„Hunters“: „Geniale Nazijagd“ oder „fragwürdige Jewsploitation“? – Review

Die Amazon-Serie mit Al Pacino: Wilder Genre-Mix in Retro-Optik, pendelt zwischen großartig und obszön

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 21.02.2020, 16:38 Uhr

„Hunters“ – Bild: Prime Video
„Hunters“

„Hunters“ ist nicht einfach zu bewerten. Die 3 Punkte, die ich unter diesem Text nach Ansicht der ersten beiden Episoden dieser neuen Amazon-Prime-Video-Serie angebe, sind nicht im Sinne von „mittelmäßig“ zu verstehen, denn mittelmäßig ist „Hunters“ keineswegs. Diese Punkte sind vielmehr so etwas wie ein Mittelwert all der komplett unterschiedlichen Empfindungen, die mich im Laufe der bislang gesehenen zweieinhalb Stunden im Griff hatten: Ich war begeistert, verärgert, verblüfft, genervt, irritiert, beeindruckt. All das wechselte oft abrupt, von Szene zu Szene.

Wenn man die Reaktionen betrachtet, die nun auch aus den USA zu hören sind, schlägt sich diese Uneindeutigkeit in sehr verschiedenen Gesamturteilen nieder: vom Meisterwerk ist da mal die Rede (und es gibt in „Hunters“ fraglos meisterliche Szenen), verärgerte Verrisse stehen dem gegenüber. Ist „Hunters“ nun eine Nazijäger-Komödie? Eine sarkastische Tragödie? Ein trashiges Rachedrama im Seventies-Look, ein postmoderner Genre-Mix auf Tarantino-Spuren, der als süffige pulp fiction Filme zitiert, die ihrerseits schon Filme zitieren? Es ist alles davon, aber auch nichts so richtig konsequent. Ein schwieriger Fall.

Der Mann, der „Hunters“ entwickelt hat, heißt David Weil. Er war früher Schauspieler, dies ist seine erste große Produktion als Autor. Im November letzten Jahres erzählte er in diversen Interviews, dass es Erzählungen seiner Großmutter waren, einer Holocaust-Überlebenden, die ihn schon im Kindesalter ans Nazi-Thema herangeführt hätten. Der Weg von dort hin zu seiner Serie „Hunters“ muss weit gewesen sein.

Der Plot verläuft durch den Sommer des Jahres 1977. Es ist ein Zeitraum, der nach allen Regeln der Ausstattungskunst ins Bild gesetzt und auch durch popkulturelle und zeitgeschichtliche Marker verortet wird. So ist gleich zu Beginn ein Kino zu sehen, in dem „Star Wars“ läuft (die heutige „Episode IV“ startete in den USA am 25. Mai jenes Jahres), im Radio ist vom Serienkiller „Son of Sam“ die Rede, der damals gerade in Brooklyn sein Unwesen trieb. In der vielleicht gar nicht mal so parallelen Parallelwirklichkeit, die die Serie entwirft, haben sich viele hochrangige Nazis einst aus dem kollabierten Dritten Reich absetzen können. Mittlerweile leben sie unerkannt als Mitglieder der US-amerikanischen Gesellschaft, wo sie heimlich einen Plan verfolgen: die Gründung des „Fourth Reich“.

Kann ‚creepy‘ wie kein zweiter: Dylan Baker als Nazi Biff Simpson. Amazon Prime Video

In der spielfilmlangen Pilotepisode, inszeniert vom zu Recht vielgeschätzten Film- und Serienregisseur Alfonso Gomez-Rejon („Ich und Earl und das Mädchen“, „American Horror Story“) und spektakulär toll fotografiert vom Jarmusch- und Lynch-Kameramann Frederick Elmes, springt der Plot im Stil eines alten Crime- oder Spionagethrillers zwischen immer neuen Schauplätzen hin und her: eine Grillparty in Maryland, ein Killer in Washington, Cape Canaveral, New York, New Jersey. Wir lernen gleich mehrere der Undercover-Nazis kennen: Biff Simpson etwa (gruselig: Dylan Baker aus „Murder One“), der sich im US-Außenministerium eingenistet hat, eine ehemalige Nazi-Chemikerin (tapfer gespielt von der deutschen Schauspielerin Veronika Nowag-Jones, „Sag mal Aah!“) und den sogenannten „Colonel“, den Boss der Nazis, der sich als Femme Fatale entpuppt: Der schwedische Kinostar Lena Olin („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“) spielt sie als Cruella-de-Vil-Verschnitt mit Dalmatiner.

