„The Last Tycoon“: Melancholische Atmosphäre beim stilvollen Blick in die Traumfabrik – Review

Amazons Retro-Serie weiß zu gefallen

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 16.08.2017, 17:15 Uhr

"The Last Tycoon": Melancholische Atmosphäre beim stilvollen Blick in die Traumfabrik – Review – Amazons Retro-Serie weiß zu gefallen – Bild: Amazon Studios

Zwanzigstes Jahrhundert geht irgendwie immer. Spätestens seit „Mad Men“ erleben Serien über längst vergangene Jahrzehnte wieder einen Boom – je weiter diese zurückliegen, desto besser. Vielleicht sind unsere gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse einfach so deprimierend, dass wir wenigstens beim Fernsehgucken für einige Stunden in scheinbar unbeschwertere Zeiten entfliehen wollen. Amazon versucht es nach der schnell wieder eingestellten End-60er-Jahre-Serie „Good Girls Revolt“ jetzt mit den 1930ern, mit einer Neuverfilmung von „The Last Tycoon“, F. Scott Fitzgeralds bittersüßem Blick auf die goldenen Zeiten Hollywoods und dessen beginnenden Niedergang.

Dafür, dass Fitzgeralds letzter Roman unvollendet geblieben ist, hat er eine beachtliche Reihe an Adaptionen in unterschiedlichen anderen Medien vorzuweisen. Am bekanntesten dürfte der 1976er Kinofilm von Altmeister Elia Kazan („Jenseits von Eden“) sein, mit Robert de Niro in der Hauptrolle des Filmproduzenten Monroe Stahr. Dieser Klassiker hatte eine Starbesetzung aufzuweisen (von Robert Mitchum über Tony Curtis und Jack Nicholson bis Jeanne Moreau), mit der die Amazon-Serienfassung naturgemäß nicht mithalten kann. Hier sind es eher typische TV-Gesichter, die in die Hauptrollen schlüpfen, wobei der 39-jährige Schönling Matt Bomer („White Collar“, „American Horror Story“) es nicht leicht hat, de Niros Fußstapfen auszufüllen.

Monroe Stahr (Matt Bomer): Der Mann, dem die Frauenherzen zufliegen

1936. Monroe Stahr ist ein junger Erfolgsproduzent in einem großen (fiktiven) Hollywood-Studio namens Brady American. Sein Aussehen und seine Ausstrahlung lassen vermuten, dass ihm alles gelingt, was er anpackt. Außerdem ist er ein großer Womanizer, die Herzen der Damen fliegen ihm nur so zu. Hinter der perfekten Fassade hegt Stahr allerdings einen tiefen Schmerz, seit er Witwer wurde. Gleich vier Frauen halten ihn auf Trab: Kathleen Moore (Dominique McElligott, „Hell on Wheels“, „House of Cards“) ist seine offizielle Freundin, mit der Gattin seines Bosses, Rose Brady (Rosemarie DeWitt, „Taras Welten“), hat er eine heimliche Affäre, während deren Tochter Cecelia (Lily Collins) ihn ebenso heimlich anhimmelt. Trotz seines Erfolgs bei der Damenwelt gehört sein Herz aber immer noch der großen Liebe seines Lebens, seiner verstorbenen Ehefrau Minna (Jessica De Gouw), einer wunderschönen irischstämmigen Schauspielerin. Monroe Stahr ist im Kern einer dieser tragischen Hollywood-Helden mit melancholischem Gemüt, die in den 1950ern von Schauspielern wie Cary Grant verkörpert wurden. Heute wäre vermutlich George Clooney die Idealbesetzung, wenn er nicht zu alt und zu teuer geworden wäre. Bomer schlägt sich wacker, wirkt aber etwas zu glatt, um wirklich eine tiefere Einfühlung in seine Figur zu erlauben.

