„NCIS: Sydney“: Gift und Strahlen in Down Under – Review

Neues „Navy CIS“-Spin-Off spielt erstmals außerhalb der USA

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 23.11.2023, 18:40 Uhr

Stehen nicht nur einmal vor der Harbour Bridge: Sergeant JD (Todd Lasance, l.) von der Australian Federal Police und Special Agent Mackey (Olivia Swann, r.) vom NCIS. – Bild: Paramount+ Australia
Stehen nicht nur einmal vor der Harbour Bridge: Sergeant JD (Todd Lasance, l.) von der Australian Federal Police und Special Agent Mackey (Olivia Swann, r.) vom NCIS.

Ganze 44 Staffeln und fast 1.000 Episoden hat das NCIS-Franchise nach zwanzig Jahren auf dem Buckel, und an Mordfällen rund um die US-amerikanische Marine scheint es, geht man nach diesem CBS-Erfolgsformat, auch in Zukunft nicht zu mangeln. Denn während die Originalserie – zu Deutsch: „Navy CIS“ – Anfang kommenden Jahres in die 21. Staffel geht und damit bereits drei Spin-Offs („L.A.“, „New Orleans“ und zuletzt „Hawaii“) überlebt hat, ist es jetzt Zeit für den nächsten Schritt: die Expansion ins Ausland. Mit „NCIS: Sydney“ dürfen die Mitarbeiter*innen des „Naval Criminal Investigative Service“, der Strafverfolgungsbehörde des US-Marineministeriums, nun erstmals außerhalb der USA zu Werke gehen: in der australischen Hafenstadt Sydney. Das Procedural-Prinzip mit Fall-der-Woche-Struktur und Humorbeigabe bleibt unangetastet, ergänzt wird es diesmal um etwas Culture Clash. Fans der Mutterserie könnten das mögen.

Die NCIS-Serien haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten westwärts bewegt wie einst die ersten US-Siedler: von der Ostküste (Washington) an die Westküste (Los Angeles) raus in den Pazifik (Hawaii). Da ist der letzte Sprung hinüber nach Australien auch kein so großer mehr. Showrunner Morgan O’Neill („The Factory“) sollte das Franchise vor allem fit machen für andere Territorien, was angesichts des weltweiten Erfolgs der bisherigen Serien eigentlich überflüssig ist. Insofern passte es ganz gut, dass sich dieses Jahr eine Programmlücke beim Haussender CBS auftat. Die neue Staffel der Mutterserie musste nämlich aufgrund der Drehbuchautoren- und Schauspielerstreiks ins kommende Jahr verschoben werden. Kurzerhand zeigt CBS nun ersatzweise das neue Spin-Off, das zunächst eigentlich nur beim australischen Ableger des Streamingdienstes Paramount+ gezeigt werden sollte. Doch macht das einen Unterschied?

Wohl kaum. Denn obwohl O’Neill und sein Team sich aus australischen Autor*innen rekrutieren, wurde viel Wert darauf gelegt, vom Känguru über den Koalabären bis hin zum Linksverkehr so ziemlich jedes erdenkliche australische Klischee ins touristische Bild und in den Dialog zu rücken, meist betont augenzwinkernd, ganz so, als brächten die Macher diese Stereotypen ganz demonstrativ zur Wiedervorlage, um sie danach befreit ad acta legen zu können. Gleich zu Beginn fegt die Kamera also unter der Sydney Harbour Bridge hindurch, um sofort auf das berühmte Opernhaus der Stadt zuzurasen, und es wird beileibe nicht das letzte Mal sein, dass beide Sehenswürdigkeiten ins Bild gerückt werden.

Aussie-Humor trifft Ami-Arglosigkeit: Officer Evie Cooper (Tuuli Narkle) neckt Special Agent DeShawn Jackson (Sean Sagar). Paramount+ Australia

Im Dienst der US-Behörde NCIS stehen in diesem Sydney-Ableger zwei Special Agents: in leitender Funktion Michelle Mackey (Olivia Swann aus „Legends of Tomorrow“) und ihr zur Seite stehend DeShawn Jackson (Sean Sagar, „Der Pakt“). Beide Schauspieler sind interessanterweise Briten. Zu Beginn operieren Mackey und Jackson noch von einem Flugzeugträger aus, und wohl oder übel müssen sie, um lokales Recht durchsetzen lassen zu können, mit der australischen Bundespolizei zusammenarbeiten: Zu Sergeant Jim Dempsey (Todd Lasance), Spitzname: JD, und Liaison Officer Evie Cooper (Tuuli Narkle, „Bad Behaviour“) gesellen sich schnell noch der Pathologe Roy Penrose (William McInnes, „Die Newsreader“), Spitzname: Rosie, und die junge Forensikerin Bluebird Gleeson (Mavournee Hazel, „Nachbarn“), Spitzname: Blue. Über den Hang der Australier zu Spitznamen wird selbstverständlich ebenfalls gewitzelt.

