„Die Landarztpraxis“ in Sat.1 stört nicht wirklich – Review

Neue tägliche Serie bietet ländliche Meditation ohne Ecken und Kanten

Ralf Döbele
Rezension von Ralf Döbele – 16.10.2023, 10:00 Uhr

„Die Landarztpraxis“ – Bild: Sat.1/Kathrin Baumann
„Die Landarztpraxis“

Willkommen auf der größten Baustelle Europas! Nein, dies ist kein Text über Stuttgart 21, sondern über das Vorabendprogramm von Sat.1, in dem seit Jahren immer wieder das Unterste nach oben gekehrt wird. Was hat man hier nicht schon alles ausprobiert: von täglicher „Fahndung Deutschland“ über die Reaktivierung der „perfekten Minute“ bis zum einst vollmundig angepriesenen „Vollen Haus“, das seit dem Start nur vor recht leeren Rängen auf Sendung war. Ab dem heutigen Montag kehrt der Bällchensender zu einer Programmfarbe zurück, die trotz aller Fehlschläge im Lauf der Jahre wohl immer noch am besten funktioniert hat: Doku-Soaps en masse – bis auf eine Ausnahme!

Heute öffnet „Die Landarztpraxis“ um 19:00 Uhr ihre werktäglichen Pforten. Sat.1 besinnt sich damit auf glorreiche Vorabend-Zeiten in den 2000er Jahren, in denen die Telenovela „Verliebt in Berlin“ für viele zum täglichen Kult-Termin wurde. Die Hauptfigur Sarah König (Caroline Frier, „Bettys Diagnose“) zieht es nun aber explizit fort aus Berlin und in ein kleines bayerisches Dorf. Auch ansonsten orientiert sich die neue tägliche Serie von Sat.1 eher an den Neo-Heimat-Erfolgen à la „Bergdoktor“ und „Bergretter“ im ZDF als an den einst so erfolgreichen Telenovelas.

Bemerkenswert ist dabei: Das fiktionale Dorf Wiesenkirchen, in das die Ärztin Sarah mit ihrer Teenagertochter Leo (Katharina Hirschberg, „Bibi & Tina – Einfach anders“) aufbricht, besteht nicht aus den bekannten Lagerhallen-Soap-Handlungsräumen. Stattdessen sorgen zahlreiche Außenaufnahmen und echte Locations von Praxis bis Gasthof für eine doch recht einladende Kulisse. Wenn man nur in der Lage gewesen wäre, diese auch ordentlich mit Leben zu füllen. Stattdessen ist fast alles, was in der ersten Folge geschieht, nicht wirklich gut, nicht wirklich schlecht, letztendlich aber wenig überraschend und dadurch vollkommen belanglos.

Dr. Sarah König (Caroline Frier) kehrt nach Wiesenkirchen zurück. Sat.1/​Benedikt Müller

Die Notfall-Chirurgin Dr. Sarah König ist von David Guetta und Sia untermalt auf dem Weg in das bayerische Wiesenkirchen und ist dabei wild entschlossen, mit dem größten Geheimnis ihres Lebens aufzuräumen. Ob dieser finstere Abgrund der Vergangenheit wohl etwas mit Sarahs Gegenwart zu tun hat, die in der Form ihrer 16 Jahre alten Tochter Leo auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat? Man weiß es nicht … bis Sarah und Leo von Dr. Fabian Kroiß (Oliver Franck) in dem Dorf begrüßt werden. Die beiden Ärzte, die einst zusammen studierten, haben sich wie lange nicht gesehen? Seit 16 Jahren.

Fabian hält in der Landarztpraxis die Stellung, die einst von seinem Vater Georg (Christian Hoening) betrieben wurde, der nun händeringend nach einem Nachfolger sucht. Georg regiert noch immer im Hintergrund und tritt gerne in den Vordergrund, um Sarah an ihren einstigen Deal zu erinnern: Sie hatte versprochen, sich nie wieder in Wiesenkirchen blicken zu lassen und für immer aus dem Leben von Fabian zu verschwinden. Sarah bleibt aber standhaft und steht Fabian bei einem Notfall zur Seite: Einer Entbindung, die für sie überraschend auf dem Bauernhof nicht bei der schwangeren Bäuerin, sondern einer Kuh stattfindet.

