„1923“: Neues vom Dutton-Hof mit Harrison Ford und Helen Mirren – Review

Vielversprechendes, zweites „Yellowstone“-Prequel setzt zu Recht auf das Charisma der Filmstars

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 20.12.2022, 17:51 Uhr

Halb skeptischer, halb zuversichtlicher Blick ins Weite : Harrison Ford als Jacob Dutton, Patriarch der Yellowstone Ranch anno „1923“ – Bild: Paramount+
Halb skeptischer, halb zuversichtlicher Blick ins Weite : Harrison Ford als Jacob Dutton, Patriarch der Yellowstone Ranch anno „1923“

Es ist der bislang erfolgreichste Start beim Streamingdienst Paramount+: „1923“ ist der jüngste Neuzugang im expansiv ausgelegten Franchise rund um die Familie Dutton, das 2018 mit der in den USA immens erfolgreichen Neowestern-Soap „Yellowstone“ begann, vor einem Jahr durch ein sehenswertes Prequel („1883“) ergänzt wurde und in Zukunft noch weiter in alle möglichen Richtungen wuchern soll. In „1923“, wieder konzipiert vom Franchise-Mastermind Taylor Sheridan, gibt Harrison Ford mit 80 Jahren und 41 Jahre nach seinem ersten „Indiana Jones“-Abenteuer sein Debüt als Serien-Hauptdarsteller. Im Gespann mit Oscarpreisträgerin Helen Mirren („Die Queen“) sorgte er dafür, dass sich über sieben Millionen Zuschauer*innen die Pilotepisode ansahen. Auch wir haben schon mal reingeschaut – auch wenn das deutsche Paramount+ die Serie erst später starten wird.

Rekapitulieren wir kurz: „Yellowstone“ erzählt von den vielen Anfechtungen, derer sich Patriarch John Dutton III (Kevin Costner) in der Jetztzeit erwehren muss. Auf das Land seiner Yellowstone Ranch in Montana, der größten zusammenhängenden Ranch der USA, haben es Immobilienhaie ebenso abgesehen wie die Native Americans des angrenzenden Reservats, hinzu kommen die ewigen Verwerfungen im Inneren der Familie: John Dutton III, in der fünften Staffel zum Gouverneur des Staates aufgestiegen, kämpft den Kampf der Gerechten, dafür, dass das Lebenswerk seiner Familie genau dort verbleiben kann: in der Familie.

Zwischen zynischer Soap, überwältigenden Landschaftsaufnahmen und möglicherweise ein paar Momenten zu viel Blut-und-Boden-Gewese hatte sich die Serie längst ein riesiges Publikum erspielt, als letztes Jahr mit „1883“ die Origin Story nachgeliefert wurde. In der auf zehn Episoden begrenzten, mit dem Countrysänger-Ehepaar Faith Hill und Tim McGraw (und Gaststars wie Tom Hanks oder Billy Bob Thornton) prominent besetzten Miniserie wurde erzählt, wie die Duttons dereinst nach Montana kamen – in der Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg ging es darin mit einem Trek von Texas nordwestwärts und schwer verlustreich nach Oregon. Verglichen mit „Yellowstone“ gab es weniger Soap und mehr Roadmovie. Die Landschaftsaufnahmen waren atemberaubend.

Cara Dutton (Helen Mirren, l.) hat die ganze Ranch im Griff. Die künftige Schwiegertochter Liz (Michelle Randolph) wird nebenher mitgemanagt. Paramount+

„1923“ spielt nun aber wieder auf der Yellowstone Ranch und erinnert, falls die Pilotepisode (mehr Folgen wurden bisher nicht veröffentlicht) repräsentativ ist, in zentralen Details durchaus an die Mutterserie. Knapp hundert Jahre vor „Yellowstone“ und vierzig Jahre nach „1883“ angesiedelt, erzählt die fürs Erste auf zwei Staffeln ausgelegte Serie von den Sorgen der Duttons in der Zwischenkriegs- und Prohibitionszeit in Montana, wo sich die Große Depression schon früher bemerkbar macht, als anderswo.

Im Mittelpunkt stehen Jacob Dutton (Ford) und seine Frau Cara (Mirren), die seit 1894 die Ranch bewirtschaften und mittlerweile Ende siebzig sind. Jacob ist der jüngere Bruder von James Dutton, um den es in „1883“ ging. James und seine Frau Margaret, beide nun verstorben, hatten Jacob gebeten, ihre Söhne John und Spenser wie eigene Kinder großzuziehen. Das ist inzwischen geschehen: John, in „1883“ noch als Knirps zu sehen, lebt mit Mitte vierzig weiter auf der Ranch und fungiert als Jacobs rechte Hand. Verkörpert von James Badge Dale („Hightown“), spielt John aber offenbar, genau wie seine Frau Emma (Marley Shelton,„Bubble Boy“), eher eine Nebenrolle in dieser Erzählung – ganz im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder Spenser (Brandon Sklenar), der sich in Afrika herumtreibt. Spenser war in „1883“ noch nicht geboren, allerdings tauchte eine kindliche Version dieser Figur schon in einer Crossover-Episode der vierten Staffel von „Yellowstone“ auf, in der die Vorgeschichte der Duttons im 19. Jahrhunderts erstmals aufgeblättert wurde.

