„Das Gift der Seele“: „House of Cards“- und „House of the Dragon“-Stars fahren Krallen aus – Review

Saftige Romanadaption lässt wohlhabende Galeristin und potenzielle Schwiegertochter aufeinanderprallen

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 09.09.2025, 17:00 Uhr

Ist Cherry Laine (Olivia Cooke) zu trauen? – Bild: Prime Video
Ist Cherry Laine (Olivia Cooke) zu trauen?

„Lügen haben kurze Beine!“ Diese Weisheit aus dem Volksmund scheint die neue Prime-Video-Serie „Das Gift der Seele“ mit Nachdruck belegen zu wollen. In der Verfilmung von Michelle Frances’ gleichnamigem Roman (im Original unter dem Titel „The Girlfriend“ veröffentlicht) reihen sich Unwahrheiten aneinander, deren Aufdeckung den Machtkampf zwischen einer Löwenmutter und der dubiosen Freundin ihres Sohnes nur noch mehr eskalieren lassen. Der saftige Psychothriller ist zwar etwas grob gestrickt, unterhält mit seinem schauspielerischen Duell und seinen ständigen Perspektivwechseln aber ganz ordentlich – so das Fazit nach Sichtung der ersten vier von insgesamt sechs Episoden.

Bringt das eigene Kind zum ersten Mal seine neue Liebe mit nach Hause, liegt nicht selten ein Hauch von Anspannung in der Luft. Mehr als das ist zu spüren, als in der von Gabbie Asher („Riviera“) und Naomi Sheldon adaptierten Miniserie der Medizinstudent Daniel Sanderson (Laurie Davidson, „Drive Me Crazy“) seinen Eltern Laura (Robin Wright, „House of Cards“) und Howard (Waleed Zuaiter, „Gangs of London“) seine neue Partnerin Cherry Laine (Olivia Cooke, „House of the Dragon“) vorstellt. Daniels Mutter ist von Anfang misstrauisch, bohrt nach, wenn ihr bestimmte Antworten nicht klar genug erscheinen, und wundert sich, dass Cherry genau den gleichen Armreif besitzt wie sie selbst. Äußert die junge Frau nicht zudem einen Satz, den die Hausherrin haargenau so erst kürzlich von sich gegeben hat? Und ist es nicht ganz schön dreist, dass Cherry Daniel in einem anderen Zimmer bei offener Tür oral befriedigt, wie Laura erschrocken beobachtet? Während Howard die Irritationen beiseiteschiebt, klingeln bei seiner Gattin sofort alle Alarmglocken.

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Ihre Vorbehalte sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Andererseits gibt es von Anfang an Anzeichen, dass Laura ihre Mutterrolle etwas zu raumgreifend ausfüllt. Noch immer sieht sie in Daniel ihren kleinen Jungen, den sie vor den Gefahren der Welt beschützen muss und dessen Lebensweg sie maßgeblich mitbestimmen will. Seine selbstständig getroffene Entscheidung, in Richtung Unfallchirurgie zu gehen, quittiert sie beispielsweise mit ungläubigem Protest. Offenbar schwebt ihr etwas anderes vor. Auch eine Geburtstagstradition aus Daniels Kindertagen ist ihr noch heute, da er längst erwachsen ist, sehr wichtig. Ebenfalls nicht zu übersehen: Ihren Sohn zu halten, ihm körperlich nahe zu sein, genießt Laura nach wie vor.

Daniel (Laurie Davidson) und seine Mutter Laura (Robin Wright) haben eine besondere Beziehung. Prime Video

Angesichts dieser Bindung hat Cherry einen schweren Stand. Allerdings bringt sie sich auch selbst in die Bredouille, indem sie sich als eine Person auszugeben versucht, die sie in Wahrheit nicht ist. Die vornehme Schule, die sie besucht haben will, kennt sie nur aus den Erzählungen einer Kollegin. Verglichen mit den stinkreichen Andersons – Laura betreibt drei Galerien und Howard ist Finanzinvestor – stammt Cherry, deren Mutter Tracey (Karen Henthorn, „EastEnders“) eine Metzgerei betreibt, aus einfachen Verhältnissen. Diese, so sieht es aus, möchte sie unbedingt hinter sich lassen und verfolgt ihr Ziel mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz. Als im Maklerbüro eine Beförderung an ihr, der Mitarbeiterin mit den meisten Abschlüssen, vorbeigeht, stellt sie ihren Chef wütend zur Rede und spukt anschließend der ihr vorgezogenen Person in den Kaffee. Auch der Umgang mit ihrem Ex-Freund (Leo Suter, „Vikings: Valhalla“) wirft kein allzu gutes Licht auf Cherry.

