„His Dark Materials“: Kein neues „Game of Thrones“, aber sehenswerte Pullman-Adaption – Review

Starker Cast und komplexes Worldbuilding in neuer Sky-Serie

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 25.11.2019, 13:32 Uhr

„His Dark Materials“ – Bild: Sky
„His Dark Materials“

Fans der Romantrilogie „His Dark Materials“ von Sir Philip Pullman hatten sich schon einmal auf eine Verfilmung gefreut. Das war im Jahr 2007, als ganz Hollywood auf der Suche nach einem neuen Fantasy-Geldbringer à la „Der Herr der Ringe“ war. „Der goldene Kompass“ allerdings, die Kinofilmversion des ersten Buchs der Trilogie, enttäuschte trotz prominenter Besetzung mit Nicole Kidman, Daniel Craig und Eva Green an den Kinokassen – weshalb die Folgefilme gecancelt wurden. Die 180-Millionen-Produktion geriet damals gleich von zwei Seiten unter Beschuss: Christliche Verbände in den USA hatten das Projekt schon im Vorhinein attackiert, weil sie Anstoß nahmen an den offen antiklerikalen Untertönen in Pullmans Vorlage. Die Fans der Bücher dagegen waren vom Ergebnis gerade deshalb enttäuscht, weil die Produzenten von New Line Cinema diese Untertöne komplett aus dem Film entfernten. Regisseur Chris Weitz war von Studioseite am Ende sogar die Kontrolle entzogen worden – ein Trauma, von dem er heute noch wutschnaubend berichtet. „Der Goldene Kompass“, obgleich sicher kein katastrophaler Film (für die Effekte gab es gar einen Oscar), gilt heute als gescheitert – im Bemühen, die Vorlage angemessen umzusetzen, und im Bemühen, ein neues, erfolgreiches Kinofranchise zu lancieren. Lange Zeit hatten Pullman-Fans danach nicht mehr daran gedacht, sich doch noch mal auf eine Verfilmung freuen zu dürfe.

Im Jahr 2019 durften sie das nun doch wieder tun: Die Trilogie gibt’s jetzt als Serie, gesendet von BBC One und HBO. Nach allem, was man bis jetzt sehen konnte, ist die Gewissheit groß, dass das Ergebnis diesmal erstens buchgetreuer daherkommt und zweitens auch die Chancen ziemlich gut stehen, dass diesmal alle drei Bände umgesetzt werden. Die erste Staffel umfasst acht Episoden und covert (wie damals der Kinofilm) das erste Buch („Northern Lights“, deutsch: „Der Goldene Kompass“), die Dreharbeiten für eine bereits bestellte zweite Staffel, die sich um den mittleren Trilogieteil („The Subtle Knife“, deutsch: „Das Magische Messer“) kümmern soll, haben bereits begonnen. Inzwischen sucht niemand mehr das neue „Herr der Ringe“, vielmehr wird nach einem neuen „Game of Thrones“ gefahndet. Gerade dessen Haussender HBO will nach den teils heftigen Negativreaktionen auf die finale GoT-Staffel dabei tunlichst vermeiden, eine Fantasygurke nachzuschieben. So viel sei verraten: Eine Gurke ist „His Dark Materials“ ganz sicher nicht. Ein neues „Game of Thrones“ aber wohl auch nicht.

Pullmans zwischen 1995 und 2000 entstandene Trilogie zeichnet sich durch ein detailliertes Worldbuilding aus, das gerade Zuschauer der Serie, die die Vorlagen nicht kennen, erst einmal durchblicken müssen. Autor Jack Thorne („Ende einer Legende“, „Wunder“) und der oscarprämierte Regisseur Tom Hooper („The Danish Girl“, „The King’s Speech“) fangen gleich zu Beginn mit Texteinblendungen an, um die Basics zu vermitteln: Da ist von der Erzählwelt die Rede, die gleichzeitig so sei und nicht so sei wie die uns bekannte Welt; von der menschlichen Seele, die in dieser Welt die Form eines Tiers annimmt und den Menschen stets externalisiert begleitet; die Verbindung zu diesen Daemon genannten Wesen sei heilig. Es wird da von Hexen geschrieben, die im Norden dieser Welt leben und die schicksalhafte Ankunft eines Kindes prophezeien. Und vom sogenannten „Magisterium“, das diese Welt mit absolutistischer Macht kontrolliert. Dieses „Magisterium“ hatte Pullman einst klar an die (katholische) Kirche angelehnt, weshalb seine Romantrilogie immer auch als Gegenentwurf zu den frömmelnden „Narnia“-Chroniken des Kollegen C.S. Lewis eingestuft wurde. Anders als im Kinofilm ähneln die Vertreter des Magisteriums in der Serie tatsächlich typischen Würdenträgern aus der Kirche, es gibt Priester und Kardinäle, kirchenartige Gebäude, doch vorsichtshalber betonen die Macher, man ziele nicht auf eine bestimmte Kirche ab, sondern auf ideologischen Fundamentalismus als Ganzes.