Bleiben wir zunächst auf der Ranch in Montana: Dort steht Jacob Dutton anfangs, von Grashüpfern bekrabbelt, vor lauter toten Rindern. Eine Wanderheuschreckenplage ist die neueste Katastrophe, die die Rinderzüchter des Mittleren Westen gerade heimsucht – zusätzlich zu einer ungewöhnlichen Dürreperiode. Weil kaum noch Gras auf den Weiden vorhanden ist, entspinnt sich ein Krieg zwischen den meist irischstämmigen Rinderzüchtern (deren Vereinigung Jacob anführt) und den schottischstämmigen Schafszüchtern, die ihr Vieh illegal auf die verbliebenen Weidegründe treiben, denn: Gras kann man nicht stehlen, das Gras gehört den Bergen! Jerome Flynn („Game of Thrones“, „Ripper Street“) spielt den zornigen Anführer der Schäfer. Der Züchterzwist rund um Bozeman, Montana, entspinnt sich „Yellowstone“-üblich zwischen Hinterzimmer-Männerrunden mit locker sitzenden Knarren (als schießfreudiger Sheriff mit dabei: Robert Patrick aus „Terminator 2“), fast schon touristisch schön inszenierten Aufnahmen von Reiterkolonnen und Rinderherden vor monumentalen Hintergründen sowie markigen Sprüchen. Harrison Ford darf hier mit sarkastischen Onelinern genau das ausagieren, wofür er gebucht wurde: Ich lebe hier seit 1894, an ein Jahr, in dem es einfach war, kann ich mich nicht erinnern.

Sieht so der Onkel von Kevin Costner aus? Zumindest in „1923“: Darren Mann als Jack Dutton Paramount+

Daheim auf der Ranch entfaltet sich derweil an anderer Stelle Ungemach: John Duttons Sohn Jack (Onkel von John Dutton III), gespielt von Darren Mann („Giant Little Ones“, „Embattled“), steht kurz davor, die sehr schöne und sehr blonde Liz (Michelle Randolph) zu heiraten, die Tochter von Jacobs Ranchmitarbeiter Bob (Tim DeKay aus „White Collar“). Dummerweise kommt terminlich die Rinderumsiedlung dazwischen – ein Affront für die Verlobte. Dies ist die Stunde von Cara: Die abgeklärte Alte, die nicht nur als Kutscherin die Zügel in der Hand hält, eilt herbei und redet der Schwiegertochter in spe ins Gewissen. Liz müsse das Leben an der Seite eines Dutton schon wollen: Die Herde kommt immer zuerst! Bald liegen sich Jack und Liz wieder versöhnt in den Armen, womit sich Cara ein weiteres Mal als patente Managerin der Familiengeschicke erwiesen hat; gleich in der Eingangsszene sieht man Helen Mirren bereits mit einem Gewehr zu Werke gehen.

Politische Schachzüge, konfliktbeladenes Privatleben – das sind die Handlungsstränge, die in vielem an die Mutterserie erinnern. Sogar einen streng loyalen Ranch-Vorarbeiter gibt es wieder: Zane (Brian Geraghty, „The Hurt Locker“) scheint für „1923“ das zu sein, was Rip Wheeler für „Yellowstone“ ist. Allzu viel hat er in der Pilotepisode allerdings noch nicht zu tun, wie überhaupt sich nur ansatzweise abschätzen lässt, wie viel erzählerisch nachhaltiges Potenzial in diesen Ranch-Geschichten steckt. Geschickterweise entfernt sich „1923“ aber in zwei wichtigen Handlungssträngen aus diesem Ranch-Dunstkreis: Mit Jacobs zweitem Neffen Spenser geht es sogar bis nach Afrika. Dort verdingt sich der Ex-Soldat, schwer traumatisiert durch seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg und heftig vermisst von seiner Tante Cara, als Jäger, der auftragsweise Löwen, Leoparden und andere Raubtiere erlegt. Die Flashbacks aus dem Krieg erinnern an James Duttons Erinnerungen in „1883“, der vergleichbaren Horror auf dem Bürgerkriegsschlachtfeld in Antietam erlebte. Spensers Versuch, ein Touristencamp bei Nairobi vor Raubkatzen zu bewahren, mündet am Schluss der Episode in einen (etwas albernen) Cliffhanger – der smarte Brandon Sklenar aber macht bislang einen guten Job als seelisch wie körperlich verwundeter Abenteurer in alter Hollywood-Tradition. Noch nicht aufgetaucht ist eine weitere Hauptdarstellerin der Serie: Julia Schlaepfer („The Politician“) wird Spensers britisches Love Interest spielen.

