„Upload“: Romantische Sci-Fi-Satire von Sitcom-Genie Greg Daniels – Review

Neue Amazon-Serie vereint Humor und kluge Fragen

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 04.05.2020, 20:00 Uhr

„Upload“ – Bild: Prime Video
„Upload“

Der größte Feind des Kapitalismus ist der Tod. Denn mit jedem Menschen, der stirbt, geht dem Markt ein Konsument flöten. Und solange es den milliardenschweren Tech-CEOs aus dem Silicon Valley noch nicht gelungen ist, den Tod komplett abzuschaffen oder zumindest so weit wie nur irgend möglich hinauszuzögern und den Menschen damit auf ewig leistungsbereit und konsumfreudig zu halten, müssen sie die Sache wohl von der anderen Seite her betrachten: Was wäre, wenn Menschen nach ihrem Tod einfach weiter konsumieren könnten? Der Kapitalismus wäre begeistert. Genau so ein Szenario hat nun der preisgekrönte Comedy-Autor Greg Daniels (Erfinder der US-Version von „The Office“ und von „Parks and Recreation“) für seine lang erwartete neue Serie entworfen. In der Welt von „Upload“, angesiedelt im gar nicht mal so fürchterlich weit entfernten Jahr 2033, kann sich der sterbende Mensch längst entscheiden: Soll er auf normalem Weg in die Grube fahren – oder sein Bewusstsein „uploaden“ lassen in ein virtuelles Jenseits eigener Wahl? Je größer der eigene Geldbeutel dabei ist (oder wahlweise das Vermögen zahlungsbereiter Hinterbliebener), desto mondäner, schicker und luxuriöser fällt das Paradies dabei aus. Zuzahlungen für Extraleistungen verstehen sich natürlich von selbst: Auch als digitaler Avatar seines ehemaligen Selbsts ist es eine Frage der Ehre, die Wirtschaft weiter anzukurbeln.

„Upload“ kann man beschreiben als eine erfreulich inspirierte Mischung aus der Comedy „The Good Place“ und „San Janipero“, der bis dato wohl besten „Black Mirror“-Episode – auch wenn sich das Ergebnis stilistisch ganz anders präsentiert, nämlich als clevere, gleichwohl liebenswerte Science-Fiction-Satire in zehn etwa halbstündigen Episoden. Das geschilderte Upload-Verfahren wird durchexerziert an dem jungen, gutaussehenden, leicht naiven und sich selbst ziemlich toll findenden App-Entwickler Nathan (Robbie Amell aus „The Tomorrow People“ und „The Flash“), der eingangs durch einen verdächtigen Unfall aus dem Leben gerissen wird und sich, auf noch verdächtigeres Drängen seiner steinreichen Freundin Ingrid, kurz vor dem Ableben auf einen solchen Upload einlässt – Ingrid erklärt sich bereit, finanziell für den potenziell ewigen Digital-Aufenthalt im idyllisch gelegenen Luxus-Resort Lakeview aufzukommen. Ein Großteil der ersten Episoden wird fürs Worldbuilding benutzt, wobei es hier gleich zwei Welten vorzustellen gilt: die reale Welt des Jahres 2033 und die virtuelle, vom Weltkonzern Horizen programmierte Welt von „Lakeview“.

Im Jahr 2033 sausen ausnahmslos selbstfahrende Autos durch das mit deutlich mehr Wolkenkratzern ausgestattete New York, Leihräder fahren selbsttätig vom Ziel zurück, Smartphones und Tablets funktionieren holografisch, die Polizei fliegt in Drohnenform umher. Essen kommt aus „Star Trek“-artigen Replikatoren, und beim Sex trägt man kleine Kameras am Leib, in die man vor Beginn der beabsichtigen Handlungen klar und deutlich die eigene Zustimmung kundzutun hat. Außerdem muss jeder jeden jederzeit für alles mit Sternchen bewerten: für den Sex, den Job, den Service. Weniger Sternchen heißt weniger Optionen, weniger Chancen. Man merkt schon: So weit weg vom bereits heute Angedachten sind diese Zustände gar nicht.

