Das deutsche Fernsehjahr 2020 im Rückblick (Teil 2): „Lindenstraße“-Abschied, „Tatort“-Jubiläum und „Verbotene Liebe“-Comeback

Zweiter Karrierefrühling für Pocher, Fake-Vorwürfe gegen Joko & Klaas

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 26.12.2020, 09:00 Uhr

Das deutsche Fernsehjahr 2020 im Rückblick (Teil 2): "Lindenstraße"-Abschied, "Tatort"-Jubiläum und "Verbotene Liebe"-Comeback – Zweiter Karrierefrühling für Pocher, Fake-Vorwürfe gegen Joko & Klaas – Bild: gff/WDR/TVNOW/Benno Kraehahn/ProSieben/Screenshot/Repro: WDR

Im ersten Teil unseres Rückblicks auf das deutsche Fernsehjahr 2020 haben wir die Konsequenzen der Corona-Krise, den Trend der Masken-Musikshows, den zweifachen „DSDS“-Skandal und Trash-TV-Tiefpunkte beleuchtet. Im zweiten Teil geht es nun um weitere Themen, die die Fernsehwelt darüber hinaus bewegt haben. Es gab einige Jubiläen zu feiern, doch es haben sich auch langjährige TV-Institutionen verabschiedet. Welche positiven und negativen Trends ließen sich im zurückliegenden Fernsehjahr beobachten?

Abschiede des Jahres

Bye Bye „Lindenstraße“ – Ein Stück deutscher Fernsehgeschichte endete nach 34 Jahren

Das „Lindenstraße“-Ensemble WDR/​Thomas Kost

2020 brachte auch einige Abschiede langjähriger Serien mit sich. Nach 34 Jahren und vier Monaten endete die Kultserie „Lindenstraße“. Die finale 1758. Folge „Auf Wiedersehen“ wurde am 29. März ausgestrahlt. Das Interesse war zum Finale noch einmal um einiges größer als in den vergangenen Jahren. Mehr als vier Millionen Menschen nahmen Abschied von Mutter Beimer und Co.

Als erste wöchentliche Serie im deutschen Fernsehen sollte die „Lindenstraße“ die Schicksale und Geschichten des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland abbilden. Seit dem 8. Dezember 1985 spiegelte die „Lindenstraße“ auf fiktionale Weise mit ihrer Figurenkonstellation realitätsnah die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens und deren Entwicklung wider. Die Serie schreckte nicht davor zurück, harte Themen anzupacken: Alkohol- und Drogensucht, Ausländerfeindlichkeit und Neonazis, HIV und Aids, Suizid, Abtreibung, Sterbehilfe, Vergewaltigung, Anti-Atomkraft und Öko-Strom, Essstörungen, Alzheimer, Parkinson, Ehebruch, Flüchtlingsproblematik. Als eine der ersten Serien zeigte die „Lindenstraße“ einen Kuss zwischen zwei Männern.

Im November 2018 teilte die ARD die Entscheidung mit, die „Lindenstraße“ einzustellen. Die Fernsehprogrammkonferenz der ARD hatte sich mehrheitlich gegen eine Verlängerung des Produktionsvertrages mit der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion ausgesprochen. Als Grund für die Entscheidung nannte Programmdirektor Volker Herres das gesunkene Zuschauerinteresse und Sparzwänge, die nicht länger mit den Produktionskosten der Serie vereinbar seien. 2019 gab es mehrere Demonstrationen in deutschen Großstädten für den Erhalt der Serie – doch auch das hat nichts geholfen. Einen adäquaten Ersatz gibt es seit dem Ende der „Lindenstraße“ nicht. Stattdessen wurde das bestehende Sonntagsprogramm ausgedehnt. Die Sendezeiten vom „Bericht aus Berlin“ und der „Sportschau“ wurden einfach verlängert. Die zahlreichen Requisiten, Kostüme und Kulissen der „Lindenstraße“ bleiben als Museumsstücke erhalten (zum ausführlichen Rückblick auf die „Lindenstraße“).

Aus für „SOKO München“ und „SOKO Kitzbühel“

„SOKO München“ verabschiedet sich ZDF/​Markus Sapper

Vor einem Jahr gab das ZDF überraschend bekannt, sich von seinem Serien-Dauerbrenner „SOKO München“ zu trennen. Mitte September fiel der Startschuss für die Ausstrahlung der letzten Staffel. Zum Finale der langjährigen Krimiserie wurde noch ein abschließender Langfilm produziert, der am 29. Dezember um 20:15 Uhr ausgestrahlt wird.

