Incorporated – Review
Dystopische Science-Fiction-Serie mit guten Ansätzen erfindet das Genre nicht neu – von Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 02.01.2017, 09:11 Uhr
Wir schreiben das Jahr 2074. Der Klimawandel und die mit ihm einhergehenden ökologischen und ökonomischen Krisen haben das Gesellschaftssystem tiefgreifend verändert. Während andere Länder teilweise komplett pleite gegangen und von der Landkarte verschwunden sind, ist auch in den USA die Macht faktisch auf multinationale Konzerne übergegangen. Wer das Glück hat, bei einem solchen angestellt zu sein, kann mit seiner Familie in abgeschotteten Wohngebieten leben, den sogenannten Green Zones, die wie ein Traum vom amerikanischen Suburbia wirken. Alle anderen vegetieren in weitgehend gesetzesfreien und verslumten Gebieten vor sich hin, den Red Zones.
Ben Larson (Sean Teale) ist einer von denen, die es geschafft haben. Er ist Manager beim Biotech-Konzern Spiga, dem größten Unternehmen der Welt. Seine Gattin Laura (Allison Miller) arbeitet als Ärztin in einer Praxis für plastische Chirurgie, gerade hat das Paar die Erlaubnis bekommen, ein Kind in die Welt zu setzen. Doch die familiäre Idylle trügt: In Wirklichkeit heißt Ben gar nicht Ben, sondern Aaron und wurde als Spion in den Konzern eingeschleust. Dort muss er auf die Position eines Senior Executive aufsteigen, um herausfinden zu können, was mit seiner Jugendfreundin Elena (Denyse Tontz) passiert ist. Die hatte er als Kind in einem Lager für Klimaflüchtlinge kennengelernt und dann aus den Augen verloren, aber nie vergessen. Und auch Laura lebt nicht wirklich sorgenfrei: Bekannt ist ihre konfliktreiche Beziehung zu ihrer Mutter, der Spiga-Chefin Elizabeth (Julia Ormond). Ihr Geheimnis ist hingegen, dass sie oft so verzweifelt ist, dass sie sich auf der Arbeit die Arme ritzt.
„Incorporated“ heißt die neue Serie des US-Kabelsenders Syfy, die das Subgenre der Zukunftsdystopie nicht gerade neu erfindet. Die Ausgangssituation der krass zweigeteilten Gesellschaft konnte man etwa kürzlich schon in der französischen arte-Eigenproduktion „Stadt ohne Namen“ verfolgen oder fast zeitgleich mit dem „Incorporated“-Start in der brasilianischen Netflix-Serie „3?%“. Diesmal sind es nun also die USA, die von der sozialen Spaltung in wohlhabende Bürger und rechtlose Habenichtse betroffen sind. Ganz so weit zu gehen, dass alle staatlichen Institution aufgelöst wären, haben sich die Macher der Serie dann aber doch nicht getraut. So darf zwischendurch mal ein machtloser Senator mit Konzernchefin Elizabeth skypen, die ihn daran erinnert, dass an der letzten Wahl doch nur noch 25 Prozent der Berechtigten teilgenommen hätten, sie selbst aber viel mehr Menschen vertrete.
Die echten Stars finden sich eher in den Nebenrollen: Julia Ormond, einst das Fräulein Smilla mit dem Gespür für Schnee in der Bestsellerverfilmung, bekommt in den Auftaktepisoden leider nicht mehr zu tun als meist am Schreibtisch sitzend mit Mitarbeitern zu sprechen oder motivierende Ansprachen zu halten. Dennis Haysbert (als Präsident in „24“ bekannt geworden) darf als Sicherheitschef mit skrupellosen Verhörtechniken zumindest mal seine böse Seite herauskehren. Die verschiedenen Handlungsstränge sind aus bekannten Versatzstücken zusammengepuzzelt: die glitzernde Welt der Konzernhochhäuser auf der einen Seite, die schummerig-verfallene der Rotlicht- und Armenviertel auf der anderen. Dazu kommt noch ein völlig überflüssiger Erzählstrang um brutale Boxkämpfe zur Unterhaltung der abgestumpften Massen.
Auf Produzentenseite finden sich mehrere bekannte Namen: Ted Humphrey gehörte bereits bei „Good Wife“ zum Autorenteam, die Buddys Matt Damon und Ben Affleck haben das Projekt mit ihrer Produktionsfirma Pearl Street Films unter die Fittiche genommen. Dafür hinterlässt der Auftakt einen insgesamt zu oberflächlichen Eindruck. Richtig berührend wird die Geschichte nur an wenigen Stellen, wenn die persönlichen Abgründe hinter dem pervertierten Gesellschaftssystem deutlich werden: Als einer von Bens Kollegen zu Unrecht beschuldigt und entlassen wird, muss auch seine Familie das geschützte Eigenheim verlassen und soll in die Red Zone deportiert werden. Seine Ehefrau muss sich nun entscheiden, ob sie die Kinder zur Adoption freigibt, damit diese weiter in der Komfortzone leben dürfen. Ungerechte Systeme bringen immer große Verwerfungen mit sich. Das hat etwa „3%“ aber wesentlich intensiver vermittelt.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie.
Meine Wertung: 3,5/5
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Syfy
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing