„The Good Lord Bird“: Western-Miniserie über militanten Sklavereigegner begeistert mit Ethan Hawke – Review

Tour de Farce durch die Südstaaten mit Schwung, Witz, Cleverness und einem wunderbaren Hauptdarsteller

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 25.10.2020, 18:18 Uhr

„The Good Lord Bird“ – Bild: Showtime Networks Inc. All rights Reserved.
„The Good Lord Bird“

Auf die Frage, wer John Brown war, wird man in Europa wohl größtenteils Achselzucken ernten: Allerweltsname, keine Ahnung! In den USA sieht das deutlich anders aus – dort wird Brown im Geschichtsunterricht erwähnt, als zwiespältige Figur, als Outlaw aus der Zeit direkt vor Ausbruch des Sezessionskriegs. Und es dürfte selbst heute noch davon abhängen, wo genau man in den USA aufgewachsen ist, ob man Brown eher als heroischen Revoluzzer oder aber als mordlüsternen Terroristen vermittelt bekommen hat. Und das Beste des vielen Tollen, was über die siebenteilige Showtime-Miniserie „The Good Lord Bird“ gesagt werden kann, ist sicher, dass sie beide Seiten John Browns nicht aus dem Blick verliert. Ethan Hawke, der die Serie entwickelte, mitschrieb und mitproduzierte, liefert in der Hauptrolle ein phänomenales Porträt ab: zwischen sektierischem Wahn und humanistischer Wucht.

Der fromme Brown (1800–1859), der fast Priester geworden wäre, fühlte sich von niemand Geringerem als Gott dazu berufen, gegen das amerikanische Grundübel der Sklaverei vorzugehen: Aus den Nordstaaten kommend, zog er in seinem letzten Lebensjahrzehnt mit einem versprengten Trüppchen Anhänger, darunter seine Söhne, durch die sklavenhaltenden Südstaaten, um seinem Ansinnen Geltung zu verschaffen und die Schwarzen aus den Ketten der Plantagenbesitzer zu befreien. Und zwar mit Gewalt. Die berüchtigtste Episode seiner Laufbahn markierte zugleich auch deren Ende: Der Überfall auf die Harpers Ferry Armory (Waffenfabrik) in Virginia sollte 1859 zum Startschuss werden für eine staatenübergreifende Sklavenbefreiungsbewegung – entwickelte sich aber zum Debakel. John Brown landete in Haft und wurde schließlich exekutiert, übrigens als allererster US-Amerikaner wegen Hochverrats. Bis heute debattiert die Geschichtswissenschaft darüber, ob der Vorfall schon der Startschuss war für den Amerikanischen Bürgerkrieg, der offiziell erst zwei Jahre später, nach der Wahl Lincolns zum US-Präsidenten, ausbrach – oder ob Harpers Ferry eher als das letzte große, den Krieg vorwegnehmende Ereignis anzusehen ist.

Mit Brown am Galgen lassen Hawke und Co-Autor Mark Richard (Produzent von „Fear the Walking Dead“ und „Hell on Wheels“) die Serie auch beginnen: „Ein wunderschönes Land!“ krächzt der zauselbärtige Endfünfziger Brown (hinter dem man den Star aus „Training Day“ oder der „Before Sunrise“-Trilogie kaum erkennt) noch vor sich hin, ehe sich die Klappe unter ihm öffnet und seinem Leben ein Ende bereitet. Schwarzer Humor, rasantes Tempo, kühne Wechsel in der Tonlage, Aberwitz und aufrichtige Emotionen in rascher Abfolge: All dies wird die Serie prägen, und wer angesichts des historischen Themas einen papiernen Schul-Western erwartet, der uns die auch filmisch nicht allzu gut erkundete Vorbürgerkriegszeit didaktisch nahebringen möchte, sieht sich spätestens getäuscht, wenn der schick animierte Vorspann zu Mahalia Jacksons bestgelauntem Gospel „Come On Children, Let’s Sing“ über den Bildschirm tanzt.

Ethan Hawke als John Brown in „The Good Lord Bird“Kevin Lynch/​Showtime

Das liegt auch an der Vorlage: „The Good Lord Bird“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von James McBride, der 2013 den National Book Award gewann. Das Buch blickt aus der Außenperspektive eines schwarzen Teenagers auf John Brown: Henry Shackleton wird von Brown befreit und wie ein Kind aufgenommen, aus Henrys Sicht wird der Plot erzählt – es ist eine Art Entwicklungs- und Schelmenroman, der Motive aus Mark Twains „Huckleberry Finn“ mit Robin-Hood-Motiven verknüpft und dabei die historischen Wirren jener Ära ganz beiläufig miterzählt.

