„Matlock“: Eine nur scheinbar harmlose Großmutter – Review

Die starke Neuauflage der legendären Anwaltsserie geht mit Kathy Bates geschickt neue Wege

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 16.05.2025, 16:45 Uhr

Vor Gericht ist sie in ihrem Element: Matty Matlock (Kathy Bates) hat mit Mitte siebzig nichts verlernt. – Bild: CBS/Universal TV
Vor Gericht ist sie in ihrem Element: Matty Matlock (Kathy Bates) hat mit Mitte siebzig nichts verlernt.

Wer ab den späten 1980er-Jahren auch nur hie und da das ZDF einschaltete, wird nicht an ihm vorbeigekommen sein: „Matlock“, der ältlich-verschmitzte Anwalt im hellgrauen Anzug, der so gerne Hot Dogs verspeiste und im Gerichtssaal noch jeden seiner Mandanten rauspauken konnte, war bis 1995, als sich Hauptdarsteller Andy Griffith in den Ruhestand verabschiedete, ein absoluter Hit. Als bekannt wurde, dass im grassierenden Wiederverwurstungsfuror der heutigen Entertainment-Manager jetzt auch die in selige Nostalgie verpackte Anwaltsserie an die Reihe kommen würde, war Skepsis daher durchaus gerechtfertigt. Das Ergebnis aber – die in den USA bei CBS schon komplett durchgelaufene erste Staffel startet bei uns nun auf Universal TV – überrascht positiv: Mit einer fulminanten Kathy Bates in der Hauptrolle nutzt das neue „Matlock“ den liebevollen Rückbezug auf das alte Procedural, um zugleich etwas völlig Neues daraus zu machen. Was gelingt.

Kathy Bates, die einen Oscar für „Misery“ gewann und in ihrer langen Karriere auch schon Anwaltsserienerfahrung sammeln durfte (für die David-E.-Kelley-Produktion „Harry’s Law“ wurde sie Emmy-nominiert), ist inzwischen 76 Jahre alt. Als sie im letzten Jahr „Matlock“ drehte, war sie schon sechs Jahre älter als Original-Matlock Griffith, der seine letzte Folge mit 69 abschloss. Dem Grundprinzip der Serie, die sich um eine aufgrund ihres Alters unterschätzte Anwaltsperson dreht, die in Wahrheit natürlich lauter Asse im Ärmel hat, bleibt die Neuproduktion damit also schon mal mehr als treu.

Jene unter den Fans, die sofort in Habachtstellung gehen und ihre Finger wutbereit über die nächstgelegene Tastatur schweben lassen, um giftige Social-Media-Kommentare zu verfassen, nur weil eine fiktive männliche Figur als weiblich neukonzipiert wird – genderflipping nennt man’s im Entertainment-Englisch -, können sich übrigens sofort wieder beruhigen: Kathy Bates’ Matlock ist nicht die weibliche Variante von Griffith’ Matlock. Die Serie ist kein Remake und auch kein Reboot, das dieselbe Story noch einmal erzählt, nur aus weiblicher Perspektive. Im weitesten Sinne ist das, was Autorin Jennie Snyder Urman („Jane the Virgin“, „Emily Owens“) da im Sinn hat, ein Sequel: Bates spielt – deutlich erschlankt übrigens – eine längst verrentete, nun aber, aufgrund persönlicher Umstände, wieder zur Arbeit gezwungene Anwältin namens Madeline „Matty“ Matlock, die vermeintlich zufällig so heißt wie ebenjener Anwalt, der auch in der Erzählwelt dieser neuen Serie ein bekannter Fernsehanwalt ist. Sprich: Bates’ Figur stellt sich überall vor als Matty Matlock, genau wie der Typ aus der Fernsehserie, woraufhin ältere Leute wissend reagieren, die jungen Kollegen aber sofort fragen: Welche Fernsehserie?

