The Halcyon – Review

Neues ITV-Kostümdrama tritt in die Fußstapfen von „Downton Abbey“ – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 16.01.2017, 16:00 Uhr

Das umfangreiche Ensemble von „The Halcyon“

Vor gut einem Jahr strahlte ITV die letzte „Downton Abbey“-Episode aus. Nun legt der britische Privatsender die nächste Serie vor, die mit Ensemble-Cast in historischem Kostüm auf nostalgisch grundierte Unterhaltung abzielt. Doch anders als „Downton Abbey“, das sechs Staffeln lang die Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg durchschritt, beginnt die Handlung von „The Halcyon“ im Frühjahr 1940, also ein gutes halbes Jahr nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und noch vor dem „Blitz“, der meist nächtlichen Bombardierung britischer Städte durch Hitlers Luftwaffe.

Kriegs-Setting, glamouröse Kostüme und Dekors sowie ein Figurenportfolio aus Adligen und Arbeitern: Klar, dass „The Halcyon“ vom Stand weg als „das neue Downton Abbey“ apostrophiert wurde. Es ist dennoch ein etwas unfairer Vergleich. Zwar bedient sich „The Halcyon“, erdacht von der Theaterautorin Charlotte Jones und produziert von Left Bank Pictures („The Crown“), durchaus des aus „Downton Abbey“ bekannten Upstairs/​Downstairs- oder auch Front-Door/​Back-Door-Schemas: Die Erlauchten und Aristokraten tragen ihre privaten und auch politischen Scharmützel in luxuriösen Salons und Suiten aus, während sich das Gesindel hinter den Kulissen und im Keller abrackert, um „die da oben“ zu bedienen – dabei aber nicht weniger heftig zetert und poussiert. Die übergeordnete Dramaturgie und der Hauptschauplatz eines mondänen, von einer Adelsdynastie geführten Hotels in Central London, in dem sich die Reichen und Mächtigen treffen, erinnert indes eher an die Kaufhaus-Edelsoap „Mr Selfridge“ (gleichfalls ITV) und an pelzmantelbewehrte Hotel-Klassiker im Kino („Grand Hotel“) oder Fernsehen – sogar im deutschsprachigen Fernsehen, wo „Das Adlon. Eine Familiensaga“ oder aktuell „Das Sacher. In bester Gesellschaft“ ähnliche dynastische Familiendramen vor bewegter Zeitgeschichte durchdeklinieren.

Charlotte Jones hat in der Pilotepisode einige Mühe, den Cast von mehr als zwanzig Hauptfiguren (überwiegend besetzt mit Routiniers aus dem Mittelbau der britischen Film- und Fernsehlandschaft) halbwegs elegant einzuführen und en passant noch die bestimmenden Themen zu setzen. Ein bewährter, aber wirkungsvoller Kniff ist es, das große Verhängnis gleich an den Anfang zu stellen: Da feiert die High Society im Spätherbst 1940 gerade den 50. Geburtstag des „Halcyon“-Hotels, als plötzlich Bomben einschlagen. Das Ausmaß der Zerstörung ist noch nicht klar, da springt die Handlung schon sieben Monate zurück in den Mai, als England noch nicht unter Dauerfeuer stand und Kriegs-Premierminister Winston Churchill gerade erst im Begriff war, dem Appeasement-Befürworter Neville Chamberlain nachzufolgen. So hängt also von Anfang an eine Ahnung von Tod und Zerstörung, von doom & gloom über den Verstrickungen dieser ebenso unterhaltsamen wie eleganten Nobelseifenoper. Darin liegt eine feine Ironie, lässt das Hotel seinem Namen gemäß doch eher die sprichwörtlichen halcyon days anklingen, eine mythische Glücksperiode ohne aufwühlende Stürme.

Wie aus einer anderen Epoche herausgefallen wirkt jedenfalls Lord Hamilton höchstpersönlich (Gaststar der ersten Folge, im wohltemperierten Aristokratenmodus: Alex Jennings, „Die Flügel der Taube“). Er ist ein Mann vom alten Schlag, dem schon der smoothe Schmusejazz nicht mehr zugänglich ist, den Betsey Day (Kara Tointon), die Sängerin der Hausband, jeden Abend singt. Der weltenmüde Hotelbesitzer sehnt sich nur dem nächsten Drink entgegen – und den klandestinen Treffen mit seiner platinblonden Geliebten (Charity Wakefield aus „Wölfe“), einer arroganten Giftspritze mit Sympathie für den Faschismus. Warum die junge Frau mit im Hinterzimmer sitzt, wenn Lord Hamilton dort politische Backgroundgespräche führt, wird indes nicht ganz klar.

