Big Brother 14 im Discounter-Modus in der Streamingnische
Vier weitere Jahre zogen ins Land, bevor es nach einer langen Pause wieder so weit war und „Big Brother“ im März 2024 zum 14. Mal in Deutschland seine Tür öffnete. Diesmal unter anderen Vorzeichen: Zum ersten Mal in der Geschichte des Formats wurden die Tageszusammenfassungen nicht zeitnah bei einem linearen Sender ausgestrahlt, sondern exklusiv bei dem Streamingdienst Joyn. Dort kehrte zur Freude der Fans auch der 24-Stunden-Livestream zurück – im kostenpflichtigen Bereich Joyn Plus+, allerdings im Gegensatz zum früheren Sky-Kanal ohne zusätzliche Gebühr. Einzig die wöchentlichen Live-Shows sollten planmäßig zu später Stunde am Montagabend in Sat.1 ausgestrahlt werden – nicht die einzige Fehlentscheidung, die getroffen wurde.
Die Bewohner der 14. Staffel im Container Seven.One
BB14 sollte sich ganz offiziell an der allerersten Staffel orientieren. So wie im Jahr 2000 lebten die Bewohner also in kompletter Isolation in einem einzigen Bereich in einem Container – allerdings nicht mehr wie damals in Hürth, sondern auf dem ehemaligen Gelände der „Lindenstraße“ in Köln-Bocklemünd, das zuvor schon für die jüngste „Promi Big Brother“-Staffel genutzt wurde. Luxus gab es nicht, stattdessen bestach der Container durch seine simple Ausstattung. Alles war normal bis spartanisch eingerichtet und spielte sich auf 378 Quadratmetern ab. Es gab ein gemeinsames Schlafzimmer für alle Bewohner mit Stockbetten. Der Außenbereich erinnerte mehr an einen vergrößerten Austritt als an einen Garten.
Bewohner im Garten Seven.One
Spartanisch war jedoch nicht nur die Einrichtung. Wer dachte, dass bereits die Staffeln 12 und 13 kostengünstig dahergekommen waren, dem wurde mit Staffel 14 bewiesen, was Low Budget wirklich heißt: Überwiegend wurden die Bewohner sich selbst überlassen. Insbesondere in den ersten Wochen waren Aufgaben oder anderer redaktioneller Input für die Bewohner Mangelware. Aufwendige sportliche Herausforderungen oder gar ein Matchfield gehörten längst der Vergangenheit an. Auch Wissensspiele gab es selten, stattdessen wurden überwiegend belanglose Partyspiele durchgeführt, wie einen Jenga-Turm bauen oder einen Tischtennisball mit dem Schläger so lange wie möglich in der Luft halten. Es gab nicht mal mehr wie früher einen Matchmaster bzw. Schiedsrichter, stattdessen mussten die Bewohner die Spielregeln von einem Bildschirm selbst vorlesen. Die sogenannte „Aufgabe der Woche“ dauerte oftmals nur eine halbe Woche – sofern sie nicht direkt von den demotivierten Bewohnern abgebrochen wurde.
Das Tischtennisball-Spiel – exemplarisch für die 14. Staffel Seven.One
Die Tageszusammenfassungen waren nicht mehr wie früher 45 Minuten lang, sondern wurden auf äußerst knappe 32 Minuten reduziert. Die Liveshows hatten die Bezeichnung „Show“ eigentlich nicht mehr verdient. Waren sie früher das BB-Highlight der Woche mit aufwendigen Live-Matches, Live-Nominierungen, Gästen, Fanblöcken und vielem mehr, fanden die Sendungen nun ohne Publikum und auch nicht mehr in einem richtigen TV-Studio statt. Stattdessen meldete sich Jochen Schropp aus einem kleinen Aufenthaltsort auf dem Container-Gelände.
Jochen Schropp in seiner Moderationsecke Seven.One/Willi Weber
Entsprechend ernüchtert waren die ausgeschiedenen Bewohner, die nach ihrem Exit nicht von jubelnden Fans empfangen wurden, sondern lediglich ein kurzes Gespräch mit dem Moderator an der Ausgangstür führen durften. Bewohnerin Luanna, die an einem Feiertag zu unüblicher Zeit den Container verlassen musste, wurde nicht einmal von Schropp abgeholt. Noch beschämender: Das Ergebnis dieses Exit-Votings wurde von der BB-Stimme (Phil Daub) nicht mal live verkündet, stattdessen wurden voraufgezeichnete Tonschnipsel ins Haus gespielt.
