Mandy Patinkin und Janet McTeer geben in „The Artist“ ein entfremdetes Ehepaar
Bild: The Network
Wenn keiner meinen Stoff veröffentlichen will, mache ich es einfach selbst! Das dachte sich der Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Aram Rappaport, als er mit seiner Dramaserie „The Green Veil“ nirgends auf Interesse stieß. Kurzerhand hob der 1987 geborene Kalifornier mit The Network seinen eigenen, werbefinanzierten Streamingdienst aus der Taufe und brachte dort im Frühjahr 2024 besagte Eigenentwicklung an den Start. Nachschub gab es auf der Plattform vor einigen Wochen in Form der nächsten Originalgeschichte aus der Feder Rappaports. Und was soll man sagen? „The Artist“, eine Kreuzung aus Kostümkrimi und absurdem Theater, kann man sich nur schwer in einem konventionellen Senderumfeld vorstellen. Der Siebenteiler, dessen erste drei Folgen in den USA Ende November das Licht der Welt erblickten, ist mit prominenten Darstellern – unter anderem Janet McTeer („MobLand: Familie bis aufs Blut“), Mandy Patinkin („Homeland“) und Danny Huston („Yellowstone“) – besetzt, geizt jedoch nicht mit erstaunlich bizarren Einlagen.
Wie es seit dem verstärkten Aufkommen ironisch angehauchter Historienserien der Marke „Bridgerton“ inzwischen Usus ist, wird das Publikum auch in „The Artist“ von einer Erzählerin in das Geschehen eingeführt. Zu erwarten sei keine gewöhnliche Story, sondern eine cautionary tale, an deren Ende der Tod des exzentrischen Tycoons Norman Henry (Patinkin) stehe. Die Welt, so wird uns erklärt, erfahre durch eine verhängnisvolle Ereigniskette eine Umwälzung. Ganz schön markige Töne, die Normans Ehefrau Marian (McTeer) da in ihren leicht spöttischen Voice-over-Kommentaren anschlägt.
Thomas Edison (Hank Azaria) schaut bei den Henrys vorbei The Network
In den erdig-beigen Bildern mag Schöpfer und Regisseur Aram Rappaport dem Ganzen einen zurückgenommenen Anstrich verleihen. Schnell wird aber klar, dass wir es hier nicht mit einem braven, gediegenen Krimi in historischem Gewand zu tun haben, der uns hin und wieder verschmitzt zuzwinkert. Dafür sind die Figuren zu schräg gezeichnet, ist die Sprache viel zu derb und schlägt die Atmosphäre meist zu stark ins Wahnwitzige aus.
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Ein Großteil der Handlung, zumindest der ersten drei für diese Kritik in Augenschein genommenen Episoden, spielt im Jahr 1906, im und um das Anwesen der Henrys im US-Bundesstaat Rhode Island. Die Ehepartner, die ihre besten gemeinsamen Jahre längst hinter sich haben, mittlerweile in getrennten Zimmern schlafen, sind von der Stadt aufs Land gezogen und haben offenkundig auch finanziell schon entspanntere Zeiten gesehen. Warum sonst lebt das gesamte Personal in einer Art Zeltstadt vor dem Haus? Weshalb befindet sich selbst die Küche draußen? Kurios ist auch das improvisiert wirkende System aus Seilen und Glocken, mit denen die Henrys jene Angestellten zu sich zitieren können, die gerade benötigt werden. Einige Bedienstete spucken Gift und Galle. Amouröse Verwicklungen kommen zum Vorschein. Und manche Anwesenden schlagen ungeniert über die Stränge. Als zum Beispiel ein Verletzter in das Krankenzimmer gebracht wird, vergnügt sich der Arzt gerade beim Analsex.
Ähnlich wie der Zuschauer, der sich in all dem Durcheinander erst einmal orientieren muss, stolpert auch der titelgebende Künstler in die Szenerie. Seine Aufgabe besteht darin, ein Bild zweier Pudel anzufertigen. Danny Huston hat sichtlich Spaß daran, diesen fast blinden französischen Maler mit markantem Akzent zu spielen, und strahlt stets auch eine leicht bedrohliche Präsenz aus. Wilde Forderungen und „Weisheiten“ von sich gebend, setzt der Gast vor allem Norman Henry zu – was in der dritten Folge zu einem heftigen Zusammenbruch führt. Mandy Patinkin, der den Hausherrn mit einer amüsanten Grummelattitüde versieht, darf hier hemmungslos chargieren. Insgesamt hat das Ensemble viel Raum, emotional auf die Tube zu drücken.
Der titelgebende Künstler (Danny Huston) verliert die Fassung The Network
Verspielt ist nicht nur die musikalische Untermalung, sondern auch der Umgang mit real existierenden Persönlichkeiten, die Aram Rappaport, wild fabulierend, in das Treiben einwebt. Hustons Figur etwa wird am Ende der dritten Episode als ein berühmter Impressionist identifiziert. Eine wichtige Funktion in der Erzählung hat überdies der US-amerikanische Erfinder und Geschäftsmann Thomas Edison (Hank Azaria), der bei Norman vorstellig wird, um seine neueste Kreation namens Kinetophon anzupreisen. Ein Gerät, das – ähnlich einem modernen VR-Headset – immersive Unterhaltung bieten soll. Das Pikante an der Sache: Hausherrin Marian hat eine gemeinsame Vergangenheit mit dem Besucher, die im zweiten Kapitel in Rückblenden enthüllt wird. Nur so viel: Über diese Verbindung bringt „The Artist“ eine feministische Note in den Plot ein. Frauen, besonders ambitionierte und selbstbewusste, hatten zur Handlungszeit in einer durch und durch patriarchalen Gesellschaft schließlich einen schweren Stand.
Auch wenn sich damit eine spannende, neue Facette auftut, kommt man sich häufig wie in einer freidrehenden Ausstattungsseifenoper vor. Pathetisch vorgetragene Sätze der Marke „The rich have no soul!“ sind hier völlig normal. Ebenso wie ein mit Böswilligkeiten gespicktes Abendessen, bei dem die Figuren am Tisch ständig durcheinander reden – und aneinander vorbei. Ist das alles nun ungemein erfrischend und clever? Nach drei Folgen schwer zu sagen! Was man aber festhalten kann: Die Eskalationen im Hause Henry entwickeln einen seltsamen Unterhaltungswert. Kurzweiliger als zahlreiche 08/15-Historienserien ist diese Agatha-Christie-auf-Speed-Variante irgendwie schon.
Meine Wertung: 3/5
Die ersten drei Folgen der Miniserie „The Artist“ wurden am 27. November auf der Streamingplattform The Network veröffentlicht. Die restlichen Episoden erscheinen eben dort am 25. Dezember.
Über den Autor
Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.