Olivia Williams als Lady Priscilla

Hotelmanager Richard Garland (mit ebenso geschmeidigem wie stillem Minimalismus perfekt verkörpert von Steven Mackintosh) muss (wie immer) dafür sorgen, dass die Blondine im Hotel nicht auf Lord Hamiltons Gattin Lady Priscilla (eine in die Jahre gekommene Schönheit als Königin des Killerblicks: Olivia Williams aus Wes Andersons „Rushmore“) trifft – was keine einfache Aufgabe ist. Doch der versierte Ausputzer Garland, selbst ein Mann mit Geheimnissen, weiß jeden Aufruhr mit einer beruhigenden Einladung zu tea and sandwiches zu besänftigen. So wie Lady Priscilla, die natürlich weiß, dass sie betrogen wird und auch weiß, das alle anderen dies auch wissen, verkörpert Garland den Primat der unbedingten Selbstbeherrschung in der Öffentlichkeit, der Zusammenbruch folgt stets im stillen Kämmerlein. Inwieweit dieses peinigende keeping up appearances auch dann durchzuhalten ist, wenn links und rechts alles zusammenbricht, privat wie politisch, das wird schnell zu einem zentralen Thema der Serie.

Der Lord hat zwei Söhne, zweieiige Zwillinge und doch grundverschieden: Freddie (Jamie Blackley, „Wenn ich bleibe“), vier Minuten älter als sein Bruder und damit Erbe des Lord-Titels, ist Militärpilot und damit auf direktem Weg in den „Battle of Britain“. Toby (Edward Bluemel) dagegen zieht zum Ärger seines Vaters eine akademische Karriere vor. Am Ende der Pilotepisode stirbt Hamilton an einer Herzattacke – er hinterlässt ein Vakuum: Freddie ist nicht sonderlich interessiert daran, als Haupterbe die Verantwortung des Verblichenen zu übernehmen, während die durch lange Jahre der Demütigung verbitterte Lady Priscilla den Manager Garland loswerden möchte, der stets auf der Seite ihres Mannes stand.

In der Pilotepisode checkt des Weiteren ein etwas dubioser Amerikaner im Hotel ein: Joe O’Hara (gespielt von Matt Ryan aus der schnell gecancelten DC-Serie „Constantine“) zeigt verdächtiges Interesse an den Geschehnissen im Haus. Als investigativer Radiojournalist ist er eine potenzielle Gefahr für das Image des Halcyon, außerdem wirft Joe ein Auge auf Emma Garland (glänzend: Hermione Corfield), die Tochter des Managers, die allerdings auch, ganz und gar unstandesgemäß, dem frischgebackenen Hotelerben Freddie schöne Augen macht. Einer (von mehreren) romantischen Ansatzpunkten ist damit gegeben.

Während die Hochwohlgeborenen ihre Angelegenheiten sortieren, warten die auf comic relief hin geschriebenen Angestellten bis dato noch auf ihre großen Auftritte ­- die meisten von ihnen haben in den ersten Episoden kaum etwas zu tun. Sie sind eher skizzenhaft nach den gängigen Rollenprofilen modelliert: der schwerfällige Concierge, sein ältlicher Sidekick, die strenge Chefin des Putzgeschwaders, das vermeintlich naive Zimmermädchen, der junge Kellner, der smarte Barkeeper, der ängstliche Page. Auch einige von ihnen werden von alten Bekannten verkörpert: Nick Brimble („Du lebst noch 7 Tage“) als Portier, Gordon Kennedy (aus dem BBC–„Robin Hood“) als Koch, Sope Dirisu (aus der AMC-Sci-Fi „Humans“) als Chef der Hausband oder „Life on Mars“-Star Liz White als Telefonistin. In der zweiten Episode gesellt sich schließlich noch der deutsche Schauspieler Nico Rogner („Auf der Suche“) in diese illustre Runde. Er spielt den jüdischen Flüchtling Max Klein, einen versierten Koch aus Österreich, der als schnöde Küchenhilfe im Hotel angestellt wird und prompt in die Klauen des Chefkochs gerät, der alles hasst, was deutsch klingt. Kleins trotziger Konter ist stark: „Ich bin vor einem wütenden kleinen Mann aus Österreich hierher geflüchtet, da werde ich nicht zulassen, dass mich jetzt ein anderer wütender kleiner Mann schon wieder vertreibt.“

Einige sarkastische Sprüche mehr täten „The Halcyon“ durchaus gut. Gewiss, wie bei jedem anderen Ensemblestück braucht es auch hier erst einmal ausreichend Einführungszeit ins ausufernde Figurengeflecht, und so etwas geht fast notgedrungen zu Lasten des Kerngeschäfts. Erst das Skelett, dann das Fleisch. Nach der entsprechend überladenen Pilotepisode drosselt die zweite Folge dann auch schon spürbar das Tempo: Es geht viel näher an die Figuren heran, und besonders Williams und Mackintosh können sich dabei auszeichnen. Sie statten die Antagonisten Lady Hamilton und Richard Garland mit Abgründen und Zwischentönen aus und beginnen einen intriganten Kleinkrieg, der sicher noch für viel Spannung sorgen dürfte. Damit begibt sich „The Halcyon“ in die richtige Spur – weg vom bloß eleganten, dabei auch etwas hermetischen Ausstattungsstück mit überwiegend vertrauten Figurenkonstellationen, hin zu einem subtilen Charakterdrama, dessen Verstrickungen man gerne weiter folgt. Und am Ende kommen die Bomben.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Halcyon“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ITV

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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