Das Fernsehjahr 2016 im Rückblick – Teil 2

Die internationalen TV-Ereignisse des Jahres – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 30.12.2016, 12:00 Uhr

HBO: Krise mit Lichtblick
Der erfolgreiche Neustart von „Westworld“ ist ein HoffnungsschimmerHBO

Das Jahr 2016 lief für HBO alles andere als rosig. Nach langen Jahren, in denen der Pay-TV-Anbieter die Serienwelt zumindest in Sachen Kritikerlob beherrschte, hatten in den letzten Jahren zunächst Kabelsender FX mit seinen Miniserien und später Netflix am alleinigen Ruhm des Pay-TV-Primus gekratzt. Dann gesellten sich auch noch zahlreiche kreative Rohkrepierer bei HBO hinzu. Letztendlich nahm Programmchef Michael Lombardo nach einer Dekade im Amt in diesem Jahr seinen Hut und wurde durch Casey Bloys ersetzt.

Vorausgegangen war unter Lombardo ein Feuerwerk der Misserfolge. Nach der viel gefeierten ersten Staffel von „True Detective“ war die zweite Staffel als enttäuschend aufgenommen worden. Gleiches galt für das 100-Millionen-Projekt „Vinyl“, das einst als Film-Projekt von Martin Scorsese gestartet war. Mit Produzent David Fincher konnte HBO sich gleich bei zwei Projekten nicht einig werden: Beim US-Remake für „Utopia“ hatte man die Hauptdarsteller bereits an der Angel gehabt, als das Projekt schließlich über Budgetfragen scheiterte. Und bei „Videosynchrazy“ (alternativ auch „Video Synchronicity“ oder „Live on Video“) war bereits gedreht worden, als die Entscheidung zum Abbruck kam. Dazu gesellte sich „The Leftovers“, dessen nicht angekommene erste Staffel zum Quoteneinbruch bei Staffel zwei geführt hatte.

Beim neuen Prestigeprojekt „Westworld“ standen unter Lombardo ebenfalls längere Zeit die Kameras still, um sich nochmal den Drehbüchern zu widmen. Auch wenn die erste Staffel der Serie als ziemlicher Erfolg gewertet wird, wurde doch der Serienpilot nachträglich umgeschnitten – und so richtig überzeugt vom Format zeigten sich die Kritiker auch erst in der zweiten Hälfte der Auftaktstaffel.

Man darf gespannt sein, wie sich „Westworld“ im kommenden Jahr bei den Emmys macht, zumal „Game of Thrones“ ein Jahr aussetzen muss (die siebte Staffel soll erst im Sommer laufen, womit „GoT“ keine neuen Folgen im Awards-Zeitraum zeigen wird).

Go big or go Home – Amazon Prime und Netflix
Amazon tätigte große Investitionen in „The Grand Tour“Amazon

2016 ist das Jahr, in dem sowohl Netflix wie auch Amazon Prime Video ihr Angebot jeweils weltweit aktiv geschaltet haben. Netflix tat dies Anfang des Jahres, Amazon gegen Ende. Beide Anbieter haben dieses Jahr auch ihre Bemühungen um neue Kunden deutlich ausgeweitet. Bei Netflix wurde bekannt, das der Streaming-Dienst im Jahr 2016 weltweit 5 Milliarden US-Dollar für Programmeinkäufe eingeplant hatte. Darin enthalten ist auch Geld für knapp 600 Programmstunden, die der Anbieter selbst in Auftrag gegeben hat. Im kommenden Jahr sollen 6 Milliarden ins Programm fließen. Beim VoD-Primus wird aber eng kalkuliert: Als Gewinn werden „nur“ ein paar Dutzend Millionen anvisiert. Andere Firmen gieren da bei solch einem Geldeinsatz auf Gewinne von mehr als hundert Millionen (ein Prozent von 1 Milliarde sind immerhin 10 Millionen).

