„Franklin“: Ein Lebemann im Puder- und Perückenstadl – Review

Michael Douglas macht Freude in einer soliden Historienserie über den US-Gründervater

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 12.04.2024, 16:00 Uhr

Auf dem Atlantik zwischen Frankreich und der Neuen Welt: Benjamin Franklin (Michael Douglas) auf seiner schwierigsten Mission. – Bild: AppleTV+
Auf dem Atlantik zwischen Frankreich und der Neuen Welt: Benjamin Franklin (Michael Douglas) auf seiner schwierigsten Mission.

Je stärker der US-amerikanische Politdiskurs vom vulgären Populismus eines Donald Trump diktiert wird, je heftiger scheint die Sehnsucht, sich an die großen Gestalten der Vergangenheit zu erinnern. Sich mit jenen Menschen zu befassen, die überhaupt erst dafür sorgten, dass den USA so lange die Vorbildrolle zugeschrieben wurde, die dem Land derzeit wieder verlustig zu gehen droht. Apple TV+ schickt seiner Lincoln-Serie „Nach dem Attentat“ nun also direkt acht Episoden über eine der faszinierendsten Figuren der US-Geschichte hinterher: „Franklin“ erzählt von der kühnsten Mission des Verlegers, Erfinders, Bonvivants und Gründervaters Benjamin Franklin – mit einem bestens aufgelegten Michael Douglas in der Titelrolle.

Wer, nach gängiger Schulbildung, heutzutage an Benjamin Franklin (1706–1790) denkt, erinnert sich vermutlich zunächst an den Blitzableiter, den der in Boston geborene Sohn eines Kerzenmachers erfand – nach dem berühmten Experiment mit dem Papierdrachen im Gewitter. Dass Franklin 1776 zu den Mitunterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten gehörte, steht da fast schon an zweiter Stelle. Und an seine eigentlichen Berufe als Drucker und Zeitungsverleger, an seinen Status als Universalgelehrter, erinnert man sich, wenn überhaupt, schon deutlich weniger. Wer das auffrischen möchte, sollte in den sehenswerten Doku-Zweiteiler „Benjamin Franklin“ hineinschauen, den Ken Burns vor zwei Jahren für den Public Broadcasting Service produzierte. Der Film, der auch auf BluRay vorliegt, überblickt Franklins gesamtes Leben.

Die Miniserie „Franklin“ dagegen konzentriert sich nur auf die historisch wohl wichtigste Etappe in Franklins Leben: auf die fast neun Jahre, die er zwischen 1776 und 1785 in Frankreich verbrachte, um das damals noch in vollem Puder- und Perückenpomp vor sich hinregierte Ancien Régime des letzten französischen Königs Ludwig XVI. als Alliierten zu gewinnen im Kampf für die amerikanische Sache. Eine abenteuerliche Aufgabe: Zwar ging es gegen den gemeinsamen Feind – die britische Krone -, aber auch um die Revolution der amerikanischen Unabhängigkeitskämpfe und damit einen Floh, den der absolutistische Monarch seinem eigenen Volk nun wirklich nicht ins Ohr setzen wollte.

Der historische Hintergrund wird dem Publikum via Texttafel und in den Dialogen nahegebracht: Nach der Unabhängigkeitserklärung der dreizehn US-Kolonien und der damit erfolgten Lossagung von Großbritannien kam es zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, in dem die sogenannte „Kontinentalarmee“ der Kolonialisten ziemlich schnell unter die Räder zu kommen drohte: Es fehlte an Waffen und Munition und generell an finanziellen Ressourcen.

Der Diplomat und sein Privatsekretär: Ben Franklin und Enkel Temple (Noah Jupe) gewöhnen sich an die französischen Gepflogenheiten. AppleTV+

Benjamin Franklin obliegt es nun, quasi im Alleingang, die weißgepuderten Franzosen, die Politiker, Diplomaten und letztlich auch den König davon zu überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, sich durch diese Allianz, durch das Bereitstellen von Waffen, Finanzen und militärischem Know-how, einen Premiumzugriff auf den Handel mit der Neuen Welt zu sichern.

Auftritt Michael Douglas: Der inzwischen 79-jährige Oscarpreisträger („Wall Street“) spielt den bei seiner Ankunft in Paris 70-jährigen Franklin mit einer derart lässigen Verschmitztheit und einem so unübersehbaren Vergnügen, dass jeder seiner Auftritte schon allein deswegen eine große Schau ist. Als er in Frankreich eintrifft, eilt ihm in den Salons und Boudoirs der Seine-Metropole bereits der Ruf des genialen Erfinders voraus: Franklin war eine internationale Celebrity des 18. Jahrhunderts, entsprechend jubelnd wird er überall begrüßt. Die sonderbare Nerzkappe, die er meistens trägt, wird gar zur Modeikone. Als Privatsekretär fungiert sein 16-jähriger Enkel Temple (Noah Jupe aus „The Undoing“), der vor allem zu Beginn der Serie als Ersatzfigur fürs Publikum herhalten muss: Staunend blickt er auf die aufgerüschten Frauen und weißgepuderten Männer, stellvertretend für uns Zuschauer kann er sich alles entsprechend erklären lassen; die beiden Autoren der Serie, „Boardwalk Empire“-Produzent Howard Korder und Kirk Ellis, nehmen die Gelegenheit dankbar an.

