„Tom Clancy’s Jack Ryan“: Terroristenhatz mit Rückenschmerzen – Review

Hochwertiger Cast, effektive Action – aber auch die Neuerfindung des Agentengenres?

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 30.08.2018, 19:53 Uhr

John Krasinski als Jack Ryan – Bild: Prime Video
John Krasinski als Jack Ryan

Jack Ryan ist fraglos eine der populärsten Agentenfiguren in der amerikanischen Unterhaltungsliteratur der 1980er Jahre und definitiv die bekannteste Figur, die Bestseller-Autor Tom Clancy ersonnen hat. Hollywood ist es dennoch nie so richtig gelungen, aus den Büchern eine ähnlich ikonische Filmreihe zu machen. Die fünf Ryan-Einzelfilme, die zwischen 1990 und 2014 entstanden, waren für sich genommen durchaus erfolgreich, doch ein vergleichbares Profil wie die Reihen um James Bond, Jason Bourne oder Ethan Hunt konnte sie nie gewinnen. Was vielleicht vor allem an der Figur Jack Ryan selbst liegen mag, die in den Romanen mehr Platzhalter für die abenteuerlich-heroischen Fantasien der Leser war als ein literarisch unverwechselbar ausgestalteter Protagonist.

Kein Wunder also, dass die Jack Ryans im Kino kamen und gingen: Alec Baldwin spielte ihn im oscarprämierten „Jagd auf Roter Oktober“, dann übernahm für „Die Stunde der Patrioten“ (1992) und im bis heute besten Teil der Reihe, „Das Kartell“ (1994), der seinerzeit 50-jährige Harrison Ford, ehe der damals 30-jährige Ben Affleck für „Der Anschlag“ (2002) den bis dato jüngsten Ryan spielte und nach zwölf Jahren Sendepause Chris Pine in „Jack Ryan: Schatten-Rekrut“ in dieselbe Rolle schlüpfte. Smart und athletisch: Das waren die Gemeinsamkeiten dieser Darsteller, sonst aber war Jack Ryan vor allem ein Held, der die ganze Welt, America first, vor dem Terror der Bösen (wahlweise Russen, kolumbianische Drug Lords oder Islamisten) beschützte. Die diversen Regisseure (darunter John McTiernan und Kenneth Branagh) haben die rechtslastigen Ausfälle und das apokalyptische Panik-Weltbild, das die Romane des beinharten Konservativen und Ronald Reagan-Verehrers Clancy auch immer beinhalteten, dabei abzumildern versucht – was aber nie vollständig gelang.

Nun also mit „Tom Clancy’s Jack Ryan“ ein Reboot. Acht Folgen für Amazon Video, konzipiert vom ehemaligen „Lost“-Produzenten Carlton Cuse und „Fringe“-Macher Graham Roland. Als Executive Producer ist zudem Blockbuster-Zampano Michael Bay mit an Bord, was all jene freuen wird, die bereits ungeduldig werden, wenn nicht alle fünf Minuten ein Auto explodiert. Zugegeben, man muss in der Serie immer mal wieder ein wenig länger warten, bis es so richtig rummst, aber auf mindestens eine ausgedehnte, aufwendig inszenierte Actionsequenz mit viel Geballer und Gebrüll pro Episode darf man sich einstellen. Hinzu kommen, wie es sich fürs Agentengenre gehört, allerhand wechselnde Schauplätze, wobei Syrien, Libanon und der Jemen hier von Allzweck-Drehort Marokko gedoubelt werden. Auf ein konkretes Clancy-Buch beziehen sich Cuse und Roland nicht, stattdessen strickten sie einen komplett neuen Plot um Ryan (und um ein paar andere aus den Romanen bekannte Figuren) herum, der aber in Gestus und Thematik durchaus den üblichen „Clancy-Geist“ atmet, obgleich sie der Psychologie und den Beweggründen des Antagonisten wesentlich mehr Platz einräumen als bislang.