Nachdem die Eigenproduktionen von Amazon Prime bisher vor allem Achtungserfolge in Form von Kritikerpreisen (Emmys für „Transparent“, Golden Globes für „Transparent“ und „Mozart in the Jungle“) hervorbrachten, greift der Anbieter nun tief in die Tasche, um mit großen Namen werben zu können: „The Grand Tour“ ist das erfolgreiche Aushängeschild, „Goliath“ (von David E. Kelley und mit Billy Bob Thornton) sowie „Crisis in Six Scenes“ (von Woody Allen) schlugen trotz der großen Namen noch nicht die ganz hohen Wellen. Entsprechend investiert man weiter und hat sich die Rechte an einer neuen Serie mit Robert de Niro gesichtet.

Die beiden Streaming-Dienste befinden sich derzeit in einem Verdrängungsprozeß. In den USA stellt sich die Frage, ob Konkurrent Hulu wird dagegen anstehen können. Yahoo hat seine früheren Bestrebungen bereits eingestampft. In Deutschland hat schon Watchever die Segel gestrichen, in Kanada der Dienst Shomi.

Starke Heldinnen … werden gemeuchelt
Sorgte für Aufschrei: Der Tod von Lexa (Alycia Debnam-Carey, r.)The CW

2015 wurde als das Jahr betrachtet, in dem zahlreiche starke Protagonistinnen ein angemessen vielschichtiges Frauenbild zeichneten. Es muss nicht immer Blitzblank sein, wie bei „Supergirl“. Es kann auch konfliktbeladen und innerlich zerrissen sein wie Rachel und Quinn bei „UnREAL“ oder Titelfigur „Jessica Jones“. Das Jahr 2016 holte jedoch mit verschiedenen Serienhandlungen alte Klischees aus der Kiste, die letztendlich auf das gleiche hinausliefen: Ermordete Frauen. Meist sogar brutal.

Einerseits ist es schon lange gang und gäbe gewesen, weibliche Nebenfiguren einen gewaltsamen Serientod sterben zu lassen, um bei den meist männlichen Protagonisten eine emotionale Weiterentwicklung in Gang zu setzten. Daneben hatten in den vergangenen Jahren viele Serien mit homosexuellen Figuren nichts besseres zu tun, als sie nach einiger Zeit als Mordopfer aus der Handlung verschwinden zu lassen – vor allem weibliche Charaktere. „Bury your gays“ lautet das kritische Schlagwort zum Klischee.

Im Frühjahr 2016 ergab es sich nun, dass gleich in mehreren Serien beliebte weibliche Nebenfiguren einen gewaltsamen Tod fanden. An dieser Stelle soll nicht unnötig gespoilert werden. Tragischster Fall jedoch war der Tod von Lexa in „The 100“, den auch deutsche TV-Zuschauer schon sehen konnten. Einerseits erscheint der Tod durch eine nicht für sie gedachte Kugel sinnlos. Daneben fühlten sich viele LGBTQ-Zuschauer vor den Kopf gestoßen, da sie sich in der Science-Fiction-Serie in vorherigen Handlungen ausnahmsweise mal nicht ausgegrenzt sondern gleichberechtigt eingebunden fühlen konnten und die Serie daher in dieser Bevölkerungsgruppe einen Kultstatus erlangt hatte.

Eine Lösung hat die amerikanische TV-Industrie in der Folge nicht zu bieten gehabt. Die Macher von „The 100“ mussten eingestehen, die Bedeutung von Alexa für die LGBTQ-Kultur unterschätzt zu haben – abgesehen davon, dass Lexas Darstellerin wegen einer neuen Hauptrolle bei „Fear The Walking Dead“ in Zukunft nur eingeschränkt zur Verfügung gestanden hätte. Immerhin mag der Aufschrei dazu geführt haben, dass die Serienmacher für die Zukunft für das Thema sensibilisiert wurden.

Allerdings sitzt dem Wunsch der Frauen nach gleichberechtigter Behandlung in den USA schon der nächste Verbesserungsbedarf im Nacken: Die Darstellung von Minderheiten. Nach dem Erfolg von „Empire“ entdeckten die amerikanischen Fernsehmacher die afro-amerikanische Bevölkerungsminderheit als bisher ungenutztes Potential, die erodierenden Quoten aufzubessern. Bald darauf forderten auch andere Minderheiten – Hispanics, Inder und Einwanderer aus dem Pazifikraum – in dem Programmen repräsentiert zu werden. Und so wurde der Fokus schnell wieder von dem Ausbau weiblicher Hauptfiguren genommen.

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