2018, Folge 149–163

Aufgrund von fehlenden Programminformationen können doppelte Einträge in der Zeit vor dem 08.11.2012 nicht ausgeschlossen werden.
  • Folge 149
    „Fake it till you make it“: nur, weil man (noch) arm ist, heißt das nicht, dass man nicht mit Reichtum protzen darf! Die Bling-Bling-Ästhetik greift weiter um sich, nicht nur im Hip-Hop. Im Februar erschien ihr Debut-Album „Havarie“, jetzt ist sie zu Gast im Kulturpalast: der neue deutsche Rapstar „Haiyti“. In Videos inszeniert sich Haiyti am liebsten mit Pelzkragen und heißen Boys im Pool – auch wenn letzterer aus dem Baumarkt kommt … egal. Trap-Rapper aus den Südstaaten der USA machen es ja schon lange vor: Reich ist das neue geil! Man inszeniert sich mit ankerkettendickem Goldschmuck, Ferraris und einem ganzen Ballett aus „hot bitches“.
    Die Zeiten, in denen man sich als Superreicher bescheiden hinter Kassenbrillen – Model „Bill Gates“ – versteckt hatte, scheinen vorbei. So sehen das auch die „Rich Kids of Literature“. Die Berliner Literaten-Gang bringt Poloshirts mit ihrem Logo heraus, dazu inszenieren sie Modelfotos stilgerecht mit Rennpferden. Dagegen wirken die „Tristesse Royale“-Literaten der 90er-Jahre wie Hartz IV-Empfänger. „Ultraromantik“ heißt die Devise der „Rich Kids of Literature“. Und ihre Attitude meinen sie so ernst, dass sie fast schon wieder ironisch ist.
    Und das alles zu einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. In Deutschland besitzen mittlerweile die 45 Reichsten genau so viel wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung. Die wahren Reichen gibt es auf den Fotos der Amerikanerin Lauren Greenfield zu sehen. Die Fotografin und Dokumentarfilmerin („Generation Wealth“) hat Superreiche über 25 Jahre lang begleitet. Auch die inszenieren sich gerne mit Luxussymbolen, aber es gibt da einen wesentlichen Unterschied zu Haiyti und den „Rich Kids of Literature“: Sie sind wirklich, wirklich reich – und die Fotos von Lauren Greenfield erschreckend entlarvend.
    Die sehen dann ein bisschen so aus, wie man auch Weltstar HP Baxxter kennt: mit Pelzmantel, Falke auf dem Arm, Windhund an der Seite vor einem fetten englischen Oldtimer. Anlässlich des 25-jährigen Geburtstags seiner Hardcore Techno Formation Scooter teilt er im „Kulturpalast“ das Geheimnis seines Erfolges. Sind wir womöglich schon im Post-Bling-Bling? Auftakt zu fünf neuen Folgen Kulturpalast, die im März jeden Samstagabend in 3sat zu einem vergnüglichen Streifzug durch das Kulturgeschehen einladen. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 03.03.20183sat
  • Folge 150
    Was um Himmels Willen ist ein „Trap“? Und wie kann man sich im Blaulicht sonnen? Die neue „Kulturpalast“-Staffel beleuchtet aktuelle Fragen der Kunstwelt – originell und charmant. Fünf neue Folgen laden im März jeden Samstagabend in 3sat zu einem vergnüglichen Streifzug durch das Kulturgeschehen ein. Moderatorin und Musikerin Nina Fiva Sonnenberg begrüßt unter anderem die mit ihrem Debütalbum durchstartende Rapperin Haiyti als Gast. Der „Kulturpalast“ verspricht neue Perspektiven auf vermeintlich Bekanntes – immer auf der Suche nach Inspiration und Erkenntnis. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 10.03.20183sat
  • Folge 151
    Mephisto, Jago, Hannibal Lecter – die Reihe der Bösewichte in Kunst und Literatur ist lang. Beängstigend und faszinierend. Doch worin liegt ihre Faszination und was ist „das Böse“ überhaupt? Antworten darauf suchen im „Kulturpalast“ der Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, der Maler Neo Rauch, Kino-Regisseur Robert Schwendtke und der Schauspieler Frederick Lau. Der Jurist Ferdinand von Schirach hat sich Zeit seines Berufslebens intensiv mit Menschen auseinandergesetzt, die Böses getan haben. Er trennt scharf zwischen der „bösen“ Tat und dem Menschen, der sie vollbringt.
    Gerade ist sein dritter Erzählband „Strafe“ erschienen, in dem er erneut die Schicksale von ganz gewöhnlichen Menschen beschreibt, die zu Tätern werden. Von Schirachs These: Jeder Mensch ist zu Verbrechen fähig. So wie der Gefreite Willi Herold, die Hauptfigur im Film „Der Hauptmann“. Darin findet ein einfacher Soldat in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs eine Hauptmannsuniform. Sie rettet ihm zunächst das Leben rettet und schenkt ihm dann eine Machtfülle, die er aufs Grausamste nutzt.
