„New Amsterdam“: Für wen lohnt sich die neue VOX-Serie? – Review

Ryan Eggold überzeugt als hilfswilliger Arzt mit Hundeblick und Charme

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 05.03.2019, 18:17 Uhr

„New Amsterdam“ – Bild: NBC
„New Amsterdam“

Mit einer Mischung aus energetischer Musik und bedächtigen Momenten versucht die Krankenhausserie „New Amsterdam“, die Zuschauer mit auf eine emotionale Reise zu nehmen. Denn die neue Serie soll in eine ähnliche Kerbe schlagen wie die beiden größten US-amerikanischen Serienerfolge der vergangenen drei Jahre: „This Is Us“ und „The Good Doctor“. Das gelingt ihr auch, sie ist für die Fans von emotional bewegenden Dramaserien, bei denen man auch mal eine Träne verdrücken muss, absolut sehenswert. Alle anderen müssen jedoch hier nicht einschalten.

In den USA läuft „New Amsterdam“ unmittelbar im Anschluss an „This Is Us“, das gibt die Marschrichtung des Formats bereits vor. „Zufällig“ kam „New Amsterdam“ im Paketeinkauf zu VOX, wo man für die Deutschlandpremiere den gleichen Sendeplatz gewählt hat, auf dem man zuvor mit „The Good Doctor“ erfolgreich war. Und gegen die große Krankenhaus-Konkurrenz „Grey’s Anatomy“ geht man in Deutschland mit einigen Wochen Vorsprung ins Rennen. Die Vorzeichen für einen Erfolg scheinen günstig.

Die Auftaktfolge von „New Amsterdam“ folgt zu James Browns „I Feel Good“ dem energisch zur Arbeit joggenden Charmeur Dr. Max Goodwin (Ryan Eggold, bereits als Lehrer in „90210“ ein Herzensbrecher). Am Ende der Episode gibt es ernstere Töne. Über die Schlussmontage wird schließlich eine langsame Coverversion des Coldplay-Hits „Fix You“ gespielt: Goodwin, von dessen zerrütteter Ehe die Zuschauer mittlerweile erfahren haben, diskutiert mit einer Kollegin seine Krebsdiagnose. Mehr braucht man fast schon nicht über „New Amsterdam“ zu wissen, um einschätzen zu können, ob man zum Zielpublikum gehört und ein wöchentlicher Besuch in The Dam sich lohnt.

Dr. Max Goodwin (Ryan Eggold) auf dem Dach des New Amsterdam
Mit der Brechstange erfolgt in den ersten zehn Minuten des Serienauftakts die Exposition: Goodwin hatte zuletzt mit viel Aufwand und Herzblut eine kleine Klinik durch schwieriges Fahrwasser geleitet. Für ihn ist der Job in einem der ältesten und prestigeträchtigsten Krankenhäuser eine Wahnsinnschance. Der Arzt packt beherzt mit an, ist sich für nichts zu fein. Sein Mantra: „Wie kann ich helfen?“. Denn er sieht sich als „Helfer“ der Ärzte, damit diese trotz aller Bürokratie ihren eigentlichen Job machen und den Patienten helfen können. Auch sonst ist er ein eher ungewöhnlicher neuer Boss: So nutzt er etwa die allgemeine Umkleide für die „kleinen Angestellten“ und mit den Krankenschwestern und Hausmeistern weiß er sich in fließendem Spanisch zu verständigen.

Aus den Unterhaltungen der kleinen Räder im Krankenhausbetrieb erfahren die Zuschauer auch, dass Goodwins neue Position ein echter Schleudersitz ist: Denn obwohl der Posten einflussreich und prestigeträchtig ist, steht der Chef von The Dam unter einer übergeordneten Hierarchie, und das Lehrkrankenhaus im Schatten der dazugehörigen Uni und deren Rektor (in späteren Episoden von „Alias – Die Agentin“-Schurke Ron Rifkin).

Dazu kommen die allgemeinen Probleme im amerikanischen Gesundheitssystem, wo viele Menschen ohne Krankenversicherung sind und die Krankenhäuser für diese trotzdem eine Notversorgung finanzieren wollen und müssen. Im New Amsterdam etwa dadurch, dass viel Arbeit von den Studenten der Uni verrichtet wird. Aber hier kommt auch Onkologin Helen Sharpe (Freema Agyeman; „Doctor Who“ und „The Carrie Diaries“) ins Spiel, die durch die Nachrichtensendungen tingelt, um das New Amsterdam ins Bewusstsein spendenfreudiger Amerikaner zu rufen und auch andere Geldgeber weltweit an Land zu ziehen – wegen dieser Aufgaben behandelt sie anfangs keine Patienten mehr.