Parallel wird der Protagonist von „Hunters“ eingeführt: Das ist der 19-jährige Jonah Heidelbaum (Logan Lerman; „Vielleicht lieber morgen“, „Percy Jackson – Diebe im Olymp“), der in New York, zusammen mit zwei Kumpels, ein recht gewöhnliches Jungmännerleben als Teilzeitdrogendealer führt, das völlig auf den Kopf gestellt wird, als seine Großmutter Ruth (Jeannie Berlin), eine Auschwitz-Überlebende, von einem Unbekannten ermordet wird. Darsteller Lerman trägt die schwere Bürde, als emotionales Herz der Serie agieren zu müssen – was mal mehr, mal weniger gut funktioniert, je nach stilistischem Kontext der Szenen. Bei Ruths Shiva lernt er den reichen Meyer Offerman kennen (Al Pacino in seiner ersten Serienhauptrolle), der in einer Stadtvilla mit Privatkino lebt, in dem er sich Filme wie „Der Mann, der zweimal lebte“ anschaut. Meyer lebt selbst zum zweiten Mal, metaphorisch jedenfalls, denn auch er ist ein Auschwitz-Überlebender. Er kannte Ruth, verwickelt ihren Enkel in existenzialistische Gespräche und nimmt Jonah, der sich mit Dekodierung und Mustererkennung auskennt, schließlich, widerwillig, in einen Geheimbund auf.

Dieser nennt sich „Hunters“ und ist nicht weniger als ein Nazijägertrupp. Um zu verhindern, dass der Colonel das Vierte Reich errichten kann, hat Meyer schon sieben illustre Gestalten in seiner diversen Ami-Antifa versammelt: das ältere jüdische Ehepaar Murray (Saul Rubinek, „Warehouse 13“) und Mindy Markowitz (Carol Kane, „Unbreakable Kimmy Schmidt“), den schnauzbärtigen Schauspieler Lonny Flash („How I Met Your Mother“-Star Josh Radnor), die Blaxploitation-Amazone Roxy Jones (Tiffany Boone), den Martial-Arts-begabten Joe (Louis Ozawa Changchien) und die gestrenge Nonne Harriet (Kate Mulvany aus „My Fighting Season“). Jonah stößt als achtes Mitglied dazu – in der zweiten Episode muss er bereits mithelfen, einen sadistischen KZ-Aufseher, der inzwischen Plattenproduzent ist, in dessen Studio mit Chuck-Berry-Songs zu foltern. Weil die Hunters bereits ein paar Morde auf dem Buckel haben, ist ihnen auch schon das FBI auf der Spur – eine dritte Handlungslinie folgt den Ermittlungen der lesbischen Agentin Millie Morris (Jerrika Hinton, „Here and Now“), der ihrerseits schnell die Nazis auf den Fersen sind, in Form des smarten, bei jeder Gelegenheit von weißer Vorherrschaft schwadronierenden Psychopathen namens Travis (Greg Austin, „Mr Selfridge“).

Die „Hunters“. Amazon Prime Video

Mit all dem sind nur die Grundzüge der Serie umrissen. Was dadurch klar geworden sein sollte: Es passiert viel in „Hunters“, sehr viel. Es gibt Schachspielsymbolik (schon im Vorspann), brutale Morde, popmusikalische Intermezzi, die stark an Tarantinos postmodernes Spiel mit alten B-Film-Genres erinnern, aber auch ruhige Momente, bedachte Dialoge, gerade wenn es um Jonahs Trauer geht und um seine Zweifel, ob der brachiale Racheweg, den die Hunters gehen, der richtige sein kann. Längst nicht immer passen diese völlig unterschiedlichen Stil-Ebenen ideal zusammen, manchmal aber übt dieser Gemischtwarenladen einen eigentümlichen Reiz aus.

Bis in die Nebenrollen hinein ist die Serie stark besetzt (nur drei willkommene Beispiele: Victor Williams aus „King of Queens“ als Polizist, James LeGros aus „Drugstore Cowboy“ als FBI-Chief, Tramell Tillman aus „Godfather of Harlem“ als Millies Ermittlerkollege), von der Hauptbesetzung überzeugen speziell Austin, Hinton und Radnor. Auch die Souveränität, mit der Pacino sich seinen ersatzväterlichen Part zu eigen macht, beweist ein weiteres Mal dessen schauspielerische Klasse (obgleich ihm die Tatsache, dass er als Nichtjude einen Juden mit osteuropäischen Akzent spielt, die heutzutage üblichen Appropriationsvorwürfe einhandelte).

