„Solange wir lügen“: Mystery-Drama ohne Mystery? – Review

Young-Adult-Romanverfilmung startet auf Amazon Prime Video

R.L. Bonin
Rezension von R.L. Bonin – 17.06.2025, 18:30 Uhr

Die Amazon-Prime-Video-Serie „Solange wir lügen“ basiert auf dem Roman von E. Lockhart. – Bild: © Amazon Content Services LLC
Die Amazon-Prime-Video-Serie „Solange wir lügen“ basiert auf dem Roman von E. Lockhart.

„Liars“ (auf Deutsch: Lügner) – so werden die vier Teenager, die jeden Sommer auf einer Privatinsel verbringen, von ihrer Familie liebevoll genannt. Doch hinter dem Spitznamen verbirgt sich eine gefährliche Wahrheit – oder eben Unwahrheit, je nachdem, wie man es nimmt. Genau darum geht es in der seriellen Adaption des Young-Adult-Romans von E. Lockhart, „Solange wir lügen“, die am 18. Juni auf Amazon Prime Video erscheint. Im Mittelpunkt steht die 17-jährige Cadence Sinclair (Emily Alyn Lind), die nach einem mysteriösen Vorfall an Amnesie leidet und auf die Insel zurückkehrt, um die Wahrheit zu erfahren.

Die Sinclairs sind eine US-amerikanische Familie wie aus dem Bilderbuch: reich, weiß und wunderschön. Die Sommermonate verbringen sie auf der Privatinsel Beechwood, wo jedes Familiencluster ein eigenes Haus hat. Familienoberhaupt ist natürlich der Patriarch Harris Sinclair (David Morse), der wie ein König über sein Reich und seine Untertanen herrscht – eine Metapher, die auch in der Serie durch Cadence im Off häufig zum Ausdruck kommt. (Dass die Serie ausgerechnet zu Zeiten großer politischer Unruhen mit den „No Kings“-Demonstrationen in den USA erscheint, ist wohl etwas ungünstig, wenn auch zufällig.)

Cadence ist zum Startpunkt der Handlung 16 Jahre alt, unbekümmert und eine typische Teenagerin. Sehnsüchtig erwartet sie die Ankunft ihrer gleichaltrigen Cousins Mirren (Esther McGregor) und Johnny (Joseph Zada), sowie von Gat (Shubham Maheshwari), der einzige „Nicht“-Sinclair. Auch er verbringt seit seinem achten Lebensjahr jeden Sommer mit der Familie, weil sein Onkel mit einer der Sinclair-Töchter liiert ist. So sind die Vier jeden Sommer unzertrennlich. Sie machen Quatsch, spielen Streiche und bekommen somit schnell den Spitznamen „Liars“ verpasst.

Gat, der einzige der „Liars“, der nicht zur Sinclair-Familie gehört. © Amazon Content Services LLC

Doch im Sommer 2016, der Zeitpunkt, an dem die Handlung beginnt, hat sich etwas verändert: Gat scheint Cadence auf eine Art zu verstehen und zu sehen, wie sonst keiner. Oder zumindest fällt es Cadence erstmals auf, die in Gat plötzlich einen jungen Mann und nicht mehr einen „Pseudo“-Cousin sieht. Nur, wie sie selbst im Off zum Ende der Pilotepisode sagt, darf man nie vergessen: Sie alle lügen (im englischen Original wird hier an den eigentlichen Titel erinnert: We were liars).

So haben auch die Erwachsenen ihre Probleme und Geheimnisse. Da wäre Ed (Rahul Kohli), Gats Onkel, der sich nach all den Jahren noch immer seinen Platz in der Familie, und somit den Respekt seines Quasi-Schwiegervaters, erkämpfen muss. Oder Bess (Candice King), die „scheinbar“ perfekte Sinclair, bei der jedoch erwartungsgemäß der Schein natürlich trügt. Ihr Gegenpart ist dafür die etwas zu entspannte Carrie (Mamie Gummer), Eds Partnerin. Auch Penny (Caitlin FitzGerald), Cadences Mutter, verbirgt hinter einer kühlen Fassade ihr Leiden durch die Scheidung. Genau das wird aber vor allem von der Mutter der Sinclair-Töchter, Tipper (Wendy Crewson), gepredigt und vorgelebt: Schultern zurück, Kinn hoch und sich ja nichts anmerken lassen.