Lyra Belacqua (Dafne Keen) mit ihrem Daemon Pantalaimon

Mit dem erzählerischen Weltenbau ist es nach den einleitenden Zeilen noch längst nicht getan, und wer mit den in den Romanen detailliert beschriebenen Regeln und Gesetzen dieser Welt nicht vertraut ist, kann beim nachlässigen Zuschauen durchaus aus der Kurve fliegen. Warum der jeweilige „Daemon“ – in der Serie per verblüffend perfekter CGI als (sprechende) Digitrickfigur visualisiert – bei vorpubertären Kindern noch ständig die Gestalt wechseln kann (vom Nager zum Insekt zum Säugetier und zurück), ehe er sich mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben in eine Form verstetigt; oder dass der Daemon immer das gegenteilige Geschlecht des menschlichen Wirtskörpers besitzt; oder dass Daemon und Mensch stets beisammen bleiben müssen: All dies wird durchaus gezeigt und erzählt, als Nichtkenner der Romane aber muss man gut aufpassen.

Die Kulissen in Oxford

Das von den Hexen prophezeite Kind heißt Lyra Belacqua, wird zu Beginn während der „Großen Flut“ (eine Klimakatastrophe hat es also auch gegeben) als vermeintliches Waisenkind in die Obhut des Jordan Colleges in Oxford gegeben. In der gezeigten alternativen Erzählwelt präsentiert sich Großbritannien als Mixtur aus Steampunk-Viktorianismus (mit überall herumschwebenden, metallisch glänzenden Zeppelinen), Fünfzigerjahre-Dekor und sehr heutigen Dialogfeuerwerken. Nach einem Zeitsprung ist Lyra zwölf Jahre alt und wird von der bereits im X-Men-Ableger „Logan - The Wolverine“ positiv aufgefallenen Dafne Keen verkörpert. Gemeinsam mit ihrem Daemon Pantalaimon (meist in Hermelinform herumwieselnd) jagt sie durch die öffentlichen und weniger öffentlichen Räume des Colleges, ehe auch schon die Mystery beginnt: Lyra beobachtet ausgerechnet den gütigen „Master“ der Lehranstalt (Clarke Peters aus „The Wire“) dabei, wie er ihren Polarforscher-Onkel Lord Asriel (James McAvoy, „Split“) vergiften will, was sie gerade noch verhindern kann. Asriel hält dann einen blasphemischen Vortrag, in dem er von möglichen parallelen Welten spricht, zu denen am Nordpol Eingang zu finden sei, mithilfe der ominösen Substanz „Staub“ – ketzerische Themen, die das Magisterium von der Bevölkerung fernhalten möchte.

Ruth Wilson zeigt sich als Mrs. Coulter vielseitig

Alsbald betritt die spannendste Figur der Erzählung die Bühne: die glamouröse Society-Dame Mrs. Coulter, die sich als Lyras Mentorin andient und sie als Mündel mitnimmt nach London. Ruth Wilson („Luther“, „The Affair“) verleiht dieser stets mondän gewandeten Dame, die sich schnell als ziemlich abgründige Figur erweist, eine herrlich dominante, pfeilschnell zwischen mütterlich-liebevoll und hexenhaft-aggressiv changierende Aura. Was Coulter mit den Kindern (darunter Lyras Freund, der Küchenjunge Roger, gespielt von Lewin Lloyd) zu tun hat, die von den sinistren „Gobblern“ entführt werden, wird dann, wie im Roman, relativ bald enthüllt – ebenso wie Lyras tatsächliche Familienverhältnisse, deren Aufdeckung sich der Film noch ungelenk bis fast zum Schluss aufgespart hatte. Gut so, denn das verleiht den Geschehnissen von Anfang an eine größere Dringlichkeit.