Am 2. Januar 1978 sendete das ZDF die erste Folge der Krimiserie, damals noch unter dem ursprünglichen Titel „SOKO 5113“. 2016 erfolgte die Umbenennung in „SOKO München“, mit der auch inhaltliche Veränderungen einhergingen. Neben dem obligatorischen Fall der Woche wurde fortan auch horizontal mit fortlaufenden Handlungssträngen erzählt. Die Quoten waren nach wie vor mit bis zu 19 Prozent Marktanteil mehr als ordentlich, daher kam die Verkündung des Serienendes besonders unerwartet. Als Grund für das Aus von „SOKO München“ nannte das ZDF die Modernisierung des Programmangebots. Als Ersatz werden sich ab 2021 die jungen Ableger „SOKO Potsdam“ und „SOKO Hamburg“ den Sendeplatz am Montag um 18 Uhr teilen.

Darüber hinaus haben das ZDF und der ORF das Aus des österreichischen Ablegers „„SOKO Kitzbühel“ verkündet. Nach „SOKO Leipzig“ handelt es sich um das zweite Spin-Off, das seit 2001 produziert wird. Bisher wurden stolze 250 Folgen in 19 Staffeln ausgestrahlt. Mit der derzeit im Dreh befindlichen 20. Staffel soll die Serie beendet werden. 2022 soll als Ersatz die neue „SOKO Linz“ an den Start gehen. In der oberösterreichischen Hauptstadt wird ein „neues Top-Team“ ermitteln. Allerdings sollen nicht nur der Standort und die Ermittler neu sein, sondern auch das Setting. So wird die „SOKO Linz“ als Polizeikooperationszentrum geführt, das im Dreiländereck Österreich, Deutschland und Tschechien zum Einsatz kommt.

„Familie Dr. Kleist“ endet nach 16 Jahren

ARD/​Jacqueline Krause-Burberg

Nach 16 Jahren trennte sich Das Erste von Francis Fulton-Smith und seiner Serien-Praxis „Familie Dr. Kleist“. Grund für das Aus waren wohl die am Vorabend unbefriedigenden Quoten für die Serie, die einst in der Primetime große Erfolge feierte. „Familie Dr. Kleist“ startete 2004 im Hauptabendprogramm des Ersten und war als Mischung aus Arzt- und Familienserie von Anfang an äußerst erfolgreich. Auch die letzte, 2013/​14 in der Primetime gezeigte Staffel brachte es noch auf durchschnittlich 5,4 Millionen Zuschauer. Dennoch entschloss man sich beim Sender zu einer Verlegung in den Vorabend, wo erfolgreiche Formate damals händeringend gebraucht wurden. Die Rechnung ging letztendlich nicht auf. Zuletzt schalteten durchschnittlich nur noch 2,1 Millionen Zuschauer ein. Neun Staffeln und 129 Episoden wurden produziert, wobei das am 21. Januar ausgestrahlte Finale der neunten Staffel zum Serienfinale geworden ist.

„Pastewka“ verabschiedet sich nach zehn Staffeln

Amazon Prime Video

Ein letztes Mal kehrte Bastian Pastewka im Februar in die Rolle seines Lebens zurück. Die finale zehnte Staffel von „Pastewka“ wurde wie die Staffeln acht und neun für den Streamingdienst Prime Video produziert. Nach insgesamt 15 Jahren und 97 Episoden verabschiedete sich die enorm erfolgreiche Comedyserie wie gewohnt mit jeder Menge Chaos. Laut Hauptdarsteller Bastian Pastewka wollten alle Beteiligten die Serie in bester Verfassung beenden. Die Serie hat sich auch deshalb so lange gehalten, weil jede(r) einzelne von ihnen zu jeder Zeit Lust darauf hatte. Der Kontakt zwischen uns ist nie abgerissen, auch nicht während der vierjährigen Pause zwischen 2013 und 2017. Wir sind Freunde und helfen uns untereinander, wenn es nötig ist. Das trage ich im Herzen – sicherlich mit Wehmut, aber auch mit der Erleichterung, dass es auf diese Weise zu Ende gegangen ist und wir nicht mittendrin abgesetzt oder noch einmal in eine schwebende, unbestimmte Pause geschickt wurden, so Pastewka im fernsehserien.de-Interview.

Ende einer Ära: Das Deutsche Fernsehballett wurde aufgelöst

MDR/​Carlo Bansini

Das Deutsche Fernsehballett, eines der wenigen Überbleibsel des DDR-Fernsehens, ist Geschichte. Im Oktober verabschiedete sich das Ballett mit einer großen, von Ross Antony moderierten Abschiedsshow im MDR. Gründe für das Aus sind die Kosten und die deutlich geringeren Buchungen des Balletts in den vergangenen Jahren. Zuletzt hatte lediglich der MDR noch das Deutsche Fernsehballett eingesetzt, während es etwa vom ZDF seit 2017 keinen Auftrag mehr gab. Dies hatte den Hintergrund, dass die Zusammenarbeit zwischen Carmen Nebel und Ballett-Inhaber Peter Wolf, der viele Jahre Nebels Manager war, im Streit endete. Die Zeiten haben sich geändert. Die ganzen großen Shows mit Ballett gibt es nicht mehr, so Wolf. Im Frühjahr 2021 sollte es eigentlich noch eine große Abschiedstournee geben, doch die wurde aufgrund der Corona-Pandemie ersatzlos gestrichen.

Das Deutsche Fernsehballett wurde 1962 mit zunächst acht Tänzerinnen in der DDR gegründet. Das Ensemble vergrößerte sich bis 1967 auf 20 Mitglieder. Regelmäßig traten sie in der Samstagabendshow „Ein Kessel Buntes“ zusammen mit nationalen und internationalen Künstlern auf. Auch in dem Weihnachtsklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ wirkten Mitglieder des Fernsehballetts mit und sind in den auf Schloss Moritzburg gedrehten Ballszenen zu sehen. Nach dem Ende der DDR 1990 war zunächst unklar, ob das Fernsehballett weiter existiert. Kurz vor der Abschaltung des DDR-Fernsehens am 31. Dezember 1991 bot der Fernsehdirektor des neu gegründeten MDR Fernsehens eine Erhaltung des Fernsehballetts und eine Anbindung an seinen ARD-Sender an. Bereits Ende 2013 stand das Fernsehballett schon einmal kurz dem Aus. Damals konnte das Ende des Balletts mit Hilfe von Prominenten noch abgewendet werden.

„Verbotene Liebe“ ist wieder da

TVNOW/​Benno Kraehahn

Für Soap-Fans hatte 2020 einen echten Knaller im Gepäck: Fünf Jahre nach dem Aus von „Verbotene Liebe“ kehrte die Seifenoper zurück. Die Fortsetzung „Verbotene Liebe – Next Generation“ wird von UFA Serial Drama allerdings nicht mehr für die ARD produziert, sondern für den Streamingdienst TVNOW der Mediengruppe RTL. Anders als die ursprüngliche Serie handelt es sich nicht um eine Daily Soap, sondern um eine wöchentliche Serie. Die Handlung dreht sich um Modezar Robert Verhoeven (Heinz Hoenig) und seine Familie.

Nach außen ziehen alle Mitglieder des Society-Clans harmonisch an einem Strang. Doch im Inneren herrschen bittere Grabenkriege zwischen Robert und seinem Sohn Alexander (Frederik Götz), seiner Tochter Livia (Livia Matthes) und dem jüngsten Sohn Paul (Lennart Betzgen). Vor allem Mutter Eva (Stephanie Japp) leidet unter der Situation. Aus der Originalserie sind einige liebgewonnene Figuren wieder dabei: Ansgar von Lahnstein (Wolfram Grandezka) wird nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Darüber hinaus gibt es ein Wiedersehen mit Carla von Lahnstein (Claudia Hiersche), Charlie Schneider (Gabriele Metzger), Oliver Sabel (Jo Weil) und der gefürchteten Gräfin Clarissa von Anstetten (Isa Jank).

Unserem Soap-Experten Ralf Döbele gefällt das Comeback ausgesprochen gut. Den Machern der ‚Next Generation‘ gelingt etwas, das in seinen letzten Jahren nicht einmal mehr dem Original gelungen ist: Dieses wohlige Gefühl zu erzeugen, das ein langjähriger Soap-Fan durch die von Anstettens und von Lahnsteins noch sehr gut kennt – und das er unglaublich vermisst hat. ‚Verbotene Liebe‘ macht so endlich wieder Lust auf mehr (zum ausführlichen Review).

„Sunny – Wer bist Du wirklich?“ TVNOW/​ Sebastian Geyer

So gelungen die VL-Fortsetzung ist, so enttäuschend geriet „Sunny – Wer bist Du wirklich?“, das neue Spin-Off zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. In einer abgeschlossenen Miniserie für TVNOW wollten die Macher eine 20-teilige Crime-Thriller-Story um Hauptfigur Sunny Lehmann (Valentina Pahde) erzählen. Sunny zieht darin für eine Fotografie-Masterclass von Berlin nach München. Doch ihre Rückkehr in die glitzernde VIP-Welt der bayerischen Hauptstadt wird für sie zu einem rauschhaften Trip. Es kommt zu einem geheimnisvollen Todesfall und Sunny erwacht nach dem Ereignis ohne Erinnerungen an den Vorabend. Durch den Filmriss stellt sich bei Sunny die Frage: Wäre sie zu einer Beteiligung an dem Todesfall fähig gewesen?

Der Ton ist durchaus ein anderer als der von „GZSZ“ – und dennoch wurde viel Potenzial verschenkt. Es scheint, als hätten die Macher ihrem eigenen Konzept, ihren Figuren und der von ihnen angestrebten Erzählweise und Optik selbst nicht so recht über den Weg getraut. Abgrundtief unsympathische Charaktere lösen keinen Einschaltimpuls aus – in der Soap-Welt muss man auch Bösewichte lieben können (zur ausführlichen Kritik).

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