Die Sinclairs sind eine Familie wie aus dem Bilderbuch. © Amazon Content Services LLC

Dadurch ergibt sich schnell ein klares Bild: Was auch immer die „Liars“, also die Jugendlichen tun, steht auch immer in Verbindung zu ihren Eltern. Zum Beispiel erklärt Cadence (im Off) zu Beginn der ersten Episode, dass vor den Ereignissen im Sommer 2016 keiner von ihnen kriminell, süchtig, emotional abhängig oder ein Versager ist – was sich zunächst auf die Teeanger zu beziehen scheint. Am Ende der Folge wiederholt sie die Aussage, dabei werden jedoch nicht die „Liars“, sondern ausgewählte Erwachsene gezeigt. Das macht aus „Solange wir lügen“ mehr als nur klassisches Teenager-Drama.

Allerdings bleibt das nicht durchgängig ersichtlich. Vor allem die erste Episode dreht sich hauptsächlich um Cadences neuentdeckte Gefühle für Gat. Sehnsüchtige Blicke, extreme Nahaufnahmen von Haarsträhnen, Lippen und Knie, die sich minimal berühren, sorgen mehr für Gähnen als Schmachten. Auch die Dialoge wirken oft gekünstelt und dadurch fehlt es dem Schauspiel an Authentizität und Glaubwürdigkeit. Womöglich ist das aber auch ein bewusst gewähltes Stilmittel: Alles wirkt zu schön, um wahr zu sein, märchenhaft und idyllisch, um Cadences jugendlich-naive Perspektive einzufangen. Damit brechen aber (zum Glück) die dunklen, bedrohlichen Bildfetzen, die zu schnell dazwischen geschnitten sind, um Details zu erkennen. Dafür machen sie neugierig und deuten an, dass die zugegeben etwas langweilige Träumerei bald vorbei ist.

Cadence sieht in Gat im Sommer 2016 mehr als nur einen Freund der Familie. © Amazon Content Services LLC

Und so kommt es auch: Zum Abschluss der ersten Folge wird offenbart, dass all diese ach-so-schönen Ereignisse wohl zu einem schrecklichen Vorfall geführt haben. Nur kann sich Cadence an nichts mehr erinnern. Weshalb sie ein Jahr später, im Sommer 2017, nach Beechwood zurückkehrt, um endlich Antworten zu bekommen. Damit nimmt die eigentliche Handlung erst so richtig mit der zweiten Episode Fahrt auf – und macht die erste dadurch zu einem ausgedehnten Prolog, den es in der Fülle und Länge im Nachhinein wohl kaum gebraucht hätte.

Die 2017er-Cadence hat sich natürlich stark verändert, sowohl innerlich als auch äußerlich. Sie ist zynisch und schnippisch, die verträumte, kindliche Art, ihr Leben wie ein perfektes Märchen zu betrachten, ist verflogen. Das macht es auch deutlich einfacher, den häufigen Zeitsprüngen zu folgen. Diese werden auch visuell elegant aufgelöst – beispielsweise, wenn die 2016er Cadence die Treppe hinuntergeht und die 2017er unten ankommt.

Auch die anderen Liars wirken reifer und erwachsener als ihre 16-jährigen, vergangenen Ichs. Gleichzeitig rücken Oberflächlichkeiten und Belanglosigkeiten im Allgemeinen stärker in den Hintergrund. So thematisiert Folge zwei, dass Gat nicht nur nicht zur Familie gehört, sondern – bis auf Ed – der einzige Nicht-Weiße auf der Insel ist. Somit gewinnen die Konflikte zwischen den Teenagern zwar deutlich an Tiefe, was den anfänglichen, platten Eindruck der Serie etwas ausbalanciert. Dennoch kommt es zu ermüdenden Wiederholungen: Immer wieder werden bereits geklärte Probleme aufgegriffen, was auch in Folge zwei für Längen sorgt.