Ganz offensichtlich durfte die Staffel nicht viel kosten, doch auch mit geringem Budget hätte man eine ordentliche Produktion hinbekommen können. Bedauerlicherweise wurden aber auch konzeptuell einige Fehler gemacht – allen voran bei der Nominierung, dem absoluten Herzstück des Formats. Aus unerfindlichen Gründen wurde während der gesamten Staffel nur zweimal eine normale Nominierung durchgeführt, bei der wirklich alle Bewohner eine Stimme hatten. In den meisten anderen Fällen hatten nur einige wenige Bewohner als Belohnung für gewonnene Spiele die alleinige Macht darüber, wer auf der Liste landet – oder sie konnten sich selbst schützen. Dies hatte zur Folge, dass sich manche Bewohner in der gesamten Staffel kein einziges Mal dem Zuschauervoting stellen mussten.
Essenszeit im „Big Brother“-Container Seven.One
Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie in der Staffel an allen Ecken und Enden gespart wurde. Wer in dieser Staffel zum ersten Mal mit „Big Brother“ in Berührung kam, hat den Reiz des Formats vermutlich nicht nachvollziehen können. Immerhin: In der zweiten Staffelhälfte war ein guter Wille erkennbar und man bekam den Eindruck, dass die Macher selbst mehr Spaß an der Sendung bekamen und die Bewohner liebgewonnen hatten. Die Verantwortlichen legten sich spürbar mehr ins Zeug gelegt und setzten originelle Ideen wie die Würfelwoche oder „Böse Weihnachten“ um. Auch die „Stunde der Wahrheit“ für mehrere Bewohner zeigte Wirkung. Doch insgesamt wurde viel zu viel Potenzial verschenkt.
Die größte Herausforderung bestand für die Bewohner darin, die lähmende Langeweile im Container auszuhalten – was diese auch unverblümt äußerten. Möglicherweise warfen auch deshalb so viele von ihnen das Handtuch. Mit einem Einzug von anfangs 17 Bewohnern wollte man eigentlich vermeiden, ungeplante Exits mit Ersatzbewohnern kompensieren zu müssen. Doch nach insgesamt vier freiwilligen Auszügen und einem Rauswurf wegen Fehlverhalten schickte man zur Hälfte der Staffel doch drei Nachzügler rein, die auch tatsächlich für nötigen frischen Wind sorgten. Auch insgesamt war der vielfältige Cast ein großer Pluspunkt der Staffel, der im Vergleich zu den Vorjahresstaffeln auch eine größere Altersspanne (Bewohner zwischen 20 und 55 Jahren) umfasste. Ganz gezielt entschied man sich gegen Influencer oder bereits anderweitig bekannte TV-Persönlichkeiten. Zu den prägenden Bewohnern der Staffel gehörten die quirlige Frauke und ihre On/Off-Beziehung mit Marcus, der stolze Finalticket-Inhaber Mateo, die warmherzige Container-Mutti Tanja alias Taube und „Bruder“ Christian, der wegen Mitbewohnerin Maja „Vögel im Bauch“ hatte. Marcus wurde am Ende der Staffel zum Gewinner der 100.000 Euro gewählt und setzte sich mit 50,54 Prozent knapp gegen Frauke durch.
Die Finalisten: (v. l.) Maja, Frauke, Christian, Marcus, Benedikt und Mateo Seven.One
Nachdem die Startshow in Sat.1 noch von 990.000 neugierigen Zuschauern verfolgt wurde, brachen die linearen Quoten der wöchentlichen Liveshows rasch ein, weshalb auch diese im Verlauf der Staffel zu Joyn wechselten. Die lineare TV-Quote sei für den Erfolg ohnehin nicht ausschlaggebend, hieß es. Vor allem sollte „Big Brother“ den Streamingdienst Joyn pushen. Hier wurde im Verlauf der Staffel mehrfach betont, dass diese über den Erwartungen laufe und ein großer Wachstumstreiber für Joyn gewesen sei. Insbesondere sei der Livestream erfolgreich gewesen – im Schnitt schaute laut offiziellen Angaben jeder Livestream-Nutzer über vier Stunden „Big Brother“ pro Tag. Nach Angaben von DWDL betrug dort die wöchentliche Nettoreichweite 170.000 Zuschauer. Das erscheint auf den ersten Blick überschaubar – dennoch war BB für den insgesamt wenig populären Streamingdienst eines der gefragtesten Formate. Aus diesem Grund wurde tatsächlich eine Fortsetzung angekündigt.
