allerdings gewiss nicht rütteln. Im Gegenteil, in den ersten Episoden deuten sich sehr typische, fast seifenopernhafte Erzählschablonen an; ob es nun um Rebels Ehekrise geht, um Nates Liebschaften, Ziggys drohenden Drogenrückfall oder um die ethische Zwickmühle, in die Cassidy gerät, als sie aus Karrieregründen auf die „böse Seite“ ihres Konzernanwaltsvaters wechselt (und dort in Kollege Luke, gespielt von Sam Palladio aus „Nashville“, einen smarten Verehrer vorfindet). Auf welche Konfrontation Cassidys Wechsel hinausläuft, ist natürlich weit im Voraus zu erahnen.

Er vertritt die Konzernseite: Benjy Ray (James Lesure). Ob Rebels Tochter Cassidy (Lex Scott Davis, l.) weiß, worauf sie sich einließ? ABC

Der kinoerfahrene Regisseur Marc Webb („(500) Days of Summer“, „Begabt – Die Gleichung eines Lebens“) und sein Kollege Adam Arkin (der aus „Chicago Hope“ bekannte Schauspieler spielt zugleich den öligen Stonemore-Boss) lassen das Geschehen dabei gefühlt flächendeckend von radiotauglich dahinschunkelndem, stets mitschnippfähigem Female Rock unterlegen, der gern auch mal kommentierend eingesetzt wird. Suchen Rebel & Co. zum Beispiel nach vorladungsbereiten Zeugen, ertönt Dusty Springfields „Can I Get A Witness?“.

Die erste Staffel entstand unter Corona-Bedingungen; zu sehen ist ein sonnig-stylishes Los Angeles, das zwischen Country Clubs, Bars und prächtigen Anwesen gefühlte Universen entfernt zu sein scheint von der pandemischen Gegenwart. Dennoch tut Rebel an einer Stelle explizit ihre Dankbarkeit für den Impstoff kund. Hoffentlich ist das kein Menetekel für die Serienwelt der nächsten Zukunft: dass sich Serienmacher fortan verpflichtet fühlen, die weltweite Corona-Zäsur selbst dann ständig zu kommentieren, wenn sie in der jeweiligen Serienrealität, wie hier, ansonsten gar keine Rolle spielt. Es ist dies aber nur ein kurzer Widerhaken in einer ansonsten problemlos wegkonsumierbaren Serie, die vor allem gute Laune machen sowie das Aktivistische und Widerborstige feiern soll – die dabei aber selbst inszenatorisch und dramaturgisch keinerlei neue Wege geht. Es ist das alte Lied im Network-Fernsehen (und nicht nur dort): Das Rebellische wird gern groß annonciert, doch aus Sorge vor dem verschreckten Stammpublikum wird darauf verzichtet, es auch in eine angemessen rebellische Form zu bringen. So kann „Rebel“ am Ende nahtlos übergehen in all die anderen, ähnlichen Serien, die vorher oder nachher laufen.

Meine Wertung: 3/​5

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Rebel“.

„Rebel“ wird seit dem 8. April in den USA auf dem Networksender ABC ausgestrahlt. Am 28. Mai wird die Serie als Deutschlandpremiere im Star-Bereich des Streamingdienstes Disney+ veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1963) am

    Katey sagel ist eine Schauspielerin und nicht peggy bundy. Das ist und war doch nur eine Rolle und eine ganz andere Rolle als diese hier. Sie sieht inzwischen auch ganz anders aus als die Peggy bundy rolke damals. Freue mich sie mal in einer anderen Rolle zu sehen
    • (geb. 1976) am

      "Der ehemalige Sitcom-Star („Eine schrecklich nette Familie“, „Meine wilden Töchter“) hat sich mit ihren Golden-Globe-gekrönten Auftritten als intrigante Biker-Mutti in „Sons of Anarchy“ längst in andere darstellerische Gefilde vorgespielt."


      Ich bin so gelangweilt von der Geringschätzung der Komödie und der Überbewertung des Dramas. Jemanden zum weinen bringen ist leicht, jemandem zu lachen indes ist schwer.
      • (geb. 1967) am

        DAS frage ich mich ehrlich gesagt auch!! Warum vergleicht der Autor Sie jetzt mit "Peggy Bundy"!!??? Versthe ich jetzt nicht!!
        • (geb. 1979) am

          Nachdem ich die Überschrift gelesen habe, hab ich mir den Rest erspart, denn wenn man gleich mit so einem unsinnigen Vergleich ankommt...da kann nix Gutes bei rauskommen.
          Erin Brokovich mit Peggy Bundy zu vergleichen...oh, mann.
          Üb noch ne Runde in Foren, bevor du hier wieder mit so einem Blödsinn ankommst!

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