„Inspector Lynley & Sergeant Havers“ fehlen Ecken und Kanten der alten Serie – Review

Das Erste unterhält mit Spannung frei nach Vorlagen von Elizabeth George

Stefan Genrich
Rezension von Stefan Genrich – 22.12.2025, 12:00 Uhr

In „Inspector Linley & Sergeant Havers“ müssen Thomas Lynley (Leo Suter) und Barbara Havers (Sofia Barclay) trotz ihrer Gegensätze gemeinsam ermitteln – Bild: Playground Entertainment/ARD Degeto
In „Inspector Linley & Sergeant Havers“ müssen Thomas Lynley (Leo Suter) und Barbara Havers (Sofia Barclay) trotz ihrer Gegensätze gemeinsam ermitteln

Der Bart ist ab – doch Darsteller Leo Suter übernimmt seine Power aus „Vikings: Valhalla“ für seine Rolle als Inspector Thomas Lynley. In einer Szene lästert Sergeant Barbara Havers (Sofia Barclay) über den Muskelprotz, mit dem sie auskommen muss. Indes übersehen die Kolleginnen und Kollegen die eigenen Reize der Polizistin, weil sie als Nervensäge gilt. Das zweiköpfige Ermittlungs-Team von „Inspector Lynley & Sergeant Havers“ unterscheidet sich optisch und anderweitig von seinen Vorgängern in der damaligen Serie „Inspector Lynley“.

Drehbuchautor Steve Thompson hat Ecken und Kanten geglättet und die beliebten Romane von Elizabeth George frei interpretiert. Zu den Feiertagen können die Fans der früheren Folgen über die Abweichungen zur ersten Verfilmung und zu den Bestsellern urteilen. Das Erste bringt zwei Teile im Dezember und die restlichen beiden Episoden Anfang Januar. Die komplette Staffel landet bereits am 22. Dezember morgens in der ARD Mediathek.

Inspector Thomas Lynley (Leo Suter, M.) beobachtet, wie Sergeant Barbara Havers (Sofia Barclay) auf seinen Kumpel Simon St. James (Joshua Sher) im Rollstuhl reagiert. Playground Entertainment /​ ARD Degeto

Vogelkundler entdeckt Leiche auf Privatinsel

„Wer die Wahrheit sucht“ beginnt mit Luftaufnahmen der idyllischen Landschaft. Ein älterer Kerl steuert ein kleines Boot mit Außenbordmotor zu einer Insel. Er nimmt kaum Kenntnis vom herrschaftlichen Anwesen in Strandnähe: Der Naturliebhaber will die zahlreichen Vögel durch sein Fernglas beobachten. Allerdings entdeckt er einen menschlichen Körper zwischen Sand und Felsen. Der Besucher von Salcott Island fühlt den Puls des reglosen Mannes. Jetzt ist klar, dass eine Leiche den Einsatz der Polizei im ostenglischen Norfolk erfordert.

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Frischling findet nicht mal seinen Arsch in der Hose

Derweil maßregelt Detective Chief Inspector Brian Nies (Daniel Mays) seine Mitarbeiterin Barbara Havers, weil sie einen Vorgesetzten bloßgestellt hat. Aber er hat die Festnahme vermasselt, rechtfertigt die forsche Polizistin ihre Vorgehensweise. Sie ignoriert, dass DCI Brian Nies gleichzeitig ihr und dem Kollegen Thomas Lynley schaden will. Da ist dieser neue DI, spielt Brian Nies die Unschuld vom Lande und beschreibt seinen Intimfeind als Anfänger: Ich kann Sie ihm zuweisen, bietet der DCI an, aber das ist Ihre letzte Chance. Weil Detective Sergeant Barbara Havers schon wieder einen Chef verschlissen hat und um ihren Job bangt, akzeptiert sie den Vorschlag. Gegenüber irgendeinem Kollegen motzt sie über den vermeintlichen Frischling aus der Stadt, der nicht mal seinen Arsch in der Hose findet. Pech, dass der Neuankömmling versehentlich diese Sprüche mithört!