Im Gasthof Alte Post schlagen Sarah und Leo schließlich ihr Zelt auf und auch hier wartet charmanter männlicher Empfang in der Form von Max Raichinger (Alexander Koll, „Bettys Diagnose“), der Sarah ganz offensichtlich nicht nur gerne den Koffer aufs Zimmer tragen würde. Der spontane Page ist aber tatsächlich (und natürlich) Bergretter sowie alleinerziehender Vater von Teenagersohn Basti (Simon Lucas), der Leo sogar kurzzeitig von ihrer Sehnsucht nach perfektem Handyempfang kurieren kann. Größere medizinische Maßnahmen muss Sarah dagegen schon bald bei einem Notfall einleiten, der ihr Leben vollkommen verändern könnte.

Studienfreund Fabian (Oliver Franck, M.) und Bergretter Max (Alexander Koll, l.) haben ein Auge auf Sarah (Caroline Frier, r.) geworfen. Sat.1/​Katharina Baumann

Positiv ist sicher, dass es der „Landarztpraxis“ gelingt, bei Konzeption und Gestaltung so manches Telenovela- oder Daily-Soap-Klischee zu vermeiden. Neben den Original-Drehorten ist vor allem beachtlich, dass die Serie auf einen ausschweifenden, kitschigen Pärchen-Vorspann verzichtet und stattdessen die ländliche Idylle mit modernen Popsongs unterlegt. Optisch wirkt die Serie bei weitem hochwertiger als „Rote Rosen“ oder „Sturm der Liebe“ und erinnert eher an die „WaPo“-Serien der ARD oder andere Vorabend-Krimis – die natürlich auf dem Sendeplatz ihre stärkste Konkurrenz darstellen.

Auch gerät der „Landarztpraxis“ zum Vorteil, dass mit der Pilotfolge nicht von Anfang an auf ein großes Traumpaar hingearbeitet wird. Noch ist vollkommen offen, ob Sarahs Herz eher für den alten, wenn auch in Beziehungspause verheirateten, Studienkollegen Fabian oder den schicken Bergretter Max entflammen wird. Beides ist möglich, beides könnte dem ersten Eindruck nach gleichermaßen funktionieren.

Während dieser Telenovela-Spannungsbogen der Vorhersehbarkeit also vermieden wird, gibt es ansonsten von Originalität keine Spur. Gut, fairerweise ist die Frage berechtigt, inwiefern deutsche Soaps mehr als 30 Jahre nach der Premiere von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ überhaupt von so etwas wie Originalität leben oder nicht doch eher von ihren sympathischen Hauptfiguren, überraschenden Wendungen und ihren Cliffhangern. Der Art des Erzählens also. Doch auch nach diesen Kriterien scheitert „Die Landarztpraxis“ in ihrer ersten Folge leider recht klar.

Nähern sich recht schnell an: Leo (Katharina Hirschberg, l.) und Basti (Simon Lucas, r.) Sat.1/​Benedikt Müller

Der Hauptcast ist keinesfalls unsympathisch, aber besonders liebenswert, markant oder interessant sind die Figuren nicht. Sie kommen vollkommen ohne Ecken und Kanten daher, sind genauso entschleunigt wie ihre Umgebung und man hat jetzt nicht unbedingt etwas dagegen, sich in ihrer Gesellschaft aufzuhalten. Sie sind eben einfach da, genau wie die Handlung, die gemütlich vor sich hin plätschert. Selbst besagter Notfall gegen Ende der Folge kommt wortwörtlich in entschleunigtem Zeitlupen-Tempo daher. Die Sogwirkung, die eine tägliche Serie vom Start weg braucht, um sich ein Stammpublikum zu erobern, wird so nicht gerade erzeugt.

Tatsächlich erinnern die Figuren in ihrer unaufdringlichen Freundlichkeit eher an die Kommissare einer guten „SOKO“-Serie, wo bereits wenige Charaktereigenschaften ausreichen, um gerne an ihrer Seite zu ermitteln. Das Problem hier ist aber: Es gibt keinen Fall aufzuklären, der die Folge ausfüllt, es gibt höchstens den einen oder anderen medizinischen Einsatz. Ansonsten stehen ganz klar die Beziehungen der Charaktere untereinander im Zentrum – und dann müssen die einfach deutlich interessanter sein. Ein herrischer, grantelnder Vater als einziger Stimmungs-Ausreißer, dessen aufgesetzte Autorität jetzt nicht unbedingt das halbe Dorf zum Zittern bringt, reicht da kaum.

