„Ozark“: Neues Netflix-Drama versinkt in Klischee-Pampe – Review

Nachgekochtes aus dem Handbuch für Qualitätsserien

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 20.07.2017, 17:55 Uhr

Jason Bateman in „Ozark“ – Bild: Tina Rowden/Netflix
Jason Bateman in „Ozark“

Im US-amerikanischen Fernsehen (und Internet) ist die Welt noch in Ordnung. Also, nicht in dem Sinne, dass dort alle Figuren glücklich wären, aber zumindest sind die traditionellen Familienbilder dort weitgehend noch intakt. So auch bei den exklusiv für Netflix produzierten Dramaserien. Ebenso wie beim kurz zuvor gestarteten „Gypsy“ mit Naomi Watts steht auch in „Ozark“ eine Durchschnitts-Kernfamilie im Mittelpunkt, die Statistikern wie CSU-Politikern gleichermaßen die Freudentränen in die Augen treiben dürfte: Die Eltern sind weiß, mittleren Alters und „selbstverständlich“ heterosexuell, der Vater beruflich erfolgreich, während die Mutter zu Hause bleibt und sich um die zwei gemeinsamen Kinder kümmert, von denen zudem auch noch eines ein Mädchen und eines ein Junge ist. Finanzielle Sorgen hatte diese Familie, die einem Bilderbuch aus dem vergangenen Jahrhundert entsprungen sein könnte, offensichtlich noch nie, ein diesbezügliches Problem ergibt sich in der Auftaktfolge lediglich dadurch, dass die Hausbank von Oberhaupt Marty (Jason Bateman, „Arrested Development“) sich nicht in der Lage sieht, rund eine Milliarde Dollar bar auszuzahlen. Luxusprobleme, die man (vor allem als Zuschauer) auch erst mal haben muss.

Zwar werden die Byrdes selbstverständlich sehr schnell aus ihrer Komfortzone herausgerissen (sonst würde der Dramaserie ja das Drama fehlen) und auch zwischen den Eheleuten zeigen sich schnell Risse, die schon länger zu klaffen scheinen. Trotzdem kann und muss man sich die Frage stellen, warum ein Großteil (die Mehrzahl?) der aktuellen US-Serien noch immer ein Familienbild präsentiert, von dem man in Zeiten, in denen selbst das traditionell konservative Deutschland die Ehe für alle möglich macht, dachte, es wäre längst überholt. Die Sender- und Streamingbosse gehen aber anscheinend immer noch davon aus, ihr Publikum bestünde hauptsächlich aus WASP-Familien mit klassischer Papa-Mama-zwei-Kinder-Zusammensetzung. Abgesehen davon, dass Singles, Geschiedene, Alleinerziehende, People of Color oder gleichgeschlechtliche Paare sich nur schwerlich mit diesen immer gleichen Figurenkonstellationen identifizieren können dürften, ist auch das Erzählmuster, das mit diesen bedient wird, meist höchst vorhersehbar und im Grunde längst auserzählt: Bei „Gypsy“ ist es die mit ihrem Bilderbuchleben unzufriedene Mittelschichtsfrau, die plötzlich ihre homosexuellen Neigungen entdeckt und aus ihrem Alltag auszubrechen versucht, bei „Ozark“ kommt die Störung des „Normalen“ hingegen mal wieder von Außen, durch einen Gangsterclan.

Poster zu „Ozark“
Marty Byrde hat sich seinen Wohlstand nämlich als Finanzberater für Kreise erworben, mit denen man sich eigentlich lieber nicht einlassen sollte. Weil deren Ähnlichkeiten mit den Sopranos unverkennbar sind (Stichwort: organisiertes Verbrechen). In der ersten Folge fliegt Marty dann auch gleich sein bisheriges Leben um die Ohren, als seine Kunden in der Firma auftauchen, das Personal in eine leerstehende Lagerhalle verschleppen und nacheinander exekutieren. Lediglich Marty selbst kann sich durch seine verbalen Fähigkeiten herausquatschen und kurz darauf mit Frau und Kindern die Flucht aus Chicago antreten. Den Mafiaboss spielt übrigens Esai Morales, der im kurzlebigen „Battlestar Galactica“-Ableger „Caprica“ als Bill Adamas Vater bereits eine ganz ähnliche Rolle hatte. Neues Domizil der aus dem Paradies vertriebenen Byrdes sollen die Ozarks werden, eine Gebirgsregion im Mittleren Westen der USA, kleinstädtisch-ländlich (und teilweise sehr touristisch) geprägt und damit natürlich ein Kulturschock für die Großstadtmenschen.

Neben der ständig im Nacken sitzenden Angst, dass der neue Lebensplan doch schiefgehen und die Mafia nach kurzem Aufschub die Familie auslöschen könnte, müssen sich die Byrdes dort zunächst einmal mit ganz profanen Dingen herumschlagen, etwa der Suche nach einem geeigneten Haus. Und auch in dem verschlafenen Ferienort in Missouri sind nicht alle Mitmenschen nette Leute, wie die Neuankömmlinge schon in der zweiten Folge erfahren müssen. Die unsanfte Konfrontation mit einer ortsansässigen Bande von Kleinkriminellen um die junge Ruth (Julia Garner) eröffnet Marty allerdings auch neue Möglichkeiten, den Lebensunterhalt seiner Familie auf weiterhin nicht besonders legale Weise sicherzustellen – mit Drogenhandel.