Teenager und Erwachsene spielen in „Solange wir lügen“ gleichermaßen eine Rolle. © Amazon Content Services LLC

Alles in allem erzählt „Solange wir lügen“ nichts Neues. Im Zentrum steht nun mal eine privilegierte, weiße Familie mit jugendlichen Protagonist:innen. Teenie-Drama gepaart mit typischer Scheinheiligkeit von Erwachsenen sind vorprogrammiert. Das Rätsel um das mysteriöse Ereignis bringt etwas Spannung in die monotone Welt, doch es genügt nicht, um für ausreichend Kontrast zwischen den Sommern 2016 und 2017 zu sorgen. Bis auf Cadence und dem Haupthaus scheint alles, zumindest äußerlich, beim Alten geblieben zu sein. Das raubt dem „Mystery“ Bedeutungskraft – und somit Zusehenden möglicherweise die Motivation, dranzubleiben. Warum die serielle Adaptation des 2014 erschienenen Romans ausgerechnet 2016 und 2017 als Handlungszeitpunkte wählt, ist tatsächlich rätselhaft. Inhaltlich spielt nichts spezifisch auf diesen Zeitraum an, wodurch noch mehr Distanz zu den Charakteren und zur Handlung entsteht.

Für alle, die die Buchvorlage gelesen haben, könnte sich die Serie dennoch lohnen, um die Zusammenhänge mit einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Allen anderen Interessierten empfiehlt es sich, vor allem die zweite Episode als eigentlichen Startpunkt der Handlung zu verstehen. Teenie-Drama trifft auf Familiengeheimnisse und einen winzigen Hauch von Thriller – kann man schauen, muss man aber nicht.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten zwei Episoden von „Solange wir lügen“.

Meine Wertung: 3/​5

„Solange wir lügen“ feiert am 18. Juni 2025 auf Amazon Prime Video Premiere. Die erste Staffel umfasst acht Episoden. Mitentwickelt und produziert wurde die serielle Adaptation des Romans von „Vampire Diaries“-Schöpferin Julie Plec. Das Buch von E. Lockhart erschien 2014.

Über die Autorin

Originalität – das macht für R.L. Bonin eine Serie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon als Kind entdeckte die Autorin ihre Leidenschaft für das Fernsehen. Über die Jahre eroberten unzählige Serien unterschiedlichster Genres Folge für Folge, Staffel für Staffel ihr Herz. Sie würde keine Sekunde zögern, mit Dr. Dr. Sheldon Cooper über den besten Superhelden im MCU zu diskutieren, an der Seite von Barry Allen um die Welt zu rennen oder in Hawkins Monster zu bekämpfen. Das inspirierte sie wohl auch, beruflich den Weg in Richtung Drehbuch und Text einzuschlagen. Seit 2023 unterstützt sie die Redaktion mit der Erstellung von Serienkritiken. Besonders Wert legt sie auf ausgeklügelte Dialoge, zeitgemäße Diversity und unvorhersehbare Charaktere.

Lieblingsserien: Lost in Space, Supergirl, Moon Knight

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1968) am

    "Im Zentrum steht nun mal eine privilegierte, weiße Familie mit jugendlichen Protagonist:innen."


    Wenn das Wort „weiße“ ausdrücklich genannt werden muss, würde dann die Farbe auch erwähnt werden, wenn es sich nicht um Weiß handelt? Ich denke, dass es nicht getan worden wäre. Daher betrachte ich es als unnötig und nicht förderlich für die Völkerverständigung.

    weitere Meldungen

    Hol dir jetzt die fernsehserien.de App