Leben in Scheidung und Konkurrenz: Julian (Jason Ritter) und Matlocks Vorgesetzte Olympia (Skye P. Marshall). CBS/​Universal TV

Dieser entspannt-selbstironische Meta-Umgang mit dem eigenen Markenerbe, das natürlich tatsächlich eher bei den nicht mehr allzu werberelevanten Zuschauerjahrgängen die Nostalgiemaschine anschmeißt, prägt die neue Serie. Fast zu offensiv wird damit umgegangen, dass die neue Matlock (obgleich ebenfalls aus Georgia kommend, wo die alte Serie spielte) natürlich nicht verwandt sein kann mit dem innerhalb der Serie ebenfalls fiktiven TV-Matlock, wobei der Gag natürlich vor allem darin besteht, dass auch die neue Serie, für uns Zuschauer, fiktiv ist.

Die Serie geht jedenfalls keine Umwege, um die grundlegende Fall-der-Woche-Struktur der Originalserie von Anfang an nachahmen zu können. Gleich zu Beginn schleicht sich Matty (im biederen Oma-Look) erst ins Gebäude, dann in die Büros und schließlich sogar in den Sitzungssaal der hochkarätigen New Yorker Anwaltsfirma Jacobson Moore, um sich dort als neue Mitarbeiterin aufzudrängen.

All dies gelingt ihr, indem sie ihre vermeintlich geriatrische Gefahrlosigkeit ausnutzt. Sie lässt andere Leute für sie Türen öffnen, Passcodes eingeben usw., nur um dann im entscheidenden Moment einen messerscharfen Powermove auszupacken und ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen – in diesem Fall der Firma nicht nur einen entscheidenden Hinweis in Bezug auf einen Fall zu geben, in dem diese gerade nicht weiterkommt, sondern auch zu demonstrieren, dass gerade ihre just zur Schau gestellte trügerische Arglosigkeit als alte, schwächliche Frau ihre stärkste Waffe ist: Frauen werden im Alter unsichtbar, sagt Matty. Dies auszunutzen, wird in den folgenden Episoden zu ihrer Superkraft.

Das Team, mit dem sie es nach ihrer prompten Einstellung (auf Probe) in der auf Unternehmensfälle spezialisierten Top-Firma zu tun bekommt, sieht so aus: Olympia Lawrence (perfekt als Power-Juristin: Skye P. Marshall aus „Black Lightning“) ist die Erfolgsanwältin, der Matty zuarbeiten muss und deren Vertrauen sie gewinnen muss, dazu kommen zwei junge Assistenten: Billy (David del Rio, „The Baker and the Beauty“) schließt Matty gleich ins Herz, während Sarah (Leah Lewis, „Nur die halbe Geschichte“) sofort um ihre Position in der Firma bangt. Olympia lebt in Scheidung von ihrem Kollegen Julian Markston (Jason Ritter,„Raising Dion“), der überdies der Sohn von Firmenboss Howard ist (Altstar Beau Bridges von den „Fabelhaften Baker Boys“ ist in etwa jeder zweiten Episode als Gast mit dabei), was Olympias weiteren Karriereweg bei Jacobson Moore in Gefahr bringt. Zugleich unterhält sie eine heimliche Affäre mit einem weiteren Anwalt der Firma, Elijah (Eme Ikwuakor, „On My Block“). Als Love Interest für Sarah kommt bald Firmenneuzugang Kira (Piper Curda, „Ich war’s nicht“) hinzu, für Billy kommt Sarahs Ex-Kommilitonin Simone (Andrea Londo) ins Spiel. Patricia Belcher hat als Buchhalterin ein paar herrlich bärbeißige Auftritte, nur noch getoppt von „Jane the Virgin“-Star Yael Grobglas als Jury-Consultant Shae, die wie ein menschlicher Lügendetektor auftritt.

Bangt um ihre Stellung bei Jacobson Moore: Sarah (Leah Lewis, M.). Kollege Billy (David Del Rio) und Matty Matlock versuchen immer wieder, sie zu beruhigen. CBS/​Universal TV

Das ist das berufliche Umfeld, in das Matty Matlock hineingerät und dessen Potenzial für Amouren, Zerwürfnisse, Wiederzusammenfindungsprozesse und Konkurrenzen die Drehbücher der einzelnen Folgen weidlich auszuschöpfen verstehen. Die Fälle, um dies es geht, spiegeln die gesellschaftlichen Veränderungen seit der alten „Matlock“-Serie wider: Sie kreisen um Vorurteile gegenüber behinderten Personen oder People of Colour, es geht ums korrupte Gefängnissystem, um Demenz und sogenanntes union busting (Gewerkschaftssabotage), um lesbische Paare, verseuchte Babynahrung und sexuelle Belästigung. In einem zentralen Fall aber geht es um die Machenschaften der Pharma-Industrie, in enger Anlehnung an die Opioid-Krise, eine der schlimmsten Großkrisen in den USA der letzten Dekade.