Marty (Jason Bateman, l.) trifft auf Ruth (Julie Garner) und ihre Bande

So weit, so 08/​15. Irgendwie wird man über weite Strecken der beiden Auftaktfolgen das Gefühl nicht los, das alles so ähnlich schon ein Dutzend Mal gesehen zu haben. Weitgehend plätschert die Handlung dahin, ohne dass etwas halbwegs Originelles diesen Eindruck stören würde. Auch die Inszenierung (Hauptdarsteller Bateman saß beim Piloten, ebenso wie bei der Hälfte der ersten Staffel selbst auf dem Regiestuhl) bleibt traditionell: ein paar schöne Bilder von Wald, See und Bergen sind da schon die visuellen Höhepunkte. Halbwegs interessant wird es eigentlich nur, wenn das Drehbuch von Serienschöpfer Bill Dubuque seltene Einblicke in das Innenleben seiner Figuren gestattet: Eine im positiven Sinne verstörende Szene in der ersten Folge zeigt Marty im Auto, wie er – anscheinend zum ersten Mal – einen sexuellen Kontakt auf dem Straßenstrich sucht. Seine Gedanken (oder vielmehr die Worte, die er der Prostituierten in den Mund legt) offenbaren dabei eine Mischung aus Egomanie und Sehnsucht nach Geliebtwerden, die den Zuschauer für einen kurzen Moment Interesse und Sympathie für die Figur des im Inneren höchst einsamen Familienvaters empfinden lassen. Es bleibt allerdings der einzige solche Moment in zwei Stunden Laufzeit. Noch fremder bleibt Martys Ehefrau Wendy, obwohl deren Darstellerin Laura Linney in vier Staffeln der Showtime-Dramedy „The Big C“ eindrucksvoll bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, die komplette Gefühlsskala einer Frau in einer Extremsituation von tief verzweifelt bis kämpferisch und lebensfroh glaubhaft zu vermitteln. Hier gibt ihr aber einfach das Drehbuch (noch?) keine Gelegenheit zu zeigen, was sie schauspielerisch drauf hat.

Insgesamt vereint „Ozark“ viele der Schwächen in sich, die in jüngster Zeit leider verstärkt bei neuen US-Dramaserien auftreten, die fast krampfhaft versuchen, an die Erfolge ausgelaufener Serien wie „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ anzuknüpfen: zu langsames Erzähltempo bei leidlich interessanten Ausgangssituationen und Figuren, ausgelutschte Sujets wie Drogenhandel und entfremdete Ehepartner, einfallslose Inszenierung und weitgehende Abwesenheit von Angehörigen anderer Ethnien und sozialer Klassen abseits der weißen Mittelschicht. Seltsamerweise schafft gerade Netflix es im Comedy-/​Dramedybereich sehr gut, originelle und emotional packende Geschichten über andere gesellschaftliche Gruppen zu erzählen (von älteren geschiedenen Frauen und homosexuellen Männern in „Grace and Frankie“ über afro-amerikanische Studenten in „Dear White People“ bis zu den vor Diversität schillernden Frauenensembles von „GLOW“ und „Orange is the New Black“). Die Dramaseriensparte des Stremingdienstes bleibt aber weiterhin dem Gewohnten verhaftet – und damit letztlich langweilig und austauschbar.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie „Ozark“.

Meine Wertung: 3/​5

Die komplette erste Staffel von „Ozark“ wird am Freitag, 21. Juli 2017 bei Netflix weltweit veröffentlicht.

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Netflix


Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Bevor man eine Kritik schreibt, sollte man sich die Serie ansehen. Nach nur zwei gesehenen Folgen einen politischen Kommentar raus zuhauen und diesen als Kritik zu verkaufen ist schlicht unseriös.
    • (geb. 1954) am

      "Pampe" ist nicht die Serie (die ich nicht kenne), sondern der Kommentar. Wenn mir erstmal über drei Absätze erklärt wird, dass eine moderne Serienfamilie mindestens einen Schwarzen und zwei Lesben oder politisch korrektes Äquivalent als Handlungsträger haben muss, dann weiß ich, welche ideologische Pampe im Kopf des Verfassers schwappt. Nichts gegen Schwarze und Lesben in einer Handlung, aber dies oder ähnlich ideologische Kriterien sogar schon zum Einstieg einer Kritik vorauszusetzen, fordert genau die Klischees, die der Autor der Serie vorwirft. Damit disqualifiziert er alles weitere, was noch gesagt werden könnte und von mir dann auch nicht mehr gelesen wird. Übrigens träfe das Sektierer-Urteil auch auf Serien wie Breaking Bad zu, wo es gerade den Reiz ausmacht, Spießer als Ausgangssituation (Gott sei Dank war wenigstens der Sohn behindert) zu haben , aber soweit will sich Herr K. wohl nicht aus dem Fenster lehnen oder vorher nachdenken.
      • am

        Wenn man *räusper* mehr als zwei folgen gesehen hätte, wüsste man, dass die Familie anfänglich sehr wohl unter finanziellen Schwierigkeiten gelitten hat und sich deshalb auch erst in diese Lage manövriert hat, dass die Mutter (Laura Linney) wieder arbeiten gehen möchte aber der Wiedereinstieg in das Berufsleben schwerer ist als gedacht.

