Sophie (Alicia von Rittberg) und James (Kostja Ullmann) haben zusammen mächtig Spaß
Bild: Prime Video/Gordon Muehle
Manche Geheimnisse bleiben besser ungelüftet. Dieser Gedanke beschleicht einen schon während der ersten Folgen der neuen deutschen Prime-Video-Serie „Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“, die der Streamingdienst kurz vor Weihnachten 2025 an den Start bringt. Das Prequel zum hierzulande kultisch verehrten, traditionell an Silvester gezeigten Sketch „Dinner for One“, bei dem der Komiker Freddie Frinton und die Schauspielerin May Warden als Butler James und dessen Arbeitgeberin Miss Sophie den 90. Geburtstag der alten Dame feiern, geht vor allem zwei Fragen nach: Was genau pflegen der Bedienstete und seine Chefin für ein Verhältnis? Und wer sind eigentlich Mr. Pommeroy, Mr. Winterbottom, Sir Toby und Admiral von Schneider, die vier Männer, die bei der Geburtstagsparty dank James’ inbrünstiger Stellvertreterqualitäten imaginär mit am Tisch sitzen?
Hat man sich darüber wirklich schon einmal den Kopf zerbrochen? Brauchte es darauf ernsthaft Antworten? Oder lebt der Sketchklassiker nicht gerade von seinem absurden Arrangement und der so pointierten Charakterisierung der besagten Herren durch James’ zunehmend alkoholisierte Verkörperung? Die Ausschmückungen und Erklärungen in „Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“ jedenfalls sind erschreckend witz- und ideenlos. Ausgehend von dem auf Englisch gedrehten, für den NDR produzierten 18-Minüter in Schwarzweiß servieren uns die Macher rund um die Schöpfer Tommy Wosch („Faking Hitler“) und Dominik Moser („Beck is back!“) einen Mix aus Romanze, poppigem Kostümstreifen, Komödie und Krimi, der sich als „Bridgerton“ für Arme beschreiben lässt. Bereits bei der Weltpremiere auf dem Filmfest München im Juni 2025 entlockten die ersten beiden vorgeführten Episoden dem anwesenden Publikum bloß verhaltene Lacher.
Butler Mortimer (Ulrich Noethen) und Sophie (Alicia von Rittberg) suchen nach geeigneten Heiratskandidaten Prime Video/Conny Klein
Wo wir die Netflix-Saga „Bridgerton“ schon angesprochen haben: Von dieser ist die Sketchvorgeschichte unübersehbar beeinflusst. Auch in der Prime-Video-Produktion sollen eingestreute Popsongs einem historischen Setting einen modernen, frischen Anstrich verleihen. Die gelackten Bilder leuchten in kräftigen Farben. Und ebenso gibt es eine Erzählerin, in diesem Fall eine Zofe namens Prudence (Lilly Vogler), die das Geschehen mit einem Augenzwinkern kommentiert. Allzu stringent sind ihre Einwürfe allerdings nicht. Mal schaltet sie sich in einer Folge mehrfach ein. Dann wieder verstummt sie für längere Zeit. Echter erzählerischer Mehrwert kann sich so nur schwer einstellen.
„Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“ entführt uns zunächst in das Jahr 1911. Mit ihrer Familie lebt die adelige Titelheldin (Alicia von Rittberg) in einem Schloss in der Nähe von London. Obwohl es die Standeskonventionen der damaligen Zeit verbieten, pflegt sie heimlich ein inniges Verhältnis zu James (Kostja Ullmann), dem Sohn des Butlers Mortimer (Ulrich Noethen). Die beiden verstehen sich prächtig, können sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Doch nach dem 21. Geburtstag seiner Tochter will Sophies Vater (Maximilian von Pufendorf) endlich damit anfangen, einen Ehemann für sie zu suchen, der ihrer Stellung entspricht. Als ihre amouröse Verbindung zu James auffliegt, sorgt der Hausherr mit einer Lüge dafür, dass der junge Mann das herrschaftliche Anwesen überstürzt und ohne Abschiedsworte verlässt.
Mr. Pommeroy (Moritz Bleibtreu) fährt dem vermeintlich sicheren Sieg entgegen Prime Video/Gordon Muehle
Einige Jahre später – nach dem Tod ihrer Eltern bei der Jungfernfahrt der Titanic – hat Sophie im Schloss das Sagen und ist über James’ Flucht langsam hinweggekommen. Neues Unheil zieht allerdings in Gestalt eines peniblen Bankers (Michael Kessler) auf, der den ach so originell-lustigen Namen Thinwhistle (also „Dünnpfiff“) trägt. Da die junge Frau insolvent ist, droht die Pfändung ihrer Besitztümer. Was also tun? Zusammen mit dem treu ergebenen Mortimer nimmt sich Sophie einige Porträtkarten zahlungskräftiger Junggesellen vor und wischt analog all jene zur Seite (einer der wenigen guten Gags), die nicht ins Beuteschema passen. Fünf stattliche Herren bleiben schließlich übrig, die praktischerweise allesamt den anstehenden Ball des liebestollen Königs (Wotan Wilke Möhring) besuchen. Zugegen ist dort natürlich auch James, der sich als Diener und Problemlöser in den vergangenen Jahren die Gunst des Herrschers gesichert hat. Der Butlersohn und die junge adelige Dame treffen auf dem Fest wieder aufeinander.
