Wohl jeder von uns hat sie schon gespürt: Diese langsam hochkriechende unbändige Wut, weil wir uns ungerecht behandelt fühlten. Der Wunsch nach fairer Behandlung und Gerechtigkeit ist tief in uns verankert. Doch immer wieder sind wir im Alltag mit Situationen konfrontiert, die unser Gerechtigkeitsempfinden empfindlich stören. Wenn ein Raser, der den Tod eines jungen Menschen auf dem Gewissen hat, mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, hinterlässt das nicht nur bei den Hinterbliebenen fassungsloses Kopfschütteln. Wer jahrelang in seine Versicherung einbezahlt und trotzdem auf seinem Hochwasserschaden sitzen bleibt, verliert den Glauben an Gerechtigkeit. So auch der Rentner, der sein hart erspartes Geld einem Anlagebetrüger anvertraut hat und nun vor
dem finanziellen Ruin steht. Zu wissen, dass der Kriminelle nun ungestraft im Ausland unter Palmen ein Luxusleben führt, lässt nicht nur Fassungslosigkeit und Empörung, sondern auch die Frage aufkommen: „Wo bleibt hier die Gerechtigkeit?“. Wer Ungerechtigkeit erfahren hat, wünscht sich Wiedergutmachung und einen Ausgleich. Manchmal liegen jedoch Welten zwischen gefühlter Gerechtigkeit und gefällten Gerichtsurteilen. Dementsprechend groß ist die Versuchung, sich aus Wut und Enttäuschung selbst Recht zu verschaffen. Immer wieder sorgen unbescholtene Bürger aus dem Gefühl der Verzweiflung, Ohnmacht und dem Wunsch nach Vergeltung selbst für Recht und Ordnung, üben Selbstjustiz und werden so von Opfern zu Tätern. (Text: SWR)