„The City & The City“: Fesselnde Mischung aus Crime Noir und Alternativer Realität – Review

RTL Crime zeigt David Morrissey in Miniserie nach ausgezeichnetem Sci-Fi-Roman

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 14.12.2018, 14:00 Uhr

David Morrissey als Inspector Tyador Borlú in „The City & The City“ – Bild: BBC two
David Morrissey als Inspector Tyador Borlú in „The City & The City“

Die Stadt an und für sich ist ein Thema, das Serienmacher immer wieder fasziniert. Man denke nur an Serientitel wie „Sex and the City“ oder „Die Stadt und die Macht“. Anfang des Jahres versuchte sich die britische BBC nun an einer vierteiligen Miniserie mit dem ebenso schlichten wie auf den ersten Blick redundant erscheinenden Titel „The City & The City“. Es handelt sich um eine Adaption des gleichnamigen Sci-Fi-Crime-Romans des Briten China Miéville von 2009, der mit gleich mehreren der wichtigsten Science-Fiction-Literaturpreise ausgezeichnet wurde.

Den kryptischen Titel und das dahinterstehende Setting zu erklären, ist gar nicht so einfach. Die Handlung von Roman und Serie spielt in zwei verfeindeten Großstädten, Besźel und UL Qoma, die beide im gleichen geografischen Raum existieren. Man kann sich das ungefähr so vorstellen wie Ost- und West-Berlin vor dem Fall der Mauer – mit dem Unterschied, dass hier nicht die eine Stadt den Ostteil und die andere den Westteil des Stadtgebiets einnimmt, sondern im gesamten Gebiet Straßen der einen und der anderen Stadt teils direkt nebeneinander verlaufen. Oder die eine Seite derselben Straße zu Besźel, die andere zu UL Qoma gehört, wobei die Straße in beiden Städten dann verschiedene Namen trägt. (Der Vergleich zu Jerusalem liegt vielleicht noch näher, wird dieses doch nicht nur von zwei Völkern/​Staaten als deren jeweilige Hauptstadt betrachtet, sondern liegen dort auch jüdische und arabische Wohngebiete teils direkt nebeneinander.) Bewohnern der einen Stadt ist es nicht nur streng verboten, mit denen der anderen zu kommunizieren, sondern auch, die jeweils andere Stadt überhaupt bewusst wahrzunehmen. Sie werden von klein auf erzogen, die „anderen“ Menschen, Gebäude und sonstigen Einrichtungen zu ignorieren, was zu einer Art verzerrter Wahrnehmung führt. Das kleinste Überschreiten der ja im Grunde nur imaginierten Grenze führt zum sofortigen Eingreifen einer mysteriösen Organisation namens „Breach“ (im Deutschen „Ahndung“) – einer Art Staat im Staate, der sich an keine Gesetze halten muss -, wonach die Betreffenden meist nie wieder gesehen werden.

Die nicht gerade einfache Visualisierung dieser Vorgaben des Romans für die filmische Adaption gelingt den Machern um Regisseur Tom Shankland („The Missing“) beeindruckend gut. Neben unterschiedlichen Farbschemata für die beiden Städte (weiche Gelb- und Brauntöne für Besźel, hartes Rot und Blau für UL Qoma) erreichen sie dies vor allem über einen Verzerrungseffekt, der erlebbar macht, wie die Einwohner die jeweilige andere Stadt wahrnehmen: eben nur verschwommen. Die Zwillingsstädte unterscheiden sich aber auch politisch-gesellschaftlich stark voneinander: Während Besźel trotz der osteuropäisch klingenden Namen eher westlich geprägt scheint und mit linken wie rechten Splittergruppen zu kämpfen hat, ist UL Qoma eine totalitär befriedete Gesellschaft ohne Opposition und zumindest scheinbar ohne innenpolitische Konflikte.

