„The Falcon and the Winter Soldier“: Action, Therapie und Terrorgruppen – Review

Ein erster Blick auf die überzeugende neue Marvel-Miniserie

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 18.03.2021, 19:15 Uhr

In der Pilotfolge noch nicht, aber bald sicher gemeinsam unterwegs: The Falcon (Anthony Mackie, l.) und der Winter Soldier (Sebastian Stan). – Bild: Disney
In der Pilotfolge noch nicht, aber bald sicher gemeinsam unterwegs: The Falcon (Anthony Mackie, l.) und der Winter Soldier (Sebastian Stan).

Zwei Monate nach „WandaVision“ startet Disney+ die nächste Miniserie aus dem „Marvel Cinematic Universe“ (MCU). Auch „The Falcon and the Winter Soldier“ folgt dabei dem neuen Konzept der Marvel Studios, die zweite Garde der Figuren aus den bislang 23 Kinofilmen näher zu beleuchten. Disney hat der Presse leider nur die erste der sechs Episoden zur Ansicht vorgelegt. Die ist zwar sehr vielversprechend, aber eben noch nicht allzu vielsagend. Wir halten uns mit der Wertung daher noch zurück.

Wir erinnern uns: Der bislang letzte Kinofilm aus dem MCU („Spider-Man: Far from Home“) lief im Juli 2019 im Kino, seither herrscht eine pandemiebedingte Marvel-Pause, die anlässlich der zuvor gängigen Praxis von drei Filmen pro Jahr inzwischen fast unendlich anmutet. Noch bevor angeblich im Mai mit „Black Widow“ der erste Film der „Phase Four“ des Marvel-Franchise in die möglicherweise dann wieder geöffneten Kinos kommen soll, ist bei Disney+ eine neue Welle von Serien angerollt, die nicht mehr (wie „Marvel’s Agents of S.H.I.E.L.D.“, „Marvel’s Daredevil“ und Co.) von der Abteilung Marvel Television, sondern von den filmproduzierenden Marvel Studios höchstselbst produziert werden, im Miniserienformat pompös budgetiert sind und sich obendrein freimütig am Schauspielpersonal der Filmreihe bedienen können.

Nach dem größtenteils erfreulich aus der Marvel-Art schlagenden „WandaVision“ stehen in „The Falcon and the Winter Soldier“ mit dem geflügelten Avenger Sam Falcon (alias Falcon) und Bucky Barnes (alias Winter Soldier) zwei im MCU seit sieben bzw. zehn Jahren eingeführte Figuren im Mittelpunkt. Die erste Episode, das sei gleich gesagt, ist formal erheblich konventioneller und klassischer geraten als „WandaVision“, macht aber definitiv Lust auf die weiteren fünf Folgen, die im Wochentakt nachgeschossen werden. Die Pilotepisode bietet zwar schon Action und lässt künftige Konflikte erahnen, doch sie fungiert vor allem als Set-Up. Als „Episode“ im eigentlichen Sinn, mit dramaturgischem Höhepunkt und Cliffhanger, kann man sie dagegen kaum betrachten – eher als ersten Akt eines fünfstündigen Films. Das bedeutet auch, dass zwei der Hauptfiguren (Daniel Brühl als sokovianischer Terrorist Helmut Zemo und Emily VanCamp als Sharon Carter – beide aus den Filmen bekannt) noch gar nicht aufgetaucht sind. Auch Wyatt Russell („Operation: Overlord“) als John Walker, eine Figur, die als ultranationalistische Ausgabe von Captain America aus den Comics bekannt ist, schaut nur für Sekunden vorbei. Deshalb, und auch weil Falcon und Winter Soldier in der Pilotfolge noch gar nicht gemeinsam zu sehen sind, ist bislang kaum Definitives über die Serie zu sagen. Ein paar wichtige Fragen können wir aber klären.

Holzfällen nach Art des Captains: Sam Wilson arbeitet an seiner Wurftechnik. Disney

Wie gut muss man sich mit dem MCU auskennen, um die Serie genießen zu können?