        Des Weiteren zeigt diese Serie was sich hinter dem scheinbar 'perfekten' Familienidyll verbirgt und dass, was nach aussen hin so harmonisch scheint, im Inneren bereits zu faulen beginnt.

        Eine homosexuelle Beziehung wird in einem Seitenstrang der Handlung auch gezeigt und nimmt eine wichtige Rolle ein.

        Interessante, spannende und gut produzierte Serie, definitiv sehenswert!
        • am

          Also diese Kritik liest sich so, also ob ein Anfänger, der keine Ahnung vom Schreiben hat, sich mal versucht ... Oder er war bis oben hin voll ...

          Lt. Statistik muss man sich mindestens 3 Episoden einer neuen Serie anschauen, um herauszufinden, ob sie einem gefällt bzw. man weiter gucken soll ...

          Obwohl einiges an "Breaking Bad" erinnert (biederer Familienvater "wird böse"), fand ich schon die erste und zweite Episode so gut, dass ich weiter gucken werde. Von mir 5 Sterne.
          • (geb. 1974) am

            Was ist das denn für eine Kritik? Es dürfen jetzt keine intakten Familien mehr gezeigt werden, weil es "out" ist? Ich hatte sogar eher das Gefühl, das in den letzten Jahren in Serien/Filmen fast nur noch ein Elternteil mit Kind(ern) unterwegs waren. Ganz schlimm die Geschiedenen, wobei der Mann meistens der Schuldige war und sich dann für die Familie zum Helden mutieren muss. Der neumodische Zwang, das jetzt überall auch Homosexuelle und Asiaten irgendwie auftauchen müssen find ich regelrecht nervtötend. Manchmal haben sie nicht mal eine wirkliche Rolle - hauptsache sie sind dabei und erfüllen die "Quote"...ich find das einfach nur albern.

            Es gibt genug Serien, wo es keine intakte Familie gibt und auch Homosexuelle ihre Rollen haben. Mir fällt ehrlich gesagt kaum eine Serie in der neueren Zeit ein, wo es so eine "Bilderbuchfamilie" gibt. Selbst in den 70ern gabs schon "Patchworkfamilien" wie die Bradys.

            • am

              Unabhängig davon ob diese Serie langweilig, vorhersehbar oder dessen Handlung X-mal in fast identischer Abfolge schon in anderen Serien/Filmen rübergebracht wurde, bin ich (weiss, männlich, hetero und vereihratet) doch sehr erschrocken darüber wie unverblümt mittlerweile Rassismus gegen Weisse ungestraft fast überall in den Medien propagandiert wird.

              Ich weigere mich zu tolerieren dass ich, meine Frau und meine weissen Kinder zur Zielscheibe einer Kritik gemacht werden, die offenkundig als Haptkriterium die Hautfarbe bemängelt.
              Ich empfinde solch mittlerweile grassierendes Verhalten in Deutschland als Bedrohung gegen mich, meine Frau und meine Kinder und werde dementsprechend wählen gehen.

              LGBT'ler und Multikultis denen Deutschland oder vornehmlich westlich, weisse Länder zu weiss hetero und langweilig sind, sollten vielleicht in Erwägung ziehen in Länder wie dem Iran Mexico Libyen oder Marokko zu ziehen. Da ist man dann nicht gezwungen "weisse Intoleranz" zu ertragen und kann sich dann ganz in der dunkeläutlerischen Offenherzigkeit des Islam und der "La Razas" laben.
              • (geb. 1960) am

                Na ja von 5 Sternen ist die Serie meilenweit entfernt. Die 3 Sterne sind schon eine" ich hab die lieb " Bewertung. Nach 3 x Pipi, 2 Kaffee, duschen und Abendessen, wobei die Serie weiterlief hat man den Eindruck nicht alzuviel versäumt zu haben. Kann nur sagen das ich selten so eine langweilige Serie geguckt habe. Dafür werde ich keinen Daumen nach oben vergeben. Wer also mit 5 Sternen bewertet für den war es die erste Serie in seinem Leben. Auch wenn man verschiedene Meinungen respektiert. Langweilig bleibt Langweilig. Schade den ich hatte mir wirklich mehr erwartet.
                • am

                  Dein Kommentar ist langweilig. Wenn die Serie nur im Hintergrund läuft, kann man eben keine vernünftige Bewertung abgeben. Was dann übrig bleibt, ist das pauschale Runtergemache.
              • am

                Auch wenn es den Jeanetten nicht passt, hetero ist und bleibt die Norm.
                • (geb. 1973) am

                  Hm, jetzt wird spannend. In der neuen Ausgabe der "cinema" bekommt die Serie volle fünf Sterne. Die behalte ich auf dem Radar.

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