Obwohl man in dieser unserer Zeit, erst recht in diesen Tagen, froh sein müsste über eine Serie, in der eine coole Rächerbande es, in einer wilden Mixtur aus „Mod Squad“, „Dreckiges Dutzend“ und Tarantinos „Inglourious Basterds“, auf rassistisches Nazipack abgesehen hat, bleiben aber eben doch Vorbehalte. Einer davon betrifft die Darstellung der Gewalt. Weil die Hunters ihre Opfer mit Methoden hinrichten, die an deren frühere Untaten erinnern, wird etwa die Chemikerin in ihrer eigenen Dusche vergast. Das ist eine wirklich phänomenal ärgerliche, ja: obszöne Szene.

Sehr problematisch sind die Rückblenden in die Zeit, in der Meyer, Ruth und andere Juden in den Konzentrationslagern Auschwitz oder Buchenwald gefangen waren. Der unausgesprochene Filmemacher-Konsens (erst recht seit Claude Lanzmanns epochalem Werk „Shoah“), keine dramatisch inszenierten Szenen aus den Todeslagern zu inszenieren, weil dadurch der singuläre Horror des Holocaust trivialisiert würde, wird in „Hunters“ auf drastische Weise ignoriert: Eine Gräueltat folgt darin der nächsten. Das ist schwer erträglich genug, doch Weil zeigt nicht einmal historisch verbürgte Schrecken, sondern eigene Erfindungen: ein Schachspiel zum Beispiel, bei dem die gefangenen Juden als lebensgroße Schachfiguren übers Brett und in den Tod geschoben werden, oder ein Chor, dessen Mitglieder bei jeder falschen Note umgebracht werden. Diese Szenen vermitteln wohl unfreiwillig einen dubiosen Eindruck; es wirkt, als sei die Realität nicht unfassbar genug gewesen. Man kann dies als sensationalistische Instrumentalisierung der Shoah zur poppigen Gruselei verstehen – und mit Fug und Recht fragwürdig finden. Auch wenn die Intention dahinter zweifelsfrei eine andere ist.

Meyer Offerman (Al Pacino) mit Jonah Heidelbaum (Logan Lerman) in „Hunters“. Amazon Prime Video

Die Debatte über den Umgang von „Hunters“ mit diesen Themen dürfte sicher noch interessant werden. Demgegenüber erwachsen aus diesen Unbekümmertheiten in der Darstellung aber immer wieder auch annähernd geniale Sequenzen. So folgt in der zweiten Episode (Regie: Wilson Yip) auf eine Szene, in der sich jüdische KZ-Musiker ihrem Aufseher widersetzen und lautstark das israelische Volkslied „Hava Nagila“ anstimmen (was ihren Tod bedeutet), eine knallbunte Superheldensequenz, in der die Hunters-Mitglieder (Lonny nennt sie: „jewperheroes“) zu einer Surfrock-Version desselben Volkslieds vorgestellt werden – wobei man bei der Musik natürlich sofort an das orientalische „Misirlou“ denken muss, das in Dick Dales Version aus Tarantinos „Pulp Fiction“ weltberühmt geworden ist. In solchen Momenten kommt all das, was „Hunters“ offenbar gleichzeitig sein will, das Spiel mit den Zitaten, die historische Referenz und der ebenso ungewohnte wie gewagte Zugriff darauf, sehr glücklich zusammen. In anderen Momenten überwiegt jedoch die Skepsis.

So bleibt „Hunters“ nach zwei von zehn Episoden – vermutlich auch noch nach fünf oder sieben – letztlich kaum bewertbar. Die souverän bis brillant in Szene gesetzte Serie, mitproduziert übrigens vom Regie-Shootingstar Jordan Peele („Get Out“), ist auf alle Fälle den Blick wert; ob sie Begeisterung oder Abscheu auslöst oder, wie bei mir, beides davon und alles dazwischen, das sollte jeder für sich selbst herausfinden.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten zwei Episoden von „Hunters“.