Kann der Verdächtige Paul Chandler (Angus Cooper) tatsächlich seinem Verfolger Thomas Lynley (Leo Suter, r.) entkommen? Playground Entertainment /​ ARD Degeto

Hausherr lud Gäste zur Zerstreuung ein

Barbara missfällt die rasante Fahrt in Thomas Lynleys Sportwagen aus den 70er-Jahren. Das ungleiche Paar spürt die Entschleunigung, als sie auf die Privatinsel des Opfers übersetzen. Guy Brouard (Dave Anders), männlich, weiß ist 59 Jahre alt geworden. Während DS Havers abwiegelt, erkennt DI Linley Hinweise auf einen Mord. Im Haus siecht Ruth Brouard (Wendy Nottingham) an unheilbarem Krebs dahin. Hauptsächlich betreut Hausmeister Paul Chandler (Angus Cooper) Guys sterbenskranke Ehefrau, indem er etwa Drogen beschafft. Haushälterin Valerie Layton (Amanda Drew) gehört ebenso zum Personal. Ihre Nichte Cynthia (Eloise Thomas) verbirgt Geheimnisse. Außerdem lud der Hausherr gerne Gäste zur Zerstreuung ein – so verharmloste er seine erotischen Abenteuer.

Verstorbener wollte Kaiser Augustus gleichen

Guys nichtsnutziger Sohn Adrian (Mark Field) reist zusammen mit Gattin Carmel (Gillian Saker) an. DI Linley und DS Havers merken, dass Guy seine Schwiegertochter Carmel und die Studentin Sofia Cullen (Nadia Parkes) sexuell ausgebeutet hat. Ahnt der künftige Archäologe Sam Addington (Sonny Poon Tip) irgendwas von der Affäre seiner Freundin? Oder denkt er ausschließlich an seinen Traum, zusammen mit Sofia antike Ruinen auszugraben? Sam teilt seine Faszination für römische Geschichte mit dem Verstorbenen, der Kaiser Augustus gleichen wollte. Sofia weckt einen Verdacht durch Blutflecken auf ihrem Kleid. Adrian erfährt eine letzte Demütigung durch seinen Vater. Dank einer Handgranate und einer Büste der Göttin Diana rückt die Aufklärung des Falls in greifbare Nähe.

Alte Flamme kennt Tommy aus Oxford

Im Film „Dem Tode geweiht“ ist Gemma Hastings (Eleanor O’Brien) verschwunden. Thomas Lynleys alte Flamme Helen Clyde (Niamh Walsh) hat die Vermisstenanzeige aufgegeben, als Gemma an ihrem Arbeitsplatz fehlte. Immobilienmaklerin Helen kennt Tommy aus dem Studium in Oxford. Gemmas Mitbewohner Fraser Moran (Jack Archer) und ihr verflossener Verlobter Gareth Burns (Tom Forbes) geben DI Lynley und DS Havers einige Rätsel auf. Ein Stalker hat gelernt, seine Machenschaften zu verbergen. Nach einem Leichenfund und Ermittlungspannen verliert DCI Brian Nies die Geduld. Dennoch sollte er mit DI Lynley und DS Havers rechnen. In „Blutrote Sünde“ entpuppt sich der angebliche Kajak-Unfall von Alex Kerne (Brad Alexander) als Mord, der weit in die Vergangenheit reicht. In „Wo kein Zeuge ist“ plagen Gewissensbisse DS Havers, denn sie überließ einen obdachlosen Jugendlichen unbeabsichtigt dem Tod. Dabei hängen Drogen und Religion auf verhängnisvolle Weise zusammen.