    Die Geschichte basiert auf realen Begebenheiten. Frederick Lau spielt im Film einen moralisch zutiefst verkommenen Landser. Auf dem „Kulturpalast“-Sofa erzählen er und der Regisseur Robert Schwendtke, was sie an der Darstellung des Bösen fasziniert. Welche Rolle spielen Kunstwerke mit abgrundtief bösen Menschen? Dienen sie der Selbstvergewisserung der „Guten“? Oder leben diese Figuren stellvertretend die dunklen Seiten der Seelen ihrer Betrachter aus? Wie etwa die vielen Psychopathen und Serienkiller in aktuellen Hollywood-Produktionen von David Finchers Serie „Mindhunter“ bis Quentin Tarantinos Charles-Manson-Projekt Der Maler Neo Rauch findet: „Kunst ist ein Vorgang, der darin besteht, den Betrachter an die Ränder des Abgrundes heranzuführen, an den Höllenkreis [ …] und ihn dann aber wieder nach Hause zu entführen, an den Kamin zu einer Flasche Rotwein.“ Wie Albträume wirken viele seiner riesigen Gemälde, die zur Zeit in einer Retrospektive im niederländischen Zwolle ausgestellt werden.
    Kunst – ein Versuch, das Böse zu bannen? (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 17.03.20183sat
  • Folge 152
    Vom barocken Festmahl bis zum Babybrei von Lady Gaga: im „Kulturpalast“ dreht sich diesmal alles ums Essen. #gönnung#, #foodporn,, #mukbang: im Netz beflügelt Essbares die Fantasie. Zu Gast auf dem Sofa ist der queere Tänzer und Porno-Performer Bishop Black. Er propagiert den Genuss mit ALLEN Sinnen. Sex ist für ihn Kunst und was kann es Schöneres geben als mit Erdbeer- und Sahnetörtchen die Lust zu preisen? Essen ist längst nicht mehr dazu da, einfach nur satt zu werden. Es hat neben der ästhetischen auch eine soziale Komponente. Zum Beispiel beim neuesten Internettrend aus Südkorea, dem Mukbang: Wer zu Hause einsam und allein am Esstisch sitzt, lädt sich einfach das Video eines Artgenossen runter, der auch vor sich hin futtert.
    Und wer präsentieren will, was er Tolles auf dem Teller hat, der postet sein Mahl unter dem Hashtag Foodporn auf Instagram. Moderne Stillleben sind das. Ähnliches gab es ja schon bei den Malern des Barock. Im Museum „Bozar“ in Brüssel lassen sich derzeit herausragende spanische Stillleben bewundern. Darunter die Werke von Juan Sánchez Cotán. Mit nichts weiter als einem Bund Möhren oder einem Salatkopf schafft es Cotán, uns an unsere eigene Vergänglichkeit zu erinnern.
    Der Maler, der später Mönch wurde, feierte die Erhabenheit des Gemüses wie kaum ein anderer und verschaffte seinen Modellen eine Plastizität, die wie dreidimensionale Hologramme wirken. Auch im Forum NRW in Düsseldorf widmet sich eine Ausstellung dem, was wir gerne essen: In diesem Fall der Pizza. Individuell belegbar und doch Massenware. Fastfood, aber seit Kurzem auch Weltkulturerbe. In der Ausstellung „Pizza is God“ wird die Pizza als Ikone der Alltagskultur und als Thema in der Kunst gefeiert. Mit dabei: Größen der Kunstwelt wie Martin Kippenberger, John Bock, Uffe Isolotto und viele mehr. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 24.03.20183sat
  • Folge 153
    Europa rückt gerade nach rechts. Wie gehen Künstler und Kulturschaffende – traditionell eher linksliberal verortet – damit um? Diese Frage stellt der „Kulturpalast“. Den Rechtsruck einfach ignorieren? Auf die Rechten eingehen und sie damit ein Stück weit akzeptieren oder sie bekämpfen und ihnen dadurch die willkommene Möglichkeit geben, sich als Opfer zu stilisieren? Mit ihnen reden – warum dann nicht gleich in die AfD eintreten? So dachte wohl der kroatische Theaterregisseur Oliver Frljic und bat sein Schauspielensemble, sich einen AfD-Mitgliedsausweis zu besorgen – als Teil seiner aktuellen Inszenierung „Gorki – Alternative für Deutschland“ am Maxim Gorki Theater in Berlin.
    Oliver Frljic hat schon einige Erfahrungen mit europäischen Rechten gemacht: In Kroatien und in Polen gingen rechte Katholiken und Neonazis gegen Stücke von ihm auf die Straße, stürmten sogar die Theater. Für manche Rechte ist die „linksliberale Hegemonie“ ein größerer Gegner als der Islam. So lautet zumindest eine These in Julia Ebners Buch „Wut“. Die 26-jährige Extremismusforscherin sieht verstörende Parallelen zwischen Islamisten und Rechtsradikalen bis hin zu Fällen, in denen Nazis den Style der Islamisten kopieren oder sogar zu Islamisten wurden.