Es ist kein Expertentum nötig, klar. Mit den drei „Captain America“-Kinofilmen sowie den letzten drei „Avengers“-Gemeinschaftsabenteuern sollte man im Idealfall allerdings grob vertraut sein, um plotmäßig problemlos andocken zu können. Die Filme über Steve Rogers (alias Captain America) zeichnen schließlich die Entwicklung von Bucky Barnes (Sebastian Stan) vom besten Kumpel des „Cap“ in den 1940er-Jahren über seine grausame Verwandlung in den Supersoldaten Winter Soldier durch die Nazi-Organisation Hydra bis zu seiner Jahrzehnte späteren Rückkehr und seine Auszeit in Wakanda nach – und setzt diese als bekannt voraus. Sam Wilson (Anthony Mackie) stieß in „The Return of the First Avenger“ dazu und erwies sich schnell als idealer Dialogpartner für Bucky. Eine Serie, in der die beiden gemeinsam Gegner bekämpfen, als schwarz-weißes Buddy-Paar auf den Spuren von „Lethal Weapon I – Zwei stahlharte Profis“ oder „Nur 48 Stunden“ lag also nah. Head-Autor Malcolm Spellman (bekannt als „Empire“-Produzent) knüpft dabei direkt an die Ereignisse aus „Avengers: Endgame“ an und zeigt eine Welt anno 2023, die nach dem sogenannten „Blip“ (dem Verschwinden und späteren Wiederauftauchen der Hälfte der Menschheit infolge des Thanos’schen Fingerschnipsens) noch immer tief verstört ist. In „Endgame“ ernannte Steve Rogers seinen Kumpel Sam ja quasi zum neuen „Cap“, indem er ihm den ikonischen Vibranium-Schild überreichte – „The Falcon and the Winter Soldier“ macht nun Sams Zweifel deutlich, ob er dieser Rolle gerecht werden kann und gerecht werden will. Captain America zu sein, das ist für einen Schwarzen nicht dasselbe wie für einen Weißen: Diese Überlegung dürfte die Serie definitiv durchdeklinieren.

Action gibt es aber?

Ja, die Serie beginnt sogar mit einer knapp zehnminütigen Action-Ouvertüre, die es in puncto schwindeliger Auflösung von Oben und Unten mit den Marvel-Kinofilmen definitiv aufnehmen kann. Sam Wilson arbeitet inzwischen als Ein-Mann-Kriseninterventionsteam für die Air Force und muss in diesem Fall einen gekidnappten Colonel aus dem tunesisch-libyschen Luftraum befreien. Wie er dabei zwischen Flugzeugen, Helikoptern und maghrebinischen Canyons herumschwirrt, als sei er Teilnehmer an einem „Star Wars“-Pod-Rennen, das richtet Regisseurin Kari Skogland (die alle sechs Folgen inszenierte) schon sehr sehenswert ein. Georges St-Pierre nimmt dabei übrigens seine Rolle als grimmig herumballernder Söldner Batroc aus dem zweiten Captain-America-Film wieder auf.

Wie ehedem Top Gun: Danny Ramirez ist als Joaquin Torres neu dabei im Marvel-Universum. Disney

Und danach ist es erst einmal vorbei mit dem Geschepper?

Ja, danach ist mehr oder weniger Ruhe. Vor allem wird gezeigt, wie sich das Leben von Sam Wilson und Bucky Barnes nach den Ereignissen von „Endgame“ gestaltet. Sam lässt den Captain-Schild ins Museum geben, er lebt zwischen den Air-Force-Einsätzen einsam vor sich hin, greift sogar selbst zum Bügeleisen und hilft seiner Schwester Sarah (Adepero Oduye aus „Pariah“), die in Louisiana eine Fischerei betreibt, dabei, den Kutter der Eltern behalten zu können. Wie flapsig-arrogant sie dabei vom weißen Kreditberater der lokalen Bank behandelt werden, spielt ebenfalls auf die Sitution schwarzer Bürger in den USA an. Bucky hat derweil mit einer mittelschweren Identitätskrise zu kämpfen: Kein Wunder, wenn man 90 Jahre als Killermaschine hinter sich hat. Seine Traumata kriegt selbst seine zynische Therapeutin nicht weg. Auf Tinder hat er kein Glück, und auch das Date mit einer attraktiven Nudelköchin beendet der Mann mit dem Roboter-Arm frühzeitig, stets gepeinigt von Erinnerungen an seine früheren Untaten. Vermutlich in der nächsten Episode werden beide Protagonisten dann zusammenfinden. Comic-Leser wissen natürlich, dass sie beide schon mal den Titel eines neuen „Captain America“ zugesprochen bekommen haben – ebenso wie der bereits erwähnte John Walker, der im Finale der Pilotfolge erstmals auftritt und Bucky und Sam in die Quere kommen könnte.

Welcher Konflikt zeichnet sich ab?

