„Deep State“: Charismatischer Mark Strong hebt FOX-Verschwörungsdrama über Mittelmaß – Review

Serie erfindet das Genre nicht neu, bedient routiniert Fans

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 09.04.2018, 15:00 Uhr

Mark Strong in „Deep State“ – Bild: FOX Channel
Mark Strong in „Deep State“

Wenn es in unseren Tagen ein offenbar unstillbares Bedürfnis gibt, dann ist es das nach Geschichten, die die „ganz große Verschwörung“ enthüllen. Vielleicht wird dereinst ein Forscher nachweisen können, dass sich Spy Movies und Geheimdienststorys – nach erster Hochphase während des Kalten Kriegs – proportional zu den in Kommentarspalten und Sozialen Medien ventilierten Verschwörungstheorien vermehren. Hinter allem, was schiefläuft oder als schief wahrgenommen wird, muss doch irgendwer Einflussreiches stecken: die Rüstungsindustrie! die Medien! die Regierung! die zionistische Weltverschwörung! Und so weiter. Nach dem Motto: Ich kann’s zwar nicht beweisen, aber kannst du denn beweisen, dass ich Unrecht habe? Geheimdienstfiktionen machen zudem idealen Gebrauch der Kernkompetenzen von Kino und Serien: von der Vortäuschung falscher Tatsachen, vom So-tun-als-Ob. In diesen Geschichten hat jede Figur versteckte Motive und falsche Identitäten. Jeder Betrogene betrügt selbst, und oft hat selbst der Betrug einen doppelten Boden.

Nach Langstreckenläufern wie „Homeland“ und „The Americans“, Retro-Thrillern wie „Berlin Station“ und der gefeierten Miniserie „The Night Manager“ kommt nun also „Deep State“„, vorgelegt von der Fox-Abteilung für „Europa und Afrika“, was sich schon darin äußert, dass sämtliche Schauplätze der Serie, die nicht in London oder den USA spielen, also von Beirut über Teheran bis Turkmenistan, von Marokko gedoubelt werden. Auch der Titel des von den Autoren Matthew Parkhill und Simon Maxwell („Odyssey“) entwickelten Achtteilers bedient wohlig verschwörungstheoretische Instinkte: Der deep state, der „Staat im Staat“, der die eigentlichen Strippen zieht, muss hier ein völlig aus dem Ruder gelaufener Geheimdienst sein.

In diesem Fall steht eine klandestine Spezialeinheit von britischem MI6 und amerikanischer CIA im Mittelpunkt des Geschehens. Unter Leitung des Libanesen Said (Zubin Varla, „Klein Dorrit“) sollen Harry (Joe Dempsie, „Skins – Hautnah“, Gendry aus „Game of Thrones“), seine Verlobte Leyla (Karima McAdams), der Perser Omar (Tom Reed, „NYC 22“) und der Engländer Cooper (Mel Raido) in Teheran iranische Wissenschaftler liquidieren, die an der nuklearen Aufrüstung des Mullah-Staates werkeln. Als sie durch sind mit den Killer-Jobs, gibt’s noch einen plötzlichen letzten Auftrag: Es geht um den milliardenschweren Stahlmagnaten Ali Ardavan (Bijan Daneshmand), der das Atomprogramm in großem Stil finanziert. Allerdings scheint es innerhalb des Teams nicht nur einen zu geben, der eine andere Agenda hat.

Max’ Ehefrau Anna (Lyne Renée)

So weit, so gerade noch überschaubar. Ins Spiel kommt nun allerdings der MI6 selbst. Dessen Londoner Chef George White (versnobt und fies: Alistair Petrie aus „The Night Manager“) hat das „Section“ genannte Team beauftragt, doch als jenes auf eine brisante Querverbindung zu einer amerikanischen Anwaltskanzlei stößt, entscheiden George und seine CIA-Kollegin Amanda Jones (eisig: Anastasia Griffith, „Copper – Justice is brutal“), dass das Team dran glauben muss. Wer den Job erledigen soll? Ex-Spion Max Easton, Vater von Harry.Diesen Max spielt mit Jason-Statham-haftem Stoizismus der charismatische Brite Mark Strong, einer von Hollywoods meistbeschäftigten Nebendarstellern, der gerade in Agententhrillern („Dame, König, As, Spion“, „The Imitation Game“) gerne und häufig besetzt worden ist, manchmal sogar – die dunklen Glutaugen machen’s möglich – als Araber, etwa in „Syriana“, einem Film, mit dem „Deep State“ vieles gemein hat: die semidokumentarischen Aufnahmen aus arabischen Städten etwa und die diffuse Atmosphäre einer Bedrohung durch den militär-ökonomischen Komplex in einer vom Krieg zerrütteten Region.

