„Mozart/​Mozart“: Come and rock me, Maria Anna – Review

ARD/​ORF-Ermächtigungsmärchen über Mozarts Schwester schwelgt im Young-Adult-Hipsterlook

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 12.12.2025, 13:17 Uhr

Hipster am Habsburger Hof: Maria Anna (Havana Joy) und Wolfgang Amadeus Mozart (Eren M. Güvercin) in einer Komponierpause – Bild: ARD
Hipster am Habsburger Hof: Maria Anna (Havana Joy) und Wolfgang Amadeus Mozart (Eren M. Güvercin) in einer Komponierpause

Das Jahr neigt sich dem Ende zu – und das TV-Programm der Wiener Klassik. Noch bevor Sky an Weihnachten mit der britischen Serie „Amadeus“ an den Start geht, legt die ARD (in Kooperation mit dem ORF) den Sechsteiler „Mozart/​Mozart“ vor, eine flitterbunte, unterhaltsame, wenn auch nicht allzu tief lotende Geschichtsüberschreibung im beherzten Empowerment-Gestus: Nicht Wolfgang A., der ewige Popstar der klassischen Musik, steht hier im Mittelpunkt, sondern seine ältere Schwester Maria Anna, der hier kühn und unbekümmert ein ihrem Bruder mindestens ebenbürtiges Komponiertalent angedichtet wird. Faktenhuber müssen’s verschmerzen.

Von Mozart zu erzählen ohne die gängigen Klischees, das ist keine einfache Aufgabe. Das Bild des Salzburger Jahrtausendkomponisten speist sich heutzutage gemeinhin aus dem weltweit gehegten Repertoire seiner Musik ebenso wie aus den popkulturellen Anverwandlungen, die das späte 20. Jahrhundert in unser Kollektivbewusstsein hievte: Peter Shaffers Theaterstück „Amadeus“ (1979) und seine achtfach Oscar-gekrönte Verfilmung (1984) zum Beispiel. Auf das Stück, in dem Mozarts Rivalität mit dem Kollegen Antonio Salieri im Zentrum steht, wird sich auch die anstehende Sky-Serie berufen.

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Falcos Synthie-Rap „Rock Me Amadeus“ (mit dem ikonischen Musikvideo) kam ebenfalls 1984 heraus und wurde zur Mozartkugel der österreichischen U-Musik. Das Image, das nach dieser Komplettverpoppung hängenblieb, war ungefähr das hier: Mozart, ein ab dem fünften Lebensjahr loskomponierendes Wunderkind, ein Gaga-Genie, das nicht klarkommt mit der Welt und ebenso früh (mit 35 Jahren) wie komplett verarmt verstirbt. Eine Klischeesuppe, in die sich von Salzburg bis Neuseeland alle hineintunken ließen.

Gespanntes Vater-Tochter-Verhältnis: Leopold Mozart (Peter Kurth) möchte sein „Nannerl“ wegverheiraten. ARD

Wer dabei stets übersehen wurde, war Mozarts ältere Schwester Maria Anna, die, von ihren Familie wie von der Nachwelt, meist zum Neutrum verniedlicht wurde: „das Nannerl“. Maria Anna allerdings war als Kind genau wie ihr kleiner Bruder Wolfgang Amadeus von ihrem ehrgeizigen Vater Leopold als Wunderkind vermarktet und an den Fürstenhöfen vorgeführt worden. Wie ihr Bruder, mit dem sie stets ein inniges Verhältnis verband, konnte sie früh begnadet musizieren. Wolfgang schätzte sie auch später noch als versierte Pianistin. Komponiert hat sie wohl zeitlebens – nebenher hörte sie Vorlesungen zur Experimentalphysik. Nur war sie eben eine Frau, weshalb ihr Weg als Künstlerin im späten 18. Jahrhundert früh vorbei zu sein hatte. Irgendwann kam die Heirat, dann lebte sie als Klavierlehrerin.

In einem Akt der speculative history, einer Geschichtsschreibung im Konjunktiv sozusagen, dreht „Mozart/​Mozart“ diesen Lebensweg nun sechs Episoden lang auf links. Was wäre, so fantasiert die Serie lustvoll los, wenn Maria Anna ihrem Bruder – mindestens! – ebenbürtig gewesen wäre als Musikerin und sogar als Komponistin? Vielleicht war es ja so – nur fehlt eben jede Überlieferung? Verbissenen Faktencheckern mit gezücktem Geschichtsbuch dürfte jedenfalls schnell die Zornesröte ins Gesicht schießen angesichts der wild fabulierenden Querverbindungen, die Head Writer Andreas Gutzeit da so schamlos wie freudvoll zieht. Alle anderen können sich der Freude am Gedankenspiel hingeben.