Staffel 15 steht bevor: Grund zur Freude?
Die 15. Staffel beginnt am 24. Februar und spielt sich erneut vorrangig auf dem Streamingdienst Joyn ab, wo der 24-Stunden-Livestream und jeweils um 19 Uhr die Tageszusammenfassungen angeboten werden, die wie im Vorjahr eine halbe Stunde dauern werden. Anstelle von Sat.1 ist nun wieder sixx als Partnersender dabei, wo montags bis freitags am Vorabend live um 19:15 Uhr „Big Brother – Die Show“ zu sehen sein wird – und für dieses einstündige Format werden ganze vier Moderatoren im Einsatz sein: Melissa Khalaj, Elena Gruschka, Jochen Schropp und Jochen Bendel laden als wechselnde Moderationsduos zur „Big Brother“-Sprechstunde. Zusammen mit Gästen und der Fan-Community wird über die „Big Brother“-Themen des Tages diskutiert. Der direkte Austausch mit den Zuschauern wurde bei der 14. Staffel völlig vernachlässigt. Diesen Fehler möchte man nun offenbar mit der werktäglichen Show auf sixx ausmerzen.
Moderieren „Big Brother – Die Show“: (v. l.) Jochen Schropp, Elena Gruschka, Melissa Khalaj und Jochen Bendel Joyn/Christoph Köstlin/Marc Rehbeck
Dafür begeht man erneut einen anderen Fehler: Sowohl die sixx-Show als auch die Tageszusammenfassungen auf Joyn wird es lediglich montags bis freitags geben, nicht aber am Wochenende. Bereits bei der 13. Staffel fehlten samstags und sonntags die Tageszusammenfassungen, was dem Format alles andere als zuträglich war. Noch offen ist außerdem, wann und in welcher Form die Nominierungen und Auszüge über die Bühne gehen werden, denn die altbekannten wöchentlichen Entscheidungs-Shows wird es diesmal nicht geben. Zu allem Überfluss und zur kompletten Verwirrung läuft die Live-Einzugsshow am 24. Februar nicht auf sixx, sondern in Sat.1 – und zwar erst zu später Stunde um 23:15 Uhr! Man könnte meinen, die Verantwortlichen tun alles dafür, damit „Big Brother“ auch diesmal möglichst wenige Zuschauer erreicht.
Und noch eine bedeutende Veränderung gibt es: Während die zurückliegende Staffel noch 99 Tage dauerte, wird die kommende 15. Staffel nur 50 Tage umfassen – und damit zur kürzesten deutschen Staffel aller Zeiten werden. Die neue Staffel wird halb so lang, aber doppelt so schnell, betont Joyn-Programmchef Thomas Münzner. Dies wolle man unter anderem dadurch erreichen, dass wöchentlich neue Menschen im Container begrüßt werden. Immer wieder werden neue Bewohner:innen einziehen, die wir kennenlernen werden und die sich in die Gruppe integrieren und die Zuschauer:innen von sich überzeugen müssen. Schon am Mittwoch, also nur zwei Tage nach dem Start, muss der erste Bewohner das Haus verlassen und Platz für den ersten Nachrücker machen. Dieses Bäumchen-wechsel-dich-Prinzip ist elementarer Bestandteil der neuen Staffel.
