Trügt mal wieder der Schein – oder ist aus Ziva (Cote de Pablo) und Tony (Michael Weatherly) endlich ein glückliches Paar geworden?
Bild: Paramount+
Über Jahre hinweg galten sie als eines der absoluten Dream Teams im Fernsehkrimi-Universum, ihre immer kurz vor der romantischen Beziehung stehende Verbindung sorgte acht Staffeln lang für ein kribbeliges Will-they-won’t-they-Gefühl: Tony DiNozzo (Michael Weatherly) und Ziva David (Coté de Pablo) waren zeitweise die beliebtesten Figuren der CBS-Krimiserie „Navy CIS“ (im Original: NCIS), die im Oktober in die 23. Staffel geht. Mehrere Jahre nach ihrem Ausstieg ist bei Paramount+ nun das von den Fans des Duos heiß ersehnte Spin-off „Navy CIS: Tony & Ziva“ zu streamen. Die ersten Episoden bezeugen eine Abkehr von der bewährten Procedural-Struktur. Stattdessen werden die Protagonisten in ein etwas wackliges Spionagekomödien-Setting gestellt, das sich ganz auf sie konzentriert.
Gehen wir spaßeshalber davon aus, dass nicht nur eingefleischte Tony-und-Ziva-Aficionados an diese neue Serie geraten könnten, sondern dass es auch Paramount+-Abonnenten gibt, die niemals NCIS gesehen haben. Vielleicht haben sie eine vage Idee davon, dass das eine Krimiserie mit Fall-der-Woche-Struktur ist, in der es um Fälle im Marinebereich geht, die von einem Team gewiefter Spezialagenten aufgeklärt werden. Eventuell wissen sie sogar, dass es im Lauf der Jahre Ableger gab, in denen das gleiche Prinzip auf andere Standorte (von „L.A.“ bis „Sydney“) ausgeweitet wurde; zuletzt kam mit „Origins“ noch ein Prequel hinzu. Möglicherweise aber wissen sie nicht, wer Tony und Ziva waren. Welchen Hype ihre Fans damals um sie veranstalteten. Und warum für manche dieser Fans NCIS nach ihrem Ausstieg nie wieder so war wie zuvor.
Erhalte News zu Navy CIS: Tony & Ziva direkt auf dein Handy. Kostenlos per App-Benachrichtigung.Kostenlos mit der fernsehserien.de App.
Alle Neuigkeiten zu Navy CIS: Tony & Ziva und weiteren Serien deiner Liste findest du in deinem persönlichen Feed.
So müssen wir zunächst rekapitulieren, wie das war. Die Serie tut das auch, in einem Was bisher geschah zu Beginn der Pilotepisode. Tony DiNozzo also war von Anfang an dabei im Team des „Naval Criminal Investigative Service“ (NCIS) – ein jovialer Macker mit Hang zum Pennäler-Klamauk, der in der ersten Staffel an der Grenze zum Chauvi balancierte. Sympathischer wurde er erst durch seine Liebe zum Film(-zitat), ein begabter Ermittler war der vormalige Polizist sowieso. Im Laufe der Jahre mäßigte sich seine Macho-Einstellung dann erkennbar – wofür nicht zuletzt Kollegin Ziva David zuständig war.
Macht Faxen wie eh und je: Tony DiNozzo beim Macaron-Date mit seiner Tochter Tali (Isla Gie). Paramount+
Diese stieß 2005, in der dritten Staffel, zur Serie und damit zum NCIS, wobei sie lange warten musste, bis sie offizielles Mitglied wurde. Davor war sie beim Mossad, ihr Vater war Chef des israelischen Geheimdienstes. Von Kindheitstagen an war sie zur Kampfmaschine trainiert worden, es passte zum sexualisierten Lara-Croft-Zeitgeist der Nullerjahre, dass es dabei immer auch um ihre perfekte Figur ging. (Dass die israelische Jüdin Ziva mit einer nichtjüdischen Chilenin besetzt wurde, wäre heute wohl kaum mehr möglich.) Über Jahre hinweg schickten die Autoren Ziva in immer neue traumatische Situationen, zurück zum Mossad, in sudanesische Gefangenschaft und in schlimmstmögliche Familienzusammenhänge. Acht Jahre lang spielten sie mit der spürbaren Chemie zwischen ihr und Tony. Oft schien es so, als ob er jetzt gleich endlich kommen würde, der erste leidenschaftliche Kuss, die erste gemeinsame Nacht von „Tiva“, wie die Fans das verhinderte Paar tauften. Doch passiert ist das nie.