Die acht Episoden folgen chronologisch dem historisch verbürgten Gang der Ereignisse, zeichnen Franklins diplomatische Schritte nach – darunter sehr offizielle und sehr unorthodoxe. Der Titel des Sachbuchs von Stacy Schiff, auf das sich die Serie stützt, deutet auf den Stehgreif hin, aus dem der US-Gesandte hier (ohne offizielles Mandat) agierte: „A Great Improvisation“ (2005). Währenddessen schreitet der Unabhängigkeitskrieg stetig voran, von der anfänglichen Fastkatastrophe über ein erstes Hoffnungschöpfen beim Saratoga-Feldzug bis zur britischen Kapitulation nach der Schlacht von Yorktown 1781 und der Unterzeichnung des „Friedens von Paris“ 1783. Die Eckdaten bilden hier den Rahmen: Dass Franklins Mission erfolgreich verläuft, kann man daher auch gar nicht spoilern. Es steht ja in den Geschichtsbüchern.

Malt, spielt Cembalo, komponiert: Von der kreativen Madame Brillon (Ludivine Sagnier) ist Franklin fasziniert. AppleTV+

Was hingegen im Ermessen der Autoren und Schauspieler lag, ist die Zeichnung der Charaktere – denn wie sie sprachen, welche Marotten sie hatten, welche Sprüche sie klopften, das wissen wir natürlich nicht oder nur sehr begrenzt. War Franklin wirklich so ein freundlicher Filou, ein Schelm und Womanizer? Hat er sich beim Festschmaus wirklich fröhlich furzend Erleichterung verschafft? Die beiden deutlich jüngeren Frauen, denen der rüstige Diplomat damals näher kam, hat es jedenfalls wirklich gegeben, auch wenn ihr Verhältnis ein platonisches blieb: Ludivine Sagnier („Lupin“, „The Young Pope“) ist mit kreisrunder Ballonperücke kaum zu erkennen als Komponistin Anne Louise Brillon. Franklin fühlt sich merklich hingezogen zu dieser sensiblen und musisch begabten Madame, die obendrein noch unglücklich verheiratet ist. Und Jeanne Balibar („Barbara“) spielt die berühmte Madame Helvétius, die damals einen der beliebtesten Salons in Paris führte – angeblich hat ihr Franklin einen Heiratsantrag gemacht.

Auch die in der Serie auftauchenden Vertreter der verschiedenen Fraktionen, mit denen sich Franklin diplomatisch austauscht, sind historisch: der Außenminister Comte de Vergennes (Thibault de Montalembert aus „The Tunnel“), der es sich mit dem König nicht verscherzen will; der britische Arzt Edward Bancroft (Daniel Mays, „Code 404“), der als Agent sowohl für die US- als auch die britische Seite tätig ist; der Stückeschreiber Beaumarchais (Assaad Bouab, „Call My Agent!“), der als gewitzter Universalgelehrter der ideale Buddy für Franklin ist; der idealistisch-ehrgeizige Marquis de Lafayette (Théodore Pellerin, „On Becoming a God in Central Florida“), den Franklin auf die amerikanischen Schlachtfelder komplimentiert; oder der Spion Paul Wentworth (Tom Hughes, „Cemetery Junction“), der Franklins Bemühungen im Auftrag des britischen Premierministers hintertreibt. Die meisten dieser Personen folgen ihren eigenen Zielen, und generell gilt die Taktik, die Franklin schnell beherzigen muss: „Hier in Frankreich bekommt man nur das, was man will, wenn man so tut, als würde man es nicht wollen.“
Irgendwann reist dann auch noch John Adams als Botschafter an die Seine, ein Gründervater-Kollege von Franklin, viel jünger als dieser und später der zweite US-Präsident nach George Washington: Eddie Marsan (derzeit Amy Winehouses Vater in „Back to Black“) spielt Adams als sehr viel nüchterner gepolten Widerpart zu Franklin – was natürlich für viel Komik sorgt. Über Franklins sprühenden Charme und dessen Anverwandlung ans französische Savoir Vivre kann Adams nur den Kopf schütteln. Wer mehr über ihn wissen möchte, sollte sich die mit 13 Emmys ausgezeichnete HBO-Miniserie „John Adams“ von 2008 ansehen – mitgeschrieben übrigens von „Franklin“-Co-Autor Ellis.