Buch wie Serie beginnen in Kansas, ein Staat, der in der Sklavereifrage damals unentschlossen war und in der Mangel nordstaatlicher Abolitionisten (Abschaffung der Sklaverei), der „Free Staters“, und südstaatlicher Sklavereibefürworter steckte. Die Scharmützel, die diverse Milizen, dort miteinander veranstalteten, stehen heute unter dem Schlagwort „Bleeding Kansas“ in den Geschichtsbüchern: Wie Browns Armee, Rothemden und US-Armee sich im blickdichten Gebüsch der Wälder gegenseitig über den Haufen schießen, das hat fast Monty Python-Qualitäten.

John Brown (Ethan Hawke, l.) und Onion (Joshua Caleb Johnson) in „The Good Lord Bird“ William Gray/​Showtime

Zu Beginn sitzt Brown in Kansas in einem Saloon, der auch als Friseursalon benutzt wird. Henry ist der Sohn dieses Friseurs. Als der weiße alte Mann Dutch (David Morse, „The Green Mile“), dem der Schuppen und die Sklaven gehören, aufkreuzt, entwickelt sich eine Schießerei, an deren Ende Henrys Vater tot und Henry mit Brown unterwegs ist: Weil der Junge ein sackartiges Kleidungsstück trägt, wird er von Brown für ein Mädchen gehalten – was für den Rest des Romans und vermutlich auch der Serie so bleiben wird. Kaum in dem im Wald versteckten Rebellencamp angekommen, kriegt er Kleid und Haube von Browns 13-jähriger Tochter verpasst. Und als Henry dann noch wegen eines Missverständnisses und zum Erstaunen der Anwesenden Browns faulige Glückszwiebel verspeist, hat er seinen Spitznamen weg: Onion. Fortan ist Onion als (oft genug ungläubig staunender) Beobachter und via Voiceover-Erzählstimme auch als Chronist der Geschehnisse fest mit an Bord der brownschen Miliz: Newcomer Joshua Caleb Johnson schultert den Part ganz hervorragend, zeigt sowohl Onions Unwohlsein damit, in Mädchenkleidung herumlaufen zu müssen, aber auch das allmähliche Erkennen seiner eigenen Fähigkeiten. Das Crossdressing wird zum Glück nicht für alberne Scherze missbraucht, es dient eher dazu, die anderen Figuren zu charakterisieren, also jene, denen Onion begegnet: Alle Schwarzen erkennen nämlich sofort, dass er ein Junge in Mädchenklamotten ist, die Weißen dagegen lassen sich täuschen; sie gehen mit ihr auch ganz anders um als mit einem Jungen.

Unter dem augenzwinkernden Motto All dies ist wahr – und das meiste davon ist sogar geschehen, das den Episoden jeweils programmatisch vorangestellt wird, geht es von den Kleinkrieggebieten in Bleeding Kansas bald schon weiter ostwärts, zwischendurch wird Onion auch von Browns Kamarilla getrennt: Er trifft den Sklaven Bob (super: Hubert Pont-Du Jour), der sich Brown ebenfalls anschließt, landet zeitweise als Hilfskraft in einem Bordell, in dem sich die Rassismen und Sexismen der damaligen Zeit in aller Deutlichkeit vor ihm ausbreiten – und natürlich auch Parallelenziehungen ins Trump-Amerika von heute ermöglichen. Es ist kein Wunder, dass längst die heutzutage traurigerweise automatischen Downvoting-Kampagnen eingesetzt haben. Für White Supremacists ist „The Good Lord Bird“ jedenfalls nix: Hawke besetzte jede Menge vielversprechender schwarzer Darstellerinnen und Darsteller aus der bislang noch zweiten Riege (etwa McKinley Belcher III aus „The Passage – Das Erwachen“, Kwame Patterson aus „The Oath“ und Alexis Louder aus „Watchmen“), in meist sympathietragenden Rollen, während die weißen Figuren vom brutalen Richter über das dummdreiste Rothemd (Justin Wellborn aus „Godless“) und den irren Captain (Grainger Hines aus „The Knick“) bis zum feigen Pfarrer (Alex Sharp, „Glam Girls“) oft trottelig bis fies daherkommen. Steve Zahn („Planet der Affen: Survival“) hat als rassistisch-tumber Wegelagerer eine besonders tolle Episodenrolle mit, nun ja, explosivem Ende.