Fiesling DCI Brian Nies (Daniel Mays) belehrt DS Barbara Havers (Sofia Barclay).Playground Entertainment /​ ARD Degeto

Freunde von „Inspector Lynley“ vermissen Macken und Marotten

Schnell haben die wichtigen Figuren die Fronten geklärt. Nathaniel Parker als Thomas Lynley sowie Sharon Small („London Kills“) als Barbara Havers erhielten damals in der Serie „Inspector Lynley“ mehr Zeit, um gegenseitig die Eigenarten zu erforschen und Konflikte auszutragen. Immerhin kämpft das aktuelle Duo nach wie vor mit den gesellschaftlichen Gegensätzen: Der verwöhnte Sohn von einem so-und-so-vielten Earl prallt gegen die sture Eigenbrödlerin. Sie kennt Geldmangel und soziale Randexistenz. Dem Adelsspross ist Gefühlskälte vertraut, und er hasst familiäre Erwartungen. Andererseits tritt das Privatleben in den Hintergrund, während in den alten Episoden Thomas Lynley Höllenqualen etwa durch verschmähte Liebe erlitt. Einige Freundinnen und Freunde von „Inspector Lynley“ vermissen vermutlich die Macken und Marotten ihrer Heldin und ihres Helden.

Bislang wird Barbaras schwieriges Verhältnis zu den Eltern lediglich angedeutet. Sie bevorzugt einen sportlichen Look. Ehedem vernachlässigte Barbara ihr Aussehen, als sie von Sharon Small verkörpert wurde. Dankenswerterweise verliert eine Diskussion über vorhandene oder nicht vorhandene Weiblichkeit an Bedeutung – zumindest in der neuen Serie. Ferner nehmen Barbaras Widersprüche sowie ihre Sympathie für Arbeiter weniger Raum ein, ohne zu verschwinden.

Gesellschaftskritik verliert an Bedeutung

Wie weit berücksichtigen die Macher der Fernsehserie nun Barbaras erkennbare Abstammung aus den ehemaligen Kolonien? In der ersten Staffel wird Rassismus nur am Rande thematisiert. Hoffentlich geht dieser Aspekt nicht verloren. Jedenfalls würde er gut in die modernen Geschichten passen. Simon St. James (Joshua Sher) interessiert die Polizisten in erster Linie als Forensiker anstatt als Rollstuhlfahrer. Niemand scheint über die Hautfarbe von Maia Saunders (Rosalyn Wright) zu sprechen, zumal ihre Ergebnisse als Pathologin überzeugen. Gesellschaftskritik verliert an Bedeutung. Die Erzählung verläuft glatter als beim klassischen „Inspector Lynley“. Die sprunghaften Änderungen der menschlichen Beziehungen erscheinen unglaubwürdig: Barbara und Thomas benötigen lediglich eine Folge, um einander mehr oder weniger zu vertrauen.

Nebel und Käuzchenrufe entfallen

Die Polizeiarbeit rückt ins Zentrum von „Inspector Lynley & Sergeant Havers“. Der jeweilige Kriminalfall schärft das Profil der Serie. Ständig überraschen Wendungen der spannenden Handlung. Als sogenannter Whodunit erledigen die Folgen die Aufgabe, die Mörderin oder den Mörder zu enttarnen und dabei das TV-Publikum gut zu unterhalten. Wechselnde Motive für die Tat lauern an jeder Ecke. DI Lynley und DS Havers stoßen auf mögliche Urheber des Verbrechens – und kommen bisweilen auf längst ausgesonderte Verdächtige zurück. Die Ermittlungen ohne Bandenkriege und Umsturzpläne können das Publikum faszinieren. Wie so häufig liefert die BBC auch diesmal packende Krimis in dichter Atmosphäre. Gleichwohl entfallen Nebelschwärme, Rufe von einem Käuzchen im Wald und andere Gimmicks aus „Inspector Barnaby“.

Fährmann Tony Shannon (Andrew Redman, M.) steuert ruhig und sicher das Boot mit DS Barbara Havers (Sofia Barclay) und DI Thomas Lynley (Leo Suter). Playground Entertainment /​ ARD Degeto

Wo hast du den Schnösel aufgetrieben?

