„Miss Austen“: Die Schwester, die Jane Austens Briefe verbrannte – Review

BBC-Vierteiler verquirlt Fakten und Fiktion in bewährt hochwertiger Kostümromantik

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 18.09.2025, 09:30 Uhr

Kein Mann mehr im Haus: Cassandra Austen (Keeley Hawes, 2. v. l.) mit Isabella Fowle (Rose Leslie), Diestmädchen Dinah (Mirrin Mack) und Schwägerin Mary (Jessica Hynes, v. l.) – Bild: BBC One
Kein Mann mehr im Haus: Cassandra Austen (Keeley Hawes, 2. v. l.) mit Isabella Fowle (Rose Leslie), Diestmädchen Dinah (Mirrin Mack) und Schwägerin Mary (Jessica Hynes, v. l.)

Dieses Jahr wäre Jane Austen 250 Jahre alt geworden – kein Wunder, dass es neue Projekte rund um die bis heute beliebteste aller britischen Romanschriftstellerinnen nur so hagelt. Im Oktober startet der sehenswerte französische Film „Jane Austen und das Chaos in meinem Leben“, momentan wird eine Netflix–Serienfassung von „Stolz und Vorurteil“ gedreht (mit Emma Corrin), angekündigt ist auch eine Neuverfilmung von „Sinn und Sinnlichkeit“ fürs Kino (mit Daisy Edgar-Jones). Die BBC kümmert sich unterdessen erst einmal um Jane Austens Schwester: Cassandra Austen ist Titelfigur und Protagonistin von „Miss Austen“. Die vierteilige Miniserie mit einer beeindruckenden Keeley Hawes in der Hauptrolle ist jetzt bei arte zu sehen.

Der Serientitel führt gezielt auf die falsche Fährte. Austen? Da denkt man sogleich an Jane, die früh verstorbene, unverheiratet gebliebene Weltschriftstellerin. Ihr Romanwerk, überwiegend in den 1810er-Jahren erschienen, in der Regency-Ära, als der psychisch kranke King George III. von seinem Prinzregenten vertreten werden musste, ist bis heute in jeder Buchhandlung zu finden – um wen sonst sollte sich die Serie denn sonst drehen? Die Antwort: Miss Austen, das ist Cassandra Austen, Janes ältere Schwester, die, früh verwitwet, keine weitere Ehe mehr einging, sich als Aquarellmalerin versuchte und zum Schrecken aller Literaturhistoriker später dafür sorgte, dass die mehr als 3.000 Briefe, die Jane Austen geschrieben hatte, zum allergrößten Teil verbrannt wurden. Tat Cassandra das, um den Nachruhm der verstorbenen Schwester zu schützen? Stand kompromittierendes Material in den Briefen, die an Cassandra ebenso gerichtet waren wie an andere Freundinnen und Verwandte?

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Erfahren werden wir das nie, möglicherweise zum Glück. Die Schriftstellerin Gill Hornby hat sich aber etwas ausgedacht, um diese Wissenslücke zumindest spielerisch zu füllen. In ihrem Roman „Miss Austen“ erzählt sie – auf überlieferte Fakten zwar gestützt, aber doch fiktiv – davon, wie Cassandra im vorgerückten Alter die Briefe noch einmal durchgeht, sich beim Lesen an die Jahre mit Jane erinnert, zu der sie stets ein sehr enges Verhältnis pflegte, und die Blätter am Ende vernichtet.

Ein Arzt von Statur: Mr. Lidderdale (Alfred Enoch) wäre für Isabella zu haben. BBC One

Aus diesem Stoff hat die BBC einen ihrer bewährten Qualitäts-Vierteiler im Kostüm der Epoche gezimmert, der sich publikumswirksam zum Mitschmunzeln und mit Träne im Knopfloch zwischen Comedy und Trauerdrama einpegelt und in Großbritannien so erfolgreich lief, dass bereits eine Fortsetzung in der Mache ist – wiederum mit Hawes in der Hauptrolle. Die preisgekrönte Schauspielerin („Line of Duty“, „The Missing“) ist für die Cassandra-Rolle eigentlich zu jung (in Hornbys Buch ist Cassandra wesentlich älter) und doch eine perfekte Besetzung: Kleinste Nuancen von Trauer, Neugier, Wehmut und Lebenslust lässt Keeley Hawes mühelos in ihrem Spiel aufblitzen.

