„A Thin Line“ überzeugt nur an wenigen Stellen – Review

Paramount+ scheitert mit Miniserie zu „Fridays for Future“ und „Letzte Generation“

Stefan Genrich
Rezension von Stefan Genrich – 15.02.2023, 17:00 Uhr

Die Zwillinge Benni (Hanna Hilsdorf, l.) und Anna (Saskia Rosendahl) hacken zur Klimarettung – Bild: Weydemann Bros Paramount+
Die Zwillinge Benni (Hanna Hilsdorf, l.) und Anna (Saskia Rosendahl) hacken zur Klimarettung

Klimarettung und Cyber-Kriminalität: „A Thin Line“ greift aktuelle Themen auf. Ohnehin verweist die Miniserie auf Fridays for Future und Letzte Generation, ohne diese Aktionsgruppen zu erwähnen. Aber die Anspielung ist deutlich: Willst du dich weiter auf Straßen setzen, oder willst du kämpfen? Nach landläufiger Meinung jedenfalls bewegen diese Inhalte junge Menschen. Biedert sich die Darstellung an die Zielgruppe an? Oder wirken hektische Schnitte, Nahaufnahmen und wackelnde Kameras modern? Solche Stilmittel sollen wohl helfen, dass die geschilderten Zustände glaubwürdig aussehen und dem Lebensgefühl entsprechen. Tatsächlich gerät das Ergebnis eher banal als authentisch. Daher könnte es geschehen, dass die Geschichte und die Inszenierung niemanden bewegen. Die Figuren entsprechen Abziehbildern von Helden und keineswegs irgendwelchen Vorbildern. Die guten Absichten verpuffen.

Nach Bauplan typischer Beziehungen von Zwillingen pflegen Anna (Saskia Rosendahl,„Babylon Berlin“) und Benni (Hanna Hilsdorf, „Die Kaiserin“) zuerst ihre Gemeinsamkeiten, dass sie sogar im selben Bett schlafen. Die beiden Mädchen folgen schnell dem Klischee, dass moralische Krisen die Schwestern trennen. Plötzlich verhalten sich Anna und Benni gegensätzlich. Die gute Schwester kämpft mit den Widersprüchen des Lebens, während ihre schlechtere Hälfte den dunklen Mächten folgt.

Anna bleibt bedächtig und kritisch, während Benni eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt. Schon platzt die Idylle schwesterlichen Engagements gegen die da oben. Eben noch hat das Duo den Verkehrsminister wegen seiner Verfehlungen öffentlich vorgeführt. Da eskaliert die Lage, weil ein Außenseiter ihre technischen Tricks für gewaltsame Angriffe kopiert. Als das Bundeskriminalamt BKA zuschlägt, wird Anna verhaftet. Benni flieht hingegen und schließt sich den Terroristen von Der letzte Widerstand an.

Auf der Flucht vor dem BKA hängt Benni ab.Weydemann Bros Paramount+

Die Erzählung erstickt in fürchterlichen Phrasen und Floskeln: Ist doch völlig klar, dass der Typ ein korruptes Schwein ist. – Benni übernimmt klassische Formulierungen der RAF-Terroristen der 1970er-Jahre. Zudem kopiert sie Auftreten und Look der damaligen Anführerin Gudrun Ensslin. Die revolutionäre Romantik strömt durch die Miniserie – zum Beispiel wenn Ton Steine Scherben singen. Andererseits schlagen Synthpop und Electronica den Bogen zur neuen Generation.

Die Auseinandersetzungen früherer Zeiten kehren zurück – diesmal als Kasperletheater. Dabei markiert „A Thin Line“ die Grenze zwischen unterschiedlichen Loyalitäten. Die Anliegen der Öko-Aktivisten und ihrer Kritiker dienen lediglich als Vorwand, lahme Dialoge in holzschnittartigen Szenen zu arrangieren. Auf diese Weise versandet eine ernsthafte Debatte. Ebenso scheitert der Versuch, mithilfe eines prinzipiell aufregenden Stoffs das TV-Publikum zu unterhalten.