Von Helmut Zemo ist, wie erwähnt, noch nichts zu sehen. Aber: Eine anti-patriotische Widerstandsgruppe namens „Flag Smashers“ treibt in der Post-Blip-Welt ihr Unwesen. Anführerin Karli Morgenthau (auch eine Figur aus den Comics) wird einmal kurz bei Ausschreitungen in der Schweiz gesichtet – ihre Darstellerin Erin Kellyman, im Main Cast geführt, springt allerdings nur maskiert durchs Bild. Die Gemengelage aus Aufständischen, einem radikal-nationalistischen neuen „Cap“ und einer infolge einer Großkatastrophe verunsicherten Welt passt natürlich bestens (wenn auch ungeplant) in unsere reale Welt der Trump-befeuerten Kapitols-Stürme und Pandemie-Pannenserien. Es wird spannend sein zu beobachten, wie stark die Anklänge dabei werden.

Kürzeres Haar, stylishe Lederjacke: Bucky Barnes geht umsichtig vor. Disney

Kommen sonst noch MCU-Stars vor?

In der ersten Folge macht sonst nur noch Don Cheadle als James Rhodes (alias War Machine) seine Aufwartung – bei einer Museumsveranstaltung relativ zu Beginn spricht er mit Sam. Unter den MCU-Neulingen fällt Danny Ramirez positiv auf, der Sams Air-Force-Partner Joaquin Torres spielt.

Insgesamt überzeugen diese ersten 45 Minuten – auch wenn sie sich ein bisschen so anfühlen, als habe jemand einen Kinofilm nach wenigen Minuten pausiert. Sie gefallen nicht zuletzt, weil sie zwei bislang eher mitlaufende MCU-Figuren mit Hintergrund anreichern und ihnen ein Privatleben verpassen, das erstaunlich lebensnah in einer quasi-realen Welt verankert ist. Mackie und Stan erweisen sich dabei als genau die grundsoliden Hauptdarsteller, die man dafür braucht – schon ihretwegen wird man die Serie gerne weiterverfolgen. Im Hinblick auf alles Weitere, auf die Frequenz der Actionsequenzen etwa, auf die Güte der zu erwartenden Buddy-Dialoge, auf das Funktionieren von Daniel Brühl als Bösewicht (mit lila Maske) und auch auf die angesprochenen gesellschaftlich-politischen Beimischungen heißt es aber erst einmal: weiter abwarten.

Nachtrag nach der zweiten Episode:

Die zweite Folge bestätigt den vielversprechenden Eindruck, den der noch etwas in der Luft hängende Pilot hinterließ. Wie erwartet, werden Sam und Bucky nun schnell für gemeinsame Operationen zusammengeführt. John Walker, der designierte neue „Captain America“, bekommt ebenso mehr Bildschirmzeit wie die Rebellengruppe der Flag Smashers, und am Ende tritt dann noch Daniel Brühl als Zemo auf den Plan – noch sitzt er hinter den Gittern, hinter die er im dritten Captain-America-Kinofilm des MCU gesperrt wurde. Dabei wird die maßvolle Dekonstruktion (man könnte auch sagen: Erdung) der Marvel-Helden klug vorangetrieben – wenn etwa Bucky verhaftet wird, weil er seine regierungsamtlich verordnete Therapiesitzung verpasst hat oder Walker nur öffentlich den strahlenden neuen Schildträger spielt, hinter den Kulissen aber von Zweifeln geplagt wird und im ersten größeren Gefecht gleich scheitert. Allerdings scheitert er gemeinsam mit Sam und Bucky, deren Darsteller Mackie und Stan sich in ihren ersten Dialogen gleich als jenes Buddy-Komödien-Gold bewähren, das man nach ihren ersten gemeinsamen Filmszenen erwartete. Die große Actionsequenz findet diesmal „außerhalb von München“ statt, eine Gegend, die sich die Macher amüsanterweise als dicht bewaldete Gebirgslandschaft vorstellen. Carl Lumbly („Alias – Die Agentin“) hat einen starken Auftritt als verbitterter Supersoldat, der, anders als Bucky, sein Leben lang Schikanen erleiden musste – weil er schwarz ist. Auch mit einer Racial-Profiling-Szene bleibt die Serie am Puls der Zeit. Immer klarer wird so, dass mit „The Falcon and the Winter Soldier“ ein sehr lohnendes Kapitel des MCU aufgeschlagen wurde.

Meine Wertung: 4/​5

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Falcon and the Winter Soldier“.

Die sechsteilige erste Staffel von „The Falcon and the Winter Soldier“ wird ab dem 19. März wöchentlich bei Disney+ veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1992) am

    Klingt ja schon mal ganz gut - Bin gespannt.

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