    Die Grenzen scheinen fließender, als man denkt. Zu Gast auf dem „Kulturpalast“-Sofa: Jan „Monchi“ Gorkow, der Sänger der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ aus Rostock und Schauspieler Charly Hübner. Er hat einen Dokumentarfilm über Monchi und seine Band gedreht: „Wildes Herz“ – porträtiert einen Widerständigen, einen, der sich mit seiner Musik und ganzer Kraft gegen den Rechtsruck in seiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern stemmt. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 31.03.20183sat
  • Folge 154
    Was ist daran seltsam, wenn schwarze Darsteller ein Stück über deutsche Geschichte spielen? Warum soll es keine Heavy Metal Bands in Afrika geben? Es ist Zeit, Bilder im Kopf zu revidieren! Die Auseinandersetzung mit Rassismen und der postkoloniale Diskurs erfassen derzeit den Kulturbetrieb – von der Bildenden Kunst, über die Musikszene bis zum Berliner Theatertreffen, welches vom 4. bis 21. Mai 2018 stattfindet. Dort ist ein Stück zu Gast, an dem scheiden sich die Geister: „Mittelreich“, eigentlich ein bayerisches Familienepos mit typisch deutscher Geschichte, wird von ausschließlich farbigen Schauspielern gespielt.
    Die Regisseurin Anta Helena Recke hat eine bereits existierende Inszenierung der Münchner Kammerspiele gewissermaßen „einfach“ nur umbesetzt. Jetzt ist sie damit zu Gast im „Kulturpalast“-Studio und erklärt, was ihre „Schwarzkopie“ des Stücks beim vorwiegend weißen Publikum bewirkt. „Postkolonialismus“ scheint das Wort der Stunde: In einer weiteren Theatertreffen-Einladung wird die Debatte ausgiebig geführt: In Castorfs „Faust“ führt die Reise bis in den kolonialen Algerienkrieg.
    Faust selbst erscheint als kolonialer Global Player, ein weißer Mann, der sich die Natur und die darin wohnenden „Wilden“ Untertan macht. Ein rassistisches Konzept, das – wenn auch unter anderen Vorzeichen – weiter existiert. Zum Beispiel in der Figur des „White Saviour“, dem weißen Erlöser, wie er in dem gut gemeinten Werbespot von Sänger Ed Sheeran für die Hilfsorganisation „Comic Relief“ erscheint: Ein weißer Mann, der in das Elend der Welt hinabsteigt und den armen Schwarzen aus ihrer scheinbar ausweglosen Misere hilft.
    Dabei ist Afrika viel mehr als das. In den Worten von Mahia Mutua, Sänger der Kenianischen Metal Band „Last Years Tragedy“: „Afrika ist viel mehr als Armut und Dreck und Kinder, die betteln. Afrika ist einer der am stärksten wachsenden Kontinente der Welt und es kommt jede Menge Hoffnung und Energie von hier.
    Wenn Du mich fragst: Afrika ist nicht aufzuhalten!“. Eine Sichtweise, die auch die Musiker der „Black Superman Group“ BSMG unterschreiben würden, schwarze Deutsche, die gleichzeitig ihre afrikanischen Wurzeln feiern und dem bewussten oder unbewussten Rassismus der Mehrheitsgesellschaft entgegentreten. Redaktionshinweis: 3sat zeigt als Medienpartner vom Berliner Theatertreffen 2018 drei der eingeladenen Inszenierungen jeweils samstags in seinem Programm. Im Anschluss, um 20:15 Uhr, zeigt mit „Woyzeck“ das erste von diesen drei „Starken Stücken“. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 05.05.20183sat
  • Folge 155
    Unsere Gesellschaft scheint zunehmend von Angst beherrscht zu sein: Angst vor Terror, vor Gewalt durch Fremde, Angst vor der Zukunft. Doch wohin führt diese Angst? Und was können wir dagegen tun? Allgegenwärtig ist vor allem die Angst vor Terroranschlägen: 71 Prozent der Deutschen fürchten sich davor. Die wenigsten wissen, dass im Vergleich zu heute in den 70er- und 80er-Jahren weitaus mehr Menschen in Westeuropa Terroranschlägen zum Opfer fielen. Einen Einblick in diese Zeit des Terrors gibt der Film „7 Tage in Entebbe“ über ein spektakuläres Geiseldrama von 1976. Daniel Brühl spielt darin den deutschen Terroristen Wilfried Böse, der gemeinsam mit palästinensischen Radikalen ein Flugzeug mit überwiegend israelischen Passagieren nach Uganda entführt.
    Im Gespräch mit Nina Sonnenberg zieht Daniel Brühl Parallelen zum heutigen islamistischen Terror. Und spricht auch über Rechtspopulismus, der die Angst der Menschen schürt und sich davon nährt. Der niederländische Regisseur Dries Verhoeven fasst das so zusammen: „Terrorist*innen und Politiker*innen aller Lager schaffen zunehmend ein Theater der Angst, in dem wir nicht mit einer konkreten Gefahr, sondern mit möglicher Gefahr konfrontiert sind“.
    Dieses „Theater der Angst“ setzt Verhoeven in seinem aktuellen Stück „Phobiarama“ im Rahmen der „Wiener Festwochen“ ganz konkret um: das Publikum fährt in Geisterbahnwagen mitten hinein in ein Panoptikum der modernen Ängste. Auch die Rolle der Medien in diesem „Theater“ hinterfragt Verhoeven kritisch. Inwieweit werden sie zu Erfüllungsgehilfen von Terroristen und Populisten? Doch wie bekämpft man seine Angst? Mit dieser Frage setzt sich Marina Abramovic, die bedeutendste Performancekünstlerin der Welt, seit Jahrzenten intensiv auseinander.
