Das deutsche Fernsehjahr 2020 im Rückblick (Teil 1): Quarantäne-TV, Masken-Shows und Wendler-Wahnsinn

Trash-TV-Tiefpunkte mit „Promis unter Palmen“ und „Sommerhaus der Stars“

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2020, 09:00 Uhr

Es gibt nur ein „The Masked Singer“ – Das Aufkommen und Scheitern der Musik-Rateshow-Klone

ProSieben/​Screenshot

Mit „The Masked Singer“ ist ProSieben im vergangenen Jahr der erfolgreichste Show-Neustart in der Geschichte des Senders gelungen. Aus diesem Grund wollte man noch mehr aus der gewinnbringenden Marke herausholen und schickte 2020 gleich zwei neue Staffeln an den Start – im Frühjahr und im Herbst galt es sechs Wochen lang, jeweils zehn maskierte Prominente zu entlarven. Was zu Beginn des Jahres noch keiner ahnte war, vor welche zusätzlichen Herausforderungen „The Masked Singer“ angesichts der Corona-Pandemie gestellt würde.

Lediglich die erste Folge der zweiten Staffel am 10. März ging noch mit einem vollbesetzten Studio über die Bühne – die restlichen Ausgaben fielen mitten in den verordneten Corona-Lockdown und mussten ohne Zuschauer vor Ort produziert werden. Damit nicht genug: Da es zwei positive COVID-19-Fälle im Team gab, musste die Show zwei Wochen lang pausieren. Später stellte sich heraus, dass es sich bei einem der positiv Getesteten um den Teilnehmer Gregor Meyle handelte. Nach dem Finale kündigte ProSieben-Chef Daniel Rosemann noch optimistisch an, dass er sich auf eine dritte Staffel im Herbst mit vielen Zuschauern im Studio freut. Doch dazu sollte es letztendlich nicht kommen: Auch die Herbst-Staffel musste unter Corona-Bedingungen produziert werden – anfangs noch mit einem stark reduzierten Studiopublikum, ab November völlig ohne Zuschauer.

ProSieben/​Screenshot

Das Finale der zweiten Staffel sahen am 28. April satte 5,34 Millionen Menschen – womit man das Staffelfinale vom Vorjahr (4,34 Millionen) noch übertreffen konnte. Die dritte Staffel stellte hingegen keine neuen Quotenrekorde auf – und es waren leichte Abnutzungserscheinungen spürbar. Doch es besteht noch lange kein Grund zur Sorge, denn noch immer rätselten wochenlang im Schnitt mehr als drei Millionen Zuschauer bei der „besten verrücktesten Show der Welt“, wer sich wohl unter den Kostümen verbirgt. 3,65 Millionen Zuschauer waren beim Finale dabei. Für zunehmenden Unmut sorgte allerdings die Tatsache, dass ProSieben die Dauer der einzelnen Shows immer weiter ausgedehnt hat. So waren alle regulären Ausgaben der dritten Staffel nach zahlreichen Werbepausen erst nach 23:30 Uhr zu Ende, das Finale ging sogar bis 0:30 Uhr – und das unter der Woche, wenn viele Menschen am nächsten Tag früh aufstehen müssen.

Das internationale Erfolgsformat wurde 2020 auch nach Österreich und in die Schweiz exportiert. Puls 4 strahlte Mitte März die erste Folge von „The Masked Singer Austria“ aus. Doch die von Arabella Kiesbauer moderierte Adaption fiel ebenfalls der Corona-Krise zum Opfer, musste unterbrochen werden und wurde erst im Herbst fortgeführt. Wenig später ging bei ProSieben Schweiz „The Masked Singer Switzerland“ mit Moderatorin Alexandra Maurer an den Start. Sowohl die österreichische als auch die Schweizer Version nutzen das deutsche „The Masked Singer“-Studio in Köln.

I Can See Your Voice

RTL/​Screenshot

Wie immer, wenn es einen großen Erfolg gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Sender versuchen, mit ähnlichen Konzepten auf den Zug aufzuspringen. Und dazu kam es 2020 gleich mehrfach. Im Spätsommer und im Herbst gaben sich neue Musik-Rateshows regelrecht die Klinke in die Hand. Den Anfang machte im August RTL mit „I Can See Your Voice“. Hierbei handelt es sich um eine Idee aus Südkorea: Zu Beginn der von Daniel Hartwich moderierten Show stehen sieben Unbekannte auf der Bühne, die von sich behaupten, singen zu können. Doch nur ein paar von ihnen sind echte Gesangstalente, während die anderen lediglich bluffen.