Es muss ja nicht gleich die ländliche Albtraum-Atmosphäre von „Und ewig singen die Wälder“ (oder von jedem zweiten ZDF-Krimi am Montagabend) heraufbeschworen werden. Aber Erfolg für eine soapige Daily, in der die Figuren sich einfach nur an ihrem Leben erfreuen und auf dem Land gerne mal durchatmen, scheint kaum vorstellbar. Erinnerungen werden wach an die obskure ProSieben-Soap „Mallorca“ aus dem Jahr 1999, wo man die Zuschauer anstatt mit Partyleben und Sonne satt erst einmal mit extrem langen Strandspaziergängen am Leben verzweifelnder Frauen konfrontierte.

Ein Notfall in den Bergen: Davon ist in der ersten meditativen Folge der „Landarztpraxis“ kaum etwas zu spüren.Sat.1/​Benedikt Müller

Immerhin, Sonne satt bietet „Die Landarztpraxis“ zwischen Seen, Wäldern und Landgasthöfen tatsächlich, aber angesichts der langsam vor sich hin plätschernden Handlung wäre vielleicht ein Start mit Doppelfolge oder Mini-Marathon besser gewesen, um die Zuschauer stärker an Figuren und Geschehen zu binden. Vorausgesetzt, dass in den nächsten Folgen tatsächlich ein bisschen mehr passiert, was man zwar anhand von Inhaltsbeschreibungen vermuten kann, was die Auftaktfolge allerdings auch nicht rettet.

Vielleicht ist zu wenig Drama aber auch der Schlüssel zum Erfolg, vielleicht will so mancher Gelegenheitszuschauer tatsächlich zum Feierabend lieber mit Leo und Basti harmonisch am Bergsee sitzen oder miterleben, wie Sarah nach der Geburt des Kalbs auch noch die Gesundheit der Bäuerin per Zuhören rettet und wie überbordend lächelnde Gastfreundschaft jedes noch so spärlich angedeutete Problem überwindet. In einer Welt, in der ein Bergretter nur zum Kofferschleppen ausrücken muss, in der keine Drinks in keine Gesichter geworfen werden, in denen niemand nach einer Märchenhochzeit vom Turm in den Tod stürzt, in der keine Blondine an ihren Mordplänen feilt, in der keine Ex-Frau den Ex-Mann je nach der Übernahme seines Konzerns vor die Tür setzt. Für manche Zuschauer kann das sicher unglaublich entspannend sein. Mein Fazit lautet da leider eher: Ich bin ein Soap-Fan – holt mich hier raus.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der Auftaktfolge von „Die Landarztpraxis“.

Meine Wertung: 2,5/​5

„Die Landarztpraxis“ läuft ab dem 16. Oktober immer montags bis freitags um 19:00 Uhr in Sat.1. Die einzelnen Folgen sind außerdem bei Joyn abrufbar.

Über den Autor

Ralf Döbele ist Jahrgang 1981 und geriet schon in frühester Kindheit in den Bann von „Der Denver-Clan“, „Star Trek“ und „Aktenzeichen XY …ungelöst“. Davon hat er sich als klassisches Fernsehkind auch bis heute nicht wieder erholt. Vor allem US-Serien aus allen sieben Jahrzehnten TV-Geschichte haben es ihm angetan. Zu Ralfs Lieblingen gehören Dramaserien wie „Friday Night Lights“ oder „The West Wing“ genauso wie die Prime Time Soaps „Melrose Place“ und „Falcon Crest“, die Comedys „I Love Lucy“ und „M*A*S*H“ oder das „Law & Order“-Franchise. Aber auch deutsche Kultserien wie „Derrick“ oder „Bella Block“ finden sich in seinem DVD-Regal, das ständig aus allen Nähten platzt. Ralf ist als freier Redakteur für fernsehserien.de tätig und kümmert sich dabei hauptsächlich um tagesaktuelle News und um Specials über die Geschichte von deutschen und amerikanischen Kultformaten.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Star Trek – Enterprise, Aktenzeichen XY … Ungelöst