Originelle Charaktere wie Thomas Lynley handeln eigensinnig oder gar seltsam. So kommandiert er Sgt. Dev Ellis (Hamza Jeetooa) ähnlich wie einen Dienstboten in den glorreichen Tagen vom Empire. Entgeistert fragt Dev Ellis seine Kollegin Barbara Havers: Wo hast du den Schnösel aufgetrieben? Der Sachverstand vom Detective Inspector mag beeindrucken, doch DS Havers zweifelt an seinen Beweggründen. Wieso nimmt einer wie Sie einen Job wie diesen an? will sie wissen und staunt über die Antwort des Aristokraten: Ich bin durch und durch Polizist. Ich tue das nicht zu meinem Vergnügen, bis ich was Besseres finde. Thomas Lynley nimmt seiner Partnerin Barbara Havers kurzzeitig krumm, dass sie gegenüber DCI Brian Nies geplaudert hat – der wiederum über den Streit seiner Untergebenen lacht. Wenn er sich mal bloß nicht zu früh freut …

Feiner Pinkel versaut Klamotten mit Schlamm

Mit Humor punktet „Inspector Lynley & Sergeant Havers“ zum Beispiel, wenn Barbara den sportlichen Oldtimer ihres Vorgesetzten nicht vollkrümeln darf oder sie ohne Gummistiefel durch den Matsch stapft. Der feine Pinkel versaut seine Klamotten mit Schlamm, als er einen Verdächtigen jagt und hinterher auf eine Schlabberhose angewiesen ist. Der Wortwitz funktioniert sogar auf Deutsch, wenn Barbara einen kleinen Einblick in ihr Leben erlaubt: Unsere Familie war im Eisen- und Stahlgeschäft. Ratlos hakt Thomas nach: Ach ja?! Schlagfertig erklärt Barbara: Mom schwang das Bügeleisen. Und Dad stahl.

Drehbuchautor interpretiert Romane neu

Die Urheberin der Vorlagen klingt leicht verschnupft, wenn sie etwas über die Serie sagen soll. Elizabeth George erinnert in der Pressemappe daran, dass sich die frühe Verfilmung sehr eng an die Verbrechen und Ermittlungen aus den Büchern gehalten habe – während dieses Mal Steve Thompson, der Autor der ersten vier Episoden von ‚Inspector Lynley & Sergeant Havers‘, die Romane neu interpretiert hat. So vernachlässigt er etliche Teile der Buchreihe und steigt mit Ideen aus Band 13 ein. Für den zweiten Film springt er zum 17. Titel, wobei er noch mehr Abstand zum Original hält. Letztlich hat Elizabeth George als Executive Producer wohl die Veränderungen akzeptiert. Schließlich kapitulierte sie bereits bei der klassischen Serie „Inspector Lynley“ vor der Entscheidung, ab der dritten Staffel ihre Bücher zu vernachlässigen.

Steve Thompson mag die Grande Dame der Krimis mit seiner Routine in der Stoffentwicklung und als Verfasser von Drehbüchern überzeugt haben: Er hat in unterschiedlichen Projekten von „Sherlock“ bis hin zu „Vienna Blood“ mitgemischt. Ab dem 5. Januar 2026 muss sein Konzept vor den Zuschauerinnen und Zuschauern im Vereinigten Königreich bestehen: Dann strahlt BBC One erstmals die neue Serie aus. Die vorgezogene Premiere im Streaming über BritBox war den USA und Kanada vorbehalten. Somit dürfte eine Entscheidung über eine Fortsetzung erst im nächsten Jahr fallen.

Dieser Text beruht auf der Sichtung der ersten Hälfte von vier Folgen „Inspector Lynley & Sergeant Havers“.

Meine Wertung: 4/​5

Das Erste zeigt alle vier Filme von „Inspector Lynley & Sergeant Havers“ zu den Feiertagen – jeweils um 21:45 Uhr. Aus dieser neuen Serie läuft der erste Krimi unter dem Titel „Wer die Wahrheit sucht“ am 2. Weihnachtstag. Am Sonntag, dem 28. Dezember folgt „Dem Tode geweiht“. An Neujahr ist „Blutrote Sünde“ zu erleben. Die erste Staffel wird mit „Wo kein Zeuge ist“ abgeschlossen – am Sonntag, dem 4. Januar 2026. Sämtliche 90-minütigen Episoden stehen für 30 Tage in der ARD Mediathek zum Abruf bereit – ab Montag, dem 22. Dezember um 5:30 Uhr morgens.

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine

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