1830, 13 Jahre nach Jane Austens Tod. Zu Beginn liegt mal wieder jemand im Sterben: Reverend Fulwar Fowle, Patriarch der Fowle-Familie, mit der die Austens auf vielfältige Weise verbandelt sind, tut seine letzten Atemzüge. Einst war er mit Eliza verheiratet, der besten Freundin der Austen-Schwestern, doch die ist längst tot. Cassandra selbst heiratete als junge Frau Fulwars Bruder Tom, der aber begab sich direkt nach der Hochzeit auf eine Expedition nach Übersee, die er nicht überlebte. Seither ist Cassandra Witwe. Eine zurückgelassene Frau, die inzwischen auch um ihre Schwester trauert und um ihre beste Freundin.

Der Reverend hinterlässt drei Töchter. Besonders die noch unverheiratete Isabella (Rose Leslie, Ygritte aus „Game of Thrones“) trifft sein Tod hart. Das Pfarrhaus muss innerhalb von zwei Wochen an den nächsten Pfarrer übergeben werden, doch wohin soll Isabella gehen? Vorerst bleibt ihr nur das Hausmädchen (Mirren Mack aus „Mary & George“), doch zur Verstärkung rückt alsbald Cassandra an, die zwei Absichten hegt: Erstens möchte sie Isabella rasch unter die Haube bringen (es bietet sich an: der attraktive Hausarzt Mr. Lidderdale, gespielt von Alfred Enoch, dem Dean Thomas aus den Harry-Potter-Filmen). Zweitens will sie unbedingt in den Besitz jener Briefe gelangen, die Jane über die Jahre an Eliza geschrieben hatte, voll mit intimsten Details aus den Familien-, Liebes- und Society-Beziehungen der Austen-Familie.

Letzteres Vorhaben wird durch die zweite Protagonistin des Vierteilers erschwert: Mary Austen, Elizas Schwester und obendrein Witwe von James Austen, dem ebenfalls schon verstorbenen älteren Bruder von Cassandra und Jane. Sie taucht kurz nach Cassandra im Fowle-Haushalt auf und hat es wie sie auf die Briefe abgesehen. Sie will die Korrespondenz allerdings für eine noch zu schreibende Biografie nutzen – keine, die Jane Austen würdigen soll, sondern ihren verstorbenen Ehemann, der auch als Autor reüssierte (den aber heute, anders als seine Schwester Jane, niemand mehr liest). Jessica Hynes, Miss Kitts aus den „Paddington“-Filmen, spielt Mary angemessen biestig.

Sommer-Idyll in der Rückblende: die junge Witwe Cassandra (Synnøve Karlsen, l.) mit ihrer Mutter (Phyllis Logan) und Schwester Jane Austen (Patsy Ferran, r.) BBC One

Die Versteckspiele, Verkupplungsmanöver und Täuschungsszenarien, die Cassandra und Mary, Isabella und Mr. Lidderdale durchlaufen, machen indes nur die Hälfte der Laufzeit aus. Unterbrochen wird die Jetztzeit immer wieder durch Rückblenden in die 1810er-Jahre, jeweils eingeleitet durch einen neuen Brief, den Cassandra liest. Synnøve Karlsen („Bodies“) als Cassandra alias „Cassy“ und Liv Hill („Three Girls“) als Mary liefern erstaunlich glaubwürdige junge Versionen der Rollen. Mit ihnen lernen wir nicht nur Cassys Kurzzeit-Ehemann Tom Fowle kennen (Calam Lynch, derzeit auch in „Sweetpea“ zu sehen) und erleben ihr Wechselbad der Gefühle, das von der Hochzeit über Toms Abreise direkt zu dessen Tod führt. Wir bekommen auch Einblicke in den Austen-Haushalt, inklusive Phyllis Logan („Downton Abbey“) und Kevin McNally (aus der „Fluch der Karibik“-Reihe) als gütig-schrullige Eltern.

Vor allem kommt die Serie so auch in die günstige Situation, doch noch eine Jane Austen auffahren zu können. Die spanisch-britische Theaterschauspielerin Patsy Ferran („Hot Milk“) ist in der Rolle ein wahrer Glücksgriff und mit ihrem makellosen komödiantischen Timing ein Highlight der Serie. Der süffisant-satirische Witz, den Austens Romane bei aller romantischen Grundierung stets mittransportieren, ist in Ferrans unangestrengtem Spiel immer präsent. Die hochintelligente, genaue und dabei immer auch ein bisschen nerdige Beobachterin gesellschaftlicher (Un-)Gepflogenheiten wird in Ferrans Anlage der Rolle möglicherweise so gut getroffen wie bislang noch in keiner Interpretation zuvor, auch nicht in der von Anne Hathaway in „Geliebte Jane“ (2007).