    Ihre Erkenntnis: „Angst vergiftet den Körper, genau so wie Hass oder Wut. Konfrontiere dich mit deiner Angst, gehe nicht über sie hinweg, sonst ist sie immer da“. Das Werk der Künstlerin lässt sich als eine groß angelegte Konfrontationstherapie zur Überwindung ihrer Angst betrachten: Sie ritzt sich, lässt sich schlagen, setzt sich tödlichen Gefahren aus – erlangt dadurch Freiheit, wie sie sagt. Umfassenden Überblick über ihr Schaffen bietet eine groß angelegte Retrospektive in der Bundeskunsthalle in Bonn. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 12.05.20183sat
  • Folge 156
    Cambridge Analytica-Skandal oder Steuervermeidung in Milliardenhöhe – es steht nicht gut um Facebook. Sind das Wachstumsschmerzen oder stecken Soziale Netzwerke in einer Existenzkrise? Der Kulturpalast befragt Autoren, Schauspieler und Regisseure, wie sich ihr Blick auf soziale Netzwerke verändert hat. Und stellt Kunst vor, die sich genau das zum Thema macht: unseren Umgang mit diesem Alltagsmedium und seinen Auswirkungen. Was bisher wenige wussten: In Manila auf den Philippinen lebt ein großer, inoffizieller Geschäftszweig nur von der Bereinung der Internetseiten von Facebook, Google, Twitter und Co.
    Tausende sogenannter anonymer Content-Moderatoren sichten und löschen alles, was gegen die Richtlinien der Netzwerke verstößt. Sie sind Tag für Tag unzähligen Gewaltaufnahmen ausgesetzt, ohne das Recht zu haben, anderen erzählen zu dürfen, was sie gesehen und gelesen haben. Die Folge sind Traumata, ähnlich wie nach Kriegseinsätzen. Der aktuelle Kinofilm „The Cleaners“ von Moritz Riesewieck und Hans Block gibt diesen Opfern Sozialer Netzwerke nun erstmals ein Gesicht. Ihr Gesicht bewusst verstecken, das macht die New Yorker Performance Künstlerin Signe Pierce. Für ihren Film „American Reflexx“ flanierte die Netz-Künstlerin sexy gekleidet, aber mit einer spiegelnden Gesichtsmaske verdeckt durch die Ausgehmeile einer amerikanischen Kleinstadt.
    Und wurde mitten auf der Straße zum Opfer brutaler Angriffe. Lassen Menschen ihren Aggressionen größeren Lauf, wenn sie das Opfer nicht sehen können? Es abstrakt bleibt, wie sonst nur im Netz? Zu Gast bei Nina auf dem Sofa ist die Österreicherin Stefanie Sargnagel, scharfzüngige Literatin der kleinen Form. Was ein richtiger Shitstorm ist, hat sie schon mehrfach erfahren müssen. „Im Social Media bin ich realer als in der echten Welt.
    Im Real Life bin ich viel zu freundlich“, schrieb sie vor zwei Jahren in ihrem Blog. Ihre „Statusmeldungen“ – Alltagsschnipsel, bissigen Kommentare und intimen Einblicke auf Facebook – hat sie längst auch in gedruckter Form herausgebracht, in insgesamt fünf Büchern. Polemisch, politisch und zutiefst persönlich. Außerdem in der Sendung: Dries Verhoevens „Beerdigung der Privatsphäre“ bei der letzten Wiesbaden Biennale. Das ultimative VR-Spiel zum Thema Digitaler Dauerstress namens „No Escape“. Und der Entzug des einstigen Social Media-Junkys Alexander Iskin, der sich in seinen Performances vom Ballast des Medienalltags befreit. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 19.05.20183sat
  • Folge 157
    Mary Shelley’s Grusel-Roman „Frankenstein“ ist vor 200 Jahren erschienen. Sind Genmanipulation, Cyborg-Wesen oder Künstliche Intelligenz moderne Ausprägungen von Frankensteins Monster? Welchen Einfluss haben diese Entwicklungen auf Kunst und Kultur? Und in welcher Art und Weise beschäftigt sich die Kunst mit dem Phänomen „Frankenstein“ – der Hybris des Menschen, der sich als allmächtiger Schöpfer betrachtet? „Die bloße Tatsache dass dieser Frankenstein dieses Monster schafft, ist Gotteslästerung. Und das ist interessant.
    Wenn wir uns jetzt in einer Welt ohne Gott zum Schöpfer aufschwingen, dann kann man ja sagen, es ist auch nur Naturgeschehen. „Natur, die Natur erschafft“, sagt der Komponist Jan Dvorak – Nina Sonnenbergs Gast auf dem Kulturpalast-Sofa. Für die Hamburger Staatsoper hat Dvorak gemeinsam mit Regisseur Philipp Stölzl eine „Gothic-Opera“ aus dem Stoff entwickelt, zwischen Naturklängen, Schauereffekten und schwarzer Neoromantik. Immer häufiger schlüpfen nicht mehr Schauspieler in Rollen, sondern werden Figuren computergeneriert.
    In Kinofilmen wie „Star Wars“ war zu sehen, dass alte Schauspieler jung und Tote lebendig gerechnet werden können. 2018 ist nun das Jahr, in dem auch tote Popstars wieder auf der Bühne stehen: Roy Orbison! Frank Zappa! Entertainer Harald Juhnke! Hologramm-Technik und neue Rechnerkapazitäten machen es möglich – Sogar Abba wollen demnächst ihre jung gebliebenen „Abbatare“ auf Tour schicken. Das virtuelle Duplikat ersetzt den realen Menschen, das „Geschöpf“ seinen Schöpfer.