Der Fall, über den die Amis und die Australier zu einer Task Force zusammengezwungen werden, beginnt, als während einer Feierlichkeit im Hafen von Sydney zu Ehren der australisch-britisch-amerikanischen Sicherheitspartnerschaft AUKUS ein Matrose des Atom-U-Bootes USS Navajo von Deck purzelt und stirbt. Der junge Mann, bei dem später eine nukleare Verstrahlung diagnostiziert wird, ist US-amerikanischer Staatsbürger, weshalb sich die NCIS zuständig fühlt, die bekanntlich nur Fälle übernimmt, in denen es um Morde an (oder von) Angehörigen von Navy oder Marine Corps geht. Da die Tat aber innerhalb australischer Grenzen verübt wurde, kommt es zur zwangsweisen Kooperation – was nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, unterhält die reale NCIS schließlich Dependancen in 41 Ländern der Welt, darunter auch Australien.

Der Fall der Pilotepisode ist letztlich wenig interessant und hievt mit der australischen Außenministerin (Daniela Farinacci aus „East West 101“) und einem sinistren Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums ein etwas diffuses Verschwörungs- und Terrorismusszenario in die Erzählwelt, das sich am Ende, nach der Flucht einer Täterin (Georgina Haig aus „Archive 81“) für weitere Episoden am Köcheln zu halten scheint. Vor allem dient es wohl dazu, das binationale Team unter dem erlebten Verschwörungsdruck von oben zusammenzuschweißen. Tatsächlich ist dessen Binnengefüge wesentlich spannender als der Kriminalfall. Es verteilt die typischen Procedural-Rollen letztlich zwar nur auf neue Schultern, ergänzt sie aber um den Culture-Clash-Aspekt der unterschiedlichen Herkünfte und Zuständigkeiten: Da ist die No-Nonsense-Amerikanerin (Mackey), die ein Trauma aus der Vergangenheit mitschleppt, das erst peu à peu aufgedeckt werden dürfte, und ihr Widerpart, der zu Scherzen, Ironie und Laissez-faire aufgelegte JD, ein Landei aus der Provinz (genauer: aus Gumly Gumly bei Wagga Wagga). Bei beiden werden von Anfang an deutlich erkennbare Will-they-won’t-they-Spuren in Richtung einer wenn schon nicht romantischen, dann aber doch wenigstens freundschaftlich vertieften Beziehung gelegt.

Genie an der Tafel: Wenn Blue (Mavournee Hazel, l.) das Geheimnis abstrakter Formeln erklärt, staunt nicht nur Pathologe Rosie (William McInnes, 2. v. r.). Paramount+ Australia

Gleiches gilt – vielleicht sogar eher in Sachen Romantik – für die beiden Second-in-Commands, Evie und DeShawn: Evie verbringt die ersten beiden Episoden praktisch ausschließlich damit, ihren US-Kollegen scherzhaft in seiner Männlichkeit herabzuwürdigen, woraus eigentlich nur folgen kann, dass die beiden irgendwann mal miteinander im Bett landen werden. Während Sean Sagar durch dieses etwas undankbare Arrangement leicht ins Deppenhafte gerückt wird, liefert die charismatische Tuuli Narkle als Evie mit gutem Timing und australischem Humor die schauspielerischen Highlights der ersten Folgen.

Auch gut ist William McInnes als Rosie, der einzig Ältere im Team, ein schwarzhumoriger Haudegen auf der beruflichen Zielgeraden, der genregemäß immer im richtigen Moment eine genialische Eingebung hat. Ihm zur Seite muss die junge Kollegin Blue das Klischee der nerdigen und linkischen Computer- und Mathespezialistin erfüllen, eine Rollenschablone, die Darstellerin Mavournee Hazel nicht gerade zu subtilstem Schauspiel einlädt, was vielleicht aber auch gar nicht gewünscht ist in dieser Art Serie. Die Szenen, in denen sich Blue aus sozialer Unsicherheit herumwindet, gehören trotzdem nicht zu den Stärken der ersten Folgen – wobei Hazel sympathisch genug ist, als dass sich das nicht noch eingrooven könnte.

