„We Are Lady Parts“: Voldemort unter dem Kopftuch – Review

Die zu Recht gefeierte britische Comedyserie feiert endlich deutsche TV-Premiere

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 12.08.2025, 17:30 Uhr

Buchen Sie diese Band! (v. r.) Saira (Sarah Kameela Impey), Ayesha (Juliette Motamed), Amina (Anjana Vasan) und Bisma (Faith Omole) machen Rabatz, Momtaz (Lucie Shorthouse, l.) gibt die Managerin. – Bild: Channel 4 / ZDFneo
Buchen Sie diese Band! (v. r.) Saira (Sarah Kameela Impey), Ayesha (Juliette Motamed), Amina (Anjana Vasan) und Bisma (Faith Omole) machen Rabatz, Momtaz (Lucie Shorthouse, l.) gibt die Managerin.

Endlich! Eine der witzigsten britischen Comedy-Serien dieses Jahrzehnts kommt ins deutsche Fernsehen: „We Are Lady Parts“ erzählt von einer Punkband, die ausschließlich aus jungen Londoner Musliminnen besteht – vier Musikerinnen und eine Managerin, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Ausgezeichnet mit drei BAFTAs (British Academy Television Awards), der prestigeträchtigen Rose d’Or für Autorin Nida Manzoor und noch ziemlich vielen weiteren Preisen, zertrümmern die sechs 25-minütigen Episoden nicht nur jede Menge gerade Noten, sondern auch Klischees im Minutentakt.

Lady Parts – das ist britischer Slang für die weiblichen Genitalien. Kein schlechter Name für eine Punkband mit ausschließlich weiblicher Besetzung. Was aber, wenn die Musikerinnen religiös sind, muslimischen Glaubens zumal? Verbreiteten Vorstellungen zufolge dürfte sich ohrenbetäubendes Geschrammel, Geschrei und Getrommel (so die Boomer-Vorstellung von Punk) im Verbund mit unflätigen Songzeilen kaum mit den Frömmigkeitsvorstellungen des Islam in Einklang bringen lassen. Auch mit jenen des Christentums tut es das ja nicht. Dennoch klappt es – wenn man denn nur will. Das zeigt diese 2021 in Großbritannien produzierte Comedy-Serie mit einigem Nachdruck, befreiender Albernheit, einem großzügigen Maß an Chaos und kulturellen Einblicken in das multikulturelle London, die sich dabei wie von selbst ergeben. Ich persönlich habe die Serie im Original gesehen und bin besonders begeistert vom irren Wortwitz, den die fünf Hauptdarstellerinnen (wie auch alle Nebenfiguren) mit bewundernswertem Sinn für querliegende Pointen servieren. ZDFneo zeigt die Folgen nun ins Deutsche synchronisiert – das kann den ursprünglichen Humor natürlich nicht 1:1 abbilden.

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Das Zauberwort in „We Are Lady Parts“ ist Diversität – und zwar im ureigentlichen Sinne. Die vier Bandmitglieder, ihre Managerin, die Eltern, Freunde und Verwandten, Love Interests und Influencer: Nida Manzoor, die die Serie sowohl schrieb als auch inszenierte und als Showrunner leitete, zeigt die ganze Palette des muslimischen London (die Bevölkerung der britischen Hauptstadt ist zu 15 Prozent muslimisch), von ultra-konservativ bis betont säkular, von easy-going bis verbissen. Manche von ihnen tragen Kopftuch, eine sogar Niqab, andere tragen keins und stattdessen kurze Haare. Sie sind tätowiert oder queer oder hetero, frech oder schüchtern, Mütter oder Künstlerinnen oder angehende Wissenschaftlerinnen, sie sind arabisch oder südasiatisch oder Schwarz – divers eben. Andere Instrumente, andere Identitäten, komplexe Leben.

Noch klappt nicht alles mit der frommen Amina an der Gitarre. Sängerin Saira braust dann gerne auf. Channel 4 /​ ZDFneo

Autorin Manzoor ist inzwischen auch im Kino erfolgreich. Ihr erster Spielfilm „Polite Society“, eine Martial-Arts-Actionkomödie, bediente sich vor zwei Jahren eines recht ähnlichen Tonfalls wie „We Are Lady Parts“. Sie selbst entstammt einer pakistanisch-muslimischen Familie, nach ersten Kindheitsjahren in Singapur kam sie mit ihren Eltern nach England. Beim Schreiben der Drehbücher zur Serie bezog sie sich erklärtermaßen auch auf eigene Erlebnisse als Teenie und Twen in London, die sie dann satirisch auf Sitcom bürstete.