In der Titelrolle besetzt wurde wieder mal ein Neuer. Der 38-jährige John Krasinski wurde als linkischer Jim in „The Office“ berühmt und fuhr jüngst mit seinem selbst inszenierten Sci-Fi-Gruselfilm „A Quiet Place“ einen verdienten Erfolg ein. Dr. Jack Ryan, promovierter Wirtschaftswissenschaftler, fristet hier, nach einer per Flugzeugabsturz beendeten Zeit bei den Marines und einem früheren Job als Börsenmakler an der Wall Street, ein eher aufregungsarmes Leben als Analyst der „Terror Finance and Arms Division“ (kurz: T-Fad) der CIA in Washington.

James Greer (Wendell Pierce) und Jack Ryan (John Krasinski) werden zu Weggefährten in der Agentur und im Feld
Am Schreibtisch im Großraumbüro untersucht er Finanzströme auf Auffälligkeiten, die auf illegale Geldzahlungen im Bereich Terrorismus oder Waffenhandel hindeuten; er fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, ist dort umringt von stereotyp nerdigen Co-Analysten. Dann bekommt er einen neuen Chef: Der zum Islam konvertierte James Greer (schön grantig gespielt von „The Wire“-Star Wendell Pierce) wurde nach einer desaströs geendeten Einsatzzeit in Pakistan und einer gescheiterten Ehe frisch degradiert zum Abteilungsleiter der T-Fad – eine Demütigung, die umso schlimmer ist, als jeder Untergebene darum weiß.

Das Spannendste an den ersten beiden Episoden ist denn auch das interne Duell zwischen Jack Ryan, der Greer von einem neuen Verdacht überzeugen will, und Greer, der als Mentor wider Willen Ryan zunächst keinen Glauben schenkt. Krasinkis und Pierces gemeinsame Szenen sind frühe Highlights der Serie. Ryan stolpert über merkwürdige Finanztransaktionen und kommt einem Islamisten namens Suleiman (charismatisch gespielt von Ali Suliman) auf die Spur, den er für den „nächsten Osama Bin Laden“ hält, also für einen Terrorfürsten, der ein fatales Attentat auf die USA planen könnte. Als Greer von anderer Seite Indizien erhält, dass Ryan Recht haben könnte, steckt er den Untergebenen kurzerhand in ein Flugzeug in den Jemen, um mit ihm dort in einem geheimen US-Armeekomplex Verdächtige zu verhören/​foltern. Ryan, der Schreibtischtäter, der ständig betont, er sei Analyst und schreibe „bloß Berichte“, muss plötzlich mitten rein ins Gefecht: Für die Glaubwürdigkeit der Fallhöhe, die in diesem Moduswechsel liegt, erweist sich die Besetzung mit dem ebenso intelligenten wie athletischen John Krasinski als Glücksfall. Dessen (an Martin Freeman erinnernde) lausbübische Verschmitztheit, seine in „The Office“ erprobten verwirrten Blicke und die dezent-ironischen Intonationen passen tatsächlich perfekt zu dieser Rolle.

Episode für Episode kommen Ryan und die T-Fad dem gesuchten Suleiman weiter auf die Schliche. Dazwischen knallt es gehörig. Bei der Befreiung des Terroristen aus dem jemenitischen Camp durch Suleimans Bruder Ali (Haaz Sleiman, „Ein Sommer in New York – The Visitor“) geht es nicht zimperlich zu – unter anderem wird in einer Leiche nach darin versteckten Waffen gewühlt. In der zweiten Folge läuft die Erstürmung eines Islamisten-Unterschlupfs in Paris aus dem Ruder; der Soundtrack von „Game of Thrones“-Komponist Ramin Djawadi trommelt dazu angemessen aufgeregt vor sich hin.

Wird wohl langfristig zur Frau in Jack Ryans Leben werden: Ärztin Cathy Mueller (Abbie Cornish)