Im Lager von John Brown (Ethan Hawke) William Gray/​Showtime

Wem das zu eindimensional klingt, der sei beruhigt: Alles wird bestens aufgefangen durch die in sich selbst so großartig widersprüchliche Rolle des John Brown selbst. Ethan Hawke liefert die überdrehteste Overacting-Performance seiner Karriere – ohne dass dies auch nur eine Sekunde lang nerven würde. Es ist genau die richtige Darstellungsweise für diesen Mann, der sich mal in endlos vor sich hin schwafelnden Predigten verliert, mal mit dem Furor des glutäugigen „Nachfolgers Petri“ die Getreuen zum Kampf aufruft, mal aus der Ferne dabei beobachtet wird, wie er einem Kaninchen frömmelnde Reden hält – und zwischendurch immer wieder völlig ruhige, väterlich-gutmütige Gesten der Zuneigung und des unbedingten Humanismus einflicht, als ginge das alles bestens zusammen. Das Erstaunliche: Es passt zusammen! Und funktioniert hervorragend. Als ideale Spiegelfiguren dienen dabei, neben Onion, auch seine vier mit ihm umherziehenden Söhne. Nach Alter absteigend sind dies Owen (Beau Knapp aus „Seven Seconds“), John Jr. (Nick Eversman, „Missing“), Salmon (Ellar Coltrane, der schon in „Boyhood“ Hawkes Sohn spielte) und Jason (Jack Alcott). Sie bilden den Kern der durchaus divers aufgestellten Old Man’s Army, wie Browns Mannen spöttisch genannt werden – aus der neben ihnen in den ersten Folgen allerdings noch nicht allzu viele Mitglieder Eindruck hinterlassen – außer vielleicht der Native American Ottawa Jones (Mo Brings Plenty aus „Yellowstone“).

Als Fluchtpunkt der sieben Folgen ist der Überfall auf die Harpers Ferry Armory zu erwarten, auf dem Weg dahin dürften noch weitere verbürgte Anekdoten vorkommen – und die dazugehörigen historischen Figuren. So sind etwa die legendären Vordenker des Abolitionismus Harriet Tubman und Frederick Douglass angekündigt, in der ersten Episode gibt es bereits ein amüsantes Zusammentreffen mit dem berüchtigten späteren Konföderierten-General Jeb Stuart (gespielt von Wyatt Russell aus „Operation: Overlord“), der sich Meriten auch dadurch erwarb, dass er den Armory-Überfall beendete.

Das Aufregendste an „The Good Lord Bird“ (der Titel bezieht sich auf den heute ausgestorbenen, mit kecker roter Haube prunkenden „Elfenbeinspecht“, dem in den von Brown durchstreiften nordamerikanischen Wäldern noch begegnet werden konnte) ist fraglos der wilde, aber überraschend mühelose Stilmix: Western, Historienserie, Charakterporträt, Abenteuer und groteske Komödie gehen in der Inszenierung der kinoerfahrenen Regisseure Albert Hughes („The Book of Eli“) und Kevin Hooks („Passagier 57“) nahtlos ineinander über. Auf zarte, leise Momente kann in dem durch große gelbe Kapitelüberschriften strukturierten Geschehen durchaus mal ein abgesäbelter Kopf oder ein zerplatzender Körper folgen – ohne dass sich das gegenseitig in die Quere käme.

Symbolbild: John Brown (Ethan Hawke) und der Hase in „The Good Lord Bird“ William Gray/​Showtime

Der Effekt ist eher ein anderer: Die historisch verbürgte Widersprüchlichkeit John Browns (mal gütiger Vater, mal brutaler Schlächter) findet im rasanten Wechsel der Tonlage eine geradezu ideale Entsprechung: War er ein Verräter? Ein sogenannter white saviour, der gerade im Retterkomplex den Schwarzen gegenüber eben doch wieder nur die weiße Unverzichtbarkeit zementiert? Auf jeden Fall war er wohl, so inszeniert es die Serie, recht durchgeknallt. Wenn Hawke und Richard, ihre Autoren und Regisseure das bis ins Finale so durchhalten können, ist für eine äußerst clevere und allzeit unterhaltsame und vor allem in den absurden Dialogen oft auch himmelschreiend komische Produktion gesorgt: Und selbst wenn’s mal tempomäßig haken sollte, gehört der Soundtrack aus Gospel, Bluegrass und anderen Südstaatenklängen sicher zum Hörenswertesten der Seriensaison.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Good Lord Bird“.

Meine Wertung: 4,5/​5

Die siebenteilige Miniserie „The Good Lord Bird“ feiert aktuell ihre Weltpremiere beim US-amerikanischen Sender Showtime. Sky Deutschland wird die Serie ab dem 6. November 2020 jeweils freitags in Doppelfolgen nach Deutschland holen.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

    weitere Meldungen