Im Zwielicht: Franklins Arzt Edward Bancroft (Daniel Mays) klopft sarkastische Sprüche, verfolgt aber seine eigene Agenda. AppleTV+

In Zeiten indes, in denen sich Kostümfilme und -serien üblicherweise eines stark satirischen Zugriffs bedienen (siehe „The Great“) oder aber vom „Historischen“ gezielt verabschieden (siehe „Bridgerton“), wirkt „Franklin“ fast schon retro: Detailversessen und akribisch folgt die Miniserie den Geschehnissen, ohne sie mit postmodernen Einschüben zu behelligen, und am Ende wird das Ganze sogar noch mit einer mahnenden Texttafel abgebunden, begleitet von heldischen Dur-Tönen: Our future safety will depend on our union and virtue.

Leider kommen den acht Folgen immer mal wieder Flow und Drive abhanden, was vor allem am Handlungsstrang des jungen Temple liegt: Franklins Enkel erlebt sozusagen nebenher sein Coming of Age, vom staunenden Beobachter wird er zum Mitmacher in der monarchischen Adelsgesellschaft, vom Druckergehilfen und Sekretär zum Fraueneroberer und Diplomaten. Ganz nett ist das alles, aber eben auch schon tausendfach so oder so ähnlich gesehen und hier auch nicht wirklich innovativ umgesetzt – was nicht an Darsteller Jupe liegt, sondern eher am Drehbuch. Nicht nur angesichts des vielen durch die Luft fliegenden Gesichts- und Perückenpuders wirkt „Franklin“ in diesen Szenen unnötig angestaubt, und vermutlich wäre es auch für den Rhythmus der Serie förderlich gewesen, wenn auf weite Teile dieses Strangs verzichtet worden und dafür vielleicht mit zwei, drei Episoden weniger an den Start gegangen wäre.

Denn zu leuchten beginnt die Serie immer dann, wenn ihr Hauptdarsteller so richtig loslegen kann: Douglas, der sich in seinem Spätwerk sowohl der Serie („The Kominsky Method“) als auch lustigen Verkleidungen („Liberace“) zugewandt hat, ist sein vorgerücktes Alter durchaus anzumerken, sein Sprechduktus nähert sich bisweilen gar dem Gemümmel an. Umso lustvoller stürzt er sich darauf, den gichtkranken Gesandten Franklin mit kraftvoller Selbstironie auszustatten. Ob Sinnsprüche à la „Wer nur von der Hoffnung lebt, wird furzend sterben!“ tatsächlich seinen Schriften entnommen wurden oder ob sich die Autoren das ausgedacht haben, bleibt mitunter unklar – Douglas jedenfalls hat stets Vergnügen am Zerkauen dieser Aphorismen. Wenn er mit seiner Fellkappe durch Paris stapft, hat das fast etwas von einer leicht verwirrten Oma: herrlich! Historisches Interesse also mal beiseitegeschoben: Der wahre Grund, sich die Serie „Franklin“ anzuschauen, kann eigentlich nur ihr Hauptdarsteller sein.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Franklin“.

Meine Wertung: 3,5/​5

„Franklin“ wird seit dem 12. April bei Apple TV+ veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Es wäre vielleicht nicht ganz unnötig zu erwähnen das die Serie nur mit dt. Untertiteln in Englisch und Französisch auf Apple gestreamt werden kann. Es soll da draußen ja noch Leute geben die tatsächlich lieber eine gute deutsche Synchro schauen als sich in Untertiteln zu verzetteln.
    • am

      Deutsche Synchronisation scheint ja sehr teuer geworden zu sein?! Vieles, was mich interessiert, wird einfach nicht mehr synchronisiert. Und zum Teil wird wie bei "D.P." die erste Staffel synchronisiert und bei der zweiten spart man sich das aus Kostengründen.
    • am

      Die deutsche Synchro wird in den nächsten Wochen nachgereicht.
    • am

      Na, das gehört wohl zur Globalisierung, jetzt ist Sprachen lernen angesagt :-))
    • (geb. 1963) am

      Fremdsprachen lernen ist doch laut Kretschmann aus BW doch nicht mehr nötig in Zeiten von Google und Übersetzungsprogrammen. Sicher wird es nicht mehr lange dauern, und künftig werden auch Filme automatisch von einer KI übersetzt und mit künstlichen Stimmen synchronisiert. Das alles dann in der Qualität wie man es bei den Untertiteln auf YouTube erleben kann. Laut unseren Politikern ist Fremdsprachen lernen ebenso unnötig geworden, wie die eigene Muttersprache zu lernen. Es gibt doch Rechtschreibprogramme - laut Herrn Kretschmann.

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