„The Witcher: Blood Origin“: Die spitzohrreichen Sieben – Review

Das Prequel zur Netflix-Erfolgsserie darf man getrost überspringen

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 24.12.2022, 11:30 Uhr

Drei Elfen auf dem Rachetrip: Scían (Michelle Yeoh), Éile (Sophia Brown) und Fjall (Laurence O’Fuarain) – Bild: Netflix
Drei Elfen auf dem Rachetrip: Scían (Michelle Yeoh), Éile (Sophia Brown) und Fjall (Laurence O’Fuarain)

Um die Wartezeit auf die dritte Staffel von „The Witcher“ zu verkürzen, schiebt Netflix mal eben das zweite Prequel-Projekt zu seiner Erfolgs-Fantasyserie dazwischen. „Blood Origin“ spielt 1200 Jahre vor den Ereignissen der Mutterserie und widmet sich der darin angesprochenen „Sphärenkonjunktion“, bei der die Dimensionen von Menschen, Elfen und Monstern miteinander verschmolzen. Auf einer konkreten literarischen Vorlage von Andrzej Sapkowski, dem Autor der Hexer-Saga, basiert der Vierteiler allerdings nicht – und auch sonst sind die recht formelhaft inszenierten Episoden über die Genese des allerersten Hexers wohl eher was für Komplettisten.

„Blood Origin“ dürfte, so viel darf man prophezeien, nicht allzu viele Preise gewinnen, eine Auszeichnung sollte man der Serie allerdings unbedingt ans Revers heften: den Award für die uneleganteste Eröffnungssequenz. Darin treffen wir den Barden und Poeten Rittersporn (Joey Batey), bester Freund des Serien-Witchers Geralt von Riva, in einer kriegerischen Auseinandersetzung, die plötzlich wie ein Standbild einfriert, woraufhin sich eine gestaltwandlerische Elfin (Minnie Driver aus „Good Will Hunting“) an ihn wendet mit der Frage, ob er denn die Geschichte der Sieben kenne. Stellvertretend für uns, das Publikum, höhnt er sarkastisch: Sieben völlig unterschiedliche Recken, die gegen alle Wahrscheinlichkeit das Böse besiegen? Das sei doch eine abgestandene Story. Woraufhin die mysteriöse Elfin sinngemäß entgegnet: Nö nö, es gehe hier doch um die sieben Elfen, die sich einem bösen Reich entgegenstellten, die Sphärenkonjunktion auslösten und den ersten Witcher hervorbrachten! Unterstützend werden die Ausführungen der Elfin mit kurzen grafischen Sequenzen hinterlegt, in denen die besagten Sieben knapp vorgestellt werden. Wow, sagt Rittersporn danach sichtlich beeindruckt: Der erste Witcher war also ein Badass-Elf? Das wird Geralt aber auf den Sack gehen! Sagt’s, schnappt sich eine Schreibfeder und beginnt, die „Geschichte der Sieben“ aufzuschreiben. Als Erzählerin wird im Folgenden dann aber nicht er, sondern die Elfin zu hören sein.

Vielleicht muss es im Zeitalter unzähliger, miteinander um die Gunst der Zuschauer konkurrierender Serien inzwischen so sein, dass eine Figur in der ersten Szene, bevor es überhaupt losgeht, erst mal referiert, auf was man im Folgenden so gefasst sein muss, inklusive Kurzvorstellung der handelnden Personen. Und doch wirkt so eine Strategie erzählerisch bemerkenswert uninspiriert, eher erinnert es an das Mission Briefing aus einem Videogame (und vielleicht soll es das auch, angesichts der erfolgreichen „Witcher“-Videospielserie). Außerdem kann man sich dabei des Eindrucks kaum erwehren, dass durch das (kurze) Auftauchen von Rittersporn vor allem ein Vorwand gesucht wurde, eine Brücke zur Mutterserie herstellen zu können. Mehr Verbindungen gibt es dann allerdings nicht: Von Geralt, dem charismatischen Hexer, der in der 2023 anstehenden dritten Staffel von „The Witcher“ letztmals von Henry Cavill verkörpert wird (ehe Liam Hemsworth übernehmen soll), ist hier nichts zu sehen, ebenso wenig leider von der immer so dezent (selbst-)ironischen Grundhaltung, die dem heiligen Ernst der High Fantasy in „The Witcher“ eine dringend nötige Leichtigkeit entgegensetzte.