„Nicht wie die Überlieferung sie schreibt, sondern die Vorstellungskraft“, werde die Geschwistersaga hier erzählt; so steht es, als Disclaimer, direkt am Anfang der ersten Folge. Versammelt haben sich dazu einige der Kernkreativen der mit den historischen Fakten ähnlich frei verfahrenden RTL+-Serie „Sisi“: Neben Autor Gutzeit (flankiert von seiner „Dignity“-Kollegin Swantje Oppermann) sind das vor allem Ausstatter Algis Garbaciauskas und Kostümbildnerin Daiva Petrulyte, die, wie auch Komponistin Jessica de Rooij, für „Sisi“ für den Deutschen Fernsehpreis nominiert waren. Gedreht wurde erneut im Baltikum: Wer die Wiener Hofburg kennt, wird ein bisschen schmunzeln müssen angesichts der Gebäude, die sie hier doubeln.

Maria Anna und Wolfgang Amadeus werden gespielt von Havana Joy („Love Sucks“) und Eren M. Güvercin („Euphorie“, „Druck“), wobei Joy eindeutig die Hauptarbeit zu leisten hat. Ihre Figur ist der rote Faden, an dem sich die Episoden entlanghangeln, ihr Triumph am Ende als Ermächtigungsfantasie absehbar. Joy erweist sich als sympathische Charismatikerin, die ein großes emotionales Pensum absolvieren muss. Güvercin, der als dunkellockiger Schlacks mit Zappeligkeitsanfällen derzeit wohl als eine Art deutscher Timothée Chalamet aufgebaut werden soll, kann dagegen nur den Kürzeren ziehen – es liegt aber auch an seiner Rolle, die zur zweiten Geige degradiert und zeitweise gar außer Reichweite der Handlungslinien „geparkt“ wird (im Krankenhaus nämlich), sodass Maria Anna ungestört das (Dirigier-)Zepter in die Hand nehmen kann.

Royale Dekadenz vor den Portalen der Hofburg: Königin Marie Antoinette (Verena Altenberger) badet im Champagner, Gräfin Greiner (Lisa Vicari, M.) schaut bewundernd zu. ARD

Ganz zu Beginn sieht man noch Brüderlein und Schwesterlein gemeinsam am Cembalo den Adeligen vorspielen, es folgt die erste Kränkung – als Wunderkind darf nur der Knabe weitermachen. Ein Sprung um 20 Jahre zeigt Wolfgang dann bereits als erfolgreichen Komponisten in Salzburg. Als er den bräsigen Erzbischof mit einem eruptiv entgleisenden Kyrie brüskiert, wird er entlassen. Gegen den Willen ihres um die Familienehre besorgten Vaters Leopold (Peter Kurth, „Babylon Berlin“) beschließen die Geschwister, nach Wien zu fliehen. Dort latscht Maria gleich beim ersten Gang durch die Gassen ein charmanter Italiener über den Weg, der sich rasch als Hofkompositeur Antonio Salieri (Eidin Jalali aus „Maxton Hall“ und „Der Schwarm“) entpuppt. Natürlich befürchtet der sogleich, dass ihm das renitente Genie Mozart den Job streitig machen könnte – eine nicht unbegründete Sorge.

Fortan fächert Gutzeit ein höfisches Panorama auf, wie man es sich schematischer kaum ausdenken könnte; als Hintergrundfolie für den Grundkonflikt aber verrichtet es solide Dienste, zumal es mit Gusto ausgespielt wird. Da ist also Philipp Hochmair („Freud“, „Blind ermittelt“) als reformfreudiger Kaiser Joseph II., der zwischen Mozart und Salieri (die sich gar zu duellieren suchen) einen Komponierwettbewerb ausruft – der Sieger darf die erste Volksoper schreiben und aufführen, in deutscher Sprache!

Hinzu kommt die französische Königin Marie Antoinette, ihres Zeichens Josephs Schwester, die aus Paris angereist ist, um sich ihre Kinderlosigkeit durch eine amtliche Begattungsaffäre austreiben zu lassen. Dazu sucht sie sich allen Ernstes Mozart aus. Die sexuelle Begegnung, die die „Sisi“-Macher selbstredend nicht auslassen, hat möglicherweise sogar Konsequenzen. Gespielt wird die luxusgierige Regentin von Verena Altenberger („Magda macht das schon!“) in drall geschnürter Korsettage, aber mit entfesselter Spielfreude: Wie sie erst genüsslich ein Open-Air-Champagnerbad nimmt, dann immer extravagantere Haarteile spazierenführt (eins sogar mit Schaumwein-Geheimfach!) und schließlich auf einem Spinett in orgasmierende Verzückung gerät, ist eine Schau. Wie gesagt, man sollte das alles nicht so ernst nehmen, dann kann das Spaß machen. Auch Lisa Vicari, von „Dark“ bis „The Next Level“ sonst auf hochdramatische Parts gebucht, lässt sich als Marie Antoinettes Vertraute Gräfin von Greiner freudig ins Puderperückenspiel fallen.