Zu Beginn der elften Staffel (Anfang 2014) stieg de Pablo relativ plötzlich als Hauptdarstellerin aus. Ziva kehrte offiziell nach Israel zurück. Nachdem sie dort später vermeintlich bei einem Mörserangriff gestorben war, kam in der 13. Staffel heraus, dass sie eine Tochter hinterlassen hatte – Tonys Tochter! Die Überraschung bei ihm war so groß wie beim Publikum: Es war also doch mindestens einmal etwas gelaufen bei den beiden. Am Ende der Staffel verließ auch Weatherly die Serie: Tony wollte sich fortan in Paris um die kleine Tali kümmern. De Pablo kehrte später, als klar war, dass Ziva ihren Tod nur vorgetäuscht hatte, gastweise zurück (für vier Folgen der 17. Staffel), Weatherly nur ganz kurz, zum Begräbnis des langjährigen NCIS-Pathologen Ducky letztes Jahr. Die eigentliche „Tiva“-Zeit indes ist inzwischen elfeinhalb Jahre lang vorbei.
Bis jetzt. Showrunner John McNamara („Trumbo“, „The Magicians“) hatte nicht nur die Aufgabe, den Hype von gestern im Heute wiederaufzuwärmen – was ihm dadurch erleichtert wird, dass der Streamingdienst Paramount+ ein Publikum bewirtschaftet, das Hypes von gestern ohnehin hinterherdürstet. Er musste auch einen Weg finden, die um ein Jahrzehnt gealterten Figuren glaubwürdig neu in ihrem fiktiven Leben zu platzieren.
Die Darsteller werden sich darüber am meisten gefreut haben: Michael Weatherly, heute 57, hatte nach seinem NCIS-Ausstieg bei CBS zwar weiterhin Erfolg als Juryflüsterer „Bull“. Die sechs Staffeln wurden allerdings überschattet durch Anschuldigungen sexueller Belästigungen durch seine Kurzzeit-Kollegin Eliza Dushku. Weatherly hatte – auf Video dokumentiert – seinen Trailer am Set damals launig als rape van bezeichnet und unappetitliche Sexwitze gerissen, die man Zotenkasper Tony DiNozzo sofort aus dem Skript gestrichen hätte. Keine schöne Geschichte. Von Cote de Pablo, heute 45, war nach ihrem NCIS-Weggang dagegen überhaupt keine Rede mehr. Ein bisschen hat es also den Anschein, dass es für beide Stars zu einem Revival ihrer beliebtesten Figuren keine Alternative gab.
Mittendrin in einer Verschwörung: Ziva mit Hacker Boris (Maximilian Osinski) und IT-Expertin Claudette Caron (Amita Suman). Paramount+
Die neue Serie bedient sich – das zeigen die drei Episoden, die jetzt veröffentlicht wurden (die restlichen sieben folgen im Wochentakt) – zweier Strategien. Die erste ist es, Lücken zu füllen: Was ist in den letzten fünf Jahren passiert, seit Ziva zu Tony und Tali nach Paris zog? Die Antworten gibt es in Flashbacks, deren Anordnung bisweilen leicht verwirrend gestaltet ist. Die zweite Strategie ist es, Tony und Ziva sofort in ein neues Abenteuer zu stürzen und dabei eines sofort klarzumachen: Die beiden sind immer noch kein Paar bzw. kein Paar mehr (das ist noch nicht ganz klar). Beide sind sich nach wie vor erkennbar zugeneigt, erziehen die jetzt zwölfjährige Tali (Isla Gie) aber getrennt voneinander, unterstützt von Nanny Sophie (Lara Rossi aus „Crossing Lines“).
Ziva arbeitet mit Therapeut Dr. Lang (Terence Maynard, „Ridley“) an ihren Traumata, ist aber offenkundig (noch) nicht bereit, sich auf ein „normales“ Familien- und Beziehungsleben einzulassen. Für die oben erwähnten Newcomer unter den Zuschauern hat das den Vorteil, dass sie das berühmte Will-they-won’t-they-Geplänkel der beiden nun „wie neu“ erleben können, wohingegen alte Fans, die genau diese An- und Abstoßungsprozesse schon acht Staffeln lang mitgemacht haben, entgeistert sein könnten, dass sich die Titelhelden immer noch nicht gefunden haben.