Wirkt fehl am Platz: Nathan (Robbie Ammell). Katie Yu/​Prime Video

Nathan verschlägt es nun aber in einen virtuellen Aggregatzustand: Sein Bewusstsein wird gescannt und dann aus hinterlassenen Datenrelikten (Fotos und Videos aus sozialen Medien etwa) mit einem neuen, möglichst realitätsgetreuen Körper zur Digital Copy verschmolzen und ins gebuchte Paradies hochgeladen. Robbie Amell ist sicher kein Schauspieler für tiefschürfende Charakterporträts, aber das muss hier auch gar nicht sein: Der Kanadier versprüht so etwas wie den Charme des jungen Tom Cruise, und damit ist er der ideale Stellvertreter für uns Zuschauer, wenn es darum geht, tapsig die neue Welt zu erkunden, in die er da geworfen ist. Ganz so zauberhaft, wie es eingangs ein Werbevideo verspricht, ist das Luxusjenseits denn auch nicht.

Das schlossparkähnliche Gelände des Fünf-Sterne-Hotels, in dem jedes Blatt am Baum den Horizen-Firmenstempel trägt, wirkt zum Beispiel nur deshalb so exklusiv, weil jeder upgeloadete Gast die meisten anderen Gäste gar nicht wahrnehmen kann: Eigentlich bevölkern bereits Hunderttausende Gäste das Resort, aber das Programm blendet sie größtenteils aus – wenn besonders viele unterwegs sind, zeigt sich das an visuellen Glitches und am Absacken der Frame-Rate. Das Frühstück bietet haufenweise von allem, was man sich nur wünschen könnte, doch um 10 Uhr verschwindet der virtuelle Fraß. Psychotherapeuten sind nur in Form von Haustieren buchbar, alle Hotelbediensteten werden zudem von derselben Künstlichen Intelligenz „gespielt“, und jenseits der Gartenhecken des Geländes wartet ein gräulich nebelndes Daten-Nirvana. Im feudalen Schlafzimmer lockt derweil eine Mini-Bar mit über hundert verschiedenen Füllungen – doch ganz wie im schnöden Echtleben sind sie nur per Zuzahlung leerbar. Wer nicht mehr flüssig ist oder von zahlenden Hinterbliebenen aufgegeben bzw. vergessen wird, dem ergeht’s entsprechend übel in „Lakeview“: Mit wenig Cash landet man in neonlichtbeflackerten Kellergeschossen, mit Magerkost auf Diät gesetzt und ausgestattet mit Büchern, in denen nur die ersten fünf Seiten bedruckt sind – als Preview. Wenn das Konto ganz leer ist, wird man für ein Jahr eingefroren. Keine Frage: Nichtkonsum gilt auch in diesem Jenseits als Schwerverbrechen.

Nathan (Robbie Amell) und sein „Therapiehund“ äh Therapeut. Katie Yu/​Prime Video

Nathan lernt nun nach und nach die anderen Gäste kennen, vom zynischen Ex-Soldaten Luke (Kevin Bigley, „Sirens“) über Ingrids als junge Frau hochgeladene Großmutter (Megan Ferguson, „Soundtrack“), einen kleinen Jungen, der ewig Kind bleiben muss, bis hin zum älteren schwulen Ehepaar (einer davon: Matt Braunger aus „Up All Night“), das sich einen Schnupfen hinzubucht, um endlich mal wieder echtes Leben zu spüren.

Währenddessen beleuchtet Daniels weiterhin die Realwelt – und die verbliebenen Kommunikationswege zwischen beiden Sphären, die es dank Virtual-Reality-Technik immer noch gibt. So kann Nathan bei seiner eigenen Beerdigung zuschauen, dort noch mal mit seiner Mutter sprechen (Jessica Tuck aus „Für alle Fälle Amy“), seine Nichte (Chloe Coleman aus „Big Little Lies“) bei sich „übernachten“ lassen und mit Ingrid (in einen grotesken VR-Sexanzug gewickelt) sogar Sex haben.