Genau damit wären wir wieder bei der Figur Matty Matlock. Diese stellt sich eingangs als 75-jährige Witwe vor, deren verstorbener spielsüchtiger Mann ihr erhebliche Schulden hinterließ. Zudem müsse sie sich nach dem tragischen Tod ihrer Tochter auch um ihren Enkel kümmern, mit dessen Erziehung sie Probleme habe. Aus Geldnot sei sie dazu gezwungen, nach 34 Jahren Job-Pause wieder zu arbeiten. Das alles aber ist nur das, was sie vorgibt. Denn Matty hat noch eine geheime Motivation, die sich nicht auf den ersten Blick zeigt – was damit gleichzeitig für die Serie selbst gilt, die sich nicht mit der Fall-der-Woche-Routine des alten „Matlock“ zufriedengibt, sondern am Ende der Pilotepisode mit einem großen reveal eine entscheidende zweite Ebene aufmacht, die das Mystery-Grundprinzip des neuen „Matlock“ überhaupt erst enthüllt. Wer davon noch nichts wissen will, möge nach diesem Absatz aufhören zu lesen – sei aber unbedingt dazu aufgefordert, sich am Ende der Pilotepisode selbst ein Bild zu machen. Ob man Lust hat auf diese „Matlock“-Neukonzeption oder nicht, wird sich nämlich genau an jener Stelle zeigen.

Achtung, entscheidende SPOILER in den verbleibenden Absätzen!

Wer betrügt hier wen wie stark? Matty Matlock und Firmenboss Howard Markston (Beau Bridges) sind nur scheinbar relaxt. CBS/​Universal TV

Als Matty Matlock nämlich am Ende der ersten Episode Feierabend macht und sich – so denken die neuen Kollegen – auf den Weg in ihre kleine Wohnung in Queens begibt, wird sie um die Ecke von einer Limousine abgeholt und in ihre eigentliche Heimstatt gefahren: ein luxuriöses Anwesen, wo sie mit ihrem keinesfalls verstorbenen und/​oder verschuldeten Ehemann Edwin (Sam Anderson) glücklich zusammenlebt. Weder hat sie Geldsorgen noch heißt sie Matlock. Stattdessen verfolgt Matty Kingston (ihr tatsächlicher Name) einen geheimen Plan, der in jenem Fakt begründet liegt, der von ihrer offiziellen Biografie als Einziger stimmte: dem tragischen Tod ihrer Tochter. Die starb an ihrer Opioid-Sucht, und Jacobson Moore ist jene Firma, die entscheidende Beweise gegen die Pharma-Industrie verschwinden ließ.

Matty wird also davon angetrieben, Jacobson Moore zu infiltrieren, das Vertrauen aller Mitarbeitenden zu erschleichen und zugleich gegen diese zu ermitteln und die oder den Schuldigen am Ende auffliegen zu lassen – ganz so, wie es Matlock in jeder einzelnen Folge tut. Dieses große Geheimnis – Matlock als Maulwurf in eigener Sache – sorgt nun nicht nur für Spannungssequenzen, wenn Matty etwa in der Firma aufzufliegen droht oder sich nach und nach (mithilfe ihres technikaffinen Enkels Alfie, von Newcomer Aaron D. Harris gespielt als kindlicher Bond-„Q“) in Handys, Laptops, Aktenzimmer und andere verbotene Areale hineintrickst; es bietet auch die Grundlage dafür, dass Kathy Bates eine ganze Bandbreite von Emotionen schauspielerisch abarbeiten kann. Der Kontrast zwischen der verschmitzt-großmütterlichen Kanzlei-Matty, die sich mit Bonbons und Tatschehändchen in die Herzen aller Verdächtigen schleicht, und der viel mondäneren, mit offenem Haar durch ihre Villa stolzierenden Matty ist groß; ihre Trauer und Wut über den unnötigen Tod der Tochter führen zu bewegenden Szenen.

