Am 28. April feiert der Kinder- und Familiensender Super RTL einen runden Geburtstag. Seit 30 Jahren ist das besonders bei 3- bis 13-jährigen Kindern beliebte Spartenprogramm aus der RTL-Familie mittlerweile auf Sendung. In den meisten Jahren seit 1998 konnte sich Super RTL sehr klar als Marktführer in dieser Zielgruppe behaupten, so auch wieder in 2024 mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 17,4 Prozent (bezogen auf die Sendezeit von 6:00 Uhr bis 20:15 Uhr). Neben dem öffentlich-rechtlichen KiKA zählt Super RTL damit bis heute zu den reichweitenstärksten Kinderkanälen im deutschen Fernsehen. Anlässlich des kleinen Jubiläums blicke ich mit diesem persönlich gestalteten Beitrag zurück auf die allerersten Super-RTL-Sendejahre, in denen ich selbst noch ein Teil dieser jungen Zielgruppe war. Darüber hinaus berichte ich, wie sich im Laufe der Zeit meine Perspektive auf Super RTL veränderte und wie ich den Sender schließlich im Rahmen meines Masterstudiums der Kommunikationswissenschaft für eine vergleichende Langzeitanalyse etwas genauer unter die Lupe nahm.
28. April 1995: „Neuer Sender am Start“
Der Sendestart von Super RTL war für mich seinerzeit ein spannendes Ereignis. Schon einige Wochen zuvor konnte man in diversen TV-Zeitschriften lesen, dass es bald ein Wiedersehen mit den vom ARD–„Disney Club“ bekannten Zeichentrickserien „Chip & Chap – Die Ritter des Rechts“, „Darkwing Duck“ und anderen Helden aus dem Hause Disney geben würde. „Neuer Sender am Start“ lautete die Überschrift nach meiner Erinnerung in der auf einen blick. Angekündigt wurde vom damaligen Geschäftsführer Peter T. Heimes „familiengerechte Unterhaltung für alle ohne Brutalität und Sex“. Dies wirkte wie ein „Heile Welt“-Versprechen, machte diesen Sender für mich aber gerade deshalb sehr attraktiv – ganz im Sinne der medienpsychologischen Eskapismus-These. Denn in der Realität fühlte ich mich seit dem Wechsel aufs Gymnasium bedingt durch Mobbingerfahrungen und dem damit einhergehenden Gefühl, in der falschen Zeit zu leben, nicht mehr besonders wohl.
Als damals 11-Jähriger hatte ich nur wenig Zweifel daran, dass erwachsene Menschen in verantwortungsvollen Medienberufen einen solchen Leitgedanken, wie ihn Peter T. Heimes verkündete, wirklich ernst nehmen. So vertraute ich zunächst voll darauf, dass Super RTL ein absolut bedenkenloses Programm anbieten und mit schönen Archivschätzen von früher anreichern würde. Insbesondere die Wiederholungen von ehemals im öffentlich-rechtlichen Kinderprogramm gezeigten Sendungen wirkten auf mich geradezu wie ein Gütesiegel. Außerdem verband ich die Marke Disney mit zwar humorvoller, aber dabei stets märchenhafter und liebevoller Unterhaltung, wie sie sich in den damaligen Kinoerfolgen „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ und „Der König der Löwen“ widerspiegelte. Für mich stand daher sehr schnell fest, dass ich die Welt dieses neuen Senders gerne entdecken und erleben wollte. Und in der Tat wirkte zu Beginn alles noch sehr persönlich und auf warmherzige Art verspielt.
1995 bis 1997: Die zauberhafte Frühphase von Super RTL
Charakteristisch für die ersten Sendejahre war ein Programmablauf mit genrespezifischen Sendestrecken. Das absolute Highlight für Kinder und damals auch noch für mich waren stets die zwischen 18:00 Uhr und 19:45 Uhr gezeigten Disney-Zeichentrickserien. Super RTL zeigte sie damals sogar noch mit vollständigem Abspann (den die ARD innerhalb des „Disney Clubs“ unterschlagen hatte). Neben den bereits erwähnten zählten 1995 noch „Neue Abenteuer mit Winnie Puuh“ und „Abenteuer mit Micky & Donald“ dazu. Ab 1996 folgten „Disneys Gummibärenbande“, „Käpt’n Balu & seine tollkühne Crew“ und „Arielle, die Meerjungfrau“, während die anderen Serien teilweise auf alternativen Sendeplätzen in Endlosschleife weiterhin on air waren. Neben einer bunten Auswahl von Spielfilmen für Jung und Alt liefen am späten Abend und als Nachmittagswiederholung Krimiserien wie „Der Chef“, „Einsatz in L.A.“ oder „Solo für O.N.C.E.L.“ sowie familienfreundliche US-Sitcoms wie „Harrys Nest“ und Wiederholungen der kultigen Tortenshow „Alles Nichts Oder?!“, die ursprünglich von 1988 bis 1992 bei RTL gelaufen war.
„Alles Nichts Oder?!“ wurde anfangs sogar dreimal werktäglich gezeigt. Bei RTL hatte ich diese etwas unkonventionelle Show nie gesehen, was ich nun nachholen konnte. Einen gewissen Unterhaltungswert hatte die Sendung, in der sich Prominente klamaukigen Wortspielen unterziehen mussten, für mich durchaus. Aber jedes Mal, wenn Hella von Sinnen wieder einmal über die seinerzeit von Hugo Egon Balder moderierte RTL-Show „Tutti Frutti“ lästerte, kamen mir Zweifel, ob es sich bei „Alles Nichts Oder?!“ wirklich um kindgerechte Unterhaltung für die ganze Familie handelt, was ja schließlich die oberste Maxime von Super RTL war.