Wie beide Mozarts dann phasenweise beim Kaiser in Ungnade fallen; wie sie bei einem folkloristisch-stereotypen Wanderzirkus Unterschlupf finden; wie Leopold seine Jugendliebe (Annabelle Mandeng) wiederfindet, die als verhinderte Künstlerin eine ältere Variante des Schicksals von Maria Anna darstellt; wie Maria Anna später an den freundlich verwitweten Graf von Sonnenburg (Jan Krauter) veheiratet werden soll, der hier als Prototyp des „modernen“, dezidiert untoxischen Mannes verklärt wird – all das folgt gängigen Schemata und verzichtet beherzt auf jede Überraschung.

Schickt Mozart und Salieri in einen Wettstreit: Philipp Hochmair als Kaiser Rudolf II. ARD

Die muss aber vielleicht auch gar nicht sein. Denn es geht hier um anderes – um Maria Anna, die von Anfang an als nicht nur bloß assistierende, sondern treibende Kraft hinter dem Erfolg ihres Bruders gezeichnet wird. Zunächst doubelt sie ihn gar bei einem Klavierkonzert, während er unpässlich im Laudanum-Drogenrausch vegetiert. Später „vertritt“ sie ihn auch als Komponistin und Dirigentin. Suggeriert wird gar, dass sie maßgeblich verantwortlich war für wichtige seiner Werke. Wie erwähnt: Die Vorstellungskraft ist es, die hier das Maß vorgibt und nicht nur die Empowermentgesten hochhält, sondern auch Liebeleien mit Marie Antoinette ermöglicht, einen unehelichen Sohn von Leopold andeutet und Wolfgangs Ehefrau Constanze (Sonja Weißer, „Maxton Hall“) als Bombenbastlerin präsentiert, die Wolfgang aus der Geschlossenen freisprengt. Eine Romanze Maria Annas mit (ausgerechnet!) Salieri gibt es noch dazu. Der erbitterte Mozart-Konkurrent wird hier ohnehin sehr nett gezeichnet.

Inszeniert wird das alles in opernhaftem Überschwang, weniger als Klassik- denn als Pop-Oper. Mozarts Musik selbst gibt es kaum zu hören, in entscheidenden Momenten lässt Komponistin Jessica de Rooj (mit ihrem Elektroprojekt Ätna) die Originalmusik überschreiben von elektrifiziertem Pop-Rock der eher gängigen Größenordnung. Egal was man davon hält – die Aufgabe war grundsätzlich keine dankbare: Im Vergleich zu Mozarts Werken kann diese Ersatzmusik zwangsläufig nur den Kürzeren ziehen, und die dargestellte Empörung/​Verzückung/​Berauschung angesichts der mittelmitreißenden Elektrosounds wirkt ein kleines bisschen albern.

Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim (nach „Die Zweiflers“ und „Marzahn, mon amour“ derzeit eine Go-To-Frau im deutschen Fernsehinszenierungswesen) kleidet das, gemeinsam mit dem erwähnten Ausstattungsteam, in eine üppig-stylishe Optik, die von Sofia Coppolas „Marie Antoinette“-Film, Falcos Amadeus-Video und derzeit geläufiger New-Adult-Sexyness à la „Bridgerton“ gleichermaßen informiert ist. Amadeus darf mit Make-up, Styler-Sonnenbrille und Baumel-Ohrring durch Wien stolzieren, Social-Media-Phänomen Danoma als Gaststar mitsingen, das fahrende Volk stellt seine Queerness offen aus (obgleich auf Homosexualität in der k.u.k.-Monarchie bis 1787 die Todesstrafe stand), während Maria Anna in ihrem feuerroten Kleid als leuchtendes Signal durch die Serie marschiert – von der Kamera fast permanent umkreiselt. Da wird auch manch ungelenker Erklärdialog, manch überflüssige Deutungsanleitung dankbar unter Rüschen begraben.

„Mozart/​Mozart“ zeigt Habsburg-Hipster mit TikTok-Sprechduktus im zeitgenössisch modernisierten Kostüm der Epoche. Gereist wird mit der Kutsche, aber die Hair-Care-Routinen sind erkennbar von heute. Ein Pastiche mithin, das Anklang finden könnte. Wer weiß: Womöglich beginnt die Zielgruppe bald vor Schreck und Begeisterung damit, die „Kleine Nachtmusik“ zu klimpern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Episoden von „Mozart/​Mozart“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die ersten drei Folgen von „Mozart/​Mozart“ zeigt Das Erste am Dienstag, den 16. Dezember ab 20:15 Uhr am Stück. Einen Tag später, am 17. Dezember ab 20:15 Uhr, schließen sich die weiteren drei Episoden an. Bereits ab dem 12. Dezember steht die komplette Miniserie in der ARD Mediathek bereit.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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