Angefangen hat die Erfolgsgeschichte, die „We Are Lady Parts“ inzwischen geschrieben hat, zunächst mit einem 2018 gedrehten Pilot-Kurzfilm für das sogenannte „Comedy Blaps“-Programm, mit dem der britische Sender Channel 4 seit bald anderthalb Jahrzehnten potenzielle neue Comedy-Serien austestet. Die Reaktionen fielen überwiegend positiv aus, teilweise aber auch heftig negativ – sowohl von rechter, islamophober Seite, die in Muslimen ausschließlich Messermörder und Massenvergewaltiger sehen will, als auch von streng gläubiger muslimischer Seite, natürlich aber auch aus der miefigen Ecke jener Kerle, die finden, dass sich Frauen egal welcher Religion in der Öffentlichkeit gefälligst artig benehmen sollen. Die Kommentare auf YouTube (hier der sehenswerte Film) bleiben seither deaktiviert. Die Sprengkraft der Thematik erweist sich letztlich also selbst als purer Punk: als Rebellion gegen die nur vermeintliche Wohlanständigkeit all jener, die denken, dass ihre eigene Lebensweise die einzig richtige ist.

Drei Jahre sollte es dann noch dauern, ehe aus dem 14-minütigen Kurzfilm die erste Staffel von „We Are Lady Parts“ wurde. 2021 lief sie bei Channel 4 und beim mitproduzierenden US-Streamingdienst Peacock. Der Plot des Kurzfilms wird innerhalb der ersten Folge der aus sechs Episoden bestehenden Staffel mehr oder weniger wiederholt, wenn auch mit teils ausgewechseltem Schauspielpersonal: Ritu Arya beispielsweise, die 2018 noch die Sängerin der Band spielte, hatte sich in der Zwischenzeit in der „Umbrella Academy“ eingeschrieben. Ansonsten passiert im Vorab-Piloten nichts Entscheidendes, was in der Serie nicht auch passieren würde.

Lockerer als ihre Tochter: Aminas Eltern Seema (Shobu Kapoor, l.) und Tariq (Madhav Sharma) wollen nur ihr Bestes. Channel 4 /​ ZDFneo

Die anfänglich drei Bandmitglieder sind im Wesentlichen dieselben geblieben: Sängerin, Rhythmusgitarristin und Bandgründerin Saira (jetzt gespielt von Sarah Kameela Impey aus der Krimiserie „Vera“) trägt kurze Haare und eine stets leicht missgelaunte Attitüde vor sich her. Nebenher arbeitet sie, hackebeilschwingend, in einer Halal-Metzgerei. Ansonsten kommt sie, seit dem Tod ihrer Schwester, weder mit ihrer Familie noch mit ihrem Freund so richtig klar. Schlagzeugerin Ayesha (Juliette Motamed, „Detective Grace“) ist dagegen ein Ausbund an Gelassenheit. Sie ist lesbisch, trägt Kopftuch und kutschiert Passagiere als Uber-Fahrerin durch London. Bassistin Bisma (Faith Omole) zeichnet als entschiedene Feministin Comics über Frauen, die via Menstruationsblut zu Superheldinnen à la Marvel mutieren. Wenn das der Imam hört! Managerin Momtaz (Lucie Shorthouse, „Bulletproof“, „Rebus“) ist das alles egal: Die sitzt vollverschleiert im Probenraum, schmaucht E-Zigarette und versucht, „Lady Parts“ online zu promoten.

Was dem Rebellinnen-Trupp allerdings noch fehlt, ist eine richtige Lead-Gitarristin. Das führt uns zur eigentlichen Hauptprotagonistin Amina, gespielt von Anjana Vasan. Die in Indien geborene Theaterschauspielerin, die bereits in drei „Black Mirror“-Folgen zu sehen war, ist die Idealbesetzung für die schüchterne Mikrobiologie-Doktorandin, die jenseits des Labors vor allem versucht, ein frommes Leben zu führen (und ihre Religion mit dem naturwissenschaftlichen Denken in Einklang zu bringen). Stets kopftuchtragend hätte sie gern endlich einen ebenso frommen Ehemann, doch wenn die über eine muslimische Dating-App herangematchten Kandidaten erfahren, dass Amina öffentlich Gitarre spielt, nehmen sie Reißaus. Amüsanterweise ist es Aminas Mutter, die weitaus liberaler und weltlicher unterwegs ist als ihre Tochter: Seema (ohne Kopftuch) wünscht Amina lieber eine gute Ausbildung und dann erst einmal ein paar Affären, ehe sie sich in den Hafen der Ehe begibt.

Dann aber lässt sich Amina bei einem Wohltätigkeitskonzert von den drei anderen Frauen trotz ihres gigantischen Lampenfiebers als Gitarristin anheuern – was sie in eine völlig neue Subkultur hinüberzieht, in der sie nun Songs wie „Voldemort Under My Headscarf“ singen oder in einem Pub voller rassistischer weißer Männer auftreten soll. Keine Frage: Ihr Leben wird sich entscheidend ändern, nicht zuletzt, weil sie dadurch Ayeshas attraktivem Bruder näherkommen kann.