Die Ärzte Bloom (Janet Montgomery) und Goodwin (Ryan Eggold) im hauseigenen Gefängniskrankenhaus
Binnen der ersten Minuten werden daneben auch die medizinischen Fälle der Episode angerissen: Ein junger Afrikaner, der mit Fieber in den USA ankommt und sich direkt zum Krankenhaus aufmacht; eine Frau, die zunächst fälschlich für tot gehalten wird; ein Teenager, der in überlasteten Pflegeeinrichtungen zum wiederholten Mal vergewaltigt wurde; sowie ein Kohlenmonoxid-Unfall, der zahlreiche UN-Angestellte betroffen hat, die nun ebenfalls ins New Amsterdam kommen.

Überhaupt ist eines der Alleinstellungsmerkmale von New Amsterdam die Tatsache, dass das Krankenhaus zahlreiche sehr unterschiedliche Stationen unter einem Dach vereint – beziehungsweise die Serie diese ins Zentrum rückt, während sonst vor allem Notaufnahme und Operationssaal Hauptschauplätze sind.

Neben der Notaufnahme mit der eigenwilligen Dr. Lauren Bloom (Janet Montgomery, zuletzt „Salem“) steht die Psychiatrie unter Dr. Iggy Frome (Tyler Labine) häufig im Zentrum. Frome gibt dabei den meist etwas schludrigen, aber verständnisvollen Familienvater, der an Gemüsesticks knabbert. In diversen Fällen arbeitet er mit dem Internisten Dr. Vijay Kapoor (Anupam Kher) zusammen, ein in die Jahre gekommener Mediziner, in dem mehr steckt als es anfangs den Anschein macht. Komplettiert wird das im Zentrum stehende Team vom Kardio-Chirurgen Dr. Floyd Reynolds (Jocko Sims; „L.A. Crash“, „The Last Ship“).

Doch The Dam hat noch Weiteres zu bieten. Einerseits eine als Gefängnis-Krankenhaus aufgebaute Station als Außenstelle von New Yorks Hauptgefängnis auf Rikers Island – komplett mit Gefängniswärtern. Dann einen eigenen kleinen Gerichtssaal (da es häufig im Zusammenhang mit der Psychiatrie Anhörungen gab und gibt). Und schließlich bietet man noch für die Politik (insbesondere eben für die Vertreter der in New York ansässigen UN-Hauptversammlung) gesonderte Einrichtungen.

Wie der Leser bereits weiß: Goodwin ist sich bewusst, dass er an Krebs erkrankt ist. Und entsprechend sieht er keine Zeit mehr, das New Amsterdam allmählich umzubauen: Er setzt auf drastische Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und entlässt eine ganze chirurgische Abteilung, der er mangelnde Sorgfalt und eine Tendenz zu unnötigen Operationen unterstellt. „Das System ist kaputt – aber wir gehören zum System und wenn wir es ändern wollen, müssen wir uns zuerst ändern.“ Der Mediziner hofft, schnell nachhaltgie Veränderungen anstoßen zu können – schnell genug, bevor der Krebs ihn lahmlegt und schnell genug, bevor er gefeuert wird.

Wie die ProSieben-Serie „Atlanta Medical“ beschäftigt sich auch „New Amsterdam“ mit den Problemen des amerikanischen Gesundheitssystems und den weiteren gesellschaftlichen Problemen. Nur dass hier eben schnell alle ins Mantra „Wie kann ich helfen?“ einfallen und an einem Strang ziehen, um zeitaufwändig die Probleme der Patienten zu lösen. Dabei gibt es nicht immer ein Happy End, aber am Ende ist doch zumindest „geteiltes Leid halbes Leid“. Da sorgt sich Psychiater Frome um ein eine sichere Unterbringung des Mädchens, das in verschiedenen Pflegefamilien sexuell misshandelt wurde. Dort kann Goodwin durch seine UN-Kontakte etwas für die Familie illegal Eingewanderter deichseln. Und drüben durchschneiden die Ärzte mehrfach medizinische Probleme, die vor allem als Nebenwirkung von leichtfertig verschriebenen Medikamenten-Breitseiten entstehen, da für eine eingehende Diagnostik keine Zeit blieb.

Goodwin (Ryan Eggold) zu Frome (Tyler Labine): „Wenn Sie ihr nicht als Arzt helfen können … helfen Sie ihr als Mensch!“

Es sind die Art Dramen, wo die Welt zwar an sich schlecht und ungerecht ist, aber am Ende alles ein Stückchen besser wird. Alles begleitet vom Charme und den zu unglaublicher Traurigkeit fähigen, flehentlich blickenden Augen von Hauptdarsteller Eggold. Damit muss sich „New Amsterdam“ auch den Vorwurf gefallen lassen, unrealistischer Eskapismus zu sein, in dem am Ende immer alles irgendwie zusammenläuft, und wo eine tödliche Diagnose als nur „halb so schlimm“ inszeniert wird, wenn man sich dafür noch mit der Familie aussöhnen kann.