Vor allem dient die Pilotepisode der Vorstellung der Protagonisten und dem Festdengeln der zu erwartenden Erzählstruktur: Am Ende werden die beiden NCIS-Leute, die eigentlich nur vorübergehend vor Ort sein sollten, von ihrem Boss (Bert Labonte, „Der Schatz von Fidschi“) in Sydney fest stationiert. Ihre pittoresk temporäre neue Zentrale liegt natürlich direkt am Hafen, nur einen Steinwurf vom Opernhaus entfernt. Zuständig sind die beiden für den gesamten indo-pazifischen Raum, was im Hinblick auf einen möglichen Fortgang dieser Serie ziemlich von Belang ist – denn wie viele mit der US-Marine verbundene Kriminalfälle kann es in Sydney allein schon geben?

In der zweiten bislang gesendeten Episode liegt die Leiche entsprechend schon etwas nördlich der Metropole im Morast, gefunden von streitenden Anglern. Ein Staff Sergeant des US Naval Supply Depot wurde von der giftigsten Schlange der Welt gebissen – einem Inlandtaipan. Der Fall, in dem es um verbotenen Tierschmuggel geht, bietet im Folgenden allerhand Anlass für Scherze über die angeblich (und vielleicht eben auch wirklich) so gefährliche Fauna in Australien, hält ansonsten aber nicht allzu viele Überraschungen parat.

Zum Rapport beim Boss: JD und Mackey müssen sich wohl oder übel zusammenraufen. Paramount+ Australia

Wer „Navy CIS“ und seine Ableger auch bislang schon für gute Unterhaltung hielt (und es gibt ja Gründe dafür), könnte insgesamt auch hier glücklich werden: Gemessen an den bisherigen zwei Episoden halten die Fälle das Niveau „beliebig, aber unterhaltsam“, und aus dem Ermittler-Team könnte auf Dauer durchaus etwas werden, auch wenn die Australier bislang interessanter gezeichnet und gespielt werden als ihre US-amerikanischen Kollegen. Das harmlose, aber beharrliche Gekabbel der beiden „Lager“ ist momentan noch das markanteste Merkmal der Serie – man muss abwarten, inwiefern dieses Spiel mit den (gegenseitigen) Klischees auf Dauer durchgehalten werden kann. Wird das irgendwann nur noch nerven? Oder einfach aufhören? Die Manie, ständig australische Marotten erklären oder interkulturelle Missverständnisse beheben zu wollen, kratzt schon jetzt am Limit.

Davon abgesehen wird an Motiven und Standards all das aufgeboten, was das Franchise auch bis dato geliefert hat: Verfolgungsjagden zu Fuß oder per Auto, zu Wasser oder in der Luft (gerne auch alles zusammen) mindestens einmal pro Folge, generöse Explosionen, Zeugen, die im entscheidenden Moment von Kugeln niedergestreckt werden, dazu ein mitteltemperiertes Gewitzel selbst vor dem Hintergrund von Mord, Totschlag und Terrorismus, gepaart mit einer letztlich völlig unkritischen, um nicht zu sagen: von Bewunderung geprägten Darstellung des Militärs und geheimdienstlicher Technologien. Atom-U-Boote oder Überwachungskameras, die Menschen via KI am Gang erkennen können? Im „NCIS“-Universum sind das keine Debattenauslöser, sondern unreflektiert geile Gadgets. Am Militärapparat wird hier nicht das System hinterfragt, sondern höchstens das faule (menschliche) Ei, dass sich da bisweilen einnistet. Kein Wunder, dass im Abspann explizit Verteidigungsministerium, Navy und Bundespolizei gedankt wird.

Wer sich von so etwas nicht gestört fühlt, wird hier akzeptablen Nachschub für den Procedural-Vorrat finden, tourismuskompatible Bilder aus Down Under inklusive. Wer’s hingegen komplexer mag, sollte sich lieber, wie bislang auch, anderswo umsehen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „NCIS: Sydney“.

Meine Wertung: 3/​5

„NCIS: Sydney“ erscheint seit dem 10. November im wöchentlichen Rhythmus beim US-Streamingdienst Paramount+. Ein deutscher Veröffentlichungstermin ist noch nicht bekannt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1986) am

    Super,Kritik und Trailer stimmen mich wie erwartet positiv und freue mich schon darauf wenn es NCIS Sydney ins Free-TV schafft.
    • am

      ...ich freue mich ☺️
      • (geb. 1994) am

        Denke, dass es hierzulande auch zuerst mal bei Paramount landen wird( später dann wsl auf Sat. 1)...
        • (geb. 1973) am

          Also ich bin sehr gespannt, der Trailer sah schon sehr gut aus

          weitere Meldungen