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1950) am

    Ich fand die Serie eher entspannend und lustig, als nervig.
    Muss allerdings sagen, dass ich vermutlich einer der aeltesten hier bin, 2 Toechter und einen Sohn grossgezogen und 5 Enkel habe, das haertet ab.:-)
    • am

      In welcher Arztpraxis rennen die Helferinnen bauchfrei rum und haben Fingernägel wie. ..
      Das ist gar nicht erlaubt.
      Und diese unsympathische Tochter nervt wie die ganze Geschichte
      • am

        Kindersendung und schrecklich laienhaft.
        Diese Geschichten um diese pubertierenden Kinder...ebenso schrecklich.Und dieses Rumgeeier, ob sie nun die Wahrheit über die Tochter sagen soll, ebenso schrecklich.
        Und die Möchtegernschickimickiarztfrau, ebenso schrecklich. Wer stylt eigentlich die Haare dieser
        Frau.Sie sieht krank aus.
        Abschalten ist die einzige Lösung.
        • am

          Dieser rumgekeife dieses Kindes nervt gewaltig. Die Sendung ist ja nicht schlecht aber 13 min Werbung und danach 2 Sätze sind nicht akzeptabel.
          • am

            Ja genau, es war heute noch schlimmer als sonst - dieses schrille Rumgeschreie der Leo. Die nervt schon sehr.
        • am

          Was mischt sich dieser neue Besitzer der alten Post in die Führung ein. Das geht ihn nichts an. Der Pächter entscheidet über Speisekarte, Öffnungszeiten usw. Der Besitzer erhält die Pacht, ansonsten geht ihn der Betrieb nichts an. Ich würde den arroganten Spinner rausschmeißen.
          • (geb. 1977) am

            Was für eine Schnulze! Ihre ständigen lauten Gedanken' ich wollt es ihm ja sagen" ! Wie nervig! So was von kitschig
            Schlimmer als in den früheren Arzt Romanen
            • (geb. 1965) am

              Frau Frier,die kleine Pummelfee mit diesen Outfits und Blondie Tochter , No Go !
              • am

                Endlich mal eine Frau mit normaler Figur und nicht so ein Hungerhaken wie ihre Kontrahentin Alexandra.
            • am

              Hilfe was ist das? Weder passen die zwei Frauen vom Typ her zu dem Arzt und das schauspielern
              wirkt incl. dieser nervtötenden Mutter, die auch wie eine Laiendarstellerin wirkt.
              Und kann jemand mal Frau Frier modisch beraten? Grauslich was sie anhat...der Clou die "Jeanshotpants" unterm Arztkittel.Und ihr Lippenstift, zum Fremdschämen.
              Max ist gut, ziemlich authentisch.
              Und Tochter Blondie...sieht aus wie 12...soll 16 sein. Und sie dem Doc immer noch zu verschweigen...albern.
              • (geb. 1976) am

                Schade das sich der Autor keine heile Welt mehr vorstellen kann, dennoch stellt sich die Frage muss es wirklich immer Hau Drauf oder Drinks im Gesicht geben um Interesse zu wecken?
                Mal etwas "normale" Atmosphäre kann doch ganz schön sein, immerhin soll die Sendung den Zuschauer wohl eher entspannen als fesseln.
                Traurig also wenn ein Autor lediglich die schlechten Aspekte herauspickt.
                • am

                  Wie sang Nina Hagen einst: .... die Arztromane hatte ich schon mit 12 hinter mir ..... 🤣🤣🤣
                  • am

                    Das Fernsehen ist eine einzige Huldigung an unsere Rettungsdienste: Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten usw. ob an Land, See oder in der Luft. Wenn man noch Anwälte dazu zählt, hat man fast alle Berufe abgegrast. Irgendwie immer derselbe Einheitsbrei. Und natürlich sind immer alle Helden und keiner hat persönliche Fehler. Für mich ist das nur schlicht und öde. Wäre wirklich besser, den Sendern fiele mal was Interessanteres ein.

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