Die ersten zwölf Bewohnerinnen und Bewohner von „Big Brother“ 2025 Joyn/Willi Weber
Ganz offensiv wurde auf der Pressekonferenz angekündigt, dass man diesmal die „Realitystars von morgen“ suchen würde. Insgesamt haben sich rund 6000 Menschen für die Staffel beworben. In dem Zusammenhang machte man keinen Hehl daraus, dass einige der Kandidaten bereits in anderen Formaten Reality-TV-Luft geschnuppert haben oder schon als Influencer ihre Follower begeistern. Leute, die den Weg ins Rampenlicht suchen und im Mittelpunkt stehen wollen. Münzner versprach einen „aufmerksamkeitsstarken Cast“, in dem es sicherlich „krachen“ wird. Jochen Bendel ergänzte in Bezug auf den Begriff „Normalos“: Was sind denn Normalos heutzutage? Es haben doch alle Social Media und wollen sich vor der Kamera präsentieren.
Das ist schon bemerkenswert, denn im Vorjahr klang das noch ganz anders. In der 14. Staffel wollte man ganz gezielt „Back to Basic“ mit Bewohnern, die bis dahin noch völlig unbekannt waren und „aus dem echten Leben“ stammten. Diesmal scheint man allein darauf nicht mehr zu vertrauen, weshalb man auf Nummer Sicher geht und einige Kandidaten im Cast hat, die schon in einschlägigen Datingformaten mitwirkten. Mehr noch: Angekündigt wurden auch Besuche von „echten Realitystars“, die jeweils für ein paar Tage in den Container ziehen und Einfluss auf das Spiel haben sollen.
Als Produktionsstandort wird einmal mehr die Container-Landschaft in Köln-Bocklemünd verwendet. Auf insgesamt 335 Quadratmetern leben die Bewohner und werden von 350 Scheinwerfern und Lampen sowie 60 Kameras begleitet. Die Inneneinrichtung wird als „Gelsenkirchener Barock“ bezeichnet – einfach, holzig, spießig. Im Schlafzimmer übernachten die Kandidaten auf durchgehenden Liegeflächen. Der Innenhof bietet mit Sauna und Whirlpool einen Hauch Luxus. Hungern müssen die Bewohner diesmal nicht: Es gibt ein Grundbudget und den schon aus „Promi Big Brother“ bekannten BB Späti. Angekündigt sind auch Spiele, in denen die Bewohner aufgeteilt in zwei Teams antreten werden. Hier gibt es einerseits Belohnungen zu gewinnen, andererseits drohen auch Bestrafungen. Von Nominierungsschutz bis hin zu Rauswurf ist in diesem Zusammenhang die Rede.
Das Wohnzimmer im „Big Brother 15“-ContainerJoyn/Willi Weber
Der große Wermutstropfen: Sowohl die sixx-Show als auch die Tageszusammenfassungen auf Joyn wird es nur werktags geben, nicht aber am Wochenende. Auf Nachfrage von fernsehserien.de erklärte Joyn-Programmchef Thomas Münzner, dass dies eine „bewusste Entscheidung“ gewesen sei. Die Erfahrung aus dem Vorjahr habe gezeigt, dass viele Menschen die Tageszusammenfassungen in einem Rutsch mitunter am Wochenende nachgeholt haben. Jochen Bendel ergänzte, dass das Moderationsteam schließlich auch mal frei haben müsse, um Zeit für die Familie zu haben.
Dass das Fehlen auch von Tageszusammenfassungen am Wochenende dem Format alles andere als zuträglich ist, zeigte sich allerdings bereits bei der 13. Staffel, die 2020 in Sat.1 lief. Immerhin kann diesmal – im Gegensatz zu vor fünf Jahren – auf den 24-Stunden-Livestream zurückgegriffen werden. Wer am Ende der 50 Tage zum Gewinner oder zur Gewinnerin gekürt wird, verlässt mit 50.000 Euro den Container.
Fazit und Ausblick
Eine Realityshow steht und fällt mit seinen Teilnehmern. „Big Brother“ zeichnete sich in seinen besten Staffeln durch eine bunte Mischung an Bewohnern aus, die das breite Spektrum der Bevölkerung widerspiegelten – aus verschiedensten Regionen, Kulturkreisen, Altersklassen und mit unterschiedlichen Bildungsgraden und sexuellen Orientierungen. Der Handwerker war genauso vertreten wie der Student, die Lehrerin, der Nerd oder die Hausfrau. In den meisten Formaten, die in den vergangenen zehn Jahren den deutschen Reality-TV-Markt überfluteten, wie „Love Island“, „Temptation Island“, „Ex on the Beach“ und viele weitere artgleiche Insel-Kuppelshows, hingegen beschränkt sich das Teilnehmerfeld auf Kandidaten des immergleichen Schemas: Junge Models, Fitnessgurus und Social-Media-Influencer mit viel Bizeps, aber mangelndem Intellekt.