Mysteriöse Elfin mit Geschichtsbewusstsein: Minnie Driver als Seanchai in der Rahmenhandlung Netflix

Stattdessen geht es also 1200 Jahre zurück in der Timeline, in eine Zeit, als die „Sphären“ von Menschen, Elfen und Monstern auf dem Kontinent der Erzählwelt noch getrennt waren. In leicht verwirrender Rasanz werden drei Königreiche der damals existierenden Elfen-Hochkultur eingeführt – Xin’Trea, Pryshia und Darwen -, die nach tausend Jahren des kriegerischen Konflikts endlich diplomatische Veränderungen einleiten wollen. Beim Konvent der Könige kommt es jedoch infolge einer Intrige zu einer schrecklichen Nacht der langen Messer: Statt Frieden wird ein quasi-faschistisches „Goldenes Reich“ errichtet, das durch unheilvolle Portale obendrein Zugang zur Welt der „Chaos-Magie“ und furchterregender Monster erhalten hat. Ein erstes, todesvogelartiges Getier wuselt sich schon mörderisch durch die erste Episode.

Dem Reich entgegen stellen sich nun die besagten Sieben, die in den ersten beiden Folgen (von lediglich vier) nacheinander eingeführt werden: Da sind zunächst mal der Security-Mann Fjall (Laurence O’Fuarain), der aus Xin’Trea vertrieben wurde, weil er mit Prinzessin Merwyn (Mirren Mack) in die Federn stieg, und die Ex-Soldatin und Jetzt-Bardin Éile (Sophia Brown aus „Pflicht/​Schande“), genannt „Die Lerche“, die im Handumdrehen einen persönlichen Rachegrund an die Hand gegeben bekommt. Fjall und Éile müssen sich bei ihrem ersten Treffen so künstlich bekabbeln, dass man sofort Wetten darauf abschließen kann, ob sie noch in derselben oder erst in der nächsten Episode zum zentralen Liebespaar avancieren – lange wird es nicht dauern. Hinzu gesellt sich die kunstvolle Kämpferin und Schwertkampftrainerin Scían aus Pryshia – mit knallblauen Kontaktlinsen gespielt von der inzwischen 60-jährigen Martial-Arts-Legende Michelle Yeoh, die sich zuletzt in Filmen wie „Crazy Rich“ und „Everything Everywhere All At Once“ komplexen Charakterrollen zugewandt hatte und hier ein bisschen so wirkt, als habe sie irgendwo versehentlich einen falschen Ausgang genommen. Die weiteren Vier der Sieben: Meldof (Francesca Mills aus „Harlots“), eine kleinwüchsige und pfeifeschmauchende Profi-Murkserin, die ihren Hammer Gwen wie eine Geliebte behandelt; ein Typ mit Irokesenschnitt, der sich „Bruder Tod“ nennen lässt (Huw Novelli); die Magierin Zacaré (Lizzie Annis) und ihr himmlischer Zwilling Syndril (Zach Wyatt), der mit der Schuld fertigwerden muss, dass er es war, der einst die Portale ins Monsterland öffnete.

Obercoole Hammermörderin: Francesca Mills als Meldof Netflix

Als wär’s das Aufgebot aus einem Brettspiel- oder Computer-RPG, raufen sich die sieben spitzohrigen Recken zu Gefährten zusammen, und das schnellstmöglich, denn viel Zeit bleibt ja nicht. Nach ihrer Zusammenfindung haben sie nur noch zwei dreiviertelstündige Folgen, um das Imperium zu stürzen und all das abzuhaken, was die mysteriöse Elfin aus der Anfangssequenz versprach. Éile und Fjall sind dabei die einzigen Figuren, deren Hintergrund überhaupt nennenswert näher beleuchtet wird, die anderen bleiben Zählkandidaten, wobei Mills als Meldof immerhin eine gute Szene kriegt: Analog zu einer Sequenz aus der ersten Staffel von „Fargo“, in der sich Billy Bob Thornton durch ein Verbrecherhauptquartier ballerte, während die Kamera draußen vor dem Gebäude verharrte, metzelt sich die Hammerschwingerin durch ein Bordell, bis sie schließlich blutverschmiert wieder vor die Tür tritt. Was dazwischen geschieht, ist nur auf der unappetitlichen Tonspur zu hören.

Von derart prägnanten Szenen sehen die beiden Regisseurinnen Sarah O’Gorman und Vicky Jewson („Close“) ansonsten leider ab, vieles wirkt in Plot und Inszenierung stattdessen gleichermaßen formelhaft, zu sehen ist eine Abfolge stereotyper Fantasy-Motive vom Kampf gegen maskierte Assassinen bis hin zum Aufstand der Geknechteten zum folkigen Protestsong aus Éiles Repertoire („The Black Rose“). Das ist schade, denn sowohl die Serie als auch die Games hatten diese Art von Standard-Fantasy doch immer eher (liebevoll) bespöttelt.