Lyra (Dafne Keen) mit dem „goldenen Kompass“ – der andere Wahrheiten ausspuckt, als die Richtung nach Norden …

Wie Lyra sich dann, mit ihrem Goldenen Kompass bewehrt, den flussfahrenden Gyptern um Ma Costa (Anne-Marie Duff, „Nowhere Boy“), deren Sohn Tony (Daniel Frogson), John Faa (Lucian Msamati, „Eine Detektivin für Botswana“), Farder Coram (James Cosmo, „GoT“) und Raymond van Gerrit (Mat Fraser, „Helena von Troja“) anschließt, um mit dieser knorzigen Sippe den Geheimnissen von Lord Asriel, dem „Staub“ und den verschwundenen Kindern auf die Spur zu kommen, das wird in den ersten beiden Episoden gerade so eben auf den Weg gebracht. Lieblingsfiguren aus der Vorlage wie der lässige Aeronaut Lee Scoresby, die Hexe Serafina oder der wackere Panzerbär Iorek sind da noch gar nicht aufgetreten. Doch das Figurentableau, das die Serie zwischen Oxforder Katakomben und Londoner Salons, zwischen Polarlabor, Armenviertel und Kinderknast entwickelt, ist schon jetzt spannend genug, um unbedingt bei der Stange zu halten. Vor allem ist es bis in die Nebenrollen top besetzt: Da tauchen dann etwa Gary Lewis („Billy Elliot – I Will Dance“) als Asriels Gehilfe Thorold auf oder Georgina Campbell („Krypton“) als Journalistin im Fadenkreuz. Besonders aber die Leute vom Magisterium machen Lust auf mehr: Will Keen („The Crown“) als Priester, Ian Peck („Peaky Blinders – Gangs of Birmingham“) als Kardinal und vor allem Ariyon Bakare als Lord Boreal, der im Auftrag der Kirche auch schon mal in eine modernere Parallelwelt hinübergleitet, um dort einen Killer (Robert Emms aus „Chernobyl“) zu engagieren, vermitteln das gruselige Bild einer streng hierarchisch organisierten Institution, die die Welt mit skrupellosen Mitteln auf Linie halten will: Es ist eine deutliche Kritik an religiös-ideologischem Furor, die Pullmans Büchern im Grundsatz treu bleibt.

Fans von Pullmans Vorlage kommen in „His Dark Materials“ auf ihre Kosten

Unterhaltsam und spannend sind diese ersten Episoden zweifellos. Und dennoch können sie ein etwas zwiespältiges Gefühl nicht ganz vertreiben: Vieles an „His Dark Materials“ wirkt generisch, zu aufgeräumt und vor allem wie ein Wiederaufwärmen von Fantasy-Motiven, die aus anderen Zusammenhängen allzu bekannt sind. Die Mischung aus Coming-of-Age-Story mit Abenteuerplot erinnert eingangs an die „Harry Potter“-Filme, dann an Charles Dickens’ „Oliver Twist“ und sowieso ständig an klassische Steven-Spielberg-Filme. Die CGI-Effekte sind zwar hochklassig, können eine gewisse Künstlichkeit aber nicht verbergen, vor allem in den glitzernden Stadtansichten. Man hat derlei in diesem Genre einfach schon zu häufig gesehen, als dass das wirklich noch größeres Staunen auslösen könnte. Es wird also Autor Thorne und den sehenswerten Darstellern obliegen, ob das Interesse an „His Dark Materials“ gerade auch für Nichtkenner der Buchvorlagen dauerhaft wachgehalten werden kann. Schon jetzt ist allerdings sicher, dass sich das freudige Warten der Pullman-Fans diesmal stärker ausgezahlt hat als noch vor zwölf Jahren im Kino.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „His Dark Materials“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: BBC One


Am 25. November um 21:15 Uhr wird bei Sky Atlantic mit der Ausstrahlung der achtteiligen Auftaktstaffel von „His Dark Materials“ begonnen, für das in den USA und UK schon eine zweite Staffel bestellt ist.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Ich habe jetzt die erste Folge gesehen, kannte die Vorlage nicht und hatte trotzdem keine Schwierigkeiten, mich in dieser Welt zurechtzufinden. Ist nicht komplizierter als bei anderen Geschichten.
    • am

      Kein neues GoT? Puuuh, da bin ich echt froh!!! Denn das war von Anfang an total überbewertet und hat nach Staffel drei permanent abgebaut. Also hört doch bitte auf, jede neue Fantasy-Serie mit dieser Altlast zu vergleichen.

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