TV-Kritik: „Ransom“

VOX zeigt internationale Ko-Produktion als Deutschlandpremiere

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 28.03.2017, 17:50 Uhr

Luke Roberts als Eric Beaumont in „Ransom“ – Bild: VOX / 2016 Ransom Television Productions Inc., Wildcats Productions and TF1. All rights reserved.
Luke Roberts als Eric Beaumont in „Ransom“

Was dem deutschen Fernsehzuschauer sein sonntäglicher „Tatort“, ist dem US-Publikum das Crime Procedural: Ein Trüppchen kluger (in der Regel auch attraktiver) Köpfe hat es jede Woche mit einem anderen Kriminalfall zu tun – und löst ihn selbstverständlich auch. „Criminal Minds“-Sender CBS, auch Hort der diversen „Navy CIS“-Ableger, hat sich auf die herz- und magenschonenden Variante dieser Procedurals spezialisiert, also auf solche, zu denen man prima bügeln, stricken oder aber das Abendbrot einnehmen kann. Zudem gibt es in diesem Genre einen neuen Trend, der zeitgeistgemäß obrigkeitsphobische Gelüste bedient und beweisen zu wollen scheint, dass Polizei und Justiz mit ihren Aufgaben hoffnungslos überfordert sind und endlich mal von hochspezialisierten privaten Firmen ersetzt werden sollten. Unlängst schickte CBS in diesem Geiste bereits Michael Weatherly als gelackten Jury-Manipulator und „Trial Scientist“ in „Bull“ ins Rennen, und jetzt wurden also auch noch die Fachkräfte für Kidnapping und Geiselnahmen outgesourcet: „Ransom“, kostenbewusst co-produziert mit kanadischen (Global), französischen (TF1) und deutschen Sendern (RTL), handelt von einem Krisenvermittler („crisis negotiator“) der Luxusklasse und zeigt, wie er und sein Team pro Folge (mindestens) ein Geiseldrama bewältigen.

Mit dem gleichnamigen Mel-Gibson-Thriller „Ransom“ von 1996 (deutsch: „Kopfgeld“) hat die in Toronto gedrehte Serie nur das Kidnapping-Thema gemein; eher schon ähnelt das Konzept dem zwei Jahre später gedrehten Actionkrimi „Verhandlungssache“ (englisch: „The Negotiator“) mit Samuel L. Jackson als Geiselnehmer und Kevin Spacey als Vermittler. Es ist auch heute noch ein gar nicht so abwegiges dramaturgisches Konzept, auf der Plot-Ebene vorwiegend mit Geiselnahmen und Entführungsfällen zu arbeiten: Das garantiert eine größtmögliche Dramatik, Hängepartien zwischen Leben und Tod, äußerste Gefahr und brenzlige Lösegeldübergaben, gnadenlose Countdowns und siedenden Suspense. Vor allem, wenn Kinder involviert sind. Was in „Ransom“ gleich in der ersten Folge der Fall ist.

Sarah Greene als Maxine Carlson in „Ransom“
Entwickelt wurde die Serie vom als Autor bislang noch kaum profilierten David Vainola und dem unermüdlichen Frank Spotnitz: Er schrieb früher für „Akte X“, schuf „The Man in the High Castle“ und ist außerdem ein Profi in Sachen länderübergreifender Co-Produktionen, etwa durch „Crossing Lines“ und zuletzt „Die Medici – Herrscher von Florenz“, die er beide produzierte. Vainola und Spotnitz stellen in guter alter „Dr.-House“-Tradition eine genialisch-schroffe, von einem multi-ethnischen Team umschwirrte Koryphäe ins Zentrum des Geschehens: Krisenvermittler Eric Beaumont ist dem Franzosen Laurent Combalbert nachmodelliert, einem Star-Negotiatior, der auch schon Bücher über sein Metier schrieb. Luke Roberts („Black Sails“) spielt Combalbert/​Beaumont mit akkurat getrimmtem Sechs-Tage-Bart, perfekt gebügeltem weißem Hemd (immer bis mindestens Höhe Schlüsselbein aufgeknöpft) und eng geschnittenen Designeranzügen. Er ist barsch, aber charmant und fährt mit seiner privaten Negotiating-Firma „Crisis Resolution“ einen klaren Kurs: Zwar hilft er dabei, Geiselnehmer zu besänftigen und gekidnappte Menschen zurückzuholen, doch mit der Strafverfolgung will er nichts zu tun haben. Wie Dr. House interessieren ihn keine „gewöhnlichen“ Fälle, sein Honorar ist exorbitant. Mehr erfährt man zunächst nicht von ihm, wie überhaupt die Drehbücher sehr geizig sind, was die Persönlichkeit der Protagonisten angeht. Viel Spielmaterial (jenseits der jeweiligen Kriminalfallrhetorik) haben die ohnehin nicht zur Topriege gehörenden Schauspieler nicht. Nach zwei Folgen wirken sie immer noch austauschbar, obgleich sehr zaghaft damit begonnen wird, Hintergrundstories aufzubauen.