Constable Corwi (Mandeep Dhillon) mit Inspector Tyador Borlú (David Morrissey) und Naustin (Dana Haqjoo) in Besźel

Vor diesem komplexen Hintergrund beginnt nun eine zunächst recht konventionelle Krimihandlung: Nachdem in Besźel die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, die allerdings aus UL Qoma stammt, nimmt Inspektor Tyador Borlú (Ex–„Walking Dead“-Governor David Morrissey) die Ermittlungen auf. Dabei kommentiert er die Geschehnisse und seine Eindrücke regelmäßig aus dem Off wie Harrison Ford in der ursprünglichen Kinofassung von „Blade Runner“. Nicht nur dieses Stilelement erinnert an die Tradition des Film Noir. Auch den Setdesignern und Kameramann Stephan Pehrsson gelingt es perfekt, eine melancholische Atmosphäre mit regennassen nächtlichen Gassen und heruntergekommenen Vierteln zu erzeugen. Mehr noch als bei „Blade Runner“ scheint der visuelle Stil der Serie aber bei „The Element of Crime“ entlehnt, jenem frühen Film Lars von Triers, in dem ein desillusionierter Polizist in einem (im Wortsinn) untergehenden Europa (mit ostdeutschen Städtenamen) nach einem Serien-Frauenmörder sucht. Wie bei den Vorbildern von Raymond Chandler bis von Trier ist auch Borlú ein gebrochener Held, der nie über das plötzliche Verschwinden seiner großen Liebe und Ehefrau Katrynia (Lara Pulver spielt sie in immer wieder eingestreuten Rückblenden) hinweggekommen ist, die vor Jahren einen illegalen Grenzbruch begangen hat. Klar, dass ihn der Fall der jungen Frau an Katrynias Schicksal erinnert und er die Suche nach der Wahrheit deshalb persönlicher nimmt, als ihm gut tut.

Inspector Tyador Borlú (David Morrissey) mit Senior Detective Dhatt (Maria Schrader) in UL Qoma
Nachdem die Handlung in der Auftaktepisode nur schleppend in Gang kommt (was vielleicht auch an der Notwendigkeit liegt, den Zuschauern die komplizierten Hintergründe des Lebens in den Zwillingsstädten zu vermitteln), entfaltet sich in der zweiten Folge eine ebenso komplexe wie faszinierende Welt aus Geschichte (die Ermordete war angehende Historikerin), Politik und Soziologie der fiktiven Städte, bei denen immer wieder interessante Parallelen zu unserer Realität aufblitzen. So ist es dann auch sicher kein Zufall, dass die Rolle der Quissima Dhatt, der Kriminalbeamtin aus UL Qoma, die Borlú zugewiesen wird, als er seine Ermittlungen auf die verfeindete Stadt ausweitet, mit der Deutschen Maria Schrader besetzt wurde. Die kennt man schließlich auch international als Stasi-Agentin aus „Deutschland 83“/​„86“. Bei seinen Recherchen stößt Borlú schnell auf den Doktorvater des Mordopfers: Prof. David Bowden (Christian Camargo) ist der Verfasser eines in beiden Städten als häretisch eingestuften Buchs mit dem Titel „Between the City and the City“, in dem er die Existenz einer dritten Stadt behauptet, die versteckt zwischen Besźel und UL Qoma liegen soll. Am Ende der zweiten Folge stolpert der Inspektor über historische Artefakte, die Bowdens Theorie zu untermauern scheinen – und bringt sich dadurch selbst in akute Gefahr.

Man sollte also etwas Geduld mitbringen, wenn man sich auf diese Miniserie einlassen möchte. Leider kann dann auch die Auflösung sowohl des Mordfalls als auch des spurlosen Verschwindens Katrynias die aufgebauten Erwartungen nicht erfüllen. Ohne die Romanvorlage zu kennen, muss man bilanzieren, dass aus der faszinierenden Grundidee mehr rauszuholen gewesen wäre. Wer allerdings eine grundsätzliche Liebe zu Film Noir und Science-Fiction/​Alternate Reality hat und vor einer Mordermittlung als Aufhänger für eine weit vielschichtigere Geschichte nicht zurückschreckt, sollte „The City & The City“ dennoch eine Chance geben.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten Miniserie.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
Alle Bilder: MG RTL D /​ © Mammoth Screen for BBC Two


Bei RTL Crime wird „The City & The City“ ab Freitag, dem 14. Dezember um 20:15 Uhr ausgestrahlt und steht dann bei TV NOW zum Streaming bereit (fernsehserien.de berichtete).

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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