Ein typischer „Love Island“-Cast RTL II/Magdalena Possert
Sprach man zuvor jahrelang von Reality-TV, hielt im Zuge dieser Entwicklung der inzwischen inflationär gebrauchte Begriff des Trash-TV Einzug. Damit einher geht eine veränderte Erwartungshaltung und Bewertung der Protagonisten. Bei diversen Insel-Kuppelshows oder Formaten mit Möchtegern-Z-Promis geht es den Zuschauern vorwiegend darum, sich über das haarsträubende und teilweise primitive Sozialverhalten der Teilnehmer zu amüsieren. Dabei soll es möglichst viel Stress, Konflikte und „Konfro“ geben, damit die Zuschauer ihre niedersten Instinkte befriedigen können. Schadenfreude und Häme spielen die zentrale Rolle. All das hat jedoch wenig mit der Grundidee von „Big Brother“ gemein. Im Kern geht es dort nämlich um ein langfristiges Sozialexperiment, bei dem sich eine Gruppe von zusammengewürfelten Menschen über mehrere Monate isoliert von der Außenwelt organisieren muss. Die Zuschauer beobachten die Entwicklung gruppendynamischer Prozesse und werden Zeuge davon, wie sich Lieb- und Feindschaften bilden.
Doch wer behauptet, dass das Format nicht mehr zeitgemäß sei oder niemand mehr braucht, wie dies Peer Schader in einem DWDL-Artikel tat, macht es sich zu einfach und ignoriert die Tatsache, dass sich „Big Brother“ international immer noch bester Gesundheit erfreut und auch heute noch in über 20 Ländern auf Sendung ist. Zahlreiche BB-Konkurrenzformate werden heutzutage mehrere Monate – teilweise sogar ein halbes Jahr – im Voraus aufgezeichnet. Die Macher haben dadurch genügend Zeit, um das Geschehen stark komprimiert aufs Wesentliche in acht bis zehn Folgen zusammenzuschneiden. Oder es handelt sich wie bei „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ und „Promi Big Brother“ um zweiwöchige Eventshows. Eine langfristige Bindung zwischen Zuschauer und Protagonisten ist kaum möglich und auch gar nicht gewollt – es geht dort nur um das kurze Trash-Vergnügen.
Joyn
„Big Brother“ hingegen ist das einzige Format, das über einen langen Zeitraum in Echtzeit ausgestrahlt wird und bei dem die Zuschauer per Livestream bei Ereignissen mit dabei sein können – und zwar in dem Moment, in dem sie passieren, ohne nachträgliche Bearbeitung durch die Postproduktion. Es ist die purste Form des Reality-TV. Die vergleichsweise lange Laufzeit ist Stärke und Schwäche zugleich. Denn im Gegensatz zu anderen Formaten soll sich alles so natürlich und authentisch wie möglich entwickeln. Dies hat zur Folge, dass es länger dauert, bis man mit den Bewohnern „warm“ wird. Vermutlich haben einige Zuschauer deshalb keine Geduld mehr und sind nicht (mehr) bereit, sich auf eine Realityshow von 100 und mehr Tagen einzulassen – abgesehen vom harten Kern.
Doch wer dazu bereit ist, baut als Zuschauer aufgrund der langen Laufzeit eine viel stärkere Bindung zu den Bewohnern auf, identifiziert sich mit ihnen, fiebert mit ihnen mit und entwickelt klare Sympathien und Antipathien. Nur bei „Big Brother“ ist es wirklich möglich, Menschen in all ihren Facetten über einen langen Zeitraum kennenzulernen – und zwar nicht aus einer ironischen, elitär-distanzierten Perspektive. Nicht selten muss man im Verlauf der Staffel seine vorgefertigten Meinungen über Bord werfen und seinen ersten Eindruck über so manche Bewohner revidieren. Deshalb verspürt man auch eine gewisse Leere, wenn eine Staffel vorbei ist und die liebgewonnenen Charaktere, die einen monatelang begleitet haben, plötzlich weg sind.