In mehreren Spielrunden versuchen ein prominenter Musiker und sein Superfan mit Gespür und Menschenkenntnis sowie durch Hinweise, die Spreu vom Weizen zu trennen. Unterstützung erhalten sie dabei von einem fünfköpfigen Promi-Panel, bestehend aus Evelyn Burdecki, Thomas Hermanns, Judith Rakers, Tim Mälzer und Jorge González. Anschließend folgt auf der „Bühne der Wahrheit“ der Moment der Enthüllung: Handelt es sich wirklich um einen Hochstapler oder wurde einem Gesangstalent vorzeitig der Laufpass gegeben? Der Kandidat, der es bis ins Finale schafft, erhält die Ehre, ein Duett mit dem Musik-Star zu singen. Dann zeigt sich endgültig die harte Wahrheit: Goldkehlchen oder Katzenmusiker? Weiterer Clou: Nur wenn der übrig gebliebene Kandidat tatsächlich ein guter Sänger ist, gewinnt der Musik-Star für seinen Superfan einen Geldpreis. Wenn sie auf einen Bluffer hereingefallen sind, erhält dieser das Geld als Gegenleistung dafür, dass er alle täuschen konnte. Die beiden gezeigten Pilotfolgen rissen quotentechnisch mit knapp zwei Millionen Zuschauern keine Bäume aus, dennoch hält RTL an dem Format fest und will es 2021 in überarbeiteter Fassung zurückbringen (zur ausführlichen Showkritik).

FameMaker

ProSieben/​Willi Weber

RTL kam mit „I Can See Your Voice“ ProSieben zuvor, obwohl der Sender seinerseits nur wenige Tage zuvor mit „FameMaker“ ebenfalls eine konzeptuell sehr ähnliche Show angekündigt hat. Hinter dem Format steht als Ideengeber Altmeister Stefan Raab, moderiert wird es von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst. Zahlreiche Kandidaten treten unter einer schalldichten Glaskuppel auf. Das feste „FameMaker“-Team, bestehend aus den Comedians Carolin Kebekus, Luke Mockridge und Teddy Teclebrhan, hört keinen einzigen Ton. Für sie gilt es nun, einzig anhand der dargebotenen Performance zu entscheiden, ob sie der jeweilige Teilnehmer begeistert. Sobald sie sich entscheiden und den Hebel ziehen, hebt sich die schalldichte Glaskuppel. Dann stellt sich heraus, ob der Kandidat tatsächlich gut singen kann – oder ob er lediglich eine gute Show abgezogen hat, ohne einen einzigen Ton zu treffen. Der Clou der Sendung ist natürlich die Enthüllung, in der durchaus mit Vorurteilen und Stereotypen gebrochen wird. Wenn sich die Glaskuppel hebt und man plötzlich eine Stimme hört, die man dem jeweiligen Kandidaten ausgehend vom physischen Erscheinungsbild nicht zugetraut hat, ist das in der Tat ein magischer Moment – vergleichbar mit der Demaskierung eines Promis bei „The Masked Singer“.

Wirkt das Showprinzip zunächst durchaus originell, nutzt es sich jedoch auch schnell ab. Es ist nun mal nicht ganz so spannend, stets nur zu raten, ob jemand singen kann oder nicht  – und das über eine Dauer von zweieinhalb Stunden. In den Vorrunden stellen sich Kebekus, Mockridge und Teclebrhan Teams zusammen. Anschließend müssen sie mit ihren Kandidaten Auftritte inszenieren, die das Beste aus dem jeweiligen Talent herausholen – egal, wie gut oder schlecht er oder sie singen kann. Im Live-Finale treffen dann die FameMaker und ihre Kandidaten auf die gerechteste Jury der Welt: die TV-Zuschauer. Sie kürten Basti zum ersten Gewinner von „FameMaker“. Was er gewonnen hat? Nun ja, Fame … und einen blauen Haken in sozialen Medien. „FameMaker“ ist durchaus solides Handwerk, doch der wirklich große Wurf ist dem Altmeister Raab damit nicht gelungen. Dies zeigte sich auch in den Quoten, die von mittelmäßigen schnell auf unterdurchschnittliche Werte rutschten. Das Finale sahen nicht einmal mehr eine Million Menschen und auch in der jungen Zielgruppe blieb es bei mittelprächtigen zehn Prozent Marktanteil (zur ausführlichen Showkritik).

