„Meme Girls“: Deutsche Schulcomedy überzeugt mit starken Büchern und tollem Ensemble – Review

RTL+-Serie über jugendliche Influencerin und ihre Freundinnen ist überdreht und einfühlsam

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 22.06.2023, 17:30 Uhr

„Meme Girls“ startet am 22. Juni bei RTL+ – Bild: RTL
„Meme Girls“ startet am 22. Juni bei RTL+

Das Leben einer Teenagerin kann so schwierig sein. Vor allem, wenn sie Influencerin ist, bei TikTok eine Followerschaft im fünfstelligen Bereich ihr Eigen nennt und dank reichen Daddys auf ein Eliteinternat geht. Naja, die Probleme fangen für Olivia, genannt Liv (Josie Hermer) erst so richtig an, als sie wegen übermäßigen Schwänzens – schließlich muss sie ständig neuen Content für ihren Kanal produzieren – von der exklusiven Privatschule fliegt und ihr Vater (Tom Keune) ihr daraufhin Internetverbot erteilt. Stattdessen meldet er sie auf einer öffentlichen Gesamtschule an und drückt ihr als Ersatz für ihr Smartphone eine alte Nokia-Krücke ohne Netzzugang in die Hand. Der Deal: Wenn Liv auf dem nächsten Zeugnis einen Notendurchschnitt von Drei erreicht, bekommt sie ihr Smartphone zurück. Liv gerät in Panik, weiß sie doch genau: Wenn ihre Follower nicht täglich neue Videos bekommen, sind sie für immer weg …

Mit seiner deutschen Eigenproduktion „Meme Girls“ begibt sich der Streamingdienst RTL+ also auf ein Terrain, das einer jungen Zielgruppe vertraut sein dürfte, während ältere Semester – wie der Autor dieser Rezension – eher vom Hörensagen und aus den alten Medien wissen, um was es geht. Als großer Freund von Coming-of-Age-Serien, jenes Genres, das es immer wieder wie kein anderes schafft, von universalen Erfahrungen zu erzählen, die jeder schon mal gemacht hat (oder manchmal auch nur gerne gemacht hätte), war ich zumindest gespannt, ob der eher für Trash bekannte Auftraggeber RTL diesem Genre etwas Interessantes hinzuzufügen hat.

Die erste rund 25-minütige Episode etabliert zunächst im Schnelldurchgang die Ausgangssituation: Vorstellung der Hauptfigur, Schulverweis durch die Direktorin (Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray in einer clever besetzten Cameo-Rolle), Bestrafung und erster Schultag auf der gefürchteten Gesamtschule, wo Gewalt und harte Drogen offenbar zum Alltag gehören – jedenfalls wenn man der völlig überzeichneten Ankunftssequenz glauben möchte. Danach lernt die schon von ihrem Outfit und Auftreten nicht in ihr neues Umfeld passende Liv drei Mitschülerinnen kennen, die – man ahnt es schnell – ihre neuen Freundinnen werden sollen, allesamt Außenseiterinnen: Mila (Saron Degineh) ist die Klassenstreberin, die Sex bisher nur aus dem Biologiebuch kennt, Alma (Fine Sendel) eine sehr offenherzige – und sexpositive – Person und Vanessa (Luna Kurse) war früher mal cool – bis sie ungewollt schwanger wurde und mit 15 einen Sohn bekam.

Anstrengendes Leben einer wohlhabenden Schülerin: Liv mit Vater Thomas (Tom Keune) RTL /​ Hardy Spitz

Mit den Dreien landet Liv in der Schülerzeitungs-AG und macht einen weiteren Deal: Wenn sie eine regelmäßige Kolumne für die Zeitung schreibt und ihnen außerdem in Sachen Beliebtheit hilft, übernimmt Mila ihre gesamten Hausaufgaben. Aber schon bei der ersten Party einer populären Mitschülerin, auf die Liv dank ihres Influencertums gleich eingeladen wird und zu der sie die Nerds mitnimmt, führt ihr egoistisches Verhalten zur Blamage eines der anderen Mädchen. Ist es Liv doch offenbar wichtiger, ein neues Video ins Netz zu stellen, als einer Freundin aus einer peinlichen Situation herauszuhelfen. Bei der Vergeltungsaktion für das Mobbing-Verhalten der Gastgeberin kommt es dann auch noch zu einem Shitstorm im wörtlichen Sinne.