Zu Beaumonts Kern-Team gehören die Ex-Polizistin und zweifache Mutter Zara Hallam (Nazneen Contractor, „Heroes Reborn“) und der Profiler Oliver Yates (Brandon Jay McLaren, „Graceland“), der in der Hitze des Gefechts im Sekundentakt psychologische Einschätzungen kundtut. In der Pilotepisode stößt noch ein viertes Mitglied zum Team: Maxine Carlson (Sarah Greene, „Penny Dreadful“) kommt frisch von der Uni und ist als überehrgeizige Klassenbeste ungefähr das, was Melissa Fumero alias Amy Santiago in der Fox-Comedy „Brooklyn Nine-Nine“ so herrlich parodiert. Maxine könnte, wie sie nervtötend stolz erzählt, überall arbeiten, bei Top-Anwälten oder weit oben im Polizeiapparat, doch sie möchte unbedingt in Beaumonts „Crisis Resolution“ arbeiten. Warum? Der private Link zu Beaumont wird schon am Ende der ersten Folge raunend angedeutet, und er klingt sehr melodramatisch. Weil Yates Maxines Bewerbung aber anfänglich abschmettert, trickst sie sich, indem sie dreist an einem Tat- und damit an Beaumonts Arbeitsort auftaucht, durch vorwitzige Einmischung in den Fall in die Gunst des Krisen-Genies. An dieser Stelle ist die pragmatische Oberflächlichkeit des Drehbuchs gut zu sehen: Schon in Episode zwei gehört Maxine wie selbstverständlich zum Team, ganz so, als wäre sie immer schon dabeigewesen. Die arrivierten Kollegen akzeptieren das junge Mitglied ohne Murren, nennen sie kumpelhaft „Max“ und scheinen den Plot der letzten Folge komplett vergessen zu haben. Gewiss, das ist in Procedurals der Economy Class nicht wirklich ungewöhnlich und geht für diesen Typus Serie prinzipiell auch in Ordnung, aber an möglichen weitergehenden Ambitionen dieser Serie lässt das natürlich früh erhebliche Zweifel aufkommen.

Und wie sind die Fälle? Naja. Die Pilotepisode macht mit einem religiös verwirrten Geiselnehmer in einer Kirche auf, den Beaumont per Bibelspruch (und jeder Menge Zufall) vom Zünden seiner Bombe abhält, schwenkt dann rüber nach Denver, wo ein reiches Ehepaar Lösegeld bezahlen soll, um den vor Jahren gekidnappten und erst jetzt zum Austausch feilgebotenen Sohn zurückzubekommen. Es gibt griechische Gangster, zwei mittelüberraschende Wendungen und eine unentschuldbar kitschige Szene in der Mitte. Oliver muss sich einmal als „Rivaldo Messi“, „the world’s greatest soccer player“, ausgeben; es fällt zielsicher die klischeehafteste aller klischeehaften Krimi-Floskeln („We got company!“, zu Deutsch: „Wir haben Gesellschaft!“, als Startschuss zu einer Verfolgungsjagd); und trotz der ganzen Psychospielchen, trotz aller Fern-Forensik vor gläsernen Monitoren entscheidet Beaumont den Fall am Ende doch mit einem simplen Faustkampf.

In der zweiten, thematisch deutlich interessanteren Episode wird ein an Leukämie erkrankter Baseballspieler (Dewshane Williams aus „Defiance“) mit einer rettenden, aber vorenthaltenen Knochenmarkspende erpresst. Die Folge ist spannender als der Pilot, doch auch hier ist die Auflösung wenig überraschend. Zudem sind sich die Macher nicht zu schade dafür, die spätestens seit dem „Schweigen der Lämmer“ in Film und Serie bis zum Überdruss etablierte „irreführende Parallelmontage“ einzusetzen. Die geht so: Die Retter nähern sich dem Täterkeller, der Täter tut im Keller Böses, die Tür geht auf, man erfährt: Die Retter sind in einem ganz anderen Keller. Dieser filmische Trick war mal spektakulär. Heute ist er ein abgegriffenes Gimmick.

Der Cast von „Ransom“ (v.l).: Oliver (Brandon Jay McLaren), Zara (Nazneen Contractor), Eric (Luke Roberts), Maxine (Sarah Greene)
Bei den Team-Mitgliedern wird es derweil eine Spur privater: Zara lebt mit Mann und Kindern in einem Traumhaus samt Swimmingpool, Oliver führt eine Fernbeziehung mit einer Frau in Seattle. Das war’s. Von Beaumont hingegen erfährt man bis dato gar nichts. Warum ist er so gut in diesem Beruf? Was hat er schon hinter sich? Wie lebt er? Mit wem? Was will er überhaupt (außer hohen Honoraren)? All dies bleibt erst einmal unbeantwortet. So kommt „Ransom“ den ersten Eindrücken nach über ein Standard-Procedural nicht hinaus. Zu sehen ist ein Routineprodukt in generischen Bildern und mit ebenso generischem Soundtrack, mit Figuren, die nicht in Erinnerung bleiben und Plots ohne große Sogkraft. Der Zynismus von „Bull“ bleibt einem hier zwar dankenwerterweise erspart, doch eine faszinierende Figur müsste aus Eric Beaumont erst noch werden.Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden von „Ransom“.

Meine Wertung: 2,5/​5


VOX strahlt die 13-teilige erste Staffel von „Ransom“ ab dem 29. März immer mittwochs um 21:15 Uhr als Deutschlandpremiere aus.

Gian-Philip Andreas

© Alle Bilder: VOX /​ 2016 Ransom Television Productions Inc., Wildcats Productions and TF1. All rights reserved.


Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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