Die Bewohner der 14. Staffel Seven.One/Willi Webe
Als „Big Brother“ im Jahr 2000 an den Start ging, wurden die Bewohner weitgehend sich selbst überlassen. Das war damals für die Zuschauer noch neu und aufregend, doch bereits die dritte Staffel entwickelte sich zum Flop. Deshalb wurde mit der vierten Staffel, „Big Brother – The Battle“, ein neuer Ansatz verfolgt, der weniger Langeweile und mehr Spannung versprach. Statt eines einzigen Wohnbereichs gab es erstmals ein Haus mit zwei getrennten Bereichen – einem luxuriösen und einem kargen Bereich im Freien. Die Bewohner wurden entsprechend in zwei Teams aufgeteilt und mussten in „Battles“ kontinuierlich gegeneinander antreten. In den Staffeln 5 und 6, die jeweils ein Jahr lang liefen, gab es sogar drei verschiedene Bereiche. Dadurch bestand kontinuierlich Neid und fortlaufendes Konfliktpotential.
Eine Aufteilung in unterschiedliche Wohnbereiche ist kein Muss, doch alleine dadurch, dass mehrere Menschen gemeinsam in einem Container leben, entstehen noch keine interessanten Geschichten. Die Bewohner müssen regelmäßig neuen Input erhalten und gefordert werden. Anstelle von belanglosen Partyspielen wären Wissensmatches, in denen der Bildungsstand der Bewohner entlarvt wird, viel interessanter. Auch wohldurchdachte Psychospielchen in Kombination mit unmoralischen Angeboten sind äußerst wirkungsvoll, um den Charakter der Kandidaten besser kennenzulernen und sie aus der Reserve zu locken. „Kampf der Realitystars“ beim ehemaligen BB-Heimatsender RTL Zwei stellt auf beeindruckende Weise unter Beweis, welche Wirkung ausgeklügelte Spiele für den weiteren Verlauf des Geschehens haben können. Vor 15 bis 20 Jahren hatte man auch bei „Big Brother“ noch ein hervorragendes Händchen dafür.
„Kampf der Realitystars“ atmet den kreativen Geist der „Big Brother“-Hochphase RTL II
Nachdem bereits bei den Staffeln 12 und 13 von sixx bzw. Sat.1 der Rotstift angesetzt wurde, wurde das Budget in der 14. Staffel auf Joyn sichtlich noch mehr gekürzt. Was die Verantwortlichen jedoch nicht unterschätzen sollten: An „die fetten Jahre“ können sich „Big Brother“-Fans auch heute noch erinnern und die fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn sie mit immer billigeren, lieblos zusammengeschusterten Discounter-Versionen abgespeist werden. Allzu optimistisch lassen einen jedoch die aktuellen Pläne nicht in die Zukunft blicken. Es wirkt so, als wolle man die Marke mit der 15. Staffel noch mehr beschädigen und BB zu einer Art Trainingscamp für profesionelle Reality-TV-Darsteller verkommen lassen.
„Big Brother“ läutete vor 25 Jahren den Reality-Boom im deutschen Fernsehen ein. In dem TV-Format steckt auch heute noch viel Potenzial. Nicht umsonst ist es in zahlreichen Ländern immer noch auf Sendung. Es gibt eine Fangemeinde, die dem Format über Jahrzehnte die Treue gehalten hat und die theoretisch immer noch richtig Bock auf das Format hat. Man muss es in Deutschland aber endlich wieder besser umsetzen und zurück auf den richtigen Kurs bringen.
Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.
Vielen Dank für diesen unglaublich beeindruckenden Rückblick auf Big Brother! Ich kann nur erahnen, wie viel Zeit es gekostet hat, das alles zusammenzustellen. Ich bin BB-Fan der ersten Stunde und wurde durch diesen Artikel an viele Dinge erinnert, die ich schon vergessen hatte. Die Staffeln bei RTL2 waren wirklich so viel besser als das, was heute unter dem Namen Big Brother verkauft wird.