Natürlich gibt es auch hier wieder die für US-Agentenstories, die im Mittleren Osten spielen, die bekannten Stereotypen um glutäugige, „Jalla! Jalla!“ brüllende und mit Kalaschnikows auf Jeeps sitzenden Islamisten. Parallel aber wird überraschend ausgedehnt und detailliert die Geschichte Suleimans erzählt, der (wie die stark inszenierte Rahmenhandlung der Pilotepisode zeigt) als Kind durch einen Luftangriff im Libanonkrieg verletzt und traumatisiert wurde. In der Jetztzeit ist es dann vor allem seine Frau Hanin (stark: Dina Shihabi), der die geheimen Terrortaten ihres Mannes zusehends unheimlicher werden, und die daher plant, mit ihren Kindern die Flucht zu ergreifen. Sie ist die mutige Frau in einer Welt versehrter Männer: Suleiman und sein Bruder sind von Brandwunden verunziert, Jack Ryan leidet seit seinem Afghanistan-Einsatz an chronischen Rückenschmerzen, Greer hadert mit seinem Glauben und CIA-Abteilungsleiter Singer („Leverage“-Star Timothy Hutton) wirft sich jede Menge Pillen ein. Ungebrochenes Helden-Pathos kann so gar nicht erst aufkommen.

Vieles bleibt eingangs indes noch sehr unterbelichtet, etwa die sich anbahnende Romanze Ryans zur Ärztin Cathy (Abbie Cornish, „Candy – Reise der Engel“) oder die eigentlich sehr spannende Rolle des CIA-Söldners Matice (John Hoogenakker). Auch über die CIA-Direktorin Joyce (Blair Brown, „Der Höllentrip“, „Fringe“) oder die französische Cop-Kollegin Sandrine (Marie-Josée Croze aus Spielbergs „München“) würde man gern noch mehr erfahren, während das Gewusel an Schergen, die rund um Suleimans Terrorzelle mitwirken, darunter Waffen und Drogenhändler und andere zwielichtige Figuren, zunächst arg unübersichtlich scheint. Wie immer im Agentengenre wird es die Herausforderung der Autoren sein, dieses Dickicht ausreichend zu lichten, ohne dabei das letzte (Verschwörungs-)Mysterium zu lüften. Nach den ersten Eindrücken kann man jedenfalls konstatieren, dass „Jack Ryan“ relativ solide das abliefert, was man erwarten darf, ergänzt um Tiefenschichten, die in vorangegangenen Clancy-Adaptionen noch nicht freigelegt wurden – ohne allerdings das Genre dabei neu zu erfinden. Die Action ist effektiv, der Cast hochwertig, aber etwas wirklich Ausgefallenes, Neues, gibt es in den ersten Folgen nicht zu besichtigen. Sicher ist nur, dass dieser neue Fall am Ende der acht Folgen abgeschlossen sein dürfte und Jack Ryan es in der (bereits bestellten) zweiten Staffel mit neuen Problemen zu tun bekommen wird: Der Cast bekommt namhaften Zuwachs mit u. a. Noomi Rapace („Verblendung“), Michael Kelly („House of Cards“), Jovan Adepo („The Leftovers“) und Francisco Denis („Narcos“).

Die Ehe zwischen Hanin (Dina Shihabi) und dem Terroristen Suleiman (Ali Suliman)
Noch ein Kuriosum zum Schluss – oder besser: eine Warnung für Peter-Fonda-Fans. Die inzwischen 78-jährige „Easy Rider“-Legende wurde im März letzten Jahres in der Rolle von Ryans Ex-Chef Joe besetzt und wäre tatsächlich ideal geeignet, den öligen Wall-Street-Broker zu verkörpern. Doch schon im Mai 2017 wurde Fonda aus unbekannten Gründen umbesetzt – was nicht kommuniziert wurde. Die Folge: Fonda steht in nahezu allen Film-Datenbanken und in der Wikipedia nach wie vor auf der Besetzungsliste der Serie. Nach seinen Anti-Trump-Tweets just im Juni 2018 gab es sogar einen veritablen Shitstorm auf Twitter mit Boykottaufrufen rechter Clancy-Fans gegen die Serie – weil Clancy, würde er noch leben, Fonda verachten würde! Geklärt wurde sie Sache bis heute nicht, doch die Dinge stehen so: Peter Fonda ist gar nicht dabei, die für ihn gedachte Rolle spielt Victor Slezak.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie „Tom Clancy’s Jack Ryan“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Paramount Studios/​Prime Video


Die achtteilige erste Staffel von „Tom Clancy’s Jack Ryan“ wird auf dem Streaming-Service Prime Video am Freitag, den 31. August 2018 in englischer und deutscher Sprache veröffentlicht. Eine zweite Staffel ist bereits in Produktion.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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