„The Waterfront“: Familien-Soap mit Hai-Attacken – Review

Netflix-Serie von „Vampire Diaries“-Macher fischt unterhaltsam in seichten Gewässern

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 21.06.2025, 17:30 Uhr

Haben zahlreiche Sorgen: die Buckley-Geschwister Cane (Jake Weary, l.) und Bree (Melissa Benoist, r.). Canes Frau Peyton (Danielle Campbell) erträgt es meistens stoisch. – Bild: Netflix
Haben zahlreiche Sorgen: die Buckley-Geschwister Cane (Jake Weary, l.) und Bree (Melissa Benoist, r.). Canes Frau Peyton (Danielle Campbell) erträgt es meistens stoisch.

Er hat das „Scream“-Franchise erfunden, mit „Dawson’s Creek“ die intellektuellste Teenieserie der späten Neunziger geschrieben und mit „Vampire Diaries“ einen Dauerbrenner gezündet: Kevin Williamson. Der einstmals größte Teenieversteher der US-Popkultur ist inzwischen 60, weiß aber immer noch, wie Genreware funktioniert. Inspiriert von eigenen Erlebnissen beim Aufwachsen in North Carolina legt er nun bei Netflix mit „The Waterfront“ eine Familien-Soap auf Krimibasis vor: entschieden seicht und unbedingt Binge-geeignet – wie eine schnell vergessene Strandlektüre.

Es ist keine allzu originelle Idee mehr, im Serienformat von (meist wohlhabenden) Familien zu erzählen, die nebenher in kriminelle Machenschaften verwickelt sind bzw. wenig zimperlich mit den Gesetzen umgehen. Netflix selbst hat mit „Ozark“ ein Paradebeispiel im Programm, Taylor Sheridan baute sein „Yellowstone“-Franchise auf diesem Prinzip auf. Die Palette reicht von Soap (à la „Denver-Clan“) bis Qualitätsdrama (à la „Succession“). Rein inhaltlich kann „The Waterfront“ also schon mal kein Neuland betreten – trotz des sichtlichen Bemühens, Soap, Tragödie und Krimi zusammenzurühren.

Das Setting allerdings ist vielversprechend: ein fiktiver Fischerort in North Carolina, im Südosten der USA, wo die Menschen Harlan heißen oder Cane oder Belle oder Diller. Inoffiziell regiert wird das schmucke Küstenstädtchen von einer mächtigen Familie – die allerdings gerade strauchelt. Die Buckleys, wie diese Sippe heißt, besitzen Stand jetzt die Marina, die Fischereiflotte und noch dazu das größte Hafenrestaurant am Platz. Jeder in Havenport, so der einigermaßen beknackte Name des postkartenidyllischen Ortes (übersetzt: Hafenhafen), kennt diese Buckleys.

Allzu gut scheint es ihnen derzeit nicht zu gehen. Patriarch Harlan, gespielt vom bewährt unwirsch wirkenden Holt McCallany aus „Mindhunter“, ist dem Alkohol zugeneigt und muss deshalb in so ziemlich jeder Szene mindestens einmal zum Whiskeyglas greifen. Am Anfang erwacht er im Bett einer seiner offenbar zahlreichen Nebenher-Gespielinnen und erleidet einen heart scare. Die Herzattacke ist zum Glück nichts Gravierendes, es wäre allerdings nicht sein erster Infarkt. Seine Gattin Belle – eisiger denn je: Maria Bello („A History of Violence“, „Beef“) – sortiert den Vorfall mit gelangweilter Routine weg und fokussiert lieber auf die eigentlichen Probleme: Schulden und Kredite graben der Buckley Fishery den Saft ab, das Restaurant schwächelt und wegen Fischfangquoten und Umweltauflagen könnte bald auch die Fischerei zusammenkrachen. Eine Lösung könnte das begehrte Stück Land sein, das Harlan einst von seinen Eltern erbte, ein Küstenstreifen abseits des Ortes, den er keinesfalls verkaufen möchte. Noch weiß er nicht, dass Belle mit dem charmanten Immobilienentwickler Wes Larsen längst einen Deal aushandelt. Den Silberfuchs mit unverhohlen amourösen Absichten spielt „Brothers & Sisters“-Star Dave Annable.