Zum Glück sorgt ein Plot für Ablenkung, der so herzerweichend egal ist, wie er nur egal sein kann. Während die multilingual begabte Ziva in Paris eine Sprachschule eröffnete (und zu Hause einen Safe Room voller Schusswaffen hütet), hat sich Tony mit einem High-End-Sicherheitsdienst selbstständig gemacht. Sein Topkunde ist Interpol, und ausgerechnet auf dem Konto der in Lyon beheimateten internationalen Kriminalpolizei kommt es zu einer Cyber-Attacke, die erst Tony selbst (und seine lesbische IT-Chefin Claudette, gespielt von Amita Suman aus „Shadow and Bone“) in die Bredouille bringt und dann Tochter Tali in höchste Gefahr, woraufhin Ziva bewährt hand- und fußfest mit in die Bresche springt. Es folgt eine Schnitzeljagd quer durch Europa, zunächst auf der Spur eines Hackers namens Boris (Maximilian Osinski, „The Walking Dead: World Beyond“), dann gejagt von den Mitwissern einer großen Verschwörung. Eine „Red Notice“ wird herausgegeben, von Interpol, dessen verschwundener Chef Jonah (Julian Ovenden aus „Knightfall“) und sein Stellvertreter Henry (James D’Arcy, „Constellation“) ebenso in ungute Vorgänge verwickelt zu sein scheinen wie ihre Frau fürs Grobe, Martine (Nassima Benchicou, „The Walking Dead: Daryl Dixon“).
NCIS-Fans müssen sich dabei umgewöhnen: Die seit 2003 bestehende Fall-der-Woche-Struktur des Franchise wird hier kühn über Bord geworfen, zugunsten eines fortlaufenden Actionkrimi-Szenarios, das überraschend deutlich die Züge einer Agentenkomödie annimmt, irgendwo zwischen „Mr. und Mrs. Smith“ und einer Ultra-Light-Version von „Mission: Impossible“. Die Dialoge balancieren zwischen dämlich und boulevardkomödiantisch, die Action selbst geht in Ordnung, vor allem jene Sequenz in der zweiten Folge, in der sich Tony und Ziva einer Flotte selbstfahrender Killer-Autos erwehren müssen. Sean Pertwee (der „Gotham“-Pennyworth) taucht als Chef einer Drohnenfirma auf, deutsche Schauspieler wie Henning Baum („Der letzte Bulle“) als Tonys weinbrandseliger Nebenbuhler oder Anne-Marie Waldeck („F4LKENB3RG“) als Boris’ karikatureske Freundin reißen den Albernheitspegel weiter nach oben.
Steht zwielichtig im Regen: Was weiß Interpol-Interimschef Henry (James D’Arcy)? Paramount+
Gedreht wurde das Revival-Späßchen, in dem sich Tony und Ziva auch mal fälschlich als NCIS-Agenten ausweisen, vollständig in Ungarn, das entsprechend für alle weiteren europäischen Stationen herhalten muss, in der Annahme, dass es dem US-amerikanischen Stammpublikum sowieso nicht auffallen wird: Paris (wo ständig der Eiffelturm durchs Fenster zu sehen ist und alle Macarons mampfen), Lyon, Mailand, egal. Eine in Lecco stattfindende Verfolgungsjagd kommt sogar ganz ohne Bergkulisse aus. Wer kennt in Alabama schon die Lombardei?
Doch egal wie sehr Europäer über solche Ignoranz lachen mögen und obwohl die Hauptdarsteller mitunter etwas zu routiniert zu Werke gehen: Die über Jahre hinweg erprobte Verbindung zwischen Tony und Ziva flirrt und vibriert nach wie vor. Wenn die beiden einmal zwangsweise im selben Bett schlafen müssen, sie sich zum Einschlafen betont voneinander wegdrehen, um dann umschlungen aufzuwachen, hat das ebenso seinen Effekt wie das dramaturgische Spiel mit einer Hochzeit, bei der Ziva nicht Tony, sondern Boris heiratet. Von diesem Schlüsselmoment wird immer wieder zeitlich zurückgesprungen, erst allmählich wird klar, was dahintersteckt.
Große Überraschungen sind jedoch nicht zu erwarten. Die Produktion ruht sich sichtlich auf dem Fanservice aus, den sie vor allem zu liefern bemüht ist. Zivas Abgründe gibt es zwar noch, doch gerade ihr israelischer Background wirkt wie ausradiert – vielleicht aus Rücksicht auf die Gemengelage angesichts des derzeitigen Gazakriegs. Ob die Abkehr vom Procedural-Prinzip bei den Fans funktioniert, wird sich zudem noch erweisen müssen und ebenso, ob sie bereit sind, auf das ersehnte Tiva-Happy-End noch länger zu warten, sollten sie am Ende der Staffel, wieder mal kurz vor dem erlösenden Kuss, auf eine mögliche nächste Staffel verwiesen. Und die oben erwähnten NCIS-Nichtkenner? Die können gerne reinschauen. Oder, womöglich mit größerem Gewinn, irgendetwas anderes gucken.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Navy CIS: Tony & Ziva“.
Meine Wertung: 3/5
Über den Autor
Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) - gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).