Friend Zone oder mehr als das? Amina schwärmt für Ahsan (Zaqi Ismail). Channel 4 /​ ZDFneo

In den folgenden Episoden wird es Zerwürfnisse geben, aber auch Bonding-Momente beim gemeinsamen Kiffen im Urschrei-Retreat irgendwo im britischen Hinterland. Amina versucht zunehmend erfolgloser, ihr Doppelleben geheim zu halten – besonders vor ihrer konservativen besten Freundin Noor (Aiysha Hart, „Line of Duty“), deren Hochzeitsfeier ansteht. Eine hippe Influencerin, in die Ayesha sich verliebt, wird die Band zur Eigenpromotion ausnutzen, während Amina ihr Lampenfieber zu überwinden lernt. Am Ende gilt es, den Freundinnenzusammenhang trotzdem neu zu sortieren.

Wie in jeder guten Comedy ist der eigentliche Plot weniger wichtig als die Gags und der Kontext, in dem sie gezündet werden. Die Figuren wirken eingangs noch ein wenig „zurechterfunden“, ihre fulminanten Darstellerinnen machen sie dann aber doch überraschend fix zu echten Menschen, die über eine bloß skurrile Idee hinausweisen und deren nächsten (Miss-)Vergnügungen man nur allzu gerne zusieht. Manzoors Inszenierungsweise ist dabei betont verspielt: Angemessen lärmige Probenraumszenen stehen neben Dialogsequenzen aus dem bunten Alltagsleben im Londoner Stadtteil Camden und liebevoll aus der Realität rutschenden Fantasy-Einschüben, in denen Aminas Innenleben kommentiert wird – mit Sockenpuppen als Backgroundchor. Rockband-Parodiefilme wie „This is Spinal Tap“ klingen in alldem ebenso an wie Bollywood-Zitate, Musical-Euphorie und bewährte Sitcom-Albernheiten US-amerikanischer Provenienz.

Dass das auch auf längere Strecke gut funktioniert, hat die im vergangenen Jahr bei Channel 4 und Peacock gestartete zweite Staffel gezeigt, mit neuen, nicht minder irrwitzigen „Lady Parts“-Abenteuern, die diesmal vor allem um eine Konkurrenzband namens „Second Wife“ kreisen und den Drama-Anteil im Vergleich zur Chaos-Comedy der ersten Episoden insgesamt ein kleines bisschen hochfahren. Zudem hat die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai einen drolligen Gastauftritt. Ob und wann ZDFneo auch diese Staffel zeigt, ist derzeit noch ebenso unklar wie die Frage, ob eine dritte Staffel in der Pipeline steckt.

Erfreulich wäre es definitiv, denn in „We Are Lady Parts“ werden alle verfügbaren Stereotypen einmal kräftig durcheinandergekegelt. Die Serie lädt dazu ein, Vorurteile zu hinterfragen und wäre das perfekte Gegengift für alle, die sich die Welt allzu eindimensional einzurichten pflegen. Das Schönste an ihr aber ist: Hier wird nicht gepredigt, nicht doziert und nicht selbstgerecht in Gut und Böse sortiert. Stattdessen gibt’s das herrliche Chaos der Welt in drei Akkorden und ungestümem Uptempo. Und auch wenn längst nicht jeder Gag sitzt (und schon gar nicht jede Note – es geht hier schließlich um Punk!), bereitet es beim Zuschauen sehr viel Freude.

Dieser Text basiert auf der Sichtung beider Staffeln von „We Are Lady Parts“.

Meine Wertung: 4,5/​5

ZDFneo zeigt die erste Staffel von „We Are Lady Parts“ am 12. August ab 22:35 Uhr mit allen sechs Folgen am Stück. Ab dem 13. August liegen diese ab 10:00 Uhr auch on Demand zum Streamen auf ZDF.de bereit.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Was ist denn eigentlich die Realität? Die Gitarre sowie insbesondere das Klavier sind im Islam Instrumente, die teilweise öffentlich zerstört oder verbrannt werden. Das wird dann von den Männern (!!!) mit Gewehrschüssen gefeiert..
    Weiter: Trotz Gitarre trägt die Frau in der Serie weiter Kopftuch. Klar, das macht auch Freude, sich permanent außerhalb der Wohnung zu verschleiern. Der männliche Hintergrund spielt da mit Sicherheit auch eine Rolle, vor allem, da der Mann, bärtig wie er ist, sich in Natura geben kann, wie er ist und wie er sich feiert.

    Es ärgert mich extern, wenn solche Produktionen auch noch als Fortschritt gefeiert werden und vollkommen neben der Realität versendet werden. Wenn eine muslimische Frau endlich frei sein möchte, lässt sie das Kopftuch weg. Schaut Euch die Kämpferinnen im Iran an..

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