Patriarch und Power-Gattin: Harlan (Holt McCallany) und Belle Buckley (Maria Bello) haben Havenport im Griff. Denken sie. Netflix

Schon die Eröffnungsszene der Serie deutet darauf hin, dass auch schon andere Maßnahmen ergriffen wurden, um die Familienkasse aufzubessern. Da geht nämlich ein Drogendeal auf hoher See schief, die beiden einzigen Besatzungsmitglieder gehen über Bord und Kevin-Williamson-Ultras werden sicher grinsen, wenn sie die beiden bemützten Seebären als Alaric (Matthew Davis) und Matt (Zach Roerig) aus den „Vampire Diaries“ identifiziert haben. Schneller als die Polizei (oder Harlan) erfahren wir Zuschauer, dass Buckley-Sohn Cane den schiefgelaufenen Drogendeal angeleiert hatte. Jake Weary, der zuletzt schon in einer anderen Serie über kriminelle Familien mit dabei war („Animal Kingdom“), spielt den einst als großes Football-Talent gehandelten, dann aber doch gescheiterten und in Havenport gebliebenen Filius der Sippe: Cane lebt zwar in einem atemberaubenden Haus direkt am Atlantik (wie überhaupt alle handelnden Personen in der Serie in Häusern direkt am Meer wohnen, selbst wenn die Serie behauptet, dass es sich dabei um ärmere Leute handelt), mit einer niedlichen Tochter und einer attraktiven Southern Belle als Gattin (Danielle Campbell aus dem „Vampire Diaries“-Spin-Off „The Originals“ und der bis dato letzten Williamson-Serie „Tell Me A Story“), blickt aber trotzdem ausgesprochen frustriert aus der hochpreisigen Wäsche. Müde wirkt er, jedenfalls bis ihm sein einstiges High School Sweetheart über den Weg läuft. Jenna Tate (Humberly González) arbeitet eigentlich längst als Journalistin in Atlanta, muss derzeit aber ihrem gebrechlichen Vater zur Hand gehen und in dessen Gemischtwarenladen aushelfen. Obwohl sie ebenso verheiratet ist wie Cane, liegt hier natürlich einiges in der romantischen Luft.

Doch zurück zum Verbrechen: Cane hat eingangs alle Hände voll zu tun, um aus der Nummer mit der gescheiterten Drogenübergabe auf See wieder herauszukommen. Es ist nur der Auftakt einer steten Folge von Enthüllungen: Ständig bekommen wir Dinge zu sehen, die etwas bislang Unbekanntes über das Verhältnis der Figuren zueinander erzählen, und dort, wo ambitioniertere Serien solche reveals und dessen Folgen über zig Episoden oder gar Staffeln strecken, geht „The Waterfront“ durchweg offensiv in die Vollen. Am Episodenende wird etwas Ungeheuerliches enthüllt? In der nächsten Folge wird’s aufgeklärt! Jemand anderes erweist sich als korrupt? In der nächsten Folge (oder vielleicht auch schon in derselben) erleidet er das fällige Schicksal. Schon nach zwei, drei Folgen wissen wir, dass fast jede handelnde Figur andere betrügt und hintergeht.

Ein – schnell gelüftetes – Geheimnis verbindet Cane mit dem neuen Barkeeper Shawn (Rafael L. Silva, r.). Netflix

Mit Harlan fängt das an: Der erfährt schon früh, dass Cane (zusammen mit Belle) hinter den Drogendeals steht. Zunächst ist Harlan entsetzt, weil sein Vater selbst mal tief im Verbrechen steckte und Harlan stolz darauf ist, die Familie mehr oder minder gesetzestreu gemacht zu habe. Schon bald aber scheint er regelrecht aufzublühen, wenn es darum geht, die ihn Betrügenden zurückzubetrügen, den Familiendrogenhandel neu aufzustellen und die blutigen Folgen kreativ auszubügeln. Nach den ersten vier Episoden können wir folgende Punkte bereits abhaken: korrupte Staatsgewalt, Familienmitglieder mit Verbindungen zu Ermittlungsbehörden, eine mit Benzin übergossene Frau, ein im Sumpf den Alligatoren zum Fraß vorgeworfenes Mordopfer, ein Stand-off an Bord eines Schiffes und eine äußerst unschöne Foltermethode unter Beteiligung von Haien.

Dazu kommt dann noch ein verdächtig unfähiger Barkeeper (Rafael L. Silva aus „9-1-1: Lone Star“), den Belle für einen Informanten der Drogenpolizei hält, der dann aber doch ein sehr viel privateres Anliegen verfolgt (auf dessen Enthüllung wir ebenfalls nicht lange warten müssen). Ein Drogenermittler mit eigenem Suchtproblem (Gerardo Celasco aus „Swimming with Sharks“) mischt sich ebenfalls noch in die Gemengelage hinein, wie auch der Sheriff mit seinem glühenden Hass auf die reichen Buckleys (Michael Gaston aus „The Leftovers“). Kann also niemand behaupten, es würde hier nichts geboten und nicht jede Folge ordentlich pulp fiction abgeliefert, und das alles ohne prätentiöses Mystery-Gedöns.