    Für Lynn Hershman Leeson ist „Frankenstein“ das erste Buch über künstliche Intelligenz. Die inzwischen 77-jährige Amerikanerin gilt als Pionierin der Medienkunst. Und sie war eine der ersten, die sich in ihrer Kunst mit den Auswirkungen der Gentechnik beschäftigte. In ihrem Film „Teknolust“ etwa ließ sie Tilda Swinton mit drei Klonen ihrer selbst plaudern. Jetzt hat Lynn Hershman-Leeson im Baseler Haus der elektronischen Künste ein komplettes Genlabor aufgebaut. Ihre Vision: Mit den Mitteln der Gentechnik Geschlechtergrenzen überwinden! Die Künstlerin als moderner Frankenstein? (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 26.05.20183sat
  • Folge 158
    Im internationalen Kunstbetrieb ist es das Buzzwort der Stunde: Immersion. Also Kunst zum Eintauchen, Mitmachen, Sich-drin-Verlieren und Überwältigen-lassen. Alles nur ein kurzer Hype oder steckt mehr dahinter? „Jeder kann Immersion. Wenn ich in die Badewanne gehe, ist das schon Immersion. Ich tauch ja in was ein“, sagt Großkünstler Jonathan Meese. Überwältigen wollte Meese mit seiner Kunst schon immer, aber jetzt macht er es auf eine totale und zugleich dezente Art und Weise: In einem zunächst vornehmlich weißen Raum kann der Zuschauer ihm und seiner Mutter Brigitte virtuell begegnen.
    Und im Glücksfall sogar miterleben, wie Kunst im Augenblick entsteht. Nina Sonnenberg und ihr Team haben das für den „Kulturpalast“ gleich mal getestet. Bereits Joseph Beuys war ja der Meinung, dass es keine Grenze zwischen Kunst und Leben geben sollte. Die VR-Technik scheint diese Grenze nun einzureißen. Man ist an einem künstlichen Ort, der sich aber ganz real anfühlt. Filmemacher wie Dany Levi erkennen das Potenzial: „Ich bin Teil einer Revolution. Ich bin Teil eines wirklich neuen Sehens, eines ganz starken, sehr emotionalen Erlebens.
    Das hat mich umgehauen.“ Im Jüdischen Museum in Berlin beamt er die Zuschauer derzeit direkt ins „Heilige Jerusalem“. Immersion geht aber auch ganz ohne Technik. Ein Meister im Einbinden des Publikums in das Entstehen eines Kunstwerk ist der Däne Christian Falsnaes, zur Zeit mit einer großen Ausstellung in Krefeld zu erleben. Ohne Zuschauer wäre sein Werk nichts, besser gesagt: es wäre gar nicht erst da. Das Erstaunliche aber ist: Unter seiner Anleitung lassen sich Menschen zu allerlei hinreißen, selbst zu Dingen, die sie sonst nie tun würden.
    Wie manipulierbar ist der Mensch? Eine Frage, die immer wichtiger wird – gerade in einer Zeit, in der wir uns Techniken aussetzen, die wir selbst nicht mehr steuern können. Das Bedürfnis, die Dinge noch selbst in der Hand zu haben, sie steuern zu können – das zieht Zuschauer auch zu den Inszenierungen der Theaterkollektivs „Machina Ex“. Wie in einem Multiplayer-Computergame spielen in ihrem neuesten Stück „Endgame“ die Zuschauer in Teams. Sie müssen eine neurechte Bewegung bekämpfen und nur mit basisdemokratischen Mitteln kommen sie zum Ziel.
    Klingt nach erhobenen Zeigefinger, ist es aber nicht. Ganz spielerisch begreift der Zuschauer: „Hey, was ich mit anderen entscheide, bewirkt ja was!“ Auch das kann also die Folge eines immersiven Kunsterlebnisses sein. Außerdem in der Sendung: wie ein falscher VR-Hase auf echte Tränendrüsen drückt, Han Solo jetzt auch in 360 Grad, begehbare Kunst bei den Wiener Festwochen und im Berliner Martin Gropiusbau, sowie die ersten Fernsehbilder vom krassesten Theaterstück des letzten Jahres: dem „Nationaltheater Reinickendorf“ – ein begehbares Gesamtkunstwerk von Vegard Vinge und Ida Müller. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 02.06.20183sat
  • Folge 159
    Von Bossen und Lauchs: Der „Kulturpalast“ wird zum Männermagazin und fragt: Wie steht es um die Gattung Mann? 100 Jahre Frauenwahlrecht! 50 Jahre 68er-Feminismus! 1 Jahr #Metoo! Für das Patriarchat war es kein sonderlich gutes Jahrhundert, so viel steht schon mal fest. Manchem scheint das Ende des Patriarchats sogar zum Greifen nah. Glückwunsch an die Frauen! Und die Männer? Wie kommen sie damit klar, dass ihre Privilegien zerbröseln? Dürfen sie wirklich keine „richtigen Männer“ mehr sein? Oder werden sie am Ende gar ebenfalls befreit? Und wie sieht er dann aus, der „neue“ Mann? Was ist an ihm noch männlich? Diese Fragen beschäftigen Nina „Fiva“ Sonnenberg und ihr Team zum Auftakt einer neuen Staffel „Kulturpalast“.