„Das Gift der Seele“ stellt zwei unterschiedliche Frauenfiguren gegenüber, die jedoch beide eine besitzergreifende Ader haben. Daniel, der eher blass bleibt, der nicht über das Klischeebild des Sohnes mit dem goldenen Löffel im Mund hinauskommt, wird zu einer Art Spielball. Wer hat mehr Macht über ihn, kann ihn besser kontrollieren? Diese Frage rückt immer mehr ins Zentrum. Den Holzhammer packen die kreativ Verantwortlichen regelmäßig aus. Subtil ist in dem Kampf um Anerkennung und Aufmerksamkeit nur wenig. Vielmehr biegt die edel bebilderte und schick ausgestattete Serie mitunter beherzt ins Trashige ab. Besonders eine drastische Entscheidung zu Beginn der vierten Folge kratzt an der Glaubwürdigkeit der Geschichte, sorgt aber dafür, dass der Konflikt zwischen den Protagonistinnen weiter eskaliert. Den Plot am Laufen halten an wichtigen Wendepunkten einige Zufälle.

Reizvoll ist zweifellos die Auffächerung der Handlung in Lauras und Cherrys Blickwinkel. In jeder Folge wechseln sich die Perspektiven ab. Bestimmte Momente, die vorher bereits einmal zu sehen waren, bekommen wir plötzlich durch andere Augen gezeigt, wobei sich in den Dialogen und den Handlungen kleine Veränderungen ergeben. Cherrys Reaktion etwa darauf, dass Laura sie beim ersten Treffen – versehentlich oder absichtlich? – mit Kaffee übergießt, läuft aus ihrer Sicht ein bisschen anders ab als aus der Warte ihrer Kontrahentin. Wurden gewisse Dinge wirklich so gesagt? Hat sich eine der beiden Frauen wirklich so verhalten? „Das Gift der Seele“ spielt mit der Wahrnehmung, die ja per se etwas zutiefst Subjektives ist. Erst recht, wenn derart aufgeheizte Emotionen um sich greifen wie in diesem Fall.

Haben Daniel (Laurie Davidson) und Cherry lange Grund zur Freude? Prime Video

Ein wenig erinnert die Serie damit an das Katz-und-Maus-Spiel in der Apple-Produktion „Disclaimer“, die Cate Blanchett als gefeierte Journalistin mit dunklem Fleck in der Vergangenheit und Kevin Kline als schmerzerfüllter Stalker aufeinanderprallen lässt. Alfonso Cuaróns Literaturverfilmung ist sicherlich cleverer gebaut und schauspielerisch noch eine Spur eindringlicher. Robin Wright und Olivia Cooke dabei zu beobachten, wie sich ihre Figuren immer mehr ineinander verbeißen, ist aber durchaus amüsant. „Das Gift der Seele“ erweist sich nicht zuletzt als Kampf der Blicke und der kleinen Gesten. Aspekte, die beide Darstellerinnen eindrucksvoll beherrschen. Vor allem Wright, die auch die ersten drei Episoden inszenierte, hat seit dem Netflix-Hit „House of Cards“ die Rolle der berechnenden Strategin und Strippenzieherin perfektioniert. Spannungstechnisch dürfte die Serie in den letzten beiden Folgen allerdings gerne noch etwas anziehen.

Meine Wertung: 3/​5

Alle sechs Folgen der Miniserie „Das Gift der Seele“ werden am Mittwoch, dem 10. September auf Prime Video veröffentlicht.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

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