Ohne Smartphone oder PC mag Anna keinen Jailhouse Rock.Weydemann Bros Paramount+

Vielleicht hat sich das Team zu viel vorgenommen? Im Presseheft führt ein Zitat von Regisseurin Sabrina Sarabi zu dieser Idee: Es geht um Zwillingsschwestern, Klimaaktivismus, Grenzen von Gewalt, Moralvorstellungen von Gewalt, Gewalt von Aktivismus, aber auch Staatsgewalt und familiäre Konflikte – da fehlt nur noch die Frage nach Gott und dem Urknall. Folgerichtig ist die Familiensituation überladen: Annas und Bennis leibliche Mutter Marlene ist gestorben, sodass ihre Lebensgefährtin Uli (Julika Jenkins, „Dark“) alleine die Kinder großziehen musste. Mittlerweile haust sie verbittert am Rande eines Waldes. Nach Jahren als Umweltaktivist ist Christoph (Peter Kurth, „Ferdinand von Schirach: Glauben“) beim BKA gelandet: Trotz politischer Differenzen hat der Patenonkel bislang ein gutes Verhältnis zu den beiden Mädchen gepflegt. Nebenbei wird seine Frau langsam dement. Die Erwachsenen hüten ein Geheimnis vor dem Nachwuchs.

Nicht weniger kompliziert denken und handeln die anderen Figuren. Der ehemalige Soldat Simon (Sebastian Hülk, „Sam – Ein Sachse“) arbeitet mit Christoph zusammen. Er verliebt sich in Scharfschützin Susi (Hadewych Minis, „The Spectacular“), die beide Beine im Einsatz verloren hat und jetzt das System stürzen will. Im Kreis ihrer kleinen Anhängerschar verkündet sie erbauliche Kalendersprüche: Die, die in der Verantwortung sind, müssen sich ihrer Verantwortung stellen – und es geht nicht mehr auf die freundliche Art. Die junge Programmiererin Stella (Lucia Kutikova) fühlt sich zu Anna hingezogen: Gemeinsam schnüffeln sie Cyber-Terrorist Rainman hinterher, als Anna ihren Onkel beim BKA unterstützt.

Anna und ihr Patenonkel kennen sich besser als gedacht.Weydemann Bros Paramount+

Benni fasziniert hingegen Adam (Aniol Kirberg, „Das Boot“), als sie im Untergrund bei Rainman und Helfer Adam auftaucht: Vielleicht richtet Benni das Selbstbewusstsein des Klimaaktivisten auf, obwohl sie mehr und mehr abdreht. Übrigens verhält sich Adam abwechslungsreicher und interessanter als die restlichen Charaktere. Hingegen nerven Anna und Benni jeweils auf eigene Art. Peter Kurth setzt ein paar Höhepunkte als immer wieder beliebtes Raubein.

Nicht zuletzt leidet die Glaubwürdigkeit, wenn Anna nebenbei ihre elektronische Fußfessel ablegt – mittels einer Gebrauchsanweisung aus dem Internet. Mehrere Figuren sprechen undeutlich und labern unnötig viel Computer-Chinesisch. Was haben sich die Drehbuchautoren dabei gedacht, Anna so kurz nach Verstößen gegen Auflagen wieder frei in der Gegend herumspazieren zu lassen? Natürlich ist ein deutscher Wald vor der Abholzung zu bewahren. Bedeutungsschwanger erklingt der Aufruf zur digitalen Sabotage durch die Hacker-Szene. Sturmhauben schützen vor neugierigen Blicken, obwohl niemand die Eindringlinge in einer IT-Firma sieht. Wenn wir solche Einfälle akzeptieren, könnte „A Thin Line“ unfreiwillig unterhalten. Ansonsten überzeugt die Miniserie nur an wenigen Stellen.

Dieser Text beruht auf Sichtung von drei Episoden der sechsteiligen Miniserie „A Thin Line“.

Meine Wertung: 2/​5

„A Thin Line“ erscheint bei Paramount+ ab dem 16. Februar mit den ersten zwei Folgen, danach geht es donnerstags mit je einer neuen Folge weiter.

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1987) am

    Freue mich eher auf die Serie der unerbittlichen Counter Strike Unit, die immer fanatischer werdenden fundamentalistischen Extremisten, die im Auftrag ausländischer Oligarchen die Bevölkerung mit Gewalttaten terrorisieren, das Handwerk legen.
    Der vorgeschobene Grund ist dabei meist hanebüchen, da er nur auf zweidrei Länder angewandt wird, die es zu destabilisieren gilt, nicht auf die schlimmsten Ländern, gar der ganzen Welt.
    Klar, es ist immer gut, die Hintergründe und Motive und Sorgen von Fanatikern zu kennen. Aber auch die Kommunisten Enslin, Mao, Stalin, Kim Jon Un, Xi Ping usw. gaben an, nur die Menschheit zu ihrem Glück zwingen zu wollen und dass dafür beinahe jede Form von Gewalt notwendig wäre.

    Also: Mehr 24, Punisher, Terminal List, Reacher, Sicario usw. statt Terroristenversteher-Serien!
    • am

      Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht.
      • (geb. 1976) am

        Schau weg, mach die Augen zu. Davon ist schon immer alles wieder gut geworden.

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