Erstaunlicherweise trägt diese dramaturgische wie schauspielerische Doppelgleisigkeit bis zum Schluss der 19 kurzweiligen Episoden. Aus einer bloßen „Matlock“-Neuauflage macht sie ein ganz anderes „Matlock“, das dem alten „Matlock“ aber trotzdem treu bleibt. Am Ende der Staffel hat Matty schon einiges aufgedeckt, es bleibt aber noch genügend ungeklärt, um eine willkommene zweite Staffel möglich zu machen – die von CBS inzwischen auch bestellt wurde.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von „Matlock“.

Meine Wertung: 4/​5

Die erste Staffel von „Matlock“ lief in den USA zwischen vergangenem September und April bei CBS. Die Deutschlandpremiere erfolgt ab Samstag, dem 17. Mai beim Pay-TV-Sender UniversalTV; immer samstags gibt es Doppelfolgen.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Sehr angenehm heute fand ich, dass die Serie niemals versucht, ein Reboot des Originals zu sein sondern freiwillig zugibt, im Grunde nichts mit der Urserie zu tun zu haben und man sich sogar lustig drüber machte, dass sie mit dem TV-Matlock von damals immer anbgesprochen wurde :) Trotzdem tauchte in Folge 2 etwas das Titel-Theme der Serie auf.

    Die ersten beiden Folgen gefielen mir wirklich gut...und wie gesagt finde ich es sehr angenehm, dass diese Serie zu keiner Zeit ein Reboot sein will und das auch deutlich macht.
    • am

      Ich bin schon total gespannt heute Abend auf die ersten beiden Folgen der Serie.

      Wahrscheinlich schauen alle anderen Leute ESC.
      • am

        "erschlankt" kann nur jemand schreiben, der keine Ahnung davon hat, dass Mrs Bates schwere Krebserkrankungen hinter sich hat.
        Inhaltlich ist jeder Vergleich mit der alten Serie komplett sinnlos, weil die Serie sich nur den Namen borgt, was angesichts der anspruchsvollen Inhalte eigentlich sehr schade ist, da die Serie auch "Sowieso Law" hätte heißen können und ihr der "Vergleich" erspart geblieben wäre.
        • am

          Der alte "Matlock" war so oder so vor meiner Zeit und somit habe ich da keine Berührungspunkte. Die Kritik klingt vielversprechend und da Kathy Bates eine großartige Schauspielerin ist und ich sie bisher in keiner einzigen schlechten Rolle erleben "musste", wird die Serie sofort zur Aufnahme vorgemerkt.

          War es nicht mal so, dass Serien, die bei UniversalTV gezeigt wurden, dann auch bei Sky/wow verfügbar waren?
          • (geb. 1989) am

            Warum muss man solche alten Serien immer wieder neu verwursten? Haben die heutigen Schreiber keine eigenen Ideen oder trauen sie sich nur nicht? Und wenn schon eine weibliche Matlock, warum nicht im eigenen Universum bleiben und die Geschichte mit seiner eigenen Tochter weiter erzählen? Hätte ja genauso von Kathy Bates gespielt werden können. Da hat man viel Potenzial verschwendet und was unnötig kompliziertes erfunden. Matlock als fiktive Serie innerhalb der Serie, das ist schwachsinn. Seine eigene Tochter, die schon in der original Serie seine Anwaltskollegin war, hätte da viel besser gepasst. Schade um die verlorene Chance.
          • (geb. 1976) am

            Wow. Glückwunsch! Sie haben den Artikel nicht gelesen. Aber sie haben eine Meinung. Wow!
          • am

            "parallel dürfte die Serie auch bei WOW sowie on Demand über Sky verfügbar werden."
        • (geb. 1976) am

          DAS ist wirklich mal eine richtig gelungene Kritik. Sowas würde man wirklich gerne öfter lesen, statt zu erfahren, wer beim nächsten Dschungelcamp oder im Fernsehgarten mitmacht.

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