Fear the Walking Dead – Review

Ableger zur erfolgreichen Zombieserie – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 07.09.2015, 12:00 Uhr

Draußen lauert die Apokalypse: Madison will die Kinder beschützen
Das Highschool-Zimmer als Sprungbrett auf die Meta-Ebene: Wo sonst Formeln und Vokabeln gepaukt werden, diskutiert man in amerikanischen Fernsehserien neuerdings den Zweck der eigenen Veranstaltung. Da wird etwa im Literaturkurs, wie in „Scream“ neulich, zaunpfahlwinkend der Sinn und Unsinn von Splatter-Serien erörtert. Und jetzt, in „Fear The Walking Dead“, doziert Englischlehrer Travis Manawa über Jack Londons Gegenüberstellung von Mensch und Natur: Am Ende siege stets die Natur.

Vom Menschen jedenfalls ist in „The Walking Dead“, jener demnächst in die sechste Staffel gehenden AMC-Erfolgsserie, nicht mehr viel übrig. Ob die Natur schuld daran ist, dass der humane Rest seit Jahren von verwesenden Zombies gehetzt wird, oder womöglich das Fehlverhalten anderer Menschen, das ist in der Serie bis dato ungeklärt; fest steht nur, dass der zivilisatorische Kollaps schon erfolgt ist und tatsächlich nicht mehr viel fehlt, bis die Erde wieder menschenfrei durchs Weltall kreiselt. Die den „Walking Dead“-Fans seit Anbeginn im Genick sitzende Frage, wie die Welt bloß in diesen desolaten Zustand geraten konnte, schickt sich „Fear the Walking Dead“ nun zu beantworten an – womit nach „Breaking Bad“ (mit „Better Call Saul“) innerhalb eines halben Jahres bereits die nächste AMC-Prestigeserie Anlauf nimmt, die eigene Marke breiter aufzustellen und dafür mit einem Prequel an den Start geht. Schreibt eigentlich schon jemand die Vorgeschichte der Werbeagentur Sterling Cooper?

Anders als die Comic-Adaption „The Walking Dead“ (TWD), die anfänglich vom Kinoregisseur Frank Darabont in Serienform gebracht wurde, ist das Prequel (trotz fehlender Vorlage) vom Comic-Autor Robert Kirkman höchstselbst konzipiert worden – in Kooperation mit „Sons of Anarchy“y-Produzent Dave Erickson. Im Vorfeld waren die Macher eifrig darum bemüht, die Vergleichsmöglichkeiten kleinzureden: Man solle die neue Serie – zunächst sechs Episoden, eine längere zweite Staffel ist aber schon unterwegs – keinesfalls an der Mutterserie oder gar deren Zombie-Splatterniveau messen. Doch machen wir uns nichts vor: Da die Serie nun einmal „Fear the Walking Dead“ heißt (und nicht „Cobalt“, wie anfangs mal geplant), werden Vergleiche ganz sicher nicht ausbleiben.

Aber nehmen wir Kirkmans Geleitwort mal provisorisch ernst und glauben wir ihm, dass es sich hier eher um eine etwas andere Familien- als um eine herkömmliche Zombieserie handelt. Wichtiger als das ist ja ohnehin die Frage, ob es der Serie letztlich gelingen wird, die Neugier der TWD-Fans zu befriedigen und einen nachvollziehbaren Auslöser für die Untoten-Apokalypse zu liefern. Im Mittelpunkt steht jedenfalls tatsächlich eine Familie, eine dysfunktionale obendrein. Madison Clark (Kim Dickens, „Treme“) ist Vertrauenslehrerin an einer Highschool in Los Angeles. Ihre hübsche, kluge, ehrgeizige Tochter Alicia (Alycia Debnam-Carey) befindet sich gerade auf dem Sprung ins Elite-College. Nick, ihr 19-jähriger Bruder (Frank Dillane, Sohn von Stephen „Stannis Baratheon“ Dillane), hat die Uni-Laufbahn dagegen früh abgebrochen: Er lebt seither als Junkie. Wo der Vater der Geschwister steckt, ist unklar. Madison lebt seit offenbar nicht allzu langer Zeit mit ihrem Kollegen Travis zusammen, dem oben erwähnten Englischlehrer, gespielt von Cliff Curtis (der im Johnny-Depp-Film „Blow“ niemand Geringeren als den kubanischen Koks-König Pablo Escobar spielte). Travis ist sehr nett und brav, er hat klempnerische Fähigkeiten, muss leicht soap-lastige Dialogzeilen sprechen und ist darob als männlicher Held sofort gesetzt – obwohl seine beiden Stiefkinder ihn nicht mögen. Travis hat eine toughe Ex-Ehefrau, die Krankenschwester Liza (Elizabeth Rodriguez aus „Orange is the New Black“), und einen Teenie-Sohn namens Chris (Lorenzo James Henrie), der noch barscher zu ihm ist als die Stiefkinder.