Selbst die Bösewichter im Intrigantenstadl des Goldenen Reiches haben es in diesem Kontext schwer, nennenswert an Profil zu gewinnen: Die zur Kaiserin aufgestiegene Merwyn, residierend in einem Mix aus Nobel-Loft und Kirchenschiff, pendelt zwischen naiv und verschlagen, Captain Eredin (Jacob Collins-Levy aus „The White Princess“ und „Der junge Wallander“) versteckt seine Homosexualität, und den Magier Balor (Sir Lenny Henry, „True Identity“) dürstet es mit sonorer Stimme und dekorativem Zauberstab vor allem nach Macht und Chaos. Mit seiner gehörlosen Assistentin Fenrick (Amy Murray) kommuniziert er elaboriert per Zeichensprache, doch die magischen Portale, die sich ihm auftun, sehen aus, als hätte sie jemand mit einer Wirbel-App am Smartphone in die Bilder gerendert. Auch manch anderer CGI-Einschub wirkt eher generisch, wohingegen die ordentlich inszenierten Kampfszenen ein Plus der Serie sind, die immerhin über eine halbwegs solide Grundunterhaltsamkeit verfügt.

Mit Axt, Dolch oder Schwert: Choose your Fighter! Netflix

Doch gerade verglichen mit dem ersten „Witcher“-Prequel „Nightmare of the Wolf“, einem Animationsfilm, der 2021 der zweiten Staffel der Mutterserie vorausging und Geralts Mentor Vesemir näher beleuchtete, enttäuscht dieser Vierteiler. Ob es daran liegt, dass diesmal keine Kurzgeschichte und kein Roman des „polnischen Tolkien“ Andrzej Sapkowski zugrunde lag und „Witcher“-Chefautorin Lauren Schmidt Hissrich zusammen mit ihrem Showrunner Declan De Barra („The Originals“) die aus der Hexer-Saga bekannten Ereignisse erzählerisch selbst ausschmücken mussten? Schwer zu sagen, denn immerhin fungierte Sapkowski auch bei „Blood Origin“ als künstlerischer Berater – was immer das heißt.

Beinharte Fans der Saga dürfen sich trotzdem über ein paar Easter Eggs und Querverweise freuen: Mit Eredin und der seherisch begabten Wirtshaustochter Ithlinne werden zwei aus den Büchern bekannte Figuren ins Serienuniversum eingeführt, und die von Minnie Driver gespielte Gestaltwandlerin Seanchai hat gute Chancen, demnächst in der Mutterserie weitermachen zu dürfen. Doch spätestens, wenn anlässlich der vierten „Witcher“-Staffel darüber debattiert wird, ob Liam Hemsworth ein akzeptabler Ersatz für Henry Cavill ist, dürfte „Blood Origin“ als eher uninspirierte Zwischenmahlzeit für „Witcher“-Komplettisten beim Gros des Publikums längst vergessen sein.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Witcher: Blood Origin“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Ab dem 25. Dezember ist die komplette vierteilige Miniserie „The Witcher: Blood Origin“ bei Netflix verfügbar.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Das schlimmste daran ist für mich eher, dass dieses Prequel wesentlich unterhaltsamer ist, als es "The Witcher" je vermochte, *obwohl* es wirklich nicht gut ist!
    • (geb. 1972) am

      Gebe diesem Artikel vollkommen Recht. Da wurde wieder mal schnell was weggefilmt ohne jegliche Liebe zu irgendwas. Schon allein wie die Dame in der ersten Folge im Schankhaus auf ihrer Fidel spielt. Diese hält ihren Fidelbogen wie einen Faustkeil und strotz vor Asyncronität zur Melodie. Den Machern war es somit nichtmal die kleinste Choreographie wert. Von den Kämpfen mal abgesehen, welche nun wirklich ein Trauerspiel waren. Hatte diese Farce nach ca 30min abgeschaltet. Diese Serie ist einfach nur peinlich. Mit dem Austausch von Cavill ab Staffe 4 hat sich Netflix in Bezug auf The Witcher m.E. sowieso komplett ins Nirvana geschossen.
      • am

        Ich fand es ganz nett. Kleiner Happen für die Feiertage, und dann gleich weiter zu "Emily in Paris".
        • am

          Da hier nur die ersten beiden Folgen berücksichtigt werden, sei noch angemerkt, daß das Auftauchen Rittersporns nicht die einzige Brücke zur Mutterserie bleibt. Auf die zweite muß man allerdings bis in den Abspann der letzten Folge warten, wo wir noch eine leicht erweiterte Szene aus The Witcher S1E01 präsentiert bekommen, die andeutet, daß in der Mutterserie mit weiteren Bezügen zu Blood Origin zu rechnen sein wird.

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