Aus dieser Prämisse zimmert das „Dinner for One“-Prequel einen zwischen „Die Bachelorette“, „Verbotene Liebe“ und einem belanglosen Murder-Mystery schwankenden Verwicklungsreigen, der schon früh mühsam gestreckt werden muss. Dass sich Missverständnisse auftürmen und dadurch immer neue Probleme entstehen – diese dramaturgische Strategie kennt man aus vielen Filmen und Serien. „Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“ führt sie teilweise aber komplett ad absurdum. Will heißen: Die Figuren reden derart gewollt aneinander vorbei, dass es einfach nicht mehr komisch ist. Weder ein auf witzig getrimmter Drogentrip noch ein Ausflug in eine Art französisches Hippie-Dorf schlagen die beabsichtigten kreativen Funken. Manchmal wähnt man sich gar in einem Laientheaterstück, bei dem alle ohne jede Vorplanung wild drauf losimprovisieren.
Von links nach rechts: Sir Toby (Jacob Matschenz), Admiral von Schneider (Christoph Schechinger), Sophie (Alicia von Rittberg), Mr. Winterbottom (Frederick Lau) und Mr. Pommeroy (Moritz Bleibtreu) amüsieren sich beim Pferderennen Prime Video/Gordon Muehle
Die Emotionen der Charaktere halten oft nur für eine Szene an, sind danach fast wie weggewischt. Bestes Beispiel ist der Tod einer Person am Ende der zweiten Folge. Überhaupt scheint Beliebigkeit eine der obersten Prinzipien zu sein. Ironische Scherze zur Position der Frau in der damaligen Ständegesellschaft tauchen ebenso zusammenhangslos auf wie Verweise auf „Der Pate“, Klaus Kinski oder „Apocalypse Now“ („Ich liebe den Duft von gebratenem Speck am Morgen!“). Wortspiele bewegen sich meistens auf Kalauerniveau. Als etwa an einer Stelle von einem Medium, also jemandem mit übernatürlichen Fähigkeiten, die Rede ist, will eine Figur wissen: „Medium oder medium rare?“
Mindestens ebenso nervig wie die lieblos zusammengebastelte Handlung und die zahlreichen schalen Gags sind die Karikaturen der fünf potenziellen Ehemänner, die sich Sophie nach nur einem Gespräch gleich bedingungslos an den Hals werfen. Das Motto lautet hier offenbar: So viele Länderklischees wie möglich anzuhäufen. Der französische Champagner-Unternehmer Mr. Pommeroy, den Darsteller Moritz Bleibtreu mit breitestem Akzent spielt, ist ein Lebemann und Feingeist, während dem bürgerlichen Briten Mr. Winterbottom (Frederick Lau) alles Mögliche peinlich ist, außer seinem derben Humor. Der US-Milliardär Sir Toby (Jacob Matschenz) wiederum tritt genau so breitbeinig und hemdsärmelig auf, wie man sich einen typischen Ami vorstellt. Admiral von Schneider (Christoph Schechinger) präsentiert sich, Preuße durch und durch, selbstredend als Inbegriff von Akkuratesse. Und der ebenfalls um Sophies Hand anhaltende ungarische Graf Szabos (Vladimir Korneev) versinnbildlicht auf penetrante Weise den Schwermut, der seinen Landsleuten nachgesagt wird. Mehrfach scherzt die Serie über die vergleichsweise hohe Selbstmordrate in Ungarn. Stereotypen aufzugreifen, kann fruchtbar sein. Sie mitunter szenenlang ohne jegliche Brechung auszuwalzen, ist irgendwann aber nur noch ermüdend. Ganz nebenbei verwässert die in „bester“ Rosamunde-Pilcher-Manier ablaufende Hochglanzromanze um Sophie und James auch die frivole Schlusspointe des Sketches, der bekanntlich damit endet, dass der Butler seiner Chefin in ihre Schlafgemächer zum „Ausruhen“ folgt und dabei sein „Bestes geben will“.
Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Folgen von „Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“.
Meine Wertung: 1,5/5
Alle sechs Episoden der Serie „Miss Sophie – Same Procedure as Every Year“ werden am Montag, dem 22. Dezember über Prime Video veröffentlicht.
Über den Autor
Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.