Man sollte also keinen allzu großen Ekel vor Körperflüssigkeiten aller Art haben, wenn man sich auf „Meme Girls“ einlassen will. Zotiger Humor und Gags unter der Gürtellinie in Wort und Bild spielen eine nicht ganz unwichtige Rolle. Ähnlich wie seinerzeit in der grandiosen britischen Teenagerserie „Skins – Hautnah“ dienen sie aber eher als Türöffner für eine darunter liegende, wesentlich sensiblere Ebene.

Zwischen Social-Media-Sucht und neuen Freundinnen: Liv (Josie Hermer, unten) mit Vanessa (Luna Kuse), Mila (Saron Degineh) und Alma (Fine Sendel) RTL /​ Hardy Spitz

Während nämlich Liv mit allen möglichen, meist unmoralischen Methoden versucht, wieder Internetzugang zu bekommen, wird klar, dass sie lange nicht so taff und selbstbewusst ist, wie sie sich gibt. Und auch die individuellen Ängste und Nöte der anderen drei Mädchen werden nach und nach auf einfühlsame Art beleuchtet. Spätestens ab der dritten Folge hat man sie eh alle ins Herz geschlossen und die Serie ihren Tonfall zwischen überdrehtem Witz und empathischer Figurenzeichnung gefunden.

Was die Headwriter Gesa Scheibner und Jonas Zimmermann hier abliefern, ist in Gänze tatsächlich wohl einer der besten deutschen Beiträge zum Genre der Schulserien: nicht ganz so politisch korrekt wie die auch tolle Funk-Produktion „Druck“, aber auch lange nicht so respektlos, wie man am Anfang denken könnte. Bemerkenswert ist die Offenheit und Treffsicherheit, mit denen in den kurzen Episodenhandlungen Tabuthemen behandelt werden. Hervorzuheben ist hier die fünfte Episode, in der die Freundinnen nach einem für Liv höchst peinlichen Menstruationsunfall ihre eigenen Erfahrungen teilen und sich schließlich in einer gemeinsamen öffentlichen Aktion mit ihr solidarisieren. Zwar haben hier US-Serien wie „Orange is the New Black“ und „Paper Girls“ schon wichtige Vorarbeit geleistet, selbstverständlich ist eine so offene wie sensible Thematisierung aber sicher noch lange nicht. Bemerkenswert ist auch, dass homosexuelle Beziehungen hier nicht mal mehr Anlass sind, diese als irgendwie ungewöhnlich anzusprechen.

Das Shooting fürs Klassenfoto endet für Liv im Desaster. RTL /​ Hardy Spitz

Neben den gelungenen Drehbüchern tragen vor allem die jugendlichen Hauptdarstellerinnen zum positiven Gesamteindruck bei: Ihnen gelingt es durchgehend, aus den aus Comedygründen jeweils auf nur wenige Charaktereigenschaften festgelegten Figuren glaubwürdige Personen zu machen. Die schnelle Inszenierung von Benjamin Gutsche und die überzeugende Musikauswahl fügen ihren Teil hinzu.

So gibt es am Ende der Staffel eigentlich nur einen echten Kritikpunkt: Sie ist viel zu kurz! Mit nur sechs Episoden, die zudem zwischen 18 und 25 Minuten pendeln, ist die ganze Staffel kürzer als die meisten Filme, die heute so ins Kino kommen. Hatten die RTL-Verantwortlichen so wenig Vertrauen in ihr eigenes Kreativteam? Auch wegen des Cliffhangers am Schluss bleibt also die Hoffnung, dass wir bald noch viel mehr von den vier Schülerinnen zu sehen bekommen. Denn irgendwie sind solche digital erzählten Geschichten ja dann doch oft witziger als das Real Life.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von „Meme Girls“.

Meine Wertung: 4/​5

Alle sechs Folgen von „Meme Girls“ stehen ab Donnerstag, den 22. Juni auf RTL+ zum Streamen bereit – die erste auch ohne Abonnement.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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