    Im Berliner Ensemble kann man das Ende des Patriarchats gerade in seiner blutrünstigsten Form betrachten – zum Glück durch eine spritzdichte Glasscheibe. In „Eine Griechische Trilogie“ von Regisseur Simon Stone murksen die Frauen (unter anderen Stephanie Rheinsperger, Caroline Peters) ihre selbstverliebten Macho-Männer (unter anderen Martin Wuttke) in einem gigantischen Blutbad ab, dass es nur so splattert.
    Sieht so Emanzipation aus? Ist das das düstere Schicksal der weißen Alpha-Männer? Der Rapper Kollegah stemmt sich mit all seiner sorgsam antrainierten Muskelmasse gegen den angeblichen Niedergang der Alpha-Männer. „Egal was dir die Emanzen von heute erzählen – Frauen wollen vom Mann geführt werden“, schreibt er in seinem Bestseller „Das ist Alpha! Die 10 Boss-Gebote“, einem MÄNNER-Ratgeber in einer vermehrt androgyn gewordenen Gesellschaft.
    „Kulturpalast“-Kolumnist Patrick Wengenroth macht für uns den Test und durchläuft Kollegahs Trainingsprogramm vom „ungefickten Total-Lauch“ zum „Boss“. Wer mit Battlerap und Schulhof-Sprech nicht vertraut ist: „Lauch“ ist ein derzeit sehr beliebtes Schimpfwort für einen schmalen, nicht ausreichend „männlichen“ Mann oder Jungen. „Lauchs“ gab es natürlich schon lange bevor das unscheinbare Ackergemüse als Metapher herhalten musste: Die Ausstellung „Zarte Männer in der Skulptur der Moderne“ in Berlin zeigt zum Beispiel Skulpturen von „Lauchs“, die rund um den Ersten Weltkrieg entstanden: Empfindsame Jünglinge als Gegenentwurf zu den kraftstrotzenden Kriegerstatuen dieser militarisierten Epoche.
    Für den Musiker Drangsal gab es ein Schlüsselerlebnis im Ringen um seine Geschlechtlichkeit: Als Kind sah er den Schockrocker Marilyn Manson im Fernsehen. Mit Brüsten. Und glattem Schritt wie ein Puppe. Auch wenn Drangsals 80er-Jahre-Retro-Dark-Wave-Pop musikalisch deutlich sanfter als Manson klingt, merkt man ihm diesen frühen Einfluss an: Die androgyne Sexyness ist Teil seiner Selbstinszenierung geworden.
    Als Gast auf dem „Kulturpalast“-Sofa erzählt Drangsal von seinem genderfluiden Männerbild und von seinem neuen Album „Zores“. Und antwortet auch auf die Frage: Was ist denn daran überhaupt noch männlich? Redaktionshinweis: Mit dieser Ausgabe startet die neue „Kulturpalast“-Staffel in 3sat. Weitere vier Folgen laden an den kommenden Samstagen, jeweils um 19:20 Uhr in 3sat, zu einem vergnüglichen Streifzug durch das Kulturgeschehen ein. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 03.11.20183sat
  • Folge 160
    Eine sich selbst zerfleischende Linke und der Aufmarsch rechter Gruppen: Was Ödön von Horvath 1931 visionär in einem Theaterstück beschrieb, kommt uns heute erstaunlich aktuell vor. Regisseur Thomas Ostermeier probt an der Berliner Schaubühne gerade das zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung entstandene Stück „Italienische Nacht“ als Höhepunkt einer Trilogie, die sich mit dem Aufkommen rechtsextremer Massenbewegungen beschäftigt. Können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Und wie müssen wir uns verhalten, damit antidemokratische Kräfte nicht unsere Gesellschaft übernehmen? Diese Frage treibt viele Kulturschaffende um.
    Bisher waren sie doch immer eher der „Dorn im Fleisch der Mächtigen“, nun plötzlich finden sie sich als „Teil der Elite“ und des „linksgrünversifften Establisments“ wieder. Wie gehen Künstler mit diesem Rollenwechsel um und welche Strategien entwickeln sie, dem Populismus zu begegnen? Erstmal Zuhören, sagen manche Filmemacher wie Marie Wilke. Ihr Dokumentarfilm „Aggregat“, der am 29. November ins Kino kommt, ist eine fast schmerzhaft langsame Beobachtung der deutschen Befindlichkeit. Pegida-Anhänger und Populisten wie Lutz Bachmann werden genauso neutral vorgestellt wie Journalisten, Politiker und SPD-Mitglieder beim Verhaltenstraining gegen Populisten.
    Zu einer Lösung kommt Wilke mit ihrem Verfahren der radikalen Zurückhaltung nicht, sie vertraut auf den mündigen Zuschauer: „Ich habe auch kein Rezept, wie man mit populistischen Haltungen umgehen kann“. Der Satiriker Schlecky Silberstein dagegen hat für sich ein Rezept gefunden und kocht schon danach: Er kämpft mit Humor gegen die Rechten. Denn für Selbstironie scheint im stabilen Weltbild von AfD und rechtsextremen Gruppierungen kein Platz. Silbersteins Arbeit hat ihm zahlreiche Drohungen eingebracht.