Big Performance – Wer ist der Star im Star?

TVNOW/​Steffen Z Wolff

Teilweise in direkter Konkurrenz zu „FameMaker“ ging „Big Performance“ an den Start, eine weitere neue Show bei RTL, die besonders stark an „The Masked Singer“ erinnert – auch wenn es um eine ganz andere Art von Maskierung geht. Nach dem Motto „Wer ist der Star im Star?“ schlüpfen Prominente dank einer aufwändigen Special-Effects-Maske in die Haut bekannter Megastars wie Jennifer Lopez, Mick Jagger, Adele und Prince. Die „Big Performance“ beginnt mit Playback und erst im Laufe des Songs wechselt die Stimme zum Live-Gesang. Die Entscheidung darüber, wer mit seinem Auftritt seinem Star alle Ehre gemacht hat, fällt das Publikum. Die Aufgabe der prominent besetzten Jury aus Michelle Hunziker, Motsi Mabuse und Guido Maria Kretschmer ist es dann schließlich, zwischen den beiden Letztplatzierten auszuwählen: So wird entschieden, wer die Maske fallen lassen muss.

Der dreiste Ideenklau wurde von den Zuschauern am Samstagabend mit Ablehnung bestraft. Bereits in der ersten Ausgabe waren die Quoten nur mittelprächtig, in den darauffolgenden Wochen brachen sie weiter ein auf Zielgruppen-Marktanteile zwischen zehn und zwölf Prozent. Ob es eine Fortsetzung des Formats geben wird, darf bezweifelt werden.

Pretty in Plüsch

Sat.1/​Julian Essink

Nur drei Tage nach dem Finale der dritten Staffel von „The Masked Singer“ schickte Sat.1 Ende November „Pretty in Plüsch“ auf Sendung. Der Bällchensender kündigte die Eigenentwicklung als „Die schrägste Gesangsshow Deutschlands“ an. Prominente stecken in diesem Fall nicht selbst verkleidet unter Masken, sondern singen gemeinsam mit Plüschwesen Duette. Von Woche zu Woche bereiten die Puppen, hinter denen Profisänger stecken, gemeinsam mit den prominenten Duettpartnern Gesangsperformances vor. Insgesamt sechs plüschige Paarungen waren zu Beginn am Start. Eine dreiköpfige Jury, unter anderem Sängerin Sarah Lombardi und Schauspieler Hans Sigl („Der Bergdoktor“), bewertet die Performances. Die Entscheidung darüber, welches Duo am Ende der jeweiligen Ausgabe die Show verlassen muss, treffen die Zuschauer per Telefonvoting.

Die Show wurde zu einem Mega-Flop. Bereits die erste Ausgabe legte mit nicht einmal einer Million Zuschauer einen völligen Fehlstart hin. Der Marktanteil in der jungen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen stagnierte bei miesen 5,1 Prozent. Eigentlich waren vier Ausgaben geplant, doch Sat.1 brachte die glücklose Puppen-Gesangsshow kurzfristig nach drei Folgen zu einem verfrühten Ende. Was genau der Grund für das Scheitern war, darüber lässt sich nur spekulieren.

Sat.1/​Willi Weber

Sat.1 betonte beharrlich, dass es sich bei „Pretty in Plüsch“ um eine Gesangsshow und nicht etwa um eine Rateshow handelt. Den Vergleich mit „The Masked Singer“ wies man zurück. Und dennoch rätselten die Zuschauer vor allem, was denn nun eigentlich das Ziel der Show war und welche prominenten Stimmen sich hinter den Plüschfiguren verbergen. Noch auf der Pressekonferenz teilte der Sender mit, dass überhaupt nicht verraten werden soll, welche professionellen Sänger hinter den Puppen stecken. Umso überraschender war es, als dann am Ende der ersten Ausgabe quasi als Höhepunkt auf einmal die Sängerin Melanie C die Bühne betrat und sich als Stimme hinter Plüsch-Diva Francesca de Rossi zu erkennen gab. In Folge 2 wurde schließlich Jürgen Drews als Stimme von Harry Love enttarnt. Wenn sich offenbar nicht einmal der Sender selbst sicher ist, was der eigentliche Sinn des Formats war, sind die schlechten Quoten als Quittung der verwirrten Zuschauer zu verstehen.

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