Der verlorene Sohn Harry (Joe Dempsie)
Ex-Agent Max und das Spannungsfeld, in dem sein Leben stattfindet, wird gleich zu Beginn der Pilotfolge in einer starken Parallelmontage vorgestellt: Da sieht man ihn, wie er seiner Frau Anna (Lyne Renée, „Madoff – Der 50-Milliarden Dollar Betrug“) und den zwei kleinen Töchtern in seinem Traumhaus an den Hängen der französischen Pyrenäen ein Frühstück auftischt, mit verlockend gelbem Orangensaft in den Gläsern. Dann fährt er mit den Töchtern zur Schule, über weite südfranzösische Felder. Parallel dazu zeigt Regisseur Robert Connolly („The Slap – Nur eine Ohrfeige“) einen iranischen Vater (wohl einer der Atomwissenschaftler), der mit seiner Familie ebenfalls beim Frühstück sitzt, mit dem gleichen verlockend gelben Orangensaft in den Gläsern. Dann fährt er mit dem Auto in den Teheraner Stadtverkehr. Sowohl ihm als auch Max nähert sich ein Motorradfahrer. Max ist spürbar beunruhigt. Doch während der Iraner von einer Bombe in die Luft gesprengt wird, passiert bei Max: nichts. Noch vor der stylishen Eröffnungssequenz ist der Charakter des Protagonisten clever durchskizziert: Der vermeintlich arglose Familienvater scheint ein Geheimnis zu haben, das ihn fürchten lässt, selbst in der tiefsten Provinzidylle davon eingeholt zu werden. Die Titelmusik fängt das schön ein: Es ist eine verspulte Coverversion des Talking-Heads-Klassikers „Once in A Lifetime“, der Mutter aller Identitätskrisensongs: „This is not my beautiful house. How did I get here?“

Zehn Jahre lang lebt Max nun schon in seiner Schöner-Wohnen-Idylle mit Familie, Weinkeller und Schreinerjob, da holt ihn die Vergangenheit ein: George erpresst ihn durch Bedrohung seiner Familie, noch ein einziges Mal für ihn tätig zu werden. In London angekommen, wird Max über seinen Rachedurst gepackt: Angeblich ist Teamleader Said durchgedreht und abtrünnig geworden, angeblich ist Max’ Sohn Harry dabei ums Leben gekommen. Der Ex-Killer soll das Team nun liquidieren.

Der schreitet nun zur Tat, und spätestens hier ist klargeworden, dass auf der reinen Plot-Ebene nicht allzu viel Neues zu erwarten sein dürfte von dieser soliden Agentenserienvariante. Jeder lügt jeden an. Von George über dessen Assistenten Walker (Kingsley Ben-Adir, „Vera – Ein ganz spezieller Fall“), der heimlich den Killer Laurence (Alexandre Willaume, „Countdown Copenhagen“) anheuert, um Max’ Familie umzubringen, über Hassan, den Fixer des Teams in Beirut (Nabil Elouahabi) und den zwielichtigen Gangsterboss Baraket (Igal Naor aus „The Honourable Woman“) bis hin zu Max selbst, der nicht nur seine Ex-Frau Olivia belügt, eine Politjournalistin (Amelia Bullmore, „Scott & Bailey“), sondern auch seine neue Frau, der gegenüber er sich als Banker in Nöten ausgibt. Was diese so skeptisch macht, dass sie dem Gatten fortan hinterherspioniert, zusammen mit ihrem Hacker-Bruder Noah (Adrien Jolivet) – mit gravierenden Folgen. Undichte Stellen, Safe Houses, Autobomben, Folterszenen, geheime Schließfächer oder Waffendealer, die sich als Stoffhändler tarnen: Man kennt das alles – indes bemühen sich die Autoren um eine durch clevere Verschachtelung der Zeitebenen reizvolle Erzählweise, unterstützt noch durch eine durchweg gelungene, an neuralgischen Stellen kühn vor- und zurückspringende Montage (Schnitt: Philip Hookway).
Max (Mark Strong) und sein alter Weggefährte Gabriel (Fares Fares)

Actionszenen sind dagegen in den ersten beiden Episoden eher rar gesät. Die wenigen, die es gibt, inszeniert Connolly jedoch vergleichsweise packend. Die besten Szenen spielen sich trotzdem jenseits dessen ab: Das Wiedersehen von Max und seinem früheren Partner-in-Crime Gabriel (immer gut: Fares Fares, „Die Kommune“), der sich als Bestattungsunternehmer tarnt, ist einer der wenigen humorigen Lichtblicke im ansonsten rechtschaffen bierernsten Geschehen, und Lyne Renée bietet in der Szene, in der sie die (vorläufige) Wahrheit über ihren Mann erfährt, große Schauspielkunst.

Insgesamt hinterlassen die stringent inszenierten ersten Folgen einen durchaus ordentlichen Eindruck – vor allem auch aufgrund des starken Casts. Allerdings wirkt das fast schon grenzparodistische Einziehen doppelter Motiv-Böden in nahezu jede Figur eher selbstzweckhaft und lässt berechtigte Zweifel aufkommen, ob sich der Spannungsbogen über acht Episoden aufrechterhalten lässt. Als Fan von Spionageserien sollte man aber auf jeden Fall einen Blick riskieren und austesten, ob sich die Autoren womöglich noch von den bekannten thematischen Pfaden lösen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Deep State“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: FOX Networks Group (FNG) Europe and Africa


„Deep State“ feiert seine Deutschlandpremiere am morgigen Dienstag (10. April 2018) um 21:00 Uhr beim Pay-TV-Sender FOX Channel. Eine zweite Staffel der Serie ist bereits bestellt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Dit klingt irgendwie nach ner voll billigen Version von "Homeland"!!

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