    Andere Satiriker wie die „Hooligans gegen Satzbau“ treten aus diesem Grund nur vermummt auf. Ist Humor ein geeignetes Mittel, um wirklich etwas gegen Populisten auszurichten? Meistens bespaße man damit ja doch nur sein gleichgesinntes Publikum in irgendwelchen Hipster-Bezirken, meint Comedien und Aktivist Shahak Shapira. Wirkungsvolle Satire-Intervention bedeutet für ihn: Die Rechten so zu attackieren, dass sie auch etwas davon merken. Shapira kaperte deshalb im vergangenen Jahr 31 geheime Facebook-Gruppen der AfD und machte sie öffentlich. Aber ist damit wirklich irgendetwas gewonnen? (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 10.11.20183sat
  • Folge 161
    „Ich habe die jüdische Identität nie abgestreift“ bekennt Deborah Feldman. Die Autorin des Bestsellers „Unorthodox“ ist aus einer ultraorthodoxen Gemeinde in New York ausgebrochen. Auf dem Kulturpalast-Sofa spricht die jetzt in Berlin lebende Schriftstellerin mit Nina Fiva Sonnenberg über ihre Beweggründe für diesen radikalen Schritt, ihr Verhältnis zum Judentum und über Antisemitismus in den USA und Deutschland. In der Bundesrepublik und besonders in der Hauptstadt Berlin sind jüdisches Leben und jüdische Kultur selbstverständlicher denn je.
    Doch viele Juden fühlen sich auch zunehmend bedroht – die Zahl der antisemitischen Beschimpfungen und Angriffe wächst. Diese Entwicklung erfüllt den Comedian Oliver Polak mit Sorge. „Gegen Judenhass“ heißt sein neues, ganz und gar unkomisches Buch, in dem er über seine persönlichen Erfahrungen mit dem „Alltagsantisemitismus“ in Deutschland spricht – von der Kindheit im Emsland bis in die Gegenwart. Vor allem ein in seiner Erinnerung verletzender und antisemitisch konnotierter Sketch mit dem Satiriker Jan Böhmermann und anderen Comedians löste eine kontroverse Debatte aus: wann ist ein Gag antisemitisch? Und wem steht es zu, das zu beurteilen? Wie definiert sich jüdische Identität? Und kann man überhaupt von EINER Identität sprechen? Nein, sagt der Kurator und Autor Max Czollek.
    Er wehrt sich gegen die festgelegten Zuschreibungen seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft. „Desintegriert euch“ fordert er die Juden in seinem gleichnamigen Buch auf. Sie sollten sich weigern, immer weiter die ihnen zugewiesene Opferrolle im etablierten „Erinnerungstheater“ der Deutschen anzunehmen.
    Mit Erinnerungen spielt die Musik des kanadischen Multi-Talents Josh Dolgin alias Socalled. Er ist Rapper, Filmemacher, Puppenspieler, Produzent. Vor 20 Jahren hat er begonnen, Klezmer mit Hiphop zu mixen. Selbst ultrasäkular und ein moderner Großstadtmensch, ist er fasziniert von alten jiddischen Volksliedern und hat mit dem deutschen Kaiser-Quartet erst kürzlich ein Album aufgenommen. Mit seiner Musik gelingt es ihm, die fast schon vergessene Kultur der osteuropäischen Schtetel mit der Gegenwart zu verbinden. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 17.11.20183sat
  • Folge 162
    Leben wir in tabulosen Zeiten? Oder werden im Gegenteil gerade neue Tabus aufgestellt? Gerade in der Kunstwelt ist darüber eine heftige Debatte entbrannt. Viele Tabus, die unsere Eltern noch kannten, sind längst gefallen. In der Kunst und auch im Alltag: Nacktheit ist durch die Werbung dauerpräsent, Filme werden immer brutaler, und über Sex wird in allen Formen und Details gesprochen. Man könnte meinen, wir leben in tabulosen Zeiten. Gleichzeitig aber nimmt der Ruf nach neuen Tabus zu: Ölgemälde lasziver, halbnackter Mädchen, die Jahre lang im Museum hingen, werden plötzlich hinterfragt.
    Gedichte, die weibliche Schönheit bewundern, werden von Hauswänden entfernt. Und weiße Künstler sollen nicht mehr das Recht haben, schwarzes Leid darzustellen. Neue Tabus als Ausdruck einer sich wandelnden Gesellschaft? Der Kunstkritiker Hanno Rauterberg spricht in seinem Buch „Wie frei ist die Kunst?“ von einer „Zensur von unten“. Ausgerechnet in der Kunstwelt, deren vornehmste Aufgabe schon immer der Tabubruch war, würden neue Tabus aufgestellt. Er sagt: „Der Tabubruch scheint mir im Moment selber zum Tabu zu werden.“ Der Kunstkurator Bonaventure Ndikung widerspricht: „Diejenigen, die lamentieren, die Kunstfreiheit sei bedroht – eigentlich sind sie es doch, die der Gesellschaft die Freiheit zu diskutieren absprechen.“ Ein Altmeister des Tabubruchs ist dieses Jahr 80 geworden: Der Wiener Aktionist Hermann Nitsch.