Natürlich gibt es auch medizinische Dramen. Natürlich haben auch hier die Ärzte ein spannendes Privatleben: Goodwin etwa kämpft um die Aussöhnung mit seiner schwangeren Frau; die Doktoren Bloom und Reynolds haben ein Verhältnis, das auf der Grenze zwischen „nur körperlich“ und „romantisch“ kippelt; und Helen Sharpe muss erst wieder für sich entdecken, was es heißt, Medizin zu praktizieren.

Ein vorzüglicher, emotional manipulativer Soundtrack und immer mal wieder eingestreute, eindrucksvolle Bilder werten die Serie auf. In der zweiten Episode etwa unterhalten sich zwei der Ärzte auf dem Dach der Klinik, was einfach atemberaubende Außenaufnahmen mit einem Blick über New York ermöglicht.

Generell ist „New Amsterdam“ also ein gutes Stück eine Rückkehr zu Krankenhausserien, wie sie früher einmal waren – bevor „Emergency Room“ Kunstblut-Orgien und Fachjargon-Monologe in das Genre brachte. Gewiss, beides kommt auch in „New Amsterdam“ vor, aber eben nur in kontrollierten Dosen. Im Zentrum steht das Woche für Woche in sich abgeschlossene Patienten-Drama mit einem großen Schuss Feelgood und all das modern-aufwendig inszeniert.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „New Amsterdam“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Bernd Krannich
© Alle Bilder: NBC Universal


VOX zeigt „New Amsterdam“ ab dem 6. März immer mittwochs als Deutschlandpremiere. In den USA läuft die Serie seit September 2018 bei NBC und wurde dort auch schon für eine zweite Staffel verlängert.

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1969) am

    Hi Sentinel, bin ebenfalls der Meinung dass ER unerreicht bleibt (auch das Spin-Off/Crossover Third Watch war nicht schlecht), aber Grey's Anatomy war von Anfang an Romanzenmüll, ging doch von Anfang an nur um McDreamy und welcher Arzt bandelt (nett ausgedrückt) mit welchem anderen Arzt an (der cheesy Trailer sagt doch schon alles) - könnte man einfach ignorieren, aber da das Ganze in einem Umfeld spielt, wo Menschen große Tragödien erleben, und die notgeilen Deppen dummerweise die Ärzte sind, von denen Leben und Wohl dieser armen Patienten abhängen, die sich dann aber im schlimmsten Albtraum noch widerwärtige Sprüche der ekelhaften Christina (so hieß die doch, das Brechmittel, oder? Nix gegen Sandra Oh (richtig?), aber die Rolle : zum Ko...) ausgesetzt sehen, ist das Ganze nur geschmacklos und abstoßend und mir ein Rätsel - nein, wir wissen ja, das Gros der Menschheit ist eben ebenso.
    • (geb. 1967) am

      Ich war und bin noch immer total großer "ER" Fan!! Aber, weder "The Good Doctor" noch "Atlanta Medical" noch "New Amsterdam" kommen an "ER" nur ansatzweise ran.....geschweige denn von "Grey's Anatomy", was ja inzwischen immer mehr zu ner Liebes - Krankenhaus Soap verkommen ist, deswegen ich auch kurz nach Sandra Oh's Ausstieg zu Staffel 11 selbst den Stecker gezogen habe!!
      • am

        Wann geht es denn jetzt weiter? Wurde einfach für Magnum ( der grotten schlecht ist )abgesetzt oder wie?
        • (geb. 1973) am

          Mir gefällt die Serie sehr gut. Auch the good doctor ist eine tolle Serie.
          • am

            Für mich definitiv eine der schlechtesten Krankenhausserien aller Zeiten. Ich habe aber auch schon "The Good Doctor" als grottige Schmonzette schnell wieder zu den Akten gelegt.

            Ich finde es schade, dass großartige und realistische Serien mit offensichtlich fundierter wissenschaftlicher Produktionsberatung, wie "Monday Morning" und "Code Black" beim Zuschauer nicht für ihre realistische Arbeit honoriert wurden, so eine billige Seifenoper, wo sich mir bei der oft völlig falschen Darstellung von Behandlungen oder Diagnosen die Zehennägel aufrollen, aber tolle Einschaltquoten einfährt.

            weitere Meldungen