Grausiger noch geht es schließlich im Handlungsstrang rund um das indigene Mädchen Teonna (Aminah Nieves) zu. Sie ist zwangsweise Schülerin eines katholischen Mädcheninternats für Native Americans irgendwo in der Prärie, wo sie zunächst von einer gnadenlosen Nonne (furchteinflößend: Jennifer Ehle aus „Little Men“) gefoltert und vom leitenden Priester (gruselig: Sebastian Roché aus „Cabinet of Curiosities“) sogar noch mehr gedemütigt wird. Diese Szenen sind, muss man warnend sagen, schwer auszuhalten und gehören sicherlich zu den Sequenzen, bei denen sich Chefautor Taylor Sheridan mal wieder wird anhören lassen müssen, ob er dabei nicht über das Ziel hinausschießt – also erlittenes Unrecht ausbeuterisch reproduziert. Denn solche Internate für indigene Amerikaner gab es wirklich. Sheridan muss man jedoch zugutehalten, dass er bei seinem Blick auf den US-amerikanischen Westen stets das ganze Bild im Blick behält: die Kämpfe der Siedler, die Situation der Frauen und auch das Leid, das an den Native Americans begangen wurde. Die vielen „America First“-Republikaner, die sich in letzter Zeit als glühende „Yellowstone“-Fans geoutet haben, werden’s vermutlich nicht gerne sehen.

Weckt Westernsehnsüchte: Für Aufnahmen wie diese ist das „Yellowstone“-Franchise berühmt. Paramount+

Inszeniert vom Franchise-erfahrenen Regisseur Ben Richardson (der schon fünf „1883“- und zwei „Yellowstone“-Episoden drehte), macht „1923“ visuell erwartbar viel her – der Screen kann für diese malerischen Bilder aus Montana und Kenia eigentlich gar nicht zu viel Zoll haben. Ford und Mirren, die hier erstmals seit dem Kinofilm „Mosquito Coast“ (1986) wieder zusammen vor der Kamera standen, verfügen über so viel Charisma und Star-Aura, das sie mutmaßlich ganz neue Publikumsschichten in das Franchise ziehen werden: ein echter Coup für den Streamingdienst Paramount+. Ob die Handlungsstränge auf Dauer tragen, wird sich erweisen, auf Taylor Sheridans Kunst, süchtig machende Binnenplots und spannende Figurenbögen zu entwerfen, wird man sich aber zweifelsohne verlassen können.

Erzählt wird „1923“ übrigens erneut von Elsa Dutton (Isabel May) – John und Spensers älterer Schwester und Hauptfigur in „1883“. Damals erstattete sie aus dem Grab heraus Bericht über Dinge, die sie erlebt hatte, und jetzt erzählt sie rückblickend vom „Bröckeln des Imperiums“ namens Yellowstone, also von Dingen, die erst deutlich nach ihrem Tod geschehen werden. Ein paradoxer Kunstgriff, der fast sinnbildlich steht für das Zirkuläre, in alle Richtungen Anschlussfähige des „Yellowstone“-Universums, das wohl noch lange nicht auserzählt zu sein scheint.

Dieser Text und die Wertung basieren lediglich auf Sichtung der ersten Episode der Serie „1923“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die bereits für eine zweite Staffel verlängerte Prequel-Serie „1923“ wird seit dem 15. Dezember in den USA bei Paramount+ veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1960) am

    Ich bin überrascht, wie ansprechend die Yellowstone-Serien auf mich wirken, und bin gespannt, wie die 7 Generationen enden werden; aber auch andere Paramount-Produkte wie 'Your Honor' oder 'American Rust' machen mich wieder offener für US-Produktionen, nachdem ich es bei Netflix genossen habe, europäische Serien gefunden zu haben wie weder die privaten noch die ÖR Sender bisher bereitzustellen ermochten.
    Und bin nun so gespannt auf 1923!
    • (geb. 1987) am

      Vielleicht sollte man seine politische Meinung nicht so stark in den Vordergrund stellen.
      Ja, klar, das Yellowstone-Universum ist für den konservativeren Teil der USA gemacht und auch deshalb so ein wahnsinniger Erfolg.
      Aber es ist auch ein intelligentes Hochglanzdrama mit Panorama-Naturaufnahmen, einer packenden, ernsten Story und den besten Schauspielern, die Hollywood zu bieten hat.
      Wer das als "Soap" diskreditiert, weil wie in Sons of Anarchy, Sopranos, Game of thrones oder Breaking Bad die Familie mit Thema ist oder von "Gewese um Blut und Boden" schwafelt, will seiner Verachtung Ausdruck geben. Nicht der Serie gegenüber - die ist nahezu perfekt. Es geht um die Verachtung der Zuschauer und dem unverholenen Wunsch, alle Menschen würden nur noch eine Meinung haben - die, die einem in den Kram passt.
      Der Spoiler bei 1883 ist ein weiterer Beweis der Verachtung.
      • (geb. 1963) am

        Oh Mann, ein kurzer Spoiler-Warnhinweis zu 1883 wäre ganz schön gewesen. Dass Elsa aus dem Grab heraus erzählt, musste mir nicht unbedingt verraten werden. :-(
        • am

          Hmmm hättest du das jetzt nicht auch noch  gespoilert wüßte ich es,auch nicht.Hab den ganzen Artikel nicht gelesen


          :-(

      weitere Meldungen