Meine Wertung: 3/​5

Die zunächst zehnteilige Serie „Hunters“ wurde am 21. Februar 2020 weltweit bei Prime Video veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1990) am

    @xena_123: Warum sollte man? Damit sich Rassisten wie Sie daran aufgeilen können?
    • (geb. 1965) am

      Für mich eine Spannende und gelungene Serie die sich was traut und obendrein überrascht. Dies ist garantiert keine beliebige Mainstreamserie sondern etwas das sich um politische Korrektheit nicht schert. Hier wird etwas gezeigt das man zu recht als Mutig und innovativ bezeichnen kann und sich aus der Massenware wohltuend abhebt.  Verfügt  diese Serie doch über eine Erzählweise die im Kino kaum möglich wäre .Über das  was dieserart moderne  Shows auszeichnet die von unabhängigen Streamingdiensten oder Pay TV's solcherart erst möglich werden und in Hollywoods Konzernen niemals so gezeigt würden. Es sind eigentlich Stundenlange Filme mit Unterbrechungen und nicht wirklich traditionelle Serienformate und das macht es aus. Ein Filmformat das sich Zeit lässt um die Figuren kennenzulernen. Eines das man nicht in eine Schublade stecken kann weil es Grenzüberschreitend weder das eine noch das andere ist. Es hat keine feste Schablone oder Form und ist somit nicht wirklich einzuteilen. Es ist vieles und damit für mich persönlich genau das was ich daran reizvoll und interessant finde wo andere es dafür Kritisieren.
      • (geb. 1969) am

        Dieser Beitrag wurde redaktionell entfernt.
        • (geb. 1965) am

          Aber wer sagt den das die Taten der Naziverbrecher/Kriegsverbrecher gleichbedeutend seihen  mit den Deutschen . Das ist ja nicht der Vorwurf dieser Serie oder deren Aussage. Darum geht's hier ja gar nicht. Es geht um Nazi Verbrecher Mörder. Das hat erstmal doch nichts mit den Deutschen an sich zu tun zumindest nicht mit uns heute. Ich hab damit kein Problem das dort fiktiv Deutsche Mörder zu Strecke gebracht werden die fürchterliches getan haben. Dies ist ja so gewesen. Und das die Amerikaner eine große Naziszene haben sollte man obendrein wissen , aber davon hört man selten etwas. Nun raten sie mal wo der Ursprung oder das Vorbild herkommt. Vergeben oder Vergessen können Sie vergessen, dazu war dies viel zu drastisch was damals geschah und obendrein einen Weltkrieg auslöste. Dies zu relativieren mit oben genannten Genoziden oder zu vergleichen gelingt nicht wirklich.  Diese Ereignisse sind nun mal leider mit denen von Hitlerdeutschland nicht zu schlagen.
      • (geb. 1987) am

        Ich weiß ja nicht...
        Man könnte ja mal eine Serie machen, in der sich ehemalige weiße Polizisten und Exmarines sich zusammenschließen, um eine Verschwörung aus Schwarzen zu bekämpfen, die einen Umsturz planen.
        Die zusammengewürfelte Truppe stürmt unter Rockmusik und flotten Sprüchen ein Haus nach dem anderen und es kommt zu "witzigen" Splatterszenen...
        Oder der deutsche Großwildjäger, der in den 30ern seine Familie mit Gemetzel rächt, die in Namibia Kanibalen zum Opfer fiel... Oder der Redneck, dessen Frau 1980 von Indianern skalpiert wurde...
        OK... da würden sich ein paar Gruppen wehren und sagen: "Halt stopp! Spinnt ihr?"
        Also nimmt man als abgrundtiefe Bösewichte zu denen man mal so richtig grausam sein kann ("Höhöhö"!): Zombies, Aliens, Orks... und Deutsche.
        • (geb. 1955) am

          Ich finde diese Serie herausragend! Frei von typischen Klisches, ständigen Schuldzuweisungen und ohne mystischen Firlefanz! Hier die Guten - da die Bösen. Perfekt....
          • (geb. 1958) am

            Nach zwei Folgen würde ich dem Ganzen nur zwei Sterne geben. Denn mir ist zuviel historisch falsch dargestellt. Man nehme nur die Raketenexpertin. Hier auf einem kleinen Bild ist sie ähnlich einer Rotkreuzschwester gekleidet, mit Hitler in brauner Uniform der Kampfzeit und einer Dose Zyklon B. So etwas Schlimmes habe ich bis dato nicht gesehen. Da von den sogenannten Naziverbrechern erst in den Neuzigern die ersten die USA verlassen mussten, wohl nur der traurige Versuch, etwas Wahres einzubringen und ist damit ziemlich schnell gescheitert.

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