Nathan (Robbie Amell) ist ‚virtuell‘ zu Gast auf der eigenen Beerdigung – perfekt ausgerichtet von Freundin Ingrid (Allegra Edwards). Amazon Studios

Vor allem aber steht jedem Upload-Gast ein sogenannter „Engel“ zur Verfügung, der ihm als eine Art Guide und Alltagshelfer dient und sich auch visuell nach „Lakeview“ einblenden kann. In Nathans Fall heißt der Engel Nora, und Sängerin Andy Allo, die sie in ihrer ersten Serienhauptrolle spielt, ist sicher so etwas wie das tatsächliche Herz der Serie: Nicht nur entspinnt sich da von Anfang an eine unkonventionelle, zwischen Real- und programmierter Welt angesiedelte „Will they? Won’t they?“-Romanze zwischen ihr und dem digitalen File Nathan, auch die kapitalismuskritischen Themen der Serie werden anhand dieser Figur weiter umkreist. Schlaglichter beleuchten etwa ihren gar nicht glamourösen Alltag mit der forschen Kollegin Aleesha (Zainab Johnson), Mitbewohnerin Mandy (Christine Ko aus „The Great Indoors“) und dem schwerkranken Vater, der sich auf keinen Fall uploaden lassen will. Nora ist zusehends genervt von den ausbeuterischen Verhältnissen, in denen sie sich, stets auf der Jagd nach einem besseren Rating, als Click-Workerin im Schichtbetrieb verheizen lassen muss.

Wird in mehr als einer Beziehung Nathans ‚Engel‘: Nora (Andy Allo). Katie Yu/​Prime Video

Lieber also hilft sie Nathan dabei, die Umstände seines Todes zu recherchieren: War es doch kein Unfall? Hat es etwas mit der App zu tun, die er entwickelte und die Horizens Geschäftsmodell gefährlich werden könnte? Und vor allem: Steckt Ingrid dahinter? Tatsächlich ist Ingrid, diese langbeinige Premium-Blondine von betont oberflächlicher Art, eingangs eine recht problematische Figur, die als Wächterin über den Löschknopf (und damit die Existenz Nathans) als stereotype Schurkin eingeführt wird. Von Folge zu Folge bekommt sie dann zum Glück komplexere Facetten, und Darstellerin Allegra Edwards macht schließlich mühelos einen spannenden Charakter aus ihr.

Anfangs sehr schwarz-weiß entwickelt Allegra Rose Edwards mit ihrer Figur Ingrid zunehmend Tiefe Katie Yu/​Prime Video

„Upload“ bietet in seinen detailsatten, aber nie überladenen Episoden jede Menge Stoff: herzerwärmende Romantik, Satirisches über die Service-Gesellschaft und den Neoliberalismus, etwas Mystery und Philosophie – und sogar eine Prise Splatter. Die Szene etwa, in der ein alter Mann (Creed Bratton aus „The Office“) beim Versuch, ihn aus dem Upload-Paradies wieder downzuloaden, seinen Kopf einbüßt, wirkt wie ein Auszug aus einem alten David-Cronenberg-Film. Nix für Kinder also! Für Erwachsene aber ist dies eine unbedingt empfehlenswerte Sci-Fi-Sause, deren größte Pointe am Ende aber wohl der sie zeigende Streamingdienst ist: Amazon ist schließlich selbst einer dieser Weltkonzerne à la Horizen, deren Datenkrakentum in der Serie so schön seziert wird.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten sechs Episoden von „Upload“.

Meine Wertung: 4/​5

Prime Video hat die erste Staffel von „Upload“ mit zehn Episoden am Wochenende veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Klingt ja alles lustig, aber letztlich ist es ein Leben nach dem Tode unter totaler Kontrolle. Big Brother Digital.

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