    Mit seinem Orgien-Mysterien-Theater hat er immer wieder provoziert und sagt heute: „Ich wollte nie Tabus brechen, ich wollte hinter die Tabus schauen, um bewusst zu machen, warum Tabus entstehen“. Ähnlich sieht es auch der Berliner Maler Martin Eder, zu Gast bei Nina auf dem „Kulturpalast“-Sofa.
    Er hat gerade am eigenen Leib erfahren, wie sich die Debatte um die Kunst verschärft. Seine Darstellung runzeliger Popos, ausgestellt in Damien Hirsts Londoner Galerie, seien „gefühlskalte Beispiele von brutaler Pornografie“ beanstandete der britische Guardian. Eder wundert sich. Nicht seine Kunst, sondern unsere Gesellschaft sei durch und durch pornografisiert, verneine das aber ständig. Das zeigt sich zum Beispiel an der Verpixelung des gestreckten Mittelfingers im amerikanischen Fernsehen.
    Die Sängerin M.I.A. sollte für das Zeigen ihres gestreckten Mittelfingers sogar schon einmal 16 Millionen Dollar Strafe zahlen. Wie es dazu kam und wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt, erzählt der immer wieder aneckende, britisch-tamilische Popstar M.I.A. im aktuellen Kinofilm „Matangi/​ Maya/​ M.I.A.“. Ebenfalls gerade im Kino: „Climax“ vom argentinischen Skandalregisseur Gaspar Noé. Es ist die Geschichte eines ausufernden Exzesses, gefilmt von einer geradezu entfesselten Kamera. Ein Höllentrip, der kaum Tabus kennt, Kritikerherzen jedoch höher schlagen lässt. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 24.11.20183sat
  • Folge 163
    „Das Geheimnis des Lebens liegt im Suchen nach Schönheit“ – schrieb Oscar Wilde. Dieser Suche widmet sich Nina Fiva Sonnenberg in der letzten Kulturpalast-Sendung. Ninas Gäste auf dem Sofa sind die Musiker der Kölner Band AnnenMayKantereit, die ihr Verhältnis zur Schönheit so beschreiben: „Dass wir gerne uneitel sind. Das ist unsere krasse Form der Eitelkeit.“ Die Schönheit feiern – das ist das erklärte Ziel der Ausstellung „Beauty“ im Museum für Angewandte Kunst in Wien. „Schönheit ist nicht oberflächlich. Sie verändert, wie ich mich fühle und wie ich mich benehme, deshalb ist sie so wichtig!“ argumentiert Stefan Sagmeister, einer der Macher der Schau.
    Er plädiert für die Rückkehr zu mehr Farbe und zum Ornament. Schuld an der ästhetischen Misere der Gegenwart, der Tristesse von Autobahnauffahrten, Shopping-Malls und Flughafen-Transitzonen sei die „form follows function“-Ideologie der Moderne, die durch das Bauhaus und Le Corbusier verbreitet wurde. Vom positiven Einfluss der Schönheit auf uns Menschen ist auch der albanische Ministerpräsident und Künstler Edi Rama überzeugt.
    Sein Credo „Schönheit beeinflusst das Gemeinwohl. Wo es keine Schönheit gibt, da ist auch die Kriminalität verbreiteter“. Deshalb ließ Edi Rama dereinst die Häuser der ruinösen Hauptstadt Tirana bunt anmalen. Jetzt kann man in der Kunsthalle Rostock eine große Edi Rama – Schau sehen: Auf riesigen Tapeten sind seine „Doodles“ gedruckt, bunte Filzstiftkritzeleien, die Rama während langer Sitzungen und Telefonate zur Entspannung gemalt hat. Dabei ist Edi Rama mit seinem Glauben an die Schönheit nicht unbedingt Mainstream: Denn die zeitgenössische Kunst hat sich – wie auch die Neue Musik – von dem Konzept der Harmonie und Schönheit weitgehend verabschiedet.
    Im 19. Jahrhundert wäre Rama in dieser Hinsicht besser aufgehoben, eben bei Oscar Wilde und dessen Maxime: „Der Künstler ist der Schöpfer schöner Dinge.“ Die PerformerInnen der Gruppe „Gob Squad“, allesamt nicht mehr jung, aber auch noch nicht richtig alt, haben sich von Oscar Wilde zu einem Abend über die Vergänglichkeit inspirieren lassen. „Creation (Pictures for Dorian)“ heißt ihr Stück.
    Es geht um das perfekte Abbild und wie man in unserem Zeitalter von Photoshop und Instagram mit dem eigenen, realen, unperfekten Körper zurechtkommt. Von der Illusion der schönen Oberfläche lebt die Mode – wie fragil und fragwürdig dieses Konzept allerdings ist, hat der britische Designer Alexander McQueen in den 90er-Jahren mit seinen schockierenden Entwürfen und Präsentationen immer wieder vor Augen geführt – seine Kollektionen: der Versuch einer ästhetischen Auseinandersetzung mit persönlichen und gesellschaftlichen Problemen, wie ein aktueller Dokumentarfilm über das kurze Leben des provokanten Modemachers zeigt.
    Nach mehr als sieben Jahren und insgesamt 166 Folgen wird das experimentelle Magazin für „E-Kultur“ eingestellt. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 01.12.20183sat

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