Diese Version von Jane passt gut zur Gesamtanlage des Vierteilers. Autorin Andrea Gibb („Lieber Frankie“) und Regisseurin Aisling Walsh („Maudie“) nutzen in ihrer Adaption des Hornby-Buchs jede Gelegenheit, eine Handlung über die Austen-Familie wie eine Erzählung von Jane Austen erscheinen zu lassen. Das Verwandtschaftsdickicht, von dem man sich als Zuschauer ohne Vorwissen möglicherweise etwas überfordert fühlen könnte, wirkt so, als sei es direkt einem der Austen-Romane entnommen worden. Sowohl die junge Cassy als auch Isabella gehen locker als Schwestern im Geiste durch von Elinor und Marianne aus „Sinn und Sinnlichkeit“ oder von Elizabeth aus „Stolz und Vorurteil“, sie sind gleichsam Kristallisationsfiguren für das Austen-Werk.

Kurzzeit-Ehemann, der nach der Hochzeit eine fatale Entscheidung trifft: Tom Fowle (Calam Lynch) macht Cassandra zur Witwe. BBC One

Gut fügt sich so auch eine Figur ein, die von Gill Hornby frei hinzuerfunden wurde: Während einer Sommerfrische an der englischen Küste lernen die Austen-Schwestern den freundlichen Henry Hobday kennen (gespielt von Max Irons, „Die Frau des Nobelpreisträgers“), der nicht nur bestens aussieht und wohlhabendem Hause entstammt, sondern obendrein ledig ist – kurzum als Variante von Mr. Darcy durchgeht, der vielleicht bekanntesten männlichen Romanfigur aus Austens Œuvre. Die verwitwete Cassy will ihn – behauptet sie selbst – eigentlich an Jane „vermitteln“, Henrys Interesse aber gilt unzweifelhaft ihr selbst. Die Interpretation der Geschehnisse in Jane Austens Briefen unterscheidet sich nicht nur hier von den Erinnerungen Cassandras oder Marys.

Dieses Spiel mit den Perspektiven gehört zu den reizvollsten Elementen der Serie, die es sich ansonsten manchmal zu bequem in ihrem Ausstattungstheater einrichtet. Die Musikuntermalung gerät eine Spur zu hygge und auch zu manipulativ, die englischen Landschaften mit ihren knallgrünen Rasen unter rötlichem Herbstlaub unterscheiden sich kaum von der Landlust-Ästhetik deutlich kitschigerer Produktionen.

Inhaltlich aber kann man „Miss Austen“ kaum größere Vorhaltungen machen. Wie die Miniserie von der historisch prominenteren Figur sozusagen nur über Bande und am Rande erzählt, während sie eine vermeintliche Randfigur in die Mitte der Erzählbühne stellt, das geht von Anfang an gut auf. Wie nebenher erzählt sich dadurch auch viel über die Rolle der Frau zu Beginn des 19. Jahrhunderts, über ihre wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten, über ihr Zurechtkommen allein, über Solidarisierungsversuche und Konkurrenzen. Mehrfach wiederholt Regisseurin Walsh das Motiv von Frauen am Fenster (allein oder in einer Gruppe), gefilmt von draußen: Beobachterinnen anderer Lebensläufe, an denen sie selbst nicht frei teilnehmen dürfen. Jane Austen durchbricht diese Beschränkung mit ihrer schriftstellerischen Einbildungskraft.

Regie und Darstellerinnen meistern zudem ein typisches Problem herkömmlicher Brief- und Erinnerungsfilme: Es gibt darin üblicherweise viele Szenen, in denen entweder jemand beim Schreiben der Briefe zu sehen ist oder jemand die Briefe liest und dabei in die Rückblende „gezogen“ wird. Häufig wirken solche Sequenzen steif und repetitiv. In „Miss Austen“ jedoch wirkt der stete Wechsel zwischen den Timelines fließend und ungezwungen. Ganz neue Wege in den Bereichen Ausstattungsfernsehen oder Biopic werden dabei fraglos nicht beschritten; für vier unterhaltsame, auch bewegende Fernsehstunden reicht es aber allemal.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller vier Episoden von „Miss Austen“.

Meine Wertung: 4/​5

Die Miniserie „Miss Austen“ ist bereits bei arte.tv online und bleibt dort bis Anfang März 2026 abrufbar. Die lineare Ausstrahlung mit allen vier Episoden erfolgt am heutigen Donnerstag (18. September) ab 20:15 Uhr bei arte.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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