Prosit, Käpt’n Blaubär! 30 Jahre Lügen, dass sich die Balken biegen

Chronik einer Kultfigur des Kinderfernsehens

Dennis Braun
Dennis Braun – 06.10.2021, 10:00 Uhr

1990–1992: Die ersten 104 Folgen „Käpt’n Blaubärs Seemannsgarn“

Für die „Sendung mit der Maus“ bestellte der WDR im Jahr 1990 insgesamt 104 fünfminütige Folgen von „Käpt’n Blaubärs Seemannsgarn“, für die die Autoren Walter Moers, Rolf Silber und Bernhard Lassahn verantwortlich zeichneten. Wie Lassahn im Gespräch mit fernsehserien.de verrät, lag der Sinn dahinter, dass man damit zwei komplette Jahre (zwei mal 52 Wochen) auskommt, ehe man sie für eine neue Generation an Kindern wiederholen kann, die sie noch nicht kennt. So sind auch diese Geschichten heute noch regelmäßig (etwa alle drei Wochen) Teil des sonntäglichen Klassikers.

Das Handlungskonzept war stets das gleiche: Käpt’n Blaubär erzählte seinen namenlosen drei Enkeln, dem gelben, grünen und rosa Bärchen, Seemannsgarn über seine zahlreichen Schiffsreisen. Während die Rahmenhandlung als Puppenspiel dargestellt wurde, waren seine Erlebnisse in Form von Zeichentrickeinspielern als Rückblende zu sehen. Am Ende einer Geschichte, nach dem obligatorischen Protest der drei Enkel, dass alles gelogen sei, folgte oft ein schlagkräftiger Beweis für deren Wahrheitsgehalt.

In der allerersten Folge namens „Käpt’n Seekrank und seine blöden Matrosen“ tauchte zudem Leichtmatrose Hein Blöd, eine gelb-orangefarbige Schiffsratte, auf, und der Käpt’n erzählte, wie er diesen kennengelernt hatte. Hein Blöd gehörte daraufhin ebenfalls zur Stammcrew und fiel besonders durch seine liebenswert dämliche, tollpatschige Art auf, was den Käpt’n bisweilen sehr nervte und er ihn gerne mit norddeutschen Schimpfwörtern à la „Hein, du Döspaddel“ anging. Nichtsdestotrotz pflegten die beiden ein durchaus freundschaftliches Verhältnis. Selten erschien in den ersten 104 Folgen auch der Pinguin Amundsen, der vermutlich nach dem Südpolforscher Roald Amundsen benannt war.

Jeder von uns hat etwa ein Drittel der 104 Geschichten geschrieben, jeder für sich alleine, so Lassahn. Wir haben viel telefoniert und die Themen abgesprochen, damit es keine Dopplungen gibt (‚Ich mache was mit Weihnachten, mach du was mit Ostern …‘). Die Geschichten von Walter Moers kann man daran erkennen (natürlich auch an seinem Stil), dass da besonders viel gegessen wird und der Käpt’n Blaubär ziemlich verfressen ist. Die von Rolf Silber kann man daran erkennen, dass sie besonders ausführliche Rahmenhandlungen haben. Die von mir kann man daran erkennen, dass sie besonders familienfreundlich sind (es geht um Kindergeburtstage und solche Themen). Es hat sich offenbar ausgewirkt, dass ich derjenige im Team war, der gerade ein Kind hatte.

Spezielle Vorgaben hinsichtlich der Figurenbeschreibungen kamen von der Produktion, an die sich vor allem die Zeichner halten sollten. Konkreter ausgestaltet wurden diese dann von den drei Autoren: Über die Charaktereigenschaften der Figuren waren wir uns fix einig. Ich habe den Blaubär – bei aller Liebe für die Seefahrt – nicht nur als Kapitän, sondern auch als Opa gesehen und dabei wohl auch an meinen eigenen Opa gedacht, der mich stark beeindruckt hat. Das Geheimnis der Bärenfamilie ist, dass es keinen Vater und keine Mutter gibt (das gibt es auch bei anderen Kinderbüchern, z. B. ‚Pippi Langstrumpf‘). Damit wird der Opa aufgewertet. Aber auch die Enkel, die frühreif, frech und selbstständig sind und den Opa vorführen – sie tanzen ihm auf der Nase rum und durchschauen seine Geschichten von Anfang an. Das sind im Groben die Vorgaben und psychologischen Konstellationen, über die wir uns schnell verständigen konnten.

Der Entstehungsprozess aller 104 Folgen inklusive des Drehs der Puppensequenzen dauerte über ein Jahr, bis am 6. Oktober 1991 der Startschuss innerhalb der „Sendung mit der Maus“ fiel. Die mannigfaltigen Abenteuer von Käpt’n Blaubär kamen beim kleinen und großen Publikum sofort großartig an – und auch Bernhard Lassahn hat so seine Favoriten: Meine Lieblingsgeschichten sind die Geschichte, in der Käpt’n Blaubär die Pommes frites erfindet, die Lüge von dem Wal-Versprechen und die Legende vom Schnarchkönig – vermutlich weil ich selber mal in der Südsee war. Meine Lieblingsgeschichte von Walter Moers ist die von der Piraten-Creme.

Ende 1992 mischte sich der Käpt’n auch ins Erwachsenen-Fernsehen: Im Rahmen des „ARD-Morgenmagazins“ schaltete er sich mit wohldosierten Unwahrheiten als Kommentator zwischen die Nachrichten und steigerte seine Bekanntheit auch außerhalb der eigentlichen Zielgruppe. Etwa zur gleichen Zeit verabschiedete sich dessen geistiger Vater Walter Moers von der Produktion und auch von den Rechten, die er an den Ravensburger Verlag verkaufte.

Die in der Folge veröffentlichten Geschichtenbücher stießen Moers, der nach wie vor an seiner Figur hing, allerdings sauer auf. „Ziemlich grässlich“ fand er vor allem die Zeichnungen, aber auch die Entwicklung der Figur: Sie bewege sich immer mehr in die den ursprünglichen Entwürfen entgegengesetzte Richtung, sagte er damals in einem Interview mit der taz. Der Blaubär werde immer spießiger, und am Schluss, so fürchtete er, werden sie ihm noch das Lügen abgewöhnen. Doch der Erfolg sollte den Verantwortlichen Recht geben – und der Siegeszug des flunkernden Seebären war ohnehin nicht mehr aufzuhalten.

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