Von der möglicherweise wichtigsten Figur war dabei noch gar nicht die Rede: Die Buckleys haben nämlich auch noch eine Tochter. Canes Schwester Bree (vergleichsweise differenziert gespielt von „Supergirl“ Melissa Benoist) ist allerdings bis auf Weiteres aus dem operativen Familiengeschäft ausgeschlossen, seit sie, im Alkohol- und Pillenwahn, das Haus ihres (jetzt Ex-)Mannes niederbrannte. Seitdem darf sie sich ihrem Sohn Diller (Brady Hepner) nur nähern, wenn jemand vom Jugendamt dabei ist. Benoist ist Mitte 30, Hepner 20: Diller scheint also das Produkt einer Teenagerschwangerschaft zu sein, und die Szenen, in denen sich Bree, meist ohne Erfolg, dem Sohn anzunähern versucht, zählen zu den wenigen, die hier ernsthaft zu berühren vermögen.

Will von seiner biologischen Mutter Bree nicht mehr allzu viel wissen: Diller (Brady Hepner) wohnt jetzt woanders. Netflix

Sympathische Figuren sucht man ansonsten vergeblich, ein Umstand, der der Serie noch zum Problem werden könnte. Nicht, dass die Serienwelt nicht voller dysfunktionaler, mit Antihelden bestückter Familien wäre, aber die „Succession“-Roys etwa, auch sie keine Identifikationsfiguren, sind dann doch Charaktere von erheblich komplexerem Format. „The Waterfront“ dagegen ist eher das Serienäquivalent eines reißerischen Schmökers, den man im Urlaub am Strand (und nur dort) liest: Von (gewaltvoller) Attraktion zu (amouröser) Attraktion hangelt sich ein generischer Plot, und wenn man zwischendurch mal wegdöst, von der Sonne matschig gemacht, ist das nicht wirklich schlimm. So ist das auch in der Serie: Die wirkt manchmal schon fast wie abgesoffen, liegt im Folgenfinale dann aber wieder quicklebendig am Küstensaum. Der Binge-Impuls wird gut bedient, weitergucken möchte man schon.

Die Dialoge sind dabei eher zweckmäßig, von Williamson war man da früher ein anderes Kaliber gewohnt. Auch ist es enttäuschend, dass Havenport als Schauplatz so austauschbar erscheint. Eine Marina, ein Restaurant, eine Promenade, schicke Häuser: Das war’s. Gedreht wurde in Southport und Wilmington, es gibt auch tolle Drohnenflüge über die Küste zu gut abgehangener Country-Musik, und doch sieht alles sehr aufgeräumt aus. In Interviews erzählt Williamson dieser Tage, dass der Plot teils auf Geschehnissen beruht, die er selbst, auch innerhalb der eigenen Familie, in seiner Jugend in genau dieser Gegend erleben musste. Doch sehr persönlich wirkt die Serie nicht. Etwas mehr Lokalkolorit wäre schön gewesen.

In der vierten Episode (von acht) kommt es dann zum Auftritt eines prominenten Gaststars, der für den Rest der Staffel noch im Spiel bleiben dürfte: Ausgerechnet Topher Grace, der früher so nett-nerdige Sitcom-Eric aus „Die wilden Siebziger“, spielt den soziopathischen Drogenboss Grady, eine Mischung aus Elon Musk und Serienkiller. Seine Figur bringt einen neuen, unberechenbareren Tonfall in die zu diesem Zeitpunkt schon etwas lau wirkende Krimisoap. Mal gucken also, was Havenport in der zweiten Staffelhälfte noch so zu bieten hat. Ob es mit einer zweiten Staffel weitergeht, werden einzig und allein die Netflix-Abrufzahlen entscheiden.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden von „The Waterfront“.

Meine Wertung: 3/​5

Die achtteilige erste Staffel von „The Waterfront“ ist seit dem 19. Juni auf Netflix verfügbar.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1968) am

    Nach 4 Folgen bewerten sie die Serie, was ich für sinnvoll halte; 2 Folgen wären meiner Ansicht nach zu wenig gewesen. Mit so vielen Serien heutzutage bin ich dankbar für solche Bewertungen, die meine Entscheidung erleichtern, da man einfach nicht alles ansehen kann. Danke für die Durchsicht.

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