Schöne Menschen in eleganter Retro-Mode -„The Last Tycoon“
Neben seinen privaten Sorgen und seiner noch nicht abgeschlossenen Trauer muss sich Stahr auch noch mit beruflichen Konflikten herumschlagen. Dem Studio geht es finanziell nicht gut, ein Hit in den Filmtheatern muss dringend her. Immer öfter kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Monroe und seinem Chef, dem Studiopatriarchen Pat Brady (Kelsey Grammer, bekannt als „Frasier“ und aus „Boss“, ist der größte Name auf der Besetzungsliste). Vor allem, weil der mit den Deutschen kooperieren will – schließlich ist Deutschland schon damals einer der wichtigsten Auslandsmärkte für US-Filme -, während Monroe jegliche Konzessionen an die inhaltlichen Forderungen der Nazis aus grundsätzlicher moralischer Überzeugung ablehnt. Neben dem Machtkampf zwischen dem alten und dem jungen Hollywood, verkörpert durch Stahr und Brady, sowie den amourösen Verwicklungen, fächern die ersten Folgen noch ein ganzes Spektrum weiterer Themen auf: die Bemühungen von Pats Tochter Cecelia etwa, gegen den Willen des Vaters in dessen Fußstapfen zu treten und selbst Produzentin zu werden – für eine (junge) Frau damals noch ein höchst ungewöhnliches Vorhaben. Oder die Träume eines armen Binnenmigranten aus Oklahoma – heute würde man ihn vielleicht Wirtschaftsflüchtling nennen -, Max Miner (Mark O’Brien, Camerons Ex-Freund in „Halt and Catch Fire“), der Pat Brady um einen Job bittet.

Der Hollywood-Patriarch Pat Brady (Kelsey Grammer) mit seiner Tochter Cecelia (Lily Collins)

Dieses Bewusstsein für und die Thematisierung von gesellschaftlichen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen und Veränderungen ist eine große Stärke der Serie. Durch sie geht „The Last Tycoon“ über bloßen Eskapismus hinaus, wird an einigen Stellen aktueller und relevanter, als man bei einer in den 30er Jahren spielenden Serie vermuten würde. Nicht nur durch diese Elemente erinnert die Serie deutlich an „Mad Men“, sondern natürlich auch durch die Optik. Auch hier gibt es überwiegend schöne Menschen in eleganter Garderobe zu bewundern, auch die Ausstattung ist stilvoll. Wie die Werbeindustrie und noch stärker als diese ist das Filmbusiness eine Traumfabrik, ein Ort, an dem kreative und handwerklich begabte Menschen daran arbeiten, perfekte Parallelwelten zu erschaffen, um andere Menschen dazu zu bringen, ihr Geld auszugeben. Anders als in den heutigen Major-Studios gab es damals aber noch Träumer wie Monroe Stahr in Führungspositionen, denen es eben nicht in erster Linie darum ging, ohne Rücksicht auf Verluste den shareholder value zu mehren. Ein Hauch von Vergeblichkeit weht jedoch von Anfang an über sein Tun, die Zeit für Träumer lief schon damals unaufhaltsam ab. Heute beherrschen Endlos-Filmreihen, Remakes und Superhelden-Franchises die Multiplex-Kinos. In mancherlei Hinsicht waren die 1930er dann vielleicht doch die besseren Zeiten.

Naturgemäß können sich die Serienautoren um Showrunner Billy Ray (der vor mehr als zwanzig Jahren die visionäre SF-Serie „Earth 2“ miterfand) wesentlich mehr Zeit lassen, um die gleiche Geschichte zu erzählen, als Elia Kazan und Drehbuchautor Harold Pinter damals bei ihrem zweistündigen Film. Die wohl schönste Szene der Kinoadaption hat es aber fast eins zu eins in die dritte Folge der Serie geschafft: Monroe Stahr führt sein love interest Kathleen nachts in den Rohbau des Hauses, das er am Meer bauen ließ – für seine gestorbene Frau. Nach deren Tod hat er es unvollendet gelassen. In dem Haus ohne Dach und ohne Fensterscheiben, das selbst wie eine Filmkulisse wirkt, lieben sich die beiden.

Hervorheben muss man noch einige originelle Regieeinfälle (Ray inszenierte die beiden Auftaktfolgen selbst, für Episode 3 übernahm die erfahrene Serienregisseurin Julie Anne Robinson). So finden sich mehrmals interessante Spiegeleffekte, wenn Figuren nur für die Zuschauer und eben nur in Spiegeln sichtbar, mimisch auf andere Figuren reagieren. Und Folge 3 endet mit einer herrlich überdrehten Musicalszene, die so typisch amerikanisch-süßlich ist, dass einem der ganze Zucker fast wieder hochkommt. Neben der gelungenen Inszenierung ist es vor allem das Potential an erzählerischer Tiefe und melancholischer Atmosphäre, die „The Last Tyccon“ vom Mittelmaß vieler neuerer Dramaserien abhebt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „The Last Tycoon“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Amazon LLC


Die Serie „The Last Tycoon“ befindet sich bereits jetzt in einer englischen Sprachfassung im Angebot von Amazon Prime. Die deutsche Synchronversion wird am 15. September 2017 veröffentlicht.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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