Wiederholungen von Gameshows im Stil von „Der Preis ist heiß“ (später bei tm3 wiederholt), „Familien-Duell“ oder die allerersten Folgen der „100.000 Mark Show“ (die anscheinend nicht kindgerecht genug für den Sender war) hätte ich damals wesentlich lieber im Programm von Super RTL gesehen. Denn solche Shows, in denen es für nichtprominente Kandidatinnen und Kandidaten im Extremfall um „alles oder nichts“ ging, garantierten weitaus mehr Spannung und Nervenkitzel. Eine kleine Entschädigung für die vermissten Gameshow-Wiederholungen war jedoch die neuproduzierte „Super RTL Familie“. Darin präsentierte Birgit Lechtermann (ein mir sehr vertrautes Gesicht der ZDF-Kindershow „1, 2 oder 3“) in jeweils drei fünfminütigen Ausgaben pro Werktag Familien, die in kurzweiligen Spielen („Heiße Ohren“, „Tabu“) ihr Können und ihr Schauspieltalent unter Beweis stellen sollten.
Mit besonders großer Faszination verfolgte ich in dieser Phase die Wiederholung der US-Sitcom „Mein Vater ist ein Außerirdischer“, die montags-freitags um 19:45 Uhr auf die Disney-Primetime folgte. Bis dato waren US-Sitcoms eher nicht so mein Fall gewesen. Aber hier wurde das Genre geschickt mit Science-Fiction- und Fantasy-Elementen verwoben, was an meine Vorliebe für Märchen und surrealistische Geschichten andockte. Ich stellte mir oft vor, wie einfach alles sein könnte, wenn ich auch über solche Superkräfte verfügen würde wie die Protagonistin Evie (Maureen Flannigan). Diese kann durch Verbinden ihrer beiden Zeigefinger die Zeit anhalten und mit ihrer Vorstellungskraft die Realität verändern, jedoch nur solange sie ihre Macht nicht missbraucht.
Obwohl mir die in der Serie thematisierten Teenager- und Jugendprobleme eher fremd waren, bot sie mir ein gewisses Identifikationspotenzial. Denn so wie Evie das Geheimnis über die Herkunft ihres Vaters und ihre außerirdischen Kräfte vor ihren Mitschüler:innen verbarg, so schwieg auch ich damals gegenüber meinen Altersgenossen zu dem Umstand, dass ich nach wie vor in der Welt der Märchen und Phantasiegeschichten zu Hause war. Denn dies galt zumindest zu meiner Zeit unter Teenagern und Jugendlichen zu Unrecht als kindisch, unreif und peinlich, was mich allerdings nicht daran hinderte, den Helden meiner Kindheit weiterhin treu zu bleiben.
Warum Super RTL ab 1998 für mich zunehmend an Bedeutung verlor
Weniger treu blieb ich hingegen dem Sender Super RTL, der sich ab 1998 immer mehr von seinem ursprünglichen familiären und heimelig anmutenden Konzept entfernte, wie über den Rückblick zum 25-jährigen Jubiläum nachzuvollziehen ist (fernsehserien.de berichtete). Dabei fühlte ich mich keineswegs zu alt, um mich für Kinderfernsehen zu begeistern. Im Gegenteil: Vor allem der 1997 gestartete Kinderkanal von ARD und ZDF (heute: KiKA), der im November 1997 endlich ins heimische NRW-Kabelnetz eingespeist worden war, bot mir eine große Auswahl an vertrauten und noch zu erkundenden Kindersendungen aus den üppigen Archiven der Öffentlich-Rechtlichen, was sich mit meiner nostalgischen Gefühlswelt wesentlich mehr deckte als das damals aktuelle Super-RTL-Angebot.
Je weiter die Zeit voranschritt und je mehr das Fernsehprogramm für Kinder optisch und inhaltlich modernisiert wurde, umso stärker wurde mein Bedürfnis, die Fernsehwelt, so wie ich sie in meiner Vorschul- und Grundschulzeit kennengelernt hatte, zu konservieren und auf Abruf stets um mich zu haben. Ich wollte einfach zurück zu den Wurzeln und nebenbei ergründen, was ich als Kind alles noch hätte sehen können, wenn ich schon früher geboren worden wäre. So galt mein späteres Interesse an Super RTL vor allem der Wiederbelebung von klassischen Formaten wie „Sindbad“, „Der rosarote Panther“, „Die Schlümpfe“ (die mir in der farblich überarbeiteten Version mit neuem Titelsong jedoch nicht behagten) und schließlich „Tom & Jerry“.
Sogar einige der Disney-Zeichentrickserien, die ich Mitte der 90er Jahre noch gerne gesehen hatte, waren mir zwar immer noch sympathisch, hatten für mich Anfang der 2000er aber keinen so großen Stellenwert mehr; klassische Disney-Filme wie „Alice im Wunderland“ und „Die Hexe und der Zauberer“ hingegen umso mehr. Der anfängliche Zauber eines Senders, den ich einst als kleines Kunstwerk wahrgenommen hatte, war für mich somit nach relativ kurzer Zeit verflogen. Aber es sollte ein Ereignis eintreten, das Super RTL in anderer Hinsicht wieder für mich interessant machte.