Familienprobleme und Zombieplage: Madison Clark (Kim Dickens)

Die mehr als einstündige Pilotepisode (wie auch die nächsten beiden Folgen inszeniert von Serien-Routinier Adam Davidson) nimmt sich viel, manchmal zu viel Zeit dafür, diese Familie vorzustellen – mitunter kommt das arg zäh daher. Zombieszenen im klassischen Sinn gibt es nur zwei. Stattdessen weht, forciert durch den getragenen, aber hörenswerten Score von Trent-Reznor-Kollaborateur Atticus Ross, eine diffuse Melancholie durch die Szenen: Die Ahnung der (wie TWD-Seher wissen) unausweichlichen Apokalypse ist diesem Prequel vom ersten Bild und Ton an eingeschrieben. Stilistisch-atmosphärisch gleichen die ersten Episoden einem US-amerikanischen Indie-Problemfilm.

Junkie Nick ist denn auch der erste, der einer Untoten begegnet. Im güldenen Licht, das durch die Fenster einer als Drogenhöhle dienenden Kirche fällt, erwacht er aus unruhigen Herointräumen und findet seine Freundin zu einem Zombie verwandelt: Gloria verspeist jemand anderen. Nick flieht und wird auf der Straße von einem Auto angefahren. Im Krankenhaus glaubt dem Bedröhnten niemand, die Zombie-Begegnung wird (wie in einem Verschwörungsthriller) als Halluzination abgetan. Den nächsten Wiedergänger, Nicks Dealer, bekommen auch Travis und Madison zu Gesicht, doch sie schauen eher bedröppelt als schockiert drein. Dabei bricht hier ein dunkles Zeitalter herein! Vorahnungen gibt es genug: Rüstet sich einer von Madisons Schützlingen, ein dicklicher, gemobbter Schüler namens Tobias, nicht längst für den Weltuntergang? Und scheinen die Medien, scheint die Polizei, scheint die Regierung nicht schon mehr zu wissen als der Rest der Welt? Eine aggressive Form der Grippe sei unterwegs, wird verlautbart. Am Ende der etwas lahmen Pilotepisode stehen die Wege offen: Wird „Fear the Walking Dead“ das Zombie-Sujet in Form eines Epidemiethrillers erzählen und sich einen Spannungsspaß daraus machen, mit Ansteckungsparanoia und Infektionspanik zu hantieren? Folgt danach das Survival-Drama, wenn es die Menschen zuhauf dahinrafft und die Last Men Standing um ihr Überleben kämpfen in einer zunehmend funktionsgestörten Welt, in der es weder Strom noch fließend Wasser mehr gibt?

Die zweite Episode geht spürbar in diese Richtung. Noch dazu spaltet sie die Protagonisten in zwei Gruppen. Travis landet mit Liza und Chris im verrammelten Ladengeschäft des alten Kaufmanns Daniel Salazar (gespielt vom panamaischen Salsa-Sänger und Schauspieler Rubén Blades) und seiner Tochter Ofelia (Mercedes Mason, „The Finder“). Madison verbarrikadiert sich mit Alicia und Nick dagegen zu Hause. Der unter dem Drogenentzug leidende Nick ist eine fast clowneske, auf jeden Fall aber genuin comic-lastige Figur: Darsteller Dillane erinnert in seiner hektischen und linkischen Art an den jungen Johnny Depp und an den noch jüngeren Vincent Kartheiser.

Irgendwann bröckelt dann die Familienserienthese. Das doppelte Verschanzungsszenario am Ende der zweiten Episode erinnert viel eher an übliche Zombiefilmdramaturgien – und auch schon zuvor wird die Horrorschraube krfätig angezogen. Machte sich Regisseur Davidson in der ersten Folge noch einen Spaß daraus, Inszenierungsstandards aus TWD bloß zu zitieren (indem er etwa, von spannender Musik begleitet, auf den Hinterkopf einer Figur zoomt, die sich, wenn sie sich plötzlich umdreht, überraschenderweise nicht als zombifiziert erweist), wird in der zweiten Folge schon mit Untoten gerungen und dem Nachbarn im Vorgarten beim Jagen der eigenen Ehefrau zugesehen. Das ist vertrautes Gelände für „Walking Dead“-Fans – und kein hinreichender Grund für eine neue Serie. Interessanter ist da schon die quasi-dokumentarische, durch News- und Footage-Aufnahmen gestützte und an Steven Soderberghs Seuchenthriller „Contagion“ erinnernde Inszenierung der „Riots“, die in Los Angeles ausbrechen, sobald sich die Lage verkompliziert: Als die Polizei die ersten „Walker“ auf offener Straße erschießt, halten Passanten das für rassistische Übergriffe. Es kommt zu Ausschreitungen und Plünderungen. Das sind Szenen, die sicher nicht von ungefähr an jüngere Nachrichtenbilder aus Ferguson und anderswo erinnern und mal wieder verdeutlichen, dass das Zombie-Genre am effektivsten ist, wenn es metaphorisch an Realitäten andockt. Sollte dieser Aspekt von „Fear the Walking Dead“ weiter in den Mittelpunkt gerückt werden, könnte also wesentlich mehr aus dieser Serie werden als ein solide gemachtes Prequel, das nur dazu da ist, um